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Offener Brief an die Bundestagsabgeordneten und Kandidaten zur Europawahl der Region Offenbach/Hessen zu dem geplanten „Transatlantic Trade and Investment Partnership-Abkommen (TTIP)“ zwischen der EU und den USA


Der zollfreie Warenverkehr zwischen den USA und Europa wird einerseits als gigantisches Wachstumsprogramm angepriesen und andererseits als Gefahr u.a. für zu erwartende Einschränkungen der Verbraucherrechte, Arbeitsbedingungen und Umweltrichtlinien angesehen.


Als gewählter Volksvertreter oder Kandidat sind wir an Ihrer Meinung zu folgenden Fragen interessiert.


Investitionsschutzabkommen:

Laut dem Verhandlungsmandat der EU-Kommission soll ein Investitionsschutzabkommen Teil des Vertrages werden. Konzerne sollen das Recht bekommen, die Vertragsstaaten vor einem Schiedsgericht zu verklagen, wenn eine „direkte oder indirekte Enteignung“ drohe. Der Begriff „indirekte Enteignung“ eröffnet dabei einen relativ weiten Interpretationsspielraum. Theoretisch könnten darunter alle politischen Maßnahmen verstanden werden, die Profite oder lediglich zukünftig erwartete Profite von Konzernen negativ beeinträchtigen. Einerseits wird dadurch eine parallele Rechtsstruktur jenseits demokratischer Kontrolle geschaffen, andererseits können Investor/Staat-Klagen demokratische Entscheidungsspielräume schmälern, wenn Konzerne entsprechende Regulierungsmaßnahmen (Umweltstandards, Sozialstandards etc.) wegklagen können. In diesem Zusammenhang möchten wir auf die Klage des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall hinweisen, der gegen die Regierungsentscheidung für den Atomausstieg in Deutschland klagt und eine Entschädigung von über drei Mrd. Euro verlangt.

Wie ist Ihre Position hierzu?


ArbeitnehmerInnenrechte:

Die USA haben zahlreiche ILO-Kernarbeitsnormen, hierunter die Konvention zur Gewerkschaftsfreiheit und zur Kollektivvertragsfreiheit nicht unterschrieben. Derzeit werden in immer mehr Bundesstaaten der USA sogenannte „Right-to-work“ Gesetzte betrieben, die letztlich auf die praktische Zerstörung der Gewerkschaften zielen.

Wir haben die Befürchtung, dass sich innerhalb des TTIP-Abkommens dieser Trend mit europäischen Unternehmerinteressen paaren, die immer stärker auf geringere Lohnkosten zulasten von ArbeitnehmerInnen drängen.

Mit Blick auf die EU wird beispielsweise sichtbar, wie schwache bzw. fehlende Sozialstandards im liberalisierten Binnenmarkt zu einem Anstieg prekärer Arbeitsverhältnisse und verstärktem Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen führen. So gelten etwa gemäß der europäischen Dienstleistungsrichtlinie für Dienstleistungserbringer die rechtlichen Bestimmungen ihres Herkunftslandes. Seitdem arbeiten in Deutschland Arbeiter aus Osteuropa in großer Zahl zu Billiglöhnen und unter miserablen sozialen Bedingungen u. a. in deutschen Schlachthöfen und auf Baustellen.

Werden also in TTIP-Verhandlungen keine verbindlichen Absprachen zu Arbeitsstandards getroffen, besteht die Gefahr, dass Unternehmen die niedrigeren Standards einiger Länder ausnutzen und diese festgeschrieben werden, da bei gesetzlichen Veränderungen Klagen internationaler Konzerne vor den geplanten Schiedsgerichten ( Investoren/Staat-Streitschlichtungsverfahren) drohen.

Werden Sie sich für verbindliche Absprachen zu Arbeitsstandards einsetzen?



Einfluss auf Wachstum, Einkommen und Beschäftigung:

Laut einer von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen Studie könnte das TTIP-Abkommen bis 2027 für die EU wegen wegfallender Prüf- und Genehmigungsverfahren oder Produktionsvorgaben (z. B. Verbot von Gentechnik) zu einem Wachstumszuwachs von 0,034 Prozentpunkten pro Jahr führen. Als weiteres Versprechen wird angeführt, dass aufgrund sinkender Preise als Folge des erhöhten Wettbewerbs und geringerer Kosten das reale Einkommen eines 4-Personen-Haushalts um zusätzliche 545 Euro pro Jahr steigen soll. Doch auch dieser Wert ergibt sich ausschließlich aus Modellrechnung. Erfahrungen mit Freihandelsabkommen der Vergangenheit zeigen, dass das versprochene Ausmaß von Preissenkungen nie eingetreten ist. Die Bertelsmann-Stiftung prophezeit für Deutschland die Schaffung von 181.000 Arbeitsplätzen. Da sich dieser Zuwachs an Beschäftigung aber erst im Verlauf der nächsten 10 bis 20 Jahre ergeben soll, ist dieser Effekt kaum der Rede wert.

