Ungleichheit bedroht die Demokratie
Auf Einladung von Attac-Bergstraße, wurde mit Unterstützung von BUND-, DGB-, GEW-, und Evangelischem Dekanat Bergstraße sowie der Marktschwärmerei ein interessanter Vortrag mit dem Steuerexperten Karl-Martin Hentschel ermöglicht, der in Bensheim über ein nachhaltiges u. gerechteres Steuersystem referierte.
In einem kurzen geschichtlichen Rückblick erinnerte Hentschel daran, dass die Ungleichheit in vielen Ländern vor dem ersten Weltkrieg am größten war. Mit der Einführung der Demokratie verbanden die Menschen die Erwartung auf mehr Gerechtigkeit. Tatsächlich ging die Ungleichheit der Einkommen und Vermögen in den folgenden Jahrzehnten immer mehr zurück. Insbesondere unter dem demokratischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt wurde in den USA viel erreicht. So wurde im Konsens mit den Republikanern ein Spitzensteuersatz für Einkommen von unvorstellbaren 94% eingeführt. Auf dieser Grundlage wurden zahlreiche innenpolitische Reformen (z.B. Einführung einer Sozialversicherung und eines Mindestlohns) durchgeführt, die unter der Bezeichnung „New Deal“ in die Geschichte der USA eingingen. Damit wurde innerhalb weniger Jahre eine beispiellose Umverteilung von oben nach unten bewirkt, die die Folgen der Weltwirtschaftskrise für die Amerikaner wirksam bekämpften und zu mehr sozialer Gerechtigkeit im Lande führten.
Erst in den 80er Jahren erfolgte durch die neoliberale Wirtschaftspolitik von Ronald Reagan in Amerika und Margret Thatcher in England erneut eine drastische Umkehrung der Verhältnisse und die Wiederkehr einer eklatanten wirtschaftlichen Ungleichheit in der Gesellschaft.
Durch die ungeregelte Globalisierung fühlt sich in den letzten Jahren vor allem der ärmere Bevölkerungsanteil zunehmend existenziell bedroht und neigt dazu, rechte Parteien zu wählen. Dies kann zu einer ernsthaften Gefährdung unserer Demokratie führen.
Mit Blick auf die Zukunft hat erst kürzlich der Club of Rome darauf hingewiesen, dass bei der notwendigen sozial-ökologischen Transformation die Gerechtigkeit entscheidend für das Überleben der Demokratie sein wird.
Attac hat in Auseinandersetzung mit wichtigen Ökonomen und anderen Fachleuten ein Konzept entwickelt, wie Steuern aussehen müssten, um mehr Gerechtigkeit zu erreichen. Karl-Martin Hentschel war an der Erarbeitung dieses Konzeptes entscheidend beteiligt und konnte es deshalb den interessierten ZuhörerInnen auch sehr überzeugend erläutern.
Danach müssen Einkommen und Vermögen nach oben begrenzt werden. Es wird hier z.B. ein jährliches Einkommen von 2 Mio. als Höchstbetrag vorgeschlagen. Das ist 100-mal mehr als der Mindestlohn. Die Gesellschaft nimmt niemandem etwas weg an Lebensqualität, wenn sie eine solche Obergrenze setzt.
Die Steuerlast muss von der Arbeit auf das Vermögen verlagert werden. Als maximales Vermögen sollten 20 Mio. festgelegt werden. Um das zu erreichen, ist eine Vermögenssteuer und eine angemessene Erbschaftssteuer festzulegen. Zurzeit zahlen die Superreichen tatsächlich nur eine minimale Erbschaftssteuer. Untersuchungen zeigen, dass die ganz großen Vermögen schon in Zeiten des Adels oder in der Zeit des Nationalsozialismus entstanden sind. Wir leben jetzt aber unter demokratischen Verhältnissen.
Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer wird von Attac schon seit Jahren gefordert. Sie ist nötig, um die Finanzwirtschaft zu begrenzen, sie dadurch an der Finanzierung der Gesellschaft zu beteiligen und das Finanzsystem zu stabilisieren. Die CO2-Abgaben müssen sich jährlich erhöhen und an die Bürger gleichmäßig pro Kopf verteilt werden. Dadurch erhält der ärmere Teil der Bevölkerung relativ mehr zurück und spürt dadurch, dass Klimaschutz auch für die normalen Bürger lohnt und nicht nur eine Angelegenheit der Wohlhabenden ist.
Um all dies zu erreichen, was hier nur sehr allgemein angerissen werden kann, ist eine gesellschaftliche Auseinandersetzung nötig. Man müsste politisch entscheiden und in der Verfassung verankern, dass ein bestimmter Index für Gleichheit/Ungleichheit (Gini-Index) anzustreben ist. Eine unabhängige Kommission sollte dann regelmäßig überprüfen, ob unsere Gesellschaft auf dem Weg dahin ist. Wenn sie sich davon wegbewegt, muss die Politik jeweils gegensteuern.
Ein gerechtes und nachhaltiges Steuersystem
Die einen kommen finanziell immer mehr unter Druck – andere wissen nicht, wo sie ihr Geld anlegen sollen. Die einen müssen jeden Cent dreimal umdrehen – andere leisten sich Spezialisten dafür, wie sie ihre Steuern durch geschickte „Gestaltung“ reduzieren können.
Dem Staat fehlen offenbar die Mittel für sozialen Ausgleich und notwendige Investitionen in Klimaschutz, öffentlichen Personennahverkehr und vieles mehr. Aber die führenden Politiker trauen sich nicht, gegen die Lobbymacht der Unternehmen Steuern gezielt dort zu erheben, wo Geld im Überfluss da ist.
In welche Richtung muss es gehen?
Attac hat kürzlich ein detailliert gerechnetes Steuer- und Abgabensystem vorgelegt. Damit soll aufgezeigt werden, in welche Richtung es in Deutschland gehen müsste.
Wenn man die Geschichte betrachtet, so nahm nach dem Durchbruch der parlamentarischen Demokratie nach dem 1. Weltkrieg über mehr als 50 Jahre lang die Ungleichheit in allen Industriestaaten ab.
Aber seit 1980 nimmt die Konzentration des Reichtums in wenigen Händen weltweit wieder zu. In Deutschland ist das Vermögen der Milliardäre ausgerechnet im Coronajahr 2020 um 40 Prozent gewachsen.
Zugleich gefährdet die Erderhitzung mit ihren katastrophalen Auswirkungen die Lebensgrundlagen unserer Gesellschaft und erfordert gewaltige Investitionen für eine grundlegende Transformation.
Deshalb brauchen wir wirksame Umweltabgaben, ein faires Sozialsystem und ein Steuersystem, dass bei Vermögen über 20 Mio. Euro und bei Einkommen über 2 Mio.
Euro zu einer wirksamen Umverteilung führt.
Die Bundes-AG Finanzmärkte und Steuern hat für Attac Deutschland einen Vorschlag erarbeitet, der von dem Steuerexperten und Redakteur des Vorschlages Karl-Martin Hentschel kompetent und verständlich vorgestellt wird.
Attac lädt zusammen mit dem DGB, BUND Bensheim, Evangelisches Dekanat Bergstraße, GEW und Marktschwärmer alle Interessierten an diesem brennenden Thema zu einer Veranstaltung am 6. Oktober um 19.00 Uhr in die Gaststätte Weiherhaus in Bensheim-Auerbach ein.
Gemeinwohlökonomie als Lösungsansatz zur Sicherung unserer Zukunft „Unser jetziges Wirtschaftssystem steht auf dem Kopf. Das Geld ist zum Selbst- Zweck geworden, statt ein Mittel zu sein für das, was wirklich zählt: Ein gutes Leben für alle.“ Christian Felber
Die Vielfalt der aktuellen Krisen hat eine Ihrer Grundursachen im vorherrschenden Wirtschaftssystem, in dem es primär um das Erzielen von Finanzgewinn in Konkurrenz zu anderen Unternehmen geht. Globale Konzerne konzentrieren immer mehr Macht und entscheiden über die Interessen von Bürgerinnen und Bürgern hinweg. Einige der Folgen sind Armut, Hunger, soziale Ungleichheit, Klima- und Umweltzerstörung, unfreiwillige Migration und Demokratieabbau.
Eine mögliche Lösung für dieses Dilemma zeigte Christian Felber, Gründer der Gemeinwohlökonomie, rund 150 Zuschauerinnen und Zuschauern im Kolpinghaus in Bensheim. Eingeladen hatte zu seinem Vortrag mit anschließender Diskussion Attac Bergstraße, mit Unterstützung der Bergsträßer Verbände von DGB und GEW, BUND Bensheim sowie der Karl Kübel Stiftung und den Marktschwärmern.
Das gewinnorientierte Verhalten der Wirtschaft, so Felber, stehe in auffälligem Kontrast zu unseren demokratischen Verfassungswerten: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl.“, besagt die Bayerische Verfassung. Das deutsche Grundgesetz sieht vor, dass „Eigentum verpflichtet“ und „sein Gebrauch zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen“ soll (Art. 14).
Die seit 2010 aktive Initiative der „Gemeinwohl-Ökonomie“ (https://www.ecogood.de/) möchte den oben genannten Widerspruch zwischen Wirtschaft und Gemeinwohl auflösen. Die Verfassungswerte Menschenwürde, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Solidarität und Demokratie sollen konsequent als Ziele in den Rechtsrahmen der Wirtschaft eingebaut werden. Um den wirtschaftlichen Erfolg an diesen Zielen zu messen, schlägt die GWÖ die demokratische Entwicklung eines Gemeinwohl-Produkts zur Ablösung des Bruttoinlandsprodukts vor.
Auf Unternehmensebene sollten Firmen ebenso wie öffentliche Körperschaften neben der Finanzbilanz eine Gemeinwohlbilanz erstellen, in der bewertet wird, wie sie die Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, sowie Transparenz und demokratische Mitbestimmung im Unternehmen beachten. Diese Gemeinwohlbilanz sollte dann auch über die Höhe von Steuern, Zöllen, Zinsen oder Vorrang bei der Auftragsvergabe und in der Wirtschaftsförderung entscheiden, damit die ethischen und nachhaltigen Produkte auf den Märkten preisgünstiger werden. So würde eine Wirtschaft entstehen, die das Gemeinwohl, die Demokratie und ein Leben im Einklang mit der Natur fördert und die „Marktgesetze“ mit den Werten der Gesellschaft in Einklang bringt.
Bereits rund 850 Unternehmen und Körperschaften arbeiten aktuell mit der Gemeinwohlbilanz. Zu den Pionieren gehören die Bäckerei Kaiser in Mainz-Kastell, die unsere Alnatura-Filialen in der Region beliefert und die Firma Vaude (Outdoor-Produkte) aus Tettnang. Dabei sind auch Institutionen wie Schulen und Hochschulen, Banken, Versicherungen sowie erste Gemeinden und Städte.
Als Beispiel, wie demokratische Prozesse anstatt mit der bisher praktizierten Mehrheitsentscheidung ablaufen könnten, fand im zweiten Teil des Abends eine Meinungserhebung aller Zuschauer nach dem systemischen Konsensieren statt.
Auf die Frage, welches Vielfache des minimalen Grundeinkommens die Besucher als Maximaleinkommen gerecht fänden, wurden zunächst Vorschläge gesammelt, die zwischen dem Faktor 1 und 1000 lagen. Abgestimmt wurde dann zu jedem Vorschlag mit den Optionen kein Widerstand, mittlerer Widerstand und starker Widerstand - per Handzeichen. Das Ergebnis lag in Bensheim wie auch in allen anderen mehreren hundert Befragungen der letzten Jahre von Christian Felber weltweit zwischen dem Faktor 8 und 15. Betrachtet man die momentan existierenden Vielfachen der Spitzengehälter in den diversen Ländern in der Industrie, liegen diese in der Schweiz bei 900, in Deutschland bei 6000, der USA bei 65.000, und in der Finanzindustrie der USA bei 360.000.
Die Begrenzung dieser immensen Ungleichheit im Einkommen und auch im Besitz kann nur demokratisch erreicht werden. Die Entscheidungsgewalt in unseren Ländern muss dazu aus der Hand der Wenigen in die Hände der Vielen zurückgegeben werden, so wie es in unseren Verfassungen vorgesehen ist. Ein Schritt in die richtige Richtung seien Bürgerräte, die jedoch nur dann ein demokratisches Instrument sein können, wenn die Mitglieder multiperspektivisch und frei von bestimmten Interessen informiert und vorher verbindliche Regeln für den Umgang mit den Ergebnissen festgelegt werden und im besten Fall über das Ergebnis eine Volksabstimmung erfolgt.
Wir sollten mehr Demokratie wagen, um unsere Zukunft und ein gutes Leben für alle Menschen zu sichern!
AKTUELLES
Uns geht es doch gut!
Unser aktuelles Plakat im Schaukasten (Unterführung Bahnhofsvorplatz Bensheim).
VON DER WEGWERFGESELLSCHAFT ZUR POSTWACHSTUMSÖKONOMIE Vortrag von Niko Paech am 09.03.2020
Der Vortrag von Niko Paech wurde mit großer Begeisterung aufgenommen. Es wurden viele praktische Möglichkeiten und bereits bestehende Projekte einer Postwachstumsökonomie aufgezeigt. Arbeiten innerhalb der ökologischen Grenzen der Erde bedeutet auf Überflüssiges wie Kreuzfahrten zu verzichten, bietet aber zugleich durch reduzierte Arbeitszeit die Chance auf sinnvolle und kreative Tätigkeiten.