Bündnisdemonstration
Am 7. Juni 2006 fand in Marburg eine Großdemonstration gegen Studiengebühren und Sozialabbau statt, zu der zahlreiche Organisationen und Initiativen aufgerufen haben. Darunter waren auch Schülervertretungen, Gewerkschaften sowie Attac. An dieser Demonstration nahmen c.a. 7000 Personen teil. Sie war damit eine der größten Demonstrationen in Marburg in den letzten Jahrzehnten.
Leider reagierte die Polizei zunehmend aggressiv und konfiszierte während der friedlichen Demonstration mehrer Gegenstände. Sie leitete zudem ein Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung von Robert Koch ein. Später gelang es einer kleineren Gruppe, die Stadtdautobahn sowie die Bahnhofstraße zu blockieren. Hier setzte die Polizei Pfefferspray ein und nahm mindestens 2 Personen fest.
Algemeine Informationen zu den Protesten der Studierenden
Aufruf zur Großdemonstration in Marburg
Gemeinsam gegen Studiengebühren und Sozialabbau!
Anfang Mai hat die hessische Landesregierung angekündigt, dass sie allgemeine Studiengebühren einführen möchte. Seitdem haben in Marburg wie in ganz Hessen zahlreiche Aufsehen erregende Aktionen und Demonstrationen stattgefunden. Die Proteste waren bislang überwiegend von Studierenden getragen. Doch waren an den Protesten von Anfang an auch andere Gruppen beteiligt, die die Pläne der Landesregierung ablehnen: Eltern, die keine weiteren finanziellen Belastungen für die Ausbildung ihrer Kinder aufbringen können; SchülerInnen, die in Studiengebühren eine Gefahr für ihre Zukunft sehen; Beschäftigte im Bildungswesen, die nicht länger zusehen wollen, wie das Menschenrecht Bildung immer mehr zur Ware verkommt; BürgerInnen und Bürger, die sich einfach freuen, dass sich endlich mal wieder jemand lautstark gegen die politisch vorangetriebene Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen der meisten Menschen wehrt...
Doch auch die protestierenden Studierenden haben von Anfang an betont, dass es ihnen nicht nur um Studiengebühren geht: Sie fordern ein gebührenfreies Bildungswesen vom Kindergarten bis zur Hochschulbildung. Sie sehen einen Zusammenhang zwischen der Einführung von allgemeinen Studiengebühren und dem immer weiter voranschreitenden Sozialabbau.
Deswegen fordern wir alle auf, sich an der Marburger Großdemonstration für ein gebührenfreies Bildungssystem und für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen zu beteiligen: Eltern, SchülerInnen, Beschäftigte, Erwerbslose, RentnerInnen und selbstverständlich Studierende!
Für Solidarität und freie Bildung!
Mittwoch, 7. Juni 2006, 18:00 Uhr, Elisabeth-Blochmann-Platz (Mensa Erlenring)
Aufrufende Organisationen
- AStA Marburg
- AStA Gießen
- DGB
- Linkspartei Marburg
- Aktionsbündnis gegen Studiengebühren und Sozialabbau Marburg
- Bündnis 90/Die Grünen
- SPD Marburg
- Ver.di
- GEW
- Humanistische Union
- Leonardo
- Marburger Schulzeitung
- Erwerbslosenkreis im DGB
- Stadtschülerrat Marburg
- DFG/VK
- Attac Marburg
Rede eines Vertreters von Attac
auf der Abschlusskundgebung der Demo
Hallo, ich bin Sascha vom globalisierungskritischen Netzwerk attac.
