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Petition an EU fordert Vorrang von Menschenrechten vor Investitionsschutz

Menschenrechte schützen - Konzernklagen stoppen

Monika Mehnert, Greenpeace Bonn

Am 22.Januar 2019 begann das diesjährige Treffen des Weltwirtschaftsforums in Davos. Bewusst an diesem Tag wurde eine europaweite Petition gestartet, die fordert, Rechte für Menschen und Umwelt stärker zu gewichten als Rechte für Konzerne. Sie macht damit aufmerksam auf ein krasses Ungleichgewicht im weltweiten Wirtschaftssystem.

Konzernklagen gegen Staaten

Der Ölkonzern Chevron förderte in einem Urwaldgebiet Ecuadors 30 Jahre lang über 1,7 Milliarden Barrel Öl, pumpte Ölrückstände und Schwermetalle direkt in Flüsse und Bäche, vergiftete damit Wasser, Pflanzen und Tiere. In dem verseuchten Gebiet lebten 30.000 Menschen, deren Vertreter den Konzern verklagten und nach 20 Jahren gerichtlicher Auseinandersetzungen, bis hin zum obersten Gericht, Recht bekamen. Der Konzern sollte 9,5 Milliarden US$ als Entschädigung zahlen, das kontaminierte Gebiet soweit möglich säubern und die Gesundheitsversorgung der Gemeinden sicherstellen.

Doch der Konzern weigerte sich, das Urteil anzuerkennen. Er verklagte seinerseits den Staat Ecuador, und zwar vor einer internationalen Schiedsstelle. Diese sprach den Konzern von jeglicher Verantwortung frei und verurteilte sogar den betroffenen Staat dazu, für alle Kosten aufzukommen, die dem Konzern im Rahmen des Rechtsstreits entstanden waren.

Absurd, sollte man meinen, aber leider ist diese Art der „Rechtsprechung“ gängige Praxis. So wie im oben dargestellten Fall ‚Chevron gegen Ecuador‘ wurden Hunderte von Klagen gegen Staaten eingereicht, die ihre Staatsbürger und die Natur durch gesetzliche Regelungen vor Schäden bewahren wollten.

Im Fall ‚Lone Pine Ressources gegen Kanada‘ verklagte ein US-Konzern den kanadischen Staat zur Zahlung von 250 Millionen kanadischen Dollar, weil die Provinz Quebec ein Fracking-Moratorium bis zum Abschluss einer Umweltverträglichkeits-Prüfung verhängt hatte.

Im Fall ‚Gabriel Ressources gegen Rumänien‘ verklagte der kanadische Bergbaukonzern den rumänischen Staat auf 4 Milliarden Dollar Entschädigung wegen des Entgehens erwarteter Gewinne, weil dieser eine Konzession für eine Goldmine wieder zurückzog, als klar wurde, welch umfassende Zerstörung und Verseuchung diese Mine anrichten würde.

Relevant für die BRD ist der Fall ‚Vattenfall gegen Deutschland‘. Der schwedische Energiekonzern verklagte die BRD auf ca. 5 Milliarden Euro wegen nicht realisierbarer Gewinne infolge des Atomausstiegs.

Das System der privaten Schiedsgerichte

Solche ISDS (Investor-State Dispute Settlement) -Klagen bei privaten Schiedsstellen können nur von ausländischen Konzernen eingereicht werden, weil Staaten untereinander sog. BITs (Bilateral Investment Treaties) abgeschlossen haben. Inländischen Konzernen ist die Nutzung dieser Sonderjustiz verwehrt. Die Urteile werden jeweils von drei auf Investitionsschutz spezialisierten Anwälten gesprochen. Eine Revision ist nicht möglich.

Der massive Widerstand der europäischen Zivilbevölkerung gegen die geplanten Handelsabkommen der EU, TTIP und CETA, beruhte vor allem darauf, dass die EU solche BITs nun direkt in ihre neuen Handelsabkommen einbauen wollte. TTIP liegt bekanntermaßen auf Eis. Bei JEFTA, dem Handelsabkommen mit Japan, wurde der heikle Punkt Investitionsschutz vorsichtshalber ausgeklammert. Bei CETA, dem Handelsabkommen mit Kanada, versuchte die EU das Kapital Investitionsschutz dadurch zu retten, dass, statt der bisher üblichen ISDS-Schiedsstellen, nun ein sogenannter bilateraler Gerichtshof ICS (Investment Court System) die Rechtsprechung übernehmen sollte. Aber trotz gewisser prozeduraler Verbesserungen gegenüber ISDS stellt auch ICS letztlich eine Sonderjustiz für ausländische Konzerne dar. Da noch mehrere Gerichtsurteile zur Vereinbarkeit von ICS mit europäischem Recht ausstehen, wurde CETA vorläufig und ohne ICS in Kraft gesetzt.

Dass die rechtlichen Privilegien, die ISDS den Konzernen gegenüber Menschenrechten und Umweltschutz einräumt, nicht wirklich rechtens sein können, hat mittlerweile zumindest der Europäische Gerichtshof (EUGH) verstanden. Da die gängige ISDS-Praxis in immer mehr Fällen dazu führte, dass EU-Staaten aus finanziellen Gründen lieber gegen EU-Umweltrecht verstießen, als die Auflagen von ISDS-Schiedsgerichten zu ignorieren, hat der EUGH im März 2018 in Zusammenhang mit dem Fall ‚Achmea gegen Slowakei‘ entschieden, dass EU-interne BITs nicht mit europäischem Recht vereinbar seien. Jetzt werden ca. 200 BITs zwischen EU-Staaten aufgelöst.

