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26. Januar 2013 - Luz Maria de Stefano de Lenkait:

Die Vorgänge in und um Mali geben Anlass zu folgender Stellungnahme zu

Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 16.1.2013:
"Europas Sicherheitspolitik - Unfähig und unwillig" von Martin Winter,

SZ vom 19.1.2013:
"Mali - Der unterschätzte Krieg" von Stefan Kornelius

Versagen auf der ganzen Linie

"Der eigentliche Auslöser des Bürgerkriegs im Norden Malis war der Krieg gegen Libyen, der die gesamte Region noch mehr destabilisierte. Im Norden Malis gelten die Islamisten ... als Terroristen. In Syrien sind sie Bündnispartner einer "von der internationalen Gemeinschaft als legitime Vertretung des Volkes anerkannten" Allianz bewaffneter Gruppen ...
( "Altes Lied" von André Scheer, Junge Welt vom 16.1.2013)

Der Nachfolgekrieg des NATO-Angriffs auf Libyen geht in Mali in eine neue Etappe: Dieselben westlichen Kriegsinterventen - Frankreich, Großbritannien und die USA - waschen ihre Hände auch in Bezug auf Mali in Unschuld. Die Kolonialisierten schlagen zurück. Das, und nur das, bezeichnet der Westen als Terror. Die Zeichen stehen auf Eskalation. Es sei an der Zeit, zur Selbstverständlichkeit zurückzukehren, dass von deutschem Boden kein Krieg mehr ausgeht, warnt völlig zutreffend der Linkspartei-Vorsitzende Bernd Riexinger.
( "Koloniale Heuchler" von Arnold Schölzel, Junge Welt vom 14.1.2013)

Der amerikanische Soziologe James Petras rechnet mit dem Westen ab: Niemand könne dem sogenannten europäischen Sozialismus vertrauen. Er sei zweideutig, spreche intern vom Sozialen, während er sich ständig in ausländische Kriege einmische. Das soziale Engagement habe kein Gewicht vor den Forderungen der wirtschaftlichen Kräfte, welche die Außenpolitik beherrschten. So der amerikanische Soziologe James Petras im Radio Centenario am 14.1.2013, als er die französischen Bombardements gegen Mali ansprach: “El socialismo europeo está may metido con el colonialismo en África." (Der europäische Sozialismus ist sehr in den Kolonialismus in Afrika verwickelt). Weitere Auszüge:

» Die Tatsache, dass europäische Sozialdemokraten sich Sozialisten nennen, bedeutet keine anti-imperialistische Position. Die Sozialisten praktizieren seit vielen Jahren denselben Kolonialismus wie rechte Regierungen. Im aktuellen Fall, sendet der Präsident Hollande Kriegsflugzeuge, wirft Bomben über Städte, tötet Zivilisten und tritt für die Verteidigung der mineralen Interessen der Nachbarländer ein, besonders Niger, das eine französische Neokolonie ist.

Die islamischen Kräfte gewannen so viel Kapazität, dass sie fast das gesamte Territorium im Norden Malis einnahmen, weil die Islamisten, die jetzt von Frankreich und anderen Ländern angegriffen werden, ihre Waffen und Finanzierung während der NATO-Invasion in Libyen bekamen.

Das heißt, Frankreich, Großbritannien und die Vereinigten Staaten gaben Waffen an die Islamisten ab, um Gaddafi zu stürzen und diese selben Kräfte, nachdem sie mit Gadafi fertig waren, fielen in Mali ein. Es handelt sich dann um eine Bumerang-Wirkung, Libyen zu zerstören, den Islamismus zu fördern, ihn zu bewaffnen, und jetzt ist Europa dabei, genau dieselben islamischen Kräfte zu bekämpfen, welche die NATO als Hauptlanzenspitze gegen die säkulare unabhängige Regierung Libyens benutzten.

Während Hollande von Austerität und der Notwendigkeit spricht, soziale Programme zu kürzen, ist er dabei, Millionen Euros für einen langen Krieg in Afrika auszugeben. Es ist der große Widerspruch, einerseits die sozialen Kürzungen im Innern gegen die Arbeitnehmer durchzuführen, andererseits Unsummen an Geld für eine Invasion in ein afrikanisches Land auszugeben, wobei Holland eine korrupte Regierung in Mali unterstützt, die sich nicht für die nationale Unabhängigkeit engagiert. Die Machthaