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Bundestagswahl 2017 - Befragung der Direktkandidaten zur Wohnungswirtschaft

In der Wohnungspolitik „Um-Steuern“

Die Bilder sind bekannt. Menschenschlangen in den sog. Ballungszentren bei einem Besichtigungstermin vor einer Wohnung, die Chance, sie zu ergattern gering, die Miete zu teuer. In den letzten Jahren kannten die Wohnungsmieten (besonders ausgeprägt bei Neuvermietungen) nur eine Richtung: teurer bzw. nach oben (siehe auch Deutsche Bundesbank, Indikatorensystem zum Wohnungsimmobilienmarkt, hier: Wohnungsmieten in Deutschland vom 30.5.2017), Von steigenden Mieten und fehlendem bezahlbaren Wohnraum sind immer mehr Menschen betroffen. Dabei wird oft vergessen, dass es in der staatlichen Wohnungspolitik Weichenstellungen gegeben, hat, die diesen Zustand befördert und mitinitiiert haben:

  • die Abschaffung der 150 Jahre lang bestehenden Gemeinnützigkeit für die Wohnungswirtschaft 1990.
  • der massive Rückzug aus dem „sozialen Wohnungsbau“, ein Schrumpfungsprozess, der bis heute anhält.
  • Der Ausverkauf des öffentlichen Wohnungsbestandes ab den 90er Jahren an Investoren im Immobilienkapital, die den Grundstock für den Aufstieg der börsennotierten Wohnungsunternehmen bilden, die mittlerweile die größte Anbietergruppe im gewerblichen Wohnungsmarkt darstellen (Jonathan Franke, Ende der zweiten Hochphase des Transaktionsgeschehens mit Wohnungsbeständen, in: Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung = BBSR-Analyse Kompakt 04/2017)

Wohnraum und Finanzmärkte
Die Geldpolitik der EZB und anderer Notenbanken mit extrem niedrigen Leitzinsen, das Fluten der Kapitalmärkte mit Geld, Deregulierung und Liberalisierung des grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs hat auf der Suche nach Rendite eine weltweite Nachfrage nach vergleichsweise sicheren Finanzanlagen angestoßen. Die Anlage in Immobilien, sog. „Betongold“,, genießt den Ruf, eine sichere Anlage in unsicheren Zeiten zu sein. Für kommerzielle Investoren, aber auch zunehmend für Privatpersonen aus dem In- und Ausland hat die Bedeutung von Investitionen in Wohneigentum zugenommen. Wohnung ist zum Finanzprodukt geworden. Bezahlbarer Wohnraum und das Ziel von nationalen und internationalen Finanzinvestoren nach hoher Rendite passen aber nicht zusammen.

Wohnraum – Rettung durch private Investoren?
Auch die Politiker bezweifeln die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt nicht. Ihre Empfehlung: „Es gibt nur eine Lösung, Bauen, Bauen, Bauen.“ Mehr bauen, damit die Mieten sinken? Auch wenn der Mietwohnungsbau in ganz Deutschland ausgeweitet wurde, stiegen zwischen 2004 und 2014 die Nettokaltmieten in Berlin um fast 57 %, die verfügbaren Einkommen‌ im gleichen Zeitraum jedoch nur um etwa 17 %. Ähnlich sieht es in München, Hamburg, Hannover, Nürnberg und Bremen aus. (Die Zeit, 2.6.2016).

Bereits heute beherrschen private Anbieter (80 %) den deutschen Wohnungsmarkt, und der soziale Wohnungsmarkt macht nur noch 6 % (in Berlin 8 %) des Mietwohnungsbestandes aus. „Der private Sektor ist in Deutschland also 13 Mal größer wie der soziale Sektor.“ (Stefan Kofner, Ist der Abbau unaufhaltsam?, in MieterEcho 388 Mai 2017).

Wohnraum und Bodenspekulation
Und was passiert, wenn gar nicht gebaut wird?
Bezogen auf Berlin gibt es in „In keiner anderen Stadt ….. ein höheres Ungleichgewicht zwischen genehmigten Bauvorhaben und Realisierungen“ (Deutsche Bank Research, Deutschland-Monitor, Deutscher Häuser- und Wohnungsmarkt vom 10.1.2017). Bodenspekulation findet nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen Großstädten statt, was zu einem massiven Anstieg der Bodenpreise geführt hat (in Nürnberg in den letzten 5 Jahren um 90 % , in Frankfurt um 105 % und in Berlin sogar um 345 %. (Panorama 20.4.2017)

2006 gibt der Bund im Rahmen einer Föderalismusreform Kompetenzen in der Wohnungsbaupolitik an die Länder ab.. Für die Gesetzgebung hinsichtlich Mieterschutz, Bau- und Planungsrecht, Wohnungsbauförderung und Steuern ist aber weiterhin die Bundesregierung zuständig.

Eine soziale Wohnraumversorgung wird ohne öffentlichen Wohnungsbau, ohne Wiedereinführung der Wohnungsgemeinnützigkeit, dem Stopp der Bodenspekulation nicht zu haben sein. Aber auch neue Ideen sind gefragt, wie Gemeinwohl gegen private Gewinninteressen durchgesetzt werden kann – ein dickes Brett, das es zu bohren gilt.

Wir haben von daher an die Berliner Bundestagskandidaten folgenden Brief mit der Bitte um Stellungnahme geschrieben:

 

Attac-Arbeitsgruppe Finanzmärkte
Attac-Berlin c/o BLUE21, Gneisenaustraße 2a, 10961 Berlin                                                                           Berlin, im August 2017

 

Sehr geehrter Kandidat, sehr geehrte Kandidatin,

Sie kandidieren zur Bundestagswahl und wir möchten Sie über Ihre politischen Ziele als Abgeordnete befragen.

Wir sind Mitglieder der Arbeitsgruppe Finanzmärkte und Steuern von Attac-Berlin und engagieren uns ehrenamtlich für eine menschenwürdige Gestaltung unseres Zusammenlebens.

Unsere konkreten Fragen betreffen die Entwicklung der sozialen Wohnungswirtschaft.

Seitdem 1990 die Wohnungsgemeinnützigkeit abgeschafft wurde und sich der Bestand an
Sozialwohnungen drastisch verringert hat, stiegen die Wohngeldzahlungen und die Kosten der
Unterkunft 2015 auf 16,8 Mrd. Euro jährlich. Kosten, die zudem laufend nach oben angepasst werden müssen und so auch die Marktentwicklung zu immer höheren Mieten befördern, wodurch wir darin sehr gut ein typisches Beispiel einer sich selbst verstärkenden Preisspirale erkennen können.
Daher stellen wir Ihnen folgende Fragen mit der Bitte um Antwort an unsere Mail-Adresse:

  1. Mit welchen Regelungen könnte Ihrer Ansicht nach eine weitere Steigerung der Mietkosten auf dem Wohnungsmarkt begrenzt werden?
  2. Wie stehen Sie zu Initiativen für eine Wohnungsgemeinnützigkeit?
  3. Werden Sie beispielsweise Projekte zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus unterstützen?
  4. Welchen Maßnahmen zur Begrenzung der Spekulationen auf dem Wohnungsmarkt würden Sie zustimmen?

Wir werden Ihre Antworten als Entscheidungshilfen zur Bundestagswahl veröffentlichen und natürlich auch fehlende Reaktionen unfroh vermerken. Für Nachfragen stehen wir gern zur Verfügung.

