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Kommentar zum Urteil des Bundesverfassungsgericht v. 5.5.20

08.09.2020

Das Urteil des BVerfG vom 5.5.2020 zum Programm der EZB Staatsanleihen und Wertpapiere zu kaufen, hat viel Wirbel hervorgerufen.

Ingeborg Schellmann

Zur Vorgeschichte

Es geht nur vordergründig um die Frage, ob die EZB mit den zahlreichen Aufkaufprogrammen von Staatsanleihen Wirtschaftspolitik betreibt, was ihr nach den europäischen Verträgen (dem AEUV) nicht gestattet ist, oder ob sie sich noch im Rahmen ihrer Kompetenz der Geldpolitik hält. Im Kern geht es um die Kompetenzgrenzen zwischen EU und den Mitgliedstaaten, wofür das BVerfG nun die Diskussion eröffnet hat. 

Die verschiedenen Aufkaufprogramme nennen sich Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM), Eurobonds, Saftybonds, Coronabonds, common debt- instrument, Wiederaufbaufonds „recoveryfonds„ genannt und schließlich das Rahmenprogramm der EZB EAPP (Expanded Asset Purchase Programme – EAPP, jetzt bezeichnet als Asset Purchase Programme – APP)  mit dem Unterprogramm  PSPP genannt, was in Langschrift Public Sector Asset Purchase Programme heißt.

In allen Fällen geht und ging es um die Rettung des Euros und die Rolle der EZB „helfend“ einzugreifen, wenn im Europäischen Rat, dem Vertretungsorgan der EU Mitgliedstaaten, keine Einigung über die Lösung einer Finanz- oder Haushaltskrise der EU Mitgliedstaaten zustande kommt. Können sich die Politiker nicht einigen, ist es in den letzten 8 Jahren stets die EZB gewesen, die die Entscheidung übernahm, was wiederum den EuGH und das BVerfG auf den Plan brachten, da Bürger, aber auch einige Politiker das BVerfG anriefen. Sie waren der Auffassung, dass die EZB, statt, sich auf ihre Aufgabe, reine Geldpolitik sprich Zinspolitik zu betreiben, Wirtschaftspolitik betreiben würde, wozu sie nach den europäischen Verträgen (AEUV) eindeutig nicht befugt ist.

Am 5.5.2020 hat das BVerfG ein Machtwort gesprochen. Sollte die EZB für den Aufkauf von Staatsanleihen keine ausreichende Begründung nachreichen, ist es der Bundesbank verboten, sich an dem Aufkauf durch die EZB zu beteiligen.

Das Urteil ist eine Reaktion auf die seit 8 Jahren von der EZB praktizierte Politik der Aufkaufprogramme von Staatsanleihen und Wertpapieren, wenn die Gefahr der Insolvenz von Mitgliedstaaten und des Zusammenbruchs der Eurozone besteht. Es war und ist abzusehen, dass die bisherigen Krisen auch in Zukunft zu erwarten sind und die Politik der Aufkaufprogramme der EZB fortgesetzt werden würden.

Dies mag das BVerfG motiviert haben, nunmehr die Kompetenzgrenzen in die Diskussion zu bringen. Um diese geht es. Die Aufkaufprogramme  der EZB sind lediglich das Spielfeld, auf dem nun die Grenzen gesteckt werden sollen.

Schon nach dem Maastricht Vertrag hat das BVerfG in seinem Urteil aus dem Jahr 1993 insoweit eine deutliche Sprache gesprochen und sich die Überprüfung des europäischen Rechts an den Ewigkeitsgarantien des Art 1 und Art. 20 sowie Art. 79 III GG vorbehalten.[i]

Diese Entscheidung ist das erste Karlsruher Verdikt, das dem europäischen Integrationsprozess aus Sicht des Grundgesetzes Grenzen zieht. Grenze des Integrationsprozesses gem. Art. 23 GG sind die sog. Ewigkeitsgarantien wie sie in Art. 20 Abs.1 und Abs. 2 GG enthalten und durch Art. 79 III GG geschützt sind. Zu diesen Werten zählen die Menschenwürde, die Demokratie und der Rechtsstaat. Sie sind Inhalt der Verfassungsidentität. Der gesamte Integrationsprozess der EU muss auf nationale parlamentarische Grundlagen zurückzuführen sein. Er muss demokratische und rechtsstaatliche Grundsätze gewährleisten. Deshalb hat die EU nicht das Recht, den Integrationsprozess in jeder Hinsicht frei voranzutreiben. Mit der Ratifikation des Unionvertrags hat die BRD nicht auf eigene Gestaltungsmacht verzichtet und der EU nicht einen nicht mehr kontrollierbaren Gestaltungsautomatismus eingeräumt..[ii]

Die sog. Ewigkeitsgarantien, d.h. die Verfassungsidentität zu wahren und zu gewährleisten, hat das BVerfG in der Folge wiederholt als seine Aufgabe formuliert.

