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29. September 2011 - attac Frankreich:

Tobinsteuer in Europa: zu spät und zu wenig

 

Der Präsident der Europäischen Kommission, M. Barroso, schlägt eine Besteuerung von Finanztransaktionen vor. Vor zehn Jahren hätten wir gejubelt. Heute nicht – es ist zu wenig und zu spät.

Dass alle europäischen politischen Akteure einen Vorschlag aufgreifen, den wir seit 12 Jahren propagieren, ist schon ein Sieg der Ideen von Attac. Unsere Vorschläge werden von der Kommission an mehreren Punkten aufgegriffen: 0.1% auf alle Transaktionen europäischer Finanzhändler hätte sicherlich einen wichtigen regulativen Effekt, indem es Händler von waghalsigen Spekulationen, wie den Hochfrequenzhandel, abbringt. Die Einbeziehung des Handels mit Derivaten zum bereinigten Normalwert wäre ebenfalls ein wichtiger Fortschritt, selbst wenn ein Steuersatz von nur 0,01% bedauernswert ist.
Das Ausmaß des Vorschlags der Kommission ist aber leider auch begrenzt: Ausgeschlossen sind Steuern auf Devisentransaktionen (zwischen dem Euro und anderen Devisen). Mit 4000 Milliarden Dollar (täglich) macht dieser Markt annähernd die Hälfte der Finanztransaktionen der Welt aus.
Es bleibt auch vollkommen unklar, wie die Einnahmen verwendet werden sollen. Wenn sie nur dafür verwendet werden, um Defizite zu decken und um Banken ohne Gegenleistung unter die Arme zu greifen, hätte die Steuer keine Wirkung. Die Einnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe müssen europäische und globale Fonds finanzieren: für den Kampf gegen Armut in Europa und anderswo; für den Schutz vor Epidemien und globaler Erwärmung; und für einen ökologischen Übergang.
Wir lassen uns nichts vormachen: Die europäischen Regierungen haben sich nur entschlossen, uns Recht zu geben, um die öffentlichen Meinungen zu besänftigen und schon mal den Weg für kommende Sparprogrammwalzen mit ihrer ungerechten Politik zu ebnen. Mit Wucht wird gerade in Europa ein Vorstoß gegen den Sozialstaat vorgenommen. Dabei sind die öffentlichen Schulden und die Eurokrise nicht aus übermäßigen Ausgaben sondern aus der Finanzkrise und den Steuergeschenken, die seit 20 Jahren den Privilegierten zugebilligt wurden, entstanden. Um Reichtum in dem Ausmaß umzuverteilen, wie es heuer nötig wäre, reicht die Finanztransaktionssteuer bei weitem nicht aus. Es ist auch kein Zufall, dass sie in dem Moment angekündigt wird, indem europäische Banken sich gerade mit öffentlichen Geldern neufinanzieren: Es geht darum, einen Aufstand gegen dieses neue (Banken-)Rettungspaket zu verhindern, indem der Anschein erweckt wird, dass auch die Finanzwelt zur Kasse gebeten wird.
Diese Steuer – und nur im Jahre 2014 – ist zu wenig und kommt zu spät.
„Zu wenig“ weil die Finanzmärkte (wir haben es schon immer gesagt) nicht allein durch einer Steuer entwaffnet werden. Dazu bedarf es strenge Regelungen (Zerschlagung der Banken, die zu groß sind um zu scheitern, Kapitalverkehrskontrolle, Verbot von außerbörslichem Handel, strenge Limitierung des Handels mit Derivaten – vor allem auf dem Nahrungsmittelmarkt).
„Zu spät“ weil die Finanzkrise, die durch 30 Jahre Nachgiebigkeit regelrecht herbeigeführt wurde, heute dramatische Ausmaße annimmt. Radikale Lösungen können nicht mehr umgangen werden: Dazu gehören die Vergesellschaftung des Bankensektors und seine Kontrolle durch die Gesellschaft, die Revision öffentlicher Schulden und die Streichung der Anteile, die ungerechtfertigt sind, eine Reform der europäischen Zentralbank, damit sie Staaten direkt finanzieren kann, u.v.m.
Bezüglich der Tobin Steuer hatten wir Recht. Hoffen wir, dass wir nicht wieder 10 Jahre und eine katastrophale Krise abwarten müssen bis unsere (jetzt aktuellen) Vorschläge ernst genommen werden.

Wir werden sie erneut auf der Straße bekräftigen: Am 15. Oktober mit den Empörten aus Europa und der Welt und gegen den G20 in Nizza vom 1. bis 4. November.

Quelle:

www.france.attac.org/articles/taxe-tobin-en-europe-une-avancee-qui-vient-trop-tard

Übersetzung: Harald Langen, SiG-Redaktion

Einzelheiten über Barrosos Vorschlag:
www.wirtschaftsblatt.at/home/international/wirtschaftspolitik/es-ist-soweit-eu-praesentiert-plan-fuer-transaktionssteuer-490110/index.do