Wir danken Ihnen im Voraus für Ihr Interesse und verbleiben mit freundlichen Grüßen

Attac-Arbeitsgruppe Finanzmärkte

Antworten der Kandidatinnen und Kandidaten

CDU

Frank Henkel (18.9.2017)

Birga Köhler (31.8.2017)

Die LINKE

Dr. Gregor Gysi  (4.9.2017)

Petra Pau  (29.8.2017)

FDP

Darija Bräuniger (7.9.2017 über Pressesprecher)

Grüne

Urban Aykal (31.8.2017)

Susanna Kahlefeld (28.8.2017)

Lisa Paus  (1.9.2017)

Ulli Reichardt (21.9.2017 - verweist auf Lisa Paus)

Stefanie Remlinger (20.9.2017)

Inka Seidel-Grothe (5.9.2017)

SPD

Dr. Eva Högl (22.9.2017)

Kevin Hönicke (3.9.2017)

Alle Kandidatinnen und Kandidaten

Partei Kandidat / Kandidatin Datum Antwort Anmerkungen
CDU Klaus-Dieter Gröhler    
CDU Prof. Monika Grütters    
CDU Dengizkhan Hasso    
CDU Manuel Heide    
CDU Thomas Heilmann    
CDU Steffen Helbing    
CDU Christina Henke    
CDU Frank Henkel 18. Sep  
CDU Timur Husein    
CDU Birga Köhler 31. Aug  
CDU Dagmar König    
CDU Prof. Dr. Niels Korte    
CDU Dr. Jan-Marco Luczak    
CDU Dr. Gottfried Ludewig    
CDU Dr. Martin Pätzold    
CDU Christina Schwarzer    
CDU Dr. Frank Steffel    
CDU Kai Wegner    
DIE LINKE Judith Benda    
DIE LINKE Friederike Benda    
DIE LINKE Franziska Brychcy    
DIE LINKE Hamze Bytyci    
DIE LINKE Dr. Gregor Gysi 4. Sep  
DIE LINKE Dr. Alexander King    
DIE LINKE Manuel Lambers    
DIE LINKE Stefan Liebich    
DIE LINKE Dr. Gesine Lötzsch    
DIE LINKE Pascal Meiser    
DIE LINKE Petra Pau 29. Aug  
DIE LINKE Steve Rauhut    
DIE LINKE Juliane Schramm    
DIE LINKE Evrim Sommer    
DIE LINKE Hakan Taş    
FDP Darija Bräuniger   7. Sep über Pressesprecher
FDP Hartmut Ebbing    
FDP Paul Fresdorf    
FDP Dirk Gawlitza    
FDP Ralf Henze    
FDP Juliane Hüttl    
FDP Marcus Jensen    
FDP Daniela Kluckert    
FDP Holger Krestel    
FDP Christoph Meyer    
FDP Roman-Francesco Rogat    
FDP Athanasia Rousiamani-Goldthau    
FDP Johannes „James“ Zabel    
FDP Dr. Katharina J. Ziolkowski    
Grüne Urban Aykal 31. Aug  
Grüne Canan Bayram    
Grüne Dr. Laura Sophie Dornheim    
Grüne Stefan Gelbhaar    
Grüne Tibor Harrach    
Grüne Bettina Jarasch    
Grüne Susanna Kahlefeld 28. Aug  
Grüne Renate Kynast    
Grüne Christa Markl-Vieto Estrada    
Grüne Erik Marquardt    
Grüne Özcan Mutlu    
Grüne Hannah Neumann    
Grüne Lisa Paus 1. Sep  
Grüne Ulli Reichardt 21. Sep verweist auf Lisa Paus
Grüne Stefanie Remlinger 20. Sep  
Grüne Inka Seidel-Grothe 5. Sep  
SPD Mirjam Blumenthal    
SPD Dr. Fritz Felgentreu    
SPD Dr. Ute Finckh-Krämer    
SPD Dmitri Geidel    
SPD Ellen Haußdörfer    
SPD Dr. Eva Högl 22. Sep  
SPD Kevin Hönicke 3. Sep  
SPD Thorsten Karge    
SPD Cansel Kiziltepe    
SPD Barbara Loth    
SPD Klaus Mindrup    
SPD Mechthild Rawert    
SPD Tim Renner    
SPD Barbara Scheffer    
SPD Matthias Schmidt    
SPD Swen Schulz 15. Sep