Das BVerfG spricht jetzt vom Ultra-Vires-Handeln der EZB, d.h. der Kompetenzüberschreitung und davon, dass der EuGH „schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar“, „methodisch nicht mehr vertretbar“ und „objektiv willkürlich“ entschieden habe, als es die Aufkäufe der EZB bestätigte.

Reaktion der Öffentlichkeit

Nicht nur die Entscheidung selbst, auch die Wortwahl rief Unmut hervor. Von Respektlosigkeit, Arroganz  und Vertragsverletzungen ist die Rede, von deutscher Hegemonie und Hybridität und vom „deutschen Wesen, an dem die Welt genesen“ soll.

Ökonomen sprechen von mangelnder Kompetenz des Gerichts in wirtschaftlichen Fragen, Verfassungsrechtler nennen die Richter des BVerfG Souveränitisten mit mangelndem Integrationswillen und werfen ihnen Missachtung des Anwendungsvorrangs europäischen Rechts vor, Politiker sprechen von fehlender politischer Verantwortung, da das Gericht die politische Wirkung auf Separationisten wie Ungarn und Polen vorher hätte bedenken müssen. Die Financial Times meint, dass das deutsche Gericht ein „Bombe unter die europäische Rechtsordnung“ gelegt habe. Und Le Monde diplomatique stellt mit heimlichem Vergnügen fest, dass sich die „Weisen“, die Seraphinen und Unabhängigen (Richter) in die „Perücken“ kriegten.

Die Keule eines Vertragsverletzungsverfahrens wird geschwungen und es werden Überlegungen angestellt, die Entscheidungsmacht des Bundesverfassungsgerichts durch Änderung des GG in Zukunft zu beschneiden.

All dies sind sehr personalisierte Reaktionen, die die Diskussion in eine reine Kampfzone verlagern, den verfassungsrechtlichen und EU-rechtlichen Kontext verbergen und eine rationale und ehrliche Diskussion vereiteln.

Zur Klarstellung: der Begriff „Ultra-vires“ ist kein Kampfbegriff sondern eine rechtlicher Begriff und besagt nichts anderes als Kompetenzüberschreitung. Die Formulierungen „methodisch nicht mehr vertretbar“ oder „schlechterdings nicht nachvollziehbar“ sind rechtliche Kategorien des Begriffs der Verhältnismäßigkeit bzw. der Unverhältnismäßigkeit.-

Der rechtliche Gehalt des Urteils:

Vorweg: Das Urteil liest sich wie eine lehrbuchmäßige Unterrichtung über die Kompetenzgrenzen zwischen EU und den Mitgliedstaaten. Es ist redaktionell geschickt aufbereitet, da es eine Inhaltsangabe mit Stichworten voranstellt und daher ein gutes Nachschlagewerk für viele Fragen der Kompetenzabgrenzung zwischen EU und den Mitgliedstaaten darstellt.

Zum  subjektiven Recht der BürgerInnen darauf, dass jedes staatliche Handeln demokratisch legitimiert ist.

Jeder Bürger und jede Bürgerin hat gem. Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG und Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG den verfassungsrechtlich gesicherten Anspruch darauf, dass jedes staatliche Handeln demokratisch legitimiert ist, und zwar in der Weise, dass staatliches Handeln auch auf der höchster Ebene auf einer ununterbrochenen demokratischen Legitimationskette beginnend beim Bürger, der sein Wahlrecht ausübt, beruht. Darin materialisiert sich die Volkssouveränität. [iii]

Dieses Recht der Bürgerinnen und Bürger auf Einhaltung einer demokratischen Legitimationskette hat das BVerfG sowohl auf nationaler Ebene als auch supranationaler Ebene zu schützen.