Meinen Sie nicht auch, dass angesichts der zu befürchtenden Gefahren für Sozial- und Umweltstandards diese Zahlen geradezu winzig sind?


Vorsorgeprinzip und Verbraucherschutz:

In Europa gilt das Unbedenklichkeitsprinz: Ein Produkt landet erst im Handel, wenn nachgewiesen ist, dass es nicht die Gesundheit der Verbraucher gefährdet. Das ist in den USA so nicht der Fall. Zwischen der EU und den USA gibt es erhebliche Unterschiede bei Produktstandards, Kennzeichnungspflichten, Gesundheitsstandards u.v.m. Bei der TTIP-Verhandlung soll eine möglichst weitreichende Angleichung herbeigeführt werden. TTIP könnte so dem umweltschädlichen Fracking, gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln u.v.m. Tür und Tor öffnen und die gesundheitliche Grundversorgung weiter aushöhlen.

Wie stehen sie dazu?


Öffentliches Beschaffungswesen:

Durch eine vollständige Öffnung des öffentlichen Beschaffungswesens für Anbieter des jeweils anderen TTIP- Partners würde es künftig schwerer werden, bei der Auftragsvergabe die eigene Region gezielt zu stärken und ökologische und soziale Aspekte zu berücksichtigen.

Teilen Sie diese Sorge mit uns?


Finanzmarktregulierung:

Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise hat gezeigt, dass unregulierte Finanzmärkte eine Gefahr für die Gesellschaft und die Wirtschaft bedeuten. Trotzdem haben sich die Delegationen der USA und der EU auf einen Rahmen für das Kapitel Finanzdienstleistungen geeinigt, der nach wie vor auf Liberalisierung und Deregulierung setzt. Das ausgehandelte Konzept würde nicht nur das Verbot von riskanten Finanzprodukten und –dienstleistungen ausschließen. Es würde sogar die Möglichkeit schaffen, einschränkende Gesetze einzelner Staaten anzufechten, die bestimmte riskante Produkte und Leistungen der Finanzinstitute oder windige rechtliche Konstruktionen untersagen.(LE MONDE diplomatique 11/2013)

Sehen Sie auch diese Gefahr?


Undemokratische Vorbereitung und Verhandlungsweise:

Ein übergroßer Anteil der externen Expertise kam von Unternehmern und Wirtschaftverbänden, während Sozial-, Umwelt- und Verbraucherschutzverbände kaum Einfluss nehmen konnten. Bisher haben 25 Arbeitsgruppen getagt, deren Mitglieder über keine demokratische Legitimation verfügen, sondern von der EU-Kommission berufen wurden, die das Freihandelsabkommen aushandeln sollen. Inzwischen ist zwar eine Beobachtergruppe aus je sieben Vertretern von Industrie sowie Nichtregierungsorganisationen von der Kommission berufen worden. Sie müssen aber über Verhandlungsdetails Stillschweigen bewahren! In den USA dürfen Interessenverbände die Verhandlungsunterlagen in einem Lesesaal einsehen. Zugelassen sind 600 Industrieverbände und eine Verbraucherschutzgruppe!

Zudem bedarf jede nachträgliche Vertragsänderung der Zustimmung sämtlicher Signaturstaaten. Das bedeutet, dass die reaktionären Inhalte des Abkommens nicht mehr durch demokratische Kontrollmechanismen wie Wahlen, politische Kampagnen und öffentliche Protestaktionen angreifbar sind.

Teilen auch Sie unsere Befürchtungen?


Sie stehen als Volksvertreter in der Öffentlichkeit und tragen für die politischen Prozesse in unserem Land eine hohe Verantwortung. Das Mittel des Volksentscheides auf nationaler und europäischer Ebene steht uns leider nicht zur Verfügung. Deshalb ist es umso wichtiger, dass Sie unsere massiven Bedenken ernst nehmen und wir Ihre Meinung zum Freihandelsabkommen kennen.


April 2014