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Offener Brief: „Vermietung“ der Stadtbahnanlagen in Dortmund und des Dortmunder Kanalnetzes an einen „Investor“ aus den USA

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir, engagierte Bürgerinnen und Bürger der Attac-Gruppe Dortmund, sind erschüttert, wie in naher Zukunft mit öffentlichem Eigentum verfahren werden soll, das für das Zusammenleben in unserer Zivilgesellschaft unerlässlich ist.

Aus der Dortmunder Tagespresse (z.B. Artikel in der Westfälischen Rundschau vom 06.07.`02/ 05.08.`02) haben wir erfahren, dass die Stadt Dortmund und ihre 100-Prozent-Tochter Dortmunder Stadtwerke beabsichtigen, die Stadtbahnanlagen plus Gleisnetz im Rahmen eines sogenannten Cross-Border-Leasing- Geschäfts (CBL) an einen "Investor" aus den USA zu vermieten und gleich wieder zurück zu mieten. Des weiteren soll noch in diesem Jahr das Dortmunder Kanalnetz in ein solches Geschäft eingebracht werden.

Wir erfuhren aus der Presse am 31.08.2002, dass die Weichen für den Verkauf der Stadtbahnanlagen schon gestellt sind. Offensichtlich hat die Dortmunder Stadtspitze in Person von Oberbürgermeister Langemeyer in Absprache mit dem CDU-Fraktionsvorsitzenden Hans-Georg Hovermann durch eine sogenannte Dringlichkeitsentscheidung die Verwaltung ermächtigt, die Verträge abzuschließen und so jede weitere Diskussion über dieses Geschäft unterlaufen. Dabei wurde der Stadtrat als politischer Entscheidungsträger übergangen und kann -angeblich- dieses Geschäft nur noch abnicken. Auch die Partei der Grünen hat, nachdem sie bisher kaum ein Interesse an diesen einschneidenden Deals gezeigt hat, den Zug verpasst und kritisiert die Geschäfte nicht prinzipiell, sondern in erster Linie das eigenmächtige Handeln unseres Oberbürgermeisters.

Wir fordern Sie als Dortmunder Stadträte auf, das Stadtbahnanlagen-Geschäft kritisch und grundsätzlich zu hinterfragen und zu verhindern. Ebenso fordern wir Sie auf, dem "Verleasen" des Kanalnetzes ihre Zustimmung zu verweigern.

Nach unseren Informationen beinhalten Geschäfte dieser Art schwer kalkulierbare, finanzielle Risiken, die den Wert des für die Stadt Dortmund entstehenden Finanzvorteils, in Gestalt des sogenannten "Barwertvorteils", bei weitem übersteigen können. Dadurch kann unser Gemeinwesen in Zukunft massiv geschädigt werden, und das alles nur für einen kurzfristigen, relativ geringen finanziellen Vorteil. Wir beziehen uns auf die Recherchen des Publizisten Dr. Werner Rügemer, der am Beispiel eines ähnlichen CBL- Deals in Köln die Fallstricke dieser Geschäfte aufgezeigt hat. (siehe Anlage)

Doch das finanzielle Risiko ist nur eine negative Folge dieser globalen Finanztransaktionen, an denen nun auch Sie als unsere Volksvertreter teilnehmen wollen und somit unsere öffentliche Daseinsvorsorge aufs Spiel setzen.

Wir halten es für einen grenzenlosen Zynismus, dass unsere Kommune ihr Budget kurzfristig dadurch aufzubessern gedenkt, dass der amerikanische und der deutsche Steuerzahler betrogen werden. Dieses Geld fehlt dann für notwendige, öffentliche Aufgaben. Mit diesen Geschäften, die reine Scheingeschäfte sind, operieren Sie als Dortmunder Stadtrat in einer Grauzone der Legalität vor dem Hintergrund des US-amerikanischen Steuerrechts.

Das Beispiel der Stadt Aachen zeigt zudem, wie schnell die angeblich so lukrativen Geschäfte für die Kommunen ins Negative umschlagen können und sich sogenannte "Arrangeure" am eh schon nicht gerade prall gefüllten Stadtsäckel schadlos halten. Im Klartext: Den weitaus größten Gewinn machen die beteiligten "Vermittler", Unternehmen, Anwaltskanzleien und Banken.

Zu ihrer Information haben wir unserem Schreiben einen Artikel von Werner Rügemer beigelegt und stellen Ihnen vor diesem Hintergrund einige wenige von vielen offenen Fragen:

  1. Sind Ihnen die Originalverträge, welche die Geschäftsgrundlage dieses Deals bilden, bekannt, oder nur die vereinfachte, gekürzte Fassung ?

  2. Sind die Kommunalaufsichtsbehörden in die Vertragsverhandlungen und -gestaltung mit einbezogen worden?

  3. Warum wird die Öffentlichkeit so wenig über die detaillierten Abläufe der CBL-Deals informiert und weshalb wird stets die unbedingte Wahrung der Anonymität des "Investors" gefordert?

  4. Ist Ihnen bekannt, dass sich a) im Grunde hinter dem Barwertvorteil nichts anderes verbirgt als ein Steuerbetrug am US-Steuerzahler, der nur dadurch zustande kommen kann, dass der CBL- Deal und die fiktive Vertragsdauer von 100 Jahren in den USA als eine Eigentumsüberschreibung interpretiert werden, b) nach deutschem Recht die Anlage weiterhin im Besitz der Kommune bleibt und dieses erhebliche Zuständigkeits-Probleme auslösen kann?

  5. Wer ist für Wartung, Instandhaltung, Erweiterung usw. der vermieteten/verkauften Geschäftsgegenstände rechtlich verantwortlich?

  6. Eine nicht zu unterschätzende Vertragsklausel formuliert die Bedingung, dass der Wert der Anlage bei Vertragsabschluß auch zukünftig erhalten bleiben muss. Was geschieht, wenn der Geschäftsgegenstand beschädigt zerstört oder in der Stadt einfach nicht mehr benötigt wird? Haftet die Kommune dann gegenüber dem "Investor" und wenn, in welcher Höhe?

  7. Hat der "Investor" irgend einen Einfluss auf die Höhe der Gebühren (Kanalnetz) und Preise (Stadtbahn) sowohl direkt als auch indirekt und in Zukunft?

  8. Ist Ihnen bekannt, ob der Leasing-Gegenstand durch den "Investor" auch nach deutscher Rechtssprechung finanziell belastet werden kann?

  9. Wir haben es im Falle der projektierten und auch der schon getätigten Geschäfte (z.B. Stadtbahnwagen) mit im weitesten Sinne öffentlichen Aufträgen zu tun. Hat vor diesem Hintergrund eine Ausschreibung dieser Aufträge zumindest für die Dienstleistungen der beteiligten "Arrangeure" und Banken auf der Grundlage der Vergabeverordnung vom 01.02.2001 stattgefunden?

  10. Ist Ihnen bekannt, warum das niedersächsische Innenministerium diese Art von Geschäften grundsätzlich ablehnt?

  11. Ist Ihnen bekannt, dass vor US-amerikanischen Gerichten schon über die fiskalische Rechtmäßigkeit mehrerer Cross-Border-Leasing-Verträge verhandelt wird, wobei als Folge sicher nicht geringe Schadensersatzforderungen an die Stadt gerichtet werden könnten?

  12. Was passiert, wenn der "Investor" in Konkurs geht oder die Geschäfte offiziell für illegal erklärt werden?

Mit freundlichen Grüßen

Attac Dortmund

i.A. Andreas Pleger

10.09.2002