Es ist das Staatsvolk, von dem die demokratische Legitimation der auf nationaler wie auch auf supranationale Ebene ausgeübten Staatsgewalt ausgeht. Es ist der Grundsatz der Volkssouveränität, der Teil der gem. Art. 79 III GG geschützten Ewigkeitsgarantie ist und den europäischen Integrationsprozess gem. Art. 23 GG begrenzt. [iv]

Zum subjektiven Recht der BürgerInnen auf demokratisch legitimiertes Handeln des Staates auf EU-Ebene

Der Anspruch der BürgerInnen auf demokratisch legitimiertes Handeln des Staates gilt auch für die EU- Ebene. Alle nationalen staatlichen Organe haben Sorge dafür zu tragen, dass die Kompetenzgrenzen zwischen EU und den Mitgliedstaaten eingehalten werden.[v]

Zu den Kompetenzgrenzen zwischen EU und den Mitgliedstaaten

Das BVerfG prüft dann die Frage, ob Kompetenzgrenzen durch den EuGH überschritten wurden und stellt zunächst fest, dass der Grundsatz der Einzelermächtigung gelte(Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EUV) und eine Kompetenz-Kompetenz der EU mit dem GG nicht vereinbar sei. Letzteres besagt, dass die EU nicht aus sich selbst heraus Recht schöpfen könne.

Methodisch und dogmatisch überzeugend stellt es die Grundsätze des Kompetenzgefüges und die Voraussetzungen der Ultra-vires-Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht – wie es in der Vergangenheit entwickelt wurde – dar.

In diesem Zusammenhang prüft es, ob der EuGH den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EUV eingehalten habe und verneint dies am Ende.

Über den Begriff „Verhältnismäßigkeit“ hat sich bei der Rezeption des Urteils ein Missverständnis eingeschlichen. Der Grundsatz der „Verhältnismäßigkeit“ gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EUV ist rechtsdogmatisch und nicht etwa politisch oder ökonomisch zu verstehen und ist wie der Grundsatz der Subsidiarität ein Kriterium der Kompetenzabgrenzung zwischen EU und den Mitgliedstaaten.

Den Begriff „Verhältnismäßigkeit“ legt das BVerfG nicht nach deutschen Rechtskriterien, sondern nach Kriterien aus, wie sie der EUGH selbst entwickelt hat. Damit respektiert es den Vorrang der EU.

Soweit sich das BVerfG zu den möglichen wirtschaftspolitischen Wirkungen der Aufkaufprogramme der EZB äußert, nimmt es für sich nicht wirtschaftspolitische Kompetenz in Anspruch, sondern stellt seine Ausführungen in den Kontext seiner Überlegungen, ob der EuGH methodisch einwandfrei die Begründungen der EZB an den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit überprüft habe. Die Hinweise auf wirtschaftspolitische Wirkungen der Aufkaufprogramme dienen nur der Anschaulichkeit und um zu verdeutlichen, dass wirtschaftspolitische Wirkungen in die Überlegung genommen werden müssen, um die Kompetenzgrenzen der EZB beurteilen zu können. Der EuGH hat nach Auffassung des BVerfG bei seiner Kontrolle der EZB insoweit freie Hand gelassen und der Verhältnismäßigkeit nicht die notwendige Beachtung gegeben, obwohl dies seine Aufgabe sowohl nach den Verträgen als auch nach seiner eigenen Rechtsprechung ist.

Dabei hat sich das BVerfG nicht etwa als übergeordnetes Gericht geriert, sondern die Einhaltung von EU-Recht und EU-rechtlichen Prinzipien angemahnt, weil anderenfalls die Verfassungsidentität nach dem GG verletzt sei. Zu dieser zählt die demokratische Ordnung, die im Rahmen der Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU gem. Art. 23 GG unbedingtes Abgrenzungskriterium ist und die Grenze zwischen EU und den Mitgliedstaaten zeiht. Die Ausführungen sind im Kontext der Kompetenzabgrenzung zwischen EU und Mitgliedstaaten zu verstehen.

Zur Loyalität des BVerfG gegenüber der EU

Das BVerfG bekennt sich eindeutig zur EU-Rechtsfreundlichkeit und EU-Loyalität, indem es die primär beim EUGH liegende Aufgabe, das EU-Recht auszulegen und anzuwenden.[vi]

Allerdings führt es aus, dass die Rspr. des EuGH auf den gemeinsamen Rechtstraditionen der höchsten Gerichte der Mitgliedstaaten beruhe. Und grenzt dann wieder ein, dass das BVerfG Entscheidungen des EuGH auch dann zu akzeptieren habe, wenn gewichtige Argumente dagegenstehen, der EuGH allerdings anerkannte methodische Grundsätze berücksichtigt.

