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Die Grippe

 

Wie aus heiterem Himmel schlug die Nachricht ein: In Mexiko war eine Grippe ausgebrochen, eine Grippe, die sich von Schweinen auf Menschen übertragen hat. Ein Novum, alle Welt berichtete darüber.

Zunächst erhielt sie den Namen "Mexikanische Grippe". Dieser Name brächte Mexiko in Verruf, sagte die dortige Regierung, und verwehrte sich gegen diese Bezeichnung.

Da diese Grippe in der Lage war, sich von Schweinen auf den Menschen zu übertragen, nannte man sie kurzerhand "Schweinegrippe". Dieser Ausdruck war jedoch vielen suspekt und anrüchig, denn ein großer Teil der Menschen assoziierte mit dem Wort "Schwein" Schmutz, Dreck und Gestank.

Ergo änderte man den Namen nochmals, nun in "H1N1". Das wiederum war vielen zu abstrakt. Sie konnten mit "H1N1" nichts anfangen.

Die Suche nach einer neuen Benennung ging weiter. Die Pharmaindustrie schlug hintersinnig "Glücksgrippe" vor. Dem waren die Menschen nicht abgeneigt. Nach kurzem Hin und Her akzeptierten sie den Vorschlag, denn Kinder waren glücklich, wenn sie der Grippe wegen schulfrei hatten, Politiker glücklich über ein Wahlkampfthema, das von den wirklichen Problemen ablenkte. Es waren auch alle glücklich, die von ihr verschont blieben.

Außerdem gab es noch das geflügelte Wort "Schwein gehabt", was eben auch Glück bedeutet.

Irgendwie passte nun alles zusammen und die Menschen waren mit der Bezeichnung zufrieden.

Nun aber entbrannte ein anderer Streit. Wissenschaftler und selbst ernannte Experten stritten wie die Kesselflicker über die Entstehung, Herkunft und Gefährlichkeit der Glücksgrippe.

Einige waren der festen Überzeugung, sie käme aus den Elendsvierteln von Mexiko-Stadt, wo die Menschen mit all ihren Tieren unter katastrophalen hygienischen Bedingungen zusammengepfercht wie Hennen in Legebatterien leben.

Andere wieder bestritten das. Sie behaupteten, die Glücksgrippe habe ihren Ursprung in einem Labor für die Entwicklung biologischer Waffen. Dort seien die Glücksgrippevieren gezüchtet worden und entwichen.

Die seriösen Virologen, die Bescheid wussten, hielten sich vornehm zurück. Die gesteuerten Möchtegerne, die selbst keine Ahnung hatten aber nach dem Motto handelten, "wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing"  drängelten sich als selbsternannte Experten vor die Mikrofone und Kameras. Sie fabulierten und spekulierten. Sie verstiegen sich gar in die Behauptung, Infizierte würden grunzen und auf ihren Köpfen würden Ringelschwänzchen statt Haare wachsen. Solcher Unfug wurde von den Medien sodann gierig und unreflektiert übernommen und hinaus posaunt. Täglich verkündeten sie neue Schreckensmeldungen. Vereinzelte Menschen, die durch Vorerkrankungen oder Mangelernährung schon geschwächt waren, und an der Glücksgrippe starben, wurden für die Gefahrendarstellung missbraucht. Alles wurde zur Sensation aufgebauscht. Die Sachlichkeit blieb auf der Strecke.

Eine Angstindustrie, welche zu einer regelrechten Medienpandemie wurde, war entstanden. Die Medienmogule erfreuten sich an der Auflagenerhöhung ihrer Gazetten und den hohen Einschaltquoten. Die Kassen klingelten.

Durch die Horrormeldungen geriet die Weltgesundheitsorganisation unter Druck. Sie änderte ihr Regelwerk und erklärte die Glücksgrippe zur Pandemie. Nun forderten fast alle Regierungen der Welt von der Pharmaindustrie Gegenmittel.

Lobbyisten der Medikamentenhersteller, die im Hintergrund als Souffleure gezielt agierten, hatten ganze Arbeit geleistet. Die von der Wirtschaftskrise arg gebeutelte Pharmaindustrie frohlockte und ihre Manager ließen die Champagnerkorken knallen.

Sie hatten vorausschauend gewusst, warum sie die neue Grippe Glücksgrippe nannten. Denn nun hatten Pharmakonzerne das Glück und Menschen die Grippe.

 

peme