Enteignung - Der weite Weg zur Vergesellschaftung
Jana Mattini und Thomas Fritz, Attac-AG De-Privatisierung
Das Berliner Volksbegehren »Deutsche Wohnen & Co enteignen« hat den gesellschaftlichen Diskurs in Deutschland verschoben und die Eigentumsfrage erstmals wieder auf die politische Agenda gesetzt. Das Volksbegehren fordert die Enteignung privater Unternehmen, die mehr als 3.000 Wohnungen besitzen. Als Rechtsgrundlage soll erstmals der Artikel 15 des Grundgesetzes dienen, der es erlaubt, »Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel [...] zum Zwecke der Vergesellschaftung« in Gemeineigentum zu überführen.
Seither gibt es eine erregte Debatte über den Sinn und die Legitimität von Enteignungen. Dass diese Debatte überhaupt geführt wird, ist ein enormer Erfolg der Initiative. Kaum beachtet wird aber, was nach der Enteignung geschehen soll, was überhaupt die »Vergesellschaftung« der Wohnungen sein kann und sollte. Die Initiative hat dazu den Vorschlag gemacht, ein öffentliches Unternehmen in Form einer Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) zu gründen, in deren Eigentum die Wohnungen übergehen.
Staatseigentum ist kein Gemeineigentum
Wäre das nun schon eine Vergesellschaftung? Gehen die vormals privaten Wohnungsbestände dadurch in Gemeineigentum über? Mitnichten! Denn noch würde es sich lediglich um das handeln, was meist als »öffentliches Eigentum« bezeichnet und mit Gemeineigentum gleichgesetzt wird. Die Schriftstellerin Daniela Dahn legt überzeugend dar, wie irreführend diese Gleichsetzung ist. Denn öffentliches Eigentum ist nur zur öffentlichen Nutzung freigegebenes Staatseigentum.
Faktisch handelt es sich auch bei Staatseigentum um Privateigentum, wie Dahn betont. Denn die Verfügungsgewalt liegt nicht bei den Bürger*innen, dem eigentlichen Souverän. Sie haben nur ein Nutzungsrecht an den Leistungen von Stadtwerken, kommunalen Krankenhäusern oder Wohnungsgesellschaften, auf dessen Ausgestaltung sie keinen direkten Einfluss ausüben.
Nur eine Minderheit im Staat, in der Regel die regierenden Parteien, entscheidet darüber, was wie lange und unter welchen Bedingungen öffentlich genutzt werden darf.So nehmen sich die Regierungsparteien das Recht, je nach Gusto öffentliches Eigentum zu bilden oder es wieder zu verkaufen, ohne die Bürger*innen dabei zu konsultieren.
Daher bedeutet auch die Überführung von Wohnungen in ein öffentliches Unternehmen zunächst nur den Wechsel von einer privaten Eigentumsform in eine andere. »Eigentlich wechselt nur der Verwalter«, so Dahn.
Daseinsvorsorge in Bürger*innenhand
Dessen sind sich auch die Initiator*innen des Berliner Volksbegehrens bewusst. Sie fordern daher, den Verwaltungsrat der AöR als oberstes Entscheidungsgremium mehrheitlich mit Vertreter*innen der Mieterschaft, der Angestellten und der Stadtgesellschaft zu besetzen. Das heißt, Vertreter*innen der Regierungsparteien wären in der Minderheit.
Die Zurückdrängung des Einflusses der Parteien ist berechtigt und eine der Voraussetzungen für die Vergesellschaftung. Denn die in Berlin regierenden Parteien waren es, die seit den 1990er Jahren fast die Hälfte der landeseigenen Wohnungen (rund 230.000) verkauften. Hinzu kommt: Dieselben Parteien, die den öffentlichen Wohnungsbestand dezimierten, schanzten ihren Mitgliedern lukrative Posten in den öffentlichen Wohnungsgesellschaften zu. Eine Vergesellschaftung muss daher gegen die Parteien durchgesetzt werden.
Doch die Umsetzung der Vergesellschaftung ist ein anspruchsvoller Prozess. So gibt es nur wenige Erfahrungen mit einer demokratischen Kontrolle öffentlichen Eigentums, die in eine Vergesellschaftung münden könnte. Die üblichen Beteiligungsansätze reichen jedenfalls nicht aus. Vielmehr müssten die Bürger*innen die öffentlichen Unternehmen steuern können. Im Fall von Wohnungsgesellschaften hieße das, über Mietpreise, Investitionen oder Kriterien der Wohnungsvergabe zu entscheiden.
Daran schließt sich eine Reihe von Fragen an: Wie lassen sich vergesellschaftete Unternehmen demokratisch steuern? Wer vertritt die Bürger*innen in den Entscheidungsgremien? Wie lässt sich die Diskriminierung etwa von Migrant*innen, Alleinerziehenden, Menschen mit Behinderung oder geringem Einkommen vermeiden? Wie lassen sich die Unternehmen dauerhaft gegen Privatisierung schützen? All diese Fragen können nur durch praktische Erfahrungen beantwortet werden. Ansätze demokratischer Kontrolle müssen schrittweise erprobt und weiterentwickelt werden. Daher ist es wichtig, nicht bei der Enteignung stehen zu bleiben.
Quelle: Daniela Dahn: Warum Staat und Eigentum getrennt werden müssen, in: LunaPark21 Extra 16/17, Winter 2017/18, S. 8–11.