Liest man das Urteil, so kann man nicht umhin, als anerkennen, dass das BVerfG dem EuGH und dem EU-Recht jeden erforderlichen Respekt zollt.

So heißt es:[vii]

„Wenn jeder Mitgliedstaat ohne Weiteres für sich in Anspruch nähme, durch eigene Gerichte über die Gültigkeit von Rechtsakten der Union zu entscheiden, könnte der Anwendungsvorrang praktisch unterlaufen werden, und die einheitliche Anwendung des Unionsrechts wäre gefährdet.

Es führt dann allerdings aus:[viii]

„Würden aber andererseits die Mitgliedstaaten vollständig auf die Ultra-vires-Kontrolle verzichten, so wäre die Disposition über die vertragliche Grundlage allein auf die Unionsorgane verlagert, und zwar auch dann, wenn deren Rechtsverständnis im Ergebnis auf eine Vertragsänderung oder Kompetenzausweitung hinausliefe.“

Die nicht vollständige Harmonisierung zwischen nationalem Verfassungsrecht und Unionsrecht ist dem Umstand geschuldet, dass die EU kein Bundesstaat ist und die Mitgliedstaaten Herren der Verträge bleiben. Die dadurch eintretenden Spannungslagen sind europafreundlich zu lösen.

Es folgen weitere  die EU-Organe  anerkennenden Feststellungen.

Insgesamt bekennt sich das BVerfG unzweideutig zu Kooperation und Rücksichtnahme.

Soweit es die Bundesregierung und den Bundestag auffordert, alles zu unternehmen, um die Kompetenzordnung wiederherzustellen, beschränkt es sich auf sein Hausrecht und die nationalen Grenzen. Das gilt auch für die Anweisung an die Bundesbank, für den Fall, dass die EZB nachfolgende Begründungen nicht beibringt, sich nicht am Aufkaufprogramm zu beteiligen.

Wenngleich es eine Kompetenzverletzung bejaht, hat es zugleich den Weg der Kooperation und des Austauschs eröffnet, indem es eine nachfolgende Begründung durch die EZB forderte. Es hat weitere Möglichkeiten angesprochen, nämlich die Möglichkeit, dass der Bundestag weitere Kompetenzen auf die EU überträgt, in dem es darauf hinwirkt,  dass der Europäische Vertrag geändert wird.

Der Vorwurf der Respektlosigkeit ist eine rein mediale Verarbeitung des Urteils und unangebracht, da die juristische Diskussionskultur die Kontroverse per se beinhaltet und eine solche nicht etwa bedeutet, dass nun ein Kampffeld betreten wird, vielmehr wird damit grundsätzlich um ein gemeinsames Verständnis gerungen, was allerdings auch bedeuten kann, dass es nicht gelingt. Die Letztentscheidung liegt dann grundsätzlich bei dem höheren Gericht, das es in diesem Fall nicht gibt.

Medial verortete Kritiker erbosen sich über die Tatsache, dass das BVerfG eine am GG und am europäischen Primärrecht orientierte eigene Prüfungskompetenz in Anspruch nehme, und fordern bedingungslose Hinnahme europäischen Rechts.

In diesem Sinn äußern sich allerdings auch Verfassungsrechtler aus anderen EU-Mitgliedstaaten. Sie gehen von einer Suprematie des EU-Rechts aus und berufen sich auf den Vorrang des EU-Rechts, das sie aus dem in Art. 1 EUV deklarierten Ziel „einer immer engeren Union der Völker Europas“ herleiten.

Übersehen wird, dass zum einen die Souveränität der Mitgliedstaaten unbestrittenermaßen besteht, d.h. eine eigene Kompetenz,  und zum anderen der Vorrang des EU-Rechts nur einen Anwendungsvorrang gewährt, nicht aber einen Geltungsvorrang. Anwendungsvorrang besagt, dass das EU-Recht das entgegenstehende nationale Recht nicht aufhebt, sondern es fortbestehen lässt, nur seine Anwendung untersagt. Es würde. voll aufleben, wenn der Mitgliedstaat aus der EU ausscheiden würde. Auch die Tatsache, dass ein Mitgliedstaat aus der EU ausscheiden kann, verdeutlicht, dass eine in jeder Hinsicht bestehende Suprematie des EU-Rechts nicht besteht.