Wir haben bereits viel von den geplanten Studiengebühren gehört, und ich möchte daher kein weiteres Statement gehen diese vortragen. Ich möchte die kurze Zeit, die mir gewährt wird vielmehr dazu nutzen, um noch einmal klar zu machen, dass das geplante Hochschulgesetz keiner einmaligen Laune eines Roland Koch oder Udo Corts entsprungen ist. Nein, die Gebührenpflichtigkeit des Hochschulzugangs fügt sich nahtlos ein in das neoliberale Projekt, das von politischen Parteien, transnationalen Konzernen, kommerziellen Medien und nicht zuletzt einflussreichen Lobbygruppen und Think Tanks formuliert, propagiert und umgesetzt wird. Als Beispiel möchte ich an dieser Stelle der zum Bertelsmann-Konzern zugehörigen Reformwerkstatt Centrum Für Hochschulentwicklung (kurz CHE) nennen, die seit den frühen neunziger Jahren Studiengebühren propagiert und salonfähig gemacht hat. In einer Email hat mir unser Uni-Präsident Volker Nienhaus einen Text des CHE angehängt, in dem Studiengebühren als sozialverträglich angepriesen werden. In Nordrhein-Westfalen wurde das Hochschulfreiheitsgesetz vom CHE geschrieben, Bildungsminister Pinkwart musste es nur noch umsetzen. Hier zeigt sich die Macht der neoliberalen Gedankenwerkstätten.
Die Architekten des neoliberalen Projekts sehen im entfesselten Markt die Patentlösung gegen nahezu alle Probleme unserer Zeit. Der Staat soll sich weitestgehend zurückhalten, während alle Lebensbereiche und sozialen Beziehungen in Anbieter-Kundenbeziehungen transformiert werden sollen. „Dabei steigt das Mitspracherecht der Kunden“, das sagt uns Herr Corz, und meint es werde somit zu einem Demokratisierungsprozess kommen. Das ist nichts weiter als eine glatte Lüge. In Wahrheit wird ein Selektionsprozess eingeleitet, bei dem nur der Stärkere, d.h der mit dem meisten Geld, seine Grund- und Menschenrechte garantiert bekommt, während auf die Schwachen Schuldenberge, öffentliche Diffamierung und Hartz 4 warten.
Um diesen Wahnsinn erfolgreich zu bekämpfen wird es nicht ausreichen, wenn jede Gruppe nur für die eigene Sache eintritt. Lassen wir uns von Koch, Clement, Merz und wie sie alle heißen nicht einreden, die politischen Gegner seien „die Studierenden“, „die Sozialschmarotzer“, „die Arbeitslosen“, oder „die Krankenschwester“. Dort verlaufen nicht die Trennlinien in unserer Gesellschaft. Die wahre Trennlinie verläuft zwischen oben und unten, und diese Kluft wächst mit jedem Tag, mit jedem Gesetz, das verabschiedet wird. Nur, wenn wir uns so wie heute zusammenschließen und gemeinsam gegen den Abbau unserer Rechte eintreten, haben wir langfristig eine Chance, eine solidarische Gesellschaft aufzubauen. Das heißt aber auch, dass der Protest nicht vorbei sein darf, wenn wir das Gesetz erstmal gekippt haben, und ich glaube fest daran, dass wir das schaffen. Auf wie viele von uns wartet nach dem Studium eine unbestimmte Zeit der unbezahlten Praktika? Auf wie viele wartet ein prekärer Job? Auf wie viele wartet der Niedriglohn? Auf wie viele die Erwerbslosigkeit? Nein, nach dem Studium ist es nicht vorbei.
Deshalb ist es so unendlich wichtig , dass wir die Energie, die Dynamik, die unseren Protest ausmachen, erhalten. Wir müssen dauerhafte Strukturen schaffen, in denen Gesellschaft und mit ihr die Wirtschaft grundlegend anders gedacht werden können. Nur wenn wir einen langen Atem haben, können wir dem neoliberalen Modell ein Modell einer solidarischen Gesellschaft entgegenstellen. Nur wer Alternativen zu bieten hat, wird der Rhetorik des herrschenden Sachzwangs etwas entgegnen können. Nur, wer über das kurzfristig Erreichbare hinausdenkt, kann mit Überzeugung sagen: „There is an alternative!“. Lasst uns Alternativen aufzeigen, lasst sie uns leben, und zwar gemeinsam: Studierende, Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, Erwerbslose, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Lasst uns über unseren Tellerrand hinausschauen und beweisen, dass das Konkurrenzprinzip nicht alles ist, dass wir uns nicht in Grabenkämpfen verlieren werden, dass wir nur zusammen die Legitimation besitzen, für mehr als nur uns selbst zu sprechen. Wir haben eine Chance, die Welt zu verändern. Nutzen wir diese Chance!
Eine andere Welt ist möglich.