Attac setzt Bürgerbegehren in Osnabrück durch Bezahlbarer Wohnraum für alle
Stefan Wilker, Attac Osnabrück
Osnabrück im Jahre 2002: CDU und FDP gewannen die Kommunalwahlen und lösten die damalige Mehrheit von SPD und Grünen im Stadtrat ab. Eine der ersten Amtshandlungen der neuen schwarz-gelben Koalition war ein Beschluss, die städtische Wohnungsgesellschaft OWG mit 3700 Wohnungen zu verkaufen. Osnabrück lag damit voll im neoliberalen Trend – bundesweit privatisierten in dieser Zeit viele verschuldete Städte ihre Wohnungsgesellschaften in der meist blauäugigen Hoffnung, so die klammen kommunalen Haushalte dauerhaft sanieren zu können.
Die 2002 frisch gegründete Attac-Gruppe hatte ihr erstes großes Thema: Auf unseren Vorschlag hin fanden sich damals SPD, Grüne, DGB und vor allem viele Mieter*innen der OWG in einer Bürgerinitiative zusammen, die mit einem Bürgerbegehren den Verkauf der OWG verhindern wollte. Leider erfolglos.
Noch während der laufenden Unterschriftensammlung beschlossen CDU und FDP den Verkauf. Die OWG ging an die NILEG, eine Tochtergesellschaft der landeseigenen NordLB. Ein ebenfalls am Kauf interessierter Private-Equity- Fonds kam nicht zum Zug. Dies wurde den besorgten Mieter*innen als Garantie verkauft, dass die Wohnungen in öffentlicher Hand bleiben und nicht nach maximalen Renditeerwartungen bewirtschaftet würden. Unsere Warnung, dass der Verkauf an die NILEG der erste Schritt zu einer späteren Übernahme durch private Wohnungskonzerne sein könnte, wurde als abwegig abgetan. Genau so aber kam es: Nach mehreren Eigentümerwechseln landeten die ehemals kommunalen Wohnungen 2015 im Besitz von Vonovia.
Sechzehn Jahre später wird der Spieß jetzt womöglich wieder umgedreht. Im vergangenen Jahr ist ein breites Bündnis entstanden, das mit einem Bürgerentscheid die Gründung einer kommunalen Wohnungsgesellschaft durchsetzen will. Die Initiative dazu ging wie schon 2002 von Attac Osnabrück aus.
Dabei ist die soziale und politische Ausgangslage heute eine andere als 2002. Vor allem hat sich die Situation auf dem lokalen Wohnungsmarkt gegenüber damals deutlich verschärft. Wie in vielen anderen deutschen Großstädten sind die Mieten in Osnabrück in den letzten Jahren auf breiter Front angezogen, es fehlen tausende Wohnungen für Menschen mit geringen Einkommen. Ein Fünftel der Haushalte muss mehr als 40 Prozent ihres Einkommens für die Kaltmiete ausgeben. Fühlten sich vom Verkauf der OWG 2002 in erster Linie die dort wohnenden Mieter*innen betroffen, so ist die Wohnungsmisere heute ein Thema, das große Teile der Stadtbevölkerung beschäftigt.
Das ist auch bei den Parteien im Stadtrat angekommen, die verbal alle für bezahlbaren Wohnraum eintreten. CDU und FDP – wieder knapp in der Mehrheit – sind aber nur zu wenigen regulierenden Eingriffen bereit und setzen ansonsten darauf, Anreize für private Investoren zu setzen nach der Devise »bauen, bauen, bauen«. Die Opposition aus SPD, Grünen und Linken hat in den letzten Jahren mehrfach versucht, im Rat eine kommunale Wohnungsgesellschaft beschließen zu lassen. Das ist aber immer von CDU, FDP und den drei »Kleinen« im Rat abgeschmettert worden.
Die Attac-Gruppe hatte vor diesem Hintergrund die Idee, mit einem Bürgerentscheid eine kommunale Wohnungsgesellschaft durchzusetzen. Im April 2018 haben wir nach etlichen Vorgesprächen auf einer Veranstaltung unseren Vorschlag vorgestellt. Das Echo war überwältigend –Wohlfahrtsverbände, Kirchengemeinden, SPD, Linke, Grüne, DGB, Uni-ASTA und viele kleinere Initiativen kamen und erklärten sich bereit, an der Kampagne mitzuwirken. Aus der Veranstaltung heraus gründete sich eine Bürgerinitiative, die seitdem auf den Bürgerentscheid hinarbeitet.
Als erster Schritt war dazu ein erfolgreiches Bürgerbegehren nötig. Innerhalb von sechs Monaten mussten knapp 10.000 Unterschriften (entspricht 7,5 Prozent der Kommunalwahlberechtigten) gesammelt werden, die den Bürgerentscheid fordern. Die beteiligten Organisationen und viele Einzelpersonen haben seit September 2018 gesammelt: bei Großevents, an Dutzenden Infoständen in den Stadtteilen und im persönlichen Umfeld. Schon Anfang Februar waren die erforderlichen Unterschriften zusammen – am Ende hatten 13.500 Osnabrücker*innen unterzeichnet.
Am 12. März ging es jetzt im Stadtrat weiter. Der hatte nach dem erfolgreichen Bürgerbegehren zwei Möglichkeiten – entweder unsere Forderung zu übernehmen und die Wohnunggesellschaft zu beschließen oder den Bürgerentscheid einzuleiten. Eine knappe Mehrheit aus CDU, FDP und Co. blieben bei ihrer ablehnenden Haltung und stimmten gegen die Gründung einer Wohnungsgesellschaft. Damit kommt es am 26. Mai (parallel zur Europawahl) zum Bürgerentscheid. Für unser Bündnis beginnt jetzt eine zehnwöchige Phase intensiver Mobilisierungsarbeit. Die Latte für einen erfolgreichen Bürgerentscheid liegt hoch – mindestens 20 Prozent der Kommunalwahlberechtigten müssen mit »Ja« stimmen, und wir müssen die Mehrheit der Abstimmenden gewinnen.
Noch ist nicht ausgemacht, wie das Ganze ausgeht. Unsere Initiative hat aber eine breite wohnungspolitische Diskussion in der Stadt ausgelöst. Es ist großer Druck auf die Parteien entstanden, für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen und dies als eine Aufgabe der öffentlichen Hand zu begreifen. Und mit dem Instrument des Bürgerentscheids haben wir einen Weg aufgezeigt, wie Bürger*innen für ihre Interessen selbst aktiv werden können.
Weitere Informationen unter www.bezahlbarer-wohnraum-osnabrueck.de