Kerngehalt des Urteils des BVerfG ist, dass Bundestag und Bundesregierung an die Grenzen der Kompetenzübertragungen durch Art. 23 und 2 GG sowie die europäischen Verträge und an das Integrationsverantwortungsgesetz gebunden sind. Kerngehalt ist des Weiteren, dass das BVerfG die Wahrung der Verfassungsidentität  gem. Art. 1 und 20 und Art. 79 III GG zu garantieren hat.

Fazit:

Das BVerfG  stellt das Recht eines jeden Bürgers auf Einhaltung einer demokratischen Legitimationskette staatlichen Handelns auf nationaler und EU-Ebene in den Vordergrund (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG) und setzt sich schützend für dieses Recht ein.

Es erkennt den Vorrang des EU-Rechts an wie auch den Vorrang der Entscheidungen des EuGHs.

Es nimmt für sich aber in Anspruch, dass die BRD nur  hoheitliche Kompetenzen  und auch nur im Rahmen des Art. 23 und Art. 24  und der europäischen Verträge auf die EU übertragen hat und bei ihm die Souveränität sowie die nichtübertragenen Hoheitsrechte verblieben sind.

Es nimmt für sich „das Hausrecht“ in Anspruch, eigenen Verfassungsorganen wie dem Bundestag und der Bundesregierung und der Bundesbank Weisung zu erteilen, Entscheidungen nur innerhalb der verbliebenen eigenstaatlichen Hoheitsrechte zu treffen, allerdings auch, sich für die Wiederherstellung der Kompetenzgrenzen einzusetzen. .

Es tritt mit dem EuGH in Augenhöhe in eine rechtliche Diskussion ein und fordert diesen auf, selbst seine ureigene Aufgabe zu erfüllen, EU-rechtliche Kompetenzgrenzen und konkret den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Es setzt eigene Maßstäbe nicht an die Stelle des EuGH und nimmt damit für sich keine Suprematie in Anspruch, sondern respektiert den Entscheidungsspielraum des EuGH.

Rechtspolitisch hat das Urteil eine eminente Bedeutung.

Zum einen betont es das subjektive Recht eines jeden deutschen Bürgers auf Einhaltung eines demokratischen Legitimationsverfahrens staatlichen Handelns auf  nationaler und auf EU-Ebene, das über das BVerfG zur Geltung gebracht werden kann. Jeder einzelne kann das Handeln der EU insoweit durch das BVerfG überprüfen lassen, als es um die Wahrung der demokratischen Legitimation geht. David gegen Goliath.

Zum anderen verdeutlicht es die Kompetenzgrenzen zwischen EU und den Mitgliedstaaten und zeigt die Bedingungen auf, auf Grund deren der EU Einhalt geboten werden kann.

Ferner belebt es die Diskussion um die Integration und ihre Grenzen.

Vergessen sollte man nicht, dass das BVerfG bereits bei der ersten Vorlage der Angelegenheit vor dem EuGH seine Meinung zu erkennen gab, der EuGH aber es nicht für nötig hielt, hierauf einzugehen. Kein Wunder, wenn dann das BVerfG entschieden antwortete und nachdrücklich und mit viel Kompetenz den EuGH zu einer Antwort herausforderte. Wenn von Respektlosigkeit gesprochen werden, so ist dieser Vorwurf an den EuGH zu richten.

Bei aller Aufregung sollte nicht vergessen werden, dass es die Politiker, d.h. die Regierungen der Mitgliedstaaten waren, die den Konflikt heraufbeschworen hatten. Sie hatten sich im Europäischen Rat nicht auf ein gemeinsames Hilfsprogramm einigen können. Die ihnen eigene Aufgabe auf die EZB zu verlagern und schließlich auf die Gerichte, bezeugt das Versagen der Politik. Die EZB der EuGH und das BVerfG haben nur aus der ihnen eigenen Logik und Zuständigkeit geantwortet, wobei das Handeln der EZB  nicht ausreichend legitimiert war.