Fehlende Konzernverantwortung

Während also Großkonzerne Zugang zu einer nur auf sie zugeschnittenen internationalen Sonderjustiz haben, um ihre Investitionen zu schützen, steht Betroffenen von Menschenrechts-Verstößen durch Konzerne ein solcher Rechtsweg nicht zur Verfügung. Sie müssen versuchen, ihre Rechte vor nationalen Gerichten einzuklagen, haben aber dafür meist weder die nötigen Rechtskenntnisse noch die Zeit oder die finanziellen Mittel. Selbst wenn Klagen eingereicht werden, kommen die Konzerne meist straflos oder sehr billig davon. Sie können sich auf jahrelange Rechtsstreitigkeiten einlassen und die besten Anwälte bezahlen. Durch ein System geteilter Verantwortungslosigkeit in der globalisierten Wirtschaft mit ihren komplizierten Wertschöpfungsketten können Geschädigte ihre Forderungen auf Schadensersatz kaum je durchsetzen. Durch Firmenübernahmen, Fusionen und Bankrotte sind nach einigen Jahren oft nicht einmal mehr die ursprünglich beteiligten Unternehmen existent. Außerdem stellt sich die Frage, in welchem Land die Klage überhaupt eingereicht werden könnte.

Zwei Katastrophen als Beispiele

In einer Textilfabrik im pakistanischen Karachi bricht ein Feuer aus. 259 Menschen - überwiegend Frauen - können sich nicht mehr vor dem Feuer retten, weil die Fenster vergittert und die Notausgänge teilweise verschlossen sind. Hauptkunde der Fabrik ist das deutsche Textilunternehmen KiK. Eine Klage der Hinterbliebenen und verletzten Überlebenden gegen KiK wird vom Landgericht Dortmund abgewiesen.

Ein besonders krasses Beispiel von nicht geahndeter Konzernverantwortung ist die Katastrophe vom indischen Bhopal. Infolge von Sparmaßnahmen, mangelnden Sicherheits-Vorkehrungen und Schlamperei ereignete sich 1984 auf dem Firmengelände einer Pestizid-Fabrik von ‚Union Carbide‘ eine Explosion. Mehrere Tonnen giftiger Substanzen traten aus, vor allem Methylisocyanat, ein Stoff, der Augen, Lungen und Schleimhäute verätzt. Die Zahl der Toten wurde auf 10.000 bis 20.000 geschätzt, da die Opfer, die im Slum neben dem Firmengelände wohnten, nie wirklich gezählt wurden. Bis zu einer halben Million Verletzter soll es gegeben haben, Langzeitfolgen, wie Missbildungen bei Neugeborenen und chronische Schäden wurden nie erfasst. Das Grundwasser ist bis heute verseucht, nicht einmal das Firmengelände wurde saniert.

Nach jahrelangen Verhandlungen zahlte der texanische Konzern Union Carbide lächerliche 470 Millionen US $ an den indischen Staat; nur ein Teil davon landete bei den Opfern. Weitere 250 Millionen US $ zahlten Versicherungen. Durch die Übernahme von Union Carbide durch Dow Chemical 2001 und die Fusion von Dow Chemical mit Du Pont 2017 wird es immer schwieriger, jetzt noch eine legale Verantwortlichkeit festzustellen.

Binding Treaty

Seit Jahren gibt es Bemühungen im Rahmen der Vereinten Nationen, ein verbindliches globales System zu schaffen, um Konzerne für Menschenrechtsverstöße zur Rechenschaft zu ziehen. Jetzt liegt der Entwurf eines Vertrags vor, der im Auftrag des UN-Menschenrechtsrates von Ecuador und Südafrika erstellt wurde. Dieser ‚Binding Treaty‘ enthält im Wesentlichen die folgenden drei Punkte:

  • Verbindliche gesetzliche Sorgfaltspflichten für Unternehmen entlang ihrer Liefer- und Wertschöpfungskette,

  • einen effektiven Rechtsschutz für Betroffene,

  • einen generellen Vorrang der Menschenrechts-Verträge vor den Freihandels- und Investitionsschutz-Verträgen.

Infolge dieses Vertrages soll es Transnationalen Konzernen nicht mehr möglich sein, sich hinter einer komplizierten Eigentümer- und Lieferketten-Struktur zu verstecken, um so eine rechtliche Verantwortung zu vermeiden. Konzerne sollen auch für Verbrechen wie Auftragsmorde, Zwangsarbeit, Vertreibung sowie großflächige Umweltzerstörung haftbar gemacht werden können.

Leider sperren sich die reichen Industrieländer, in denen die meisten Großkonzerne ihren Sitz haben, gegen diesen Vertrag, so auch Deutschland.

Petition

Seit Ende Januar ist die Petition ‚Menschenrechte schützen - Konzernklagen stoppen‘ online. Innerhalb einer Woche wurde sie bereits von 275.000 Personen unterschrieben.

Getragen wird diese europaweite Petition von über 150 Organisationen, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen. Mit dieser Petition wird an die EU und die EU-Mitgliedsländer appelliert, den ‚Binding Treaty‘ der UN zu unterstützen und die Sonderjustiz für Großkonzerne zu beenden.

www.gerechter-welthandel.org/menschenrechte-schuetzen-konzernklagen-stoppen/