Falsch ist es, das Urteil als eine Ermutigung an nationalistische und EU-feindliche Regierungen zu verstehen. Das deutsche Gericht hat sich zur EU und dem europäischen Recht bekannt, nur nicht im Sinne einer allein politisch motivierten Integration. Indem es sich auf die Rechtsordnung berief, hat es die Richtung für eine Integration vorgegeben, die sich allein an demokratischen Grundsätzen und am Recht orientiert. Wer die rechtsstaatliche Seite der Integration ignoriert und allein die politische Zielrichtung als verbindlich ansieht, verlässt den Boden der rechtlichen Bindung und macht den Weg frei für politische Willkür, die tagtäglich wechseln und auch in eine Richtung weisen kann, die von den Kritikern heute sicher nicht gewünscht ist. Politische Zielsetzungen sind auch für die EU keine Legitimation. Die EU ist eine Rechtsgemeinschaft, die gem. Art. 4 EUV die verfassungsmäßigen Strukturen der Mitgliedstaaten achtet. Auch für sie, d.h. hier für den EuGH gilt das Gebot der „loyalen Zusammenarbeit“ (Art. 4 Abs. 3 EUV).

Zum möglichen Nationalismus Vorwurf sei noch angemerkt, dass der angenommene Antagonismus EU vs. Nationalstaat mit dem Begriff „nationalistisch“ nicht erfasst wird. Übersehen wird, dass Konkurrenzdenken und Eigenbezogenheit mit der EU nur auf eine supranationale Ebene verlagert wird. Statt Frankreich oder Deutschland first, heißt es dann EU first. Schließlich will die EU Weltmacht werden. Universalistisch ist ein solcher Ansatz nicht. Er ist gleichermaßen „nationalistisch“, nur auf einer höheren Ebene.

Sollte ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet werden, so werden die Kompetenzgrenzen zwischen EU und den Mitgliedstaaten auch in Bezug auf die durch das GG gesetzten Grenzen und dem Verbleib der Souveränität bei den Mitgliedstaaten zu bestimmen sein. Pikant ist, dass dies der EuGH zu entscheiden hat. Es wird sich dann zeigen, wie der EuGH die bei den Mitgliedstaaten eindeutig verbliebene Souveränität und eigene Verfassungsidentität achtet und respektiert.

Soweit angedacht wird, die Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts  zu beschneiden, dürfte dies abwegig sein, da damit rechtsstaatliche Grundsätze verletzt werden würden. Polen sollte hier kein Vorbild sein.

 

[i]BVerfG 12.10.1993, 2 BvR 2134, 2159/92, BVerfGE 89, 155  

[ii]Im Urteil heißt es:

„Die Bundesrepublik Deutschland unterwirft sich mit der Ratifikation des Unions-Vertrags nicht einem unüberschaubaren, in seinem Selbstlauf nicht mehr steuerbaren „Automatismus“ zu einer Währungsunion; der Vertrag eröffnet den Weg zu einer stufenweisen weiteren Integration der europäischen Rechtsgemeinschaft, der in jedem weiteren Schritt entweder von gegenwärtig für das Parlament voraussehbaren Voraussetzungen oder aber von einer weiteren, parlamentarisch zu beeinflussenden Zustimmung der Bundesregierung abhängt.“

[iii]Das in Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG garantierte Wahlrecht der Bürgerinnen und Bürger  zum Bundestag

„erschöpft sich nicht in einer formalen Legitimation der Staatsgewalt, sondern umfasst auch dessen grundlegenden demokratischen Gehalt. Dazu gehören namentlich der in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG verankerte Grundsatz der Volkssouveränität und dem damit zusammenhängenden Anspruch der Bürgerinnen und Bürger, nur einer öffentlichen Gewalt ausgesetzt zu sein, die sie auch legitimieren und beeinflussen können….“

„Dies schließt es aus, dass diese einer politischen Gewalt unterworfen werden, der sie nicht ausweichen können und die sie nicht prinzipiell personell und sachlich zu gleichem Anteil in Freiheit zu bestimmen vermögen.“

[iv]„Das Grundgesetzt ermächtigt die deutschen Staatsorgane daher nicht, Hoheitsrechte auf die Europäische Union derart zu übertragen, dass aus ihrer Ausübung heraus eigenständig weitere Zuständigkeiten für die Europäische Union begründet werden können.“

[v]„Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG gewährt den Wahlberechtigten vor diesem Hintergrund gegenüber Bundesregierung, Bundestag und gegebenenfalls dem Bundesrat einen Anspruch darauf, dass diese über die Einhaltung des Integrationsprogramms durch Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Europäischen Union wachen, am Zustandekommen und der Umsetzung von Maßnahmen, die die Grenzen des Integrationsprogramms überschreiten, nicht  mitwirken und bei offensichtlichen und strukturell bedeutsamen Kompetenzüberschreitungen aktiv auf seine Befolgung und die Beachtung seiner Grenzen hinwirken.“

[vi]„Die Auslegung und Anwendung des Unionsrechts einschließlich der Bestimmung der dabei anzuwendenden Methode ist zuvörderst Aufgabe des Gerichtshofs (EuGH), dem es gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV obliegt, bei der Auslegung und Anwendung der Verträge das Recht zu wahren“

[vii]„Wenn jeder Mitgliedstaat ohne Weiteres für sich in Anspruch nähme, durch eigene Gerichte über die Gültigkeit von Rechtsakten der Union zu entscheiden, könnte der Anwendungsvorrang praktisch unterlaufen werden, und die einheitliche Anwendung des Unionsrechts wäre gefährdet.“

[viii]„Würden aber andererseits die Mitgliedstaaten vollständig auf die Ultra-vires-Kontrolle verzichten, so wäre die Disposition über die vertragliche Grundlage allein auf die Unionsorgane verlagert, und zwar auch dann, wenn deren Rechtsverständnis im Ergebnis auf eine Vertragsänderung oder Kompetenzausweitung hinausliefe.“


[i]BVerfG 12.10.1993, 2 BvR 2134, 2159/92, BVerfGE 89, 155  

[ii]Im Urteil heißt es:

„Die Bundesrepublik Deutschland unterwirft sich mit der Ratifikation des Unions-Vertrags nicht einem unüberschaubaren, in seinem Selbstlauf nicht mehr steuerbaren „Automatismus“ zu einer Währungsunion; der Vertrag eröffnet den Weg zu einer stufenweisen weiteren Integration der europäischen Rechtsgemeinschaft, der in jedem weiteren Schritt entweder von gegenwärtig für das Parlament voraussehbaren Voraussetzungen oder aber von einer weiteren, parlamentarisch zu beeinflussenden Zustimmung der Bundesregierung abhängt.“

[iii]Das in Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG garantierte Wahlrecht der Bürgerinnen und Bürger  zum Bundestag

„erschöpft sich nicht in einer formalen Legitimation der Staatsgewalt, sondern umfasst auch dessen grundlegenden demokratischen Gehalt. Dazu gehören namentlich der in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG verankerte Grundsatz der Volkssouveränität und dem damit zusammenhängenden Anspruch der Bürgerinnen und Bürger, nur einer öffentlichen Gewalt ausgesetzt zu sein, die sie auch legitimieren und beeinflussen können….“

„Dies schließt es aus, dass diese einer politischen Gewalt unterworfen werden, der sie nicht ausweichen können und die sie nicht prinzipiell personell und sachlich zu gleichem Anteil in Freiheit zu bestimmen vermögen.“

[iv]„Das Grundgesetzt ermächtigt die deutschen Staatsorgane daher nicht, Hoheitsrechte auf die Europäische Union derart zu übertragen, dass aus ihrer Ausübung heraus eigenständig weitere Zuständigkeiten für die Europäische Union begründet werden können.“

[v]„Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG gewährt den Wahlberechtigten vor diesem Hintergrund gegenüber Bundesregierung, Bundestag und gegebenenfalls dem Bundesrat einen Anspruch darauf, dass diese über die Einhaltung des Integrationsprogramms durch Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Europäischen Union wachen, am Zustandekommen und der Umsetzung von Maßnahmen, die die Grenzen des Integrationsprogramms überschreiten, nicht  mitwirken und bei offensichtlichen und strukturell bedeutsamen Kompetenzüberschreitungen aktiv auf seine Befolgung und die Beachtung seiner Grenzen hinwirken.“

[vi]„Die Auslegung und Anwendung des Unionsrechts einschließlich der Bestimmung der dabei anzuwendenden Methode ist zuvörderst Aufgabe des Gerichtshofs (EuGH), dem es gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV obliegt, bei der Auslegung und Anwendung der Verträge das Recht zu wahren“

[vii]„Wenn jeder Mitgliedstaat ohne Weiteres für sich in Anspruch nähme, durch eigene Gerichte über die Gültigkeit von Rechtsakten der Union zu entscheiden, könnte der Anwendungsvorrang praktisch unterlaufen werden, und die einheitliche Anwendung des Unionsrechts wäre gefährdet.“

[viii]„Würden aber andererseits die Mitgliedstaaten vollständig auf die Ultra-vires-Kontrolle verzichten, so wäre die Disposition über die vertragliche Grundlage allein auf die Unionsorgane verlagert, und zwar auch dann, wenn deren Rechtsverständnis im Ergebnis auf eine Vertragsänderung oder Kompetenzausweitung hinausliefe.“


Klimakiller Energiecharta

08.09.2020

Zur Energiecharta:   ISDS – Verfahren und ihre Auswirkungen auf Klimaschutz-Maßnahmen und Demokratie

Die Energiecharta, zu der außer der EU noch 51 Länder und Euratom gehören, besteht seit 1991 – damals mit dem Ziel der besseren Energieversorgung zwischen Ost und West vor allem.

Heute ist sie für  Klimaschutz-Maßnahmen und eine unabhängige Justiz eine „Bedrohung“.

Warum?

In der Energiecharta ist seit 1998 die Investor – Staaten – Streitbeilegung (ISDS)verankert und in Kraft, deren Bedeutung zahlenmäßig und in den Auswirkungen rasant wächst. 

War im Anfang Vattenfall – Inbetriebnahme Kohlekraftwerk Moorburg Hamburg – als einzelner Fall bekannt, so sind heute 129 solcher Verfahren bekannt: Eine Steigerung um 437 %.

D.h. aber nicht, dass es nicht wesentlich mehr Klagen gibt, die unbekannt sind.

Bzw. wird vermutet, dass Staaten schon vorher einknicken aufgrund hoher Schadens-ersatzforderungen ( Datteln ?)

Den wichtigen und notwendigen Klimaschutz (früherer Kohleausstieg als 2038 …) trifft dies

besonders. Die Öl – Fossil – Industrie verklagt die Staaten, die sich unter dem Druck ihrer

zivilgesellschaftlichen Bewegungen zu Klimaschutz entschließen bzw. drohen mit Klagen.

So hat z.Bsp. Uniper – deutsch (vorher EON) -finnisch  - die Niederlande verklagt wegen derem Kohleausstiegsgesetz  2030 und zwar auf eine Milliarde €.

Zusatzlich zu der Entschadigung für die tatsachlich investierten 40 bis 50 Millionen

US-Dollar verlangt das Unternehmen 200-300 Millionen US-Dollar fur hypothetische Gewinne,

die die Olforderung hätte erzielen konnen, ware sie nicht verboten worden   (Italien / Adria).

 Aus all diesen Gründen gab es im Dezember 2019 einen Brief von 278 zivilgesellschaftlichen Organisationen, mit der Forderung, den Energiecharta-Vertrag zu kündigen.

Da der Energiecharta-Vertrag aber eine „Zombie-Klausel“ hat, nach der einzelne Länder, die

ausgetreten sind, trotzdem noch 36 Jahre verklagt werden können!, ist die Forderung, dass eine

Gruppe von Ländern austritt und damit unsere Klausel nicht durchsetzbar macht.

In Bezug auf Demokratie: Die ISDS – Schiedsgerichte sind zusammengesetzt wie bei den

Freihandelsabkommen aus privaten Kanzleien und privaten Schiedsrichtern.

Der Kreis der entsprechenden Kanzleien ist eingrenzbar und die Gewinne/ Bezahlung von

Richter und Rechtsanwälten entspricht dem erzielten Ergebnis gegen die Staaten.

D.h. Hier macht sich wie in den Freihandelsabkommen eine Paralleljustiz zur staatlichen Justiz

die mit dem Ziel der Unabhängigkeit geschaffen wurde -, eine konzernabhängige und profitorientierte Paralleljustiz immer stärker zur Aushöhlung staatlicher Macht breit.

Mit diesen Zusammenhängen im Hintergrund kommt der plötzliche Ver- und Aufkauf

von Kohlekraftwerken …  ganz anders in den Blick: “Doch die fossile Energiewirtschaft hat eine Geheimwaffe, Steuerzahler*innen für ihre klimaschädlichen Fehlinvestitionen aufkommen zu lassen: Den Energiecharta-Vertrag.“

Quellen:  Powershift - Stolperfalle für den  Klimaschutz:

Wie der Energiecharta- Vertrag ambitionierte Klimapolitik gefährdet

attac Österreich webinar : https://youtu.be/DnX3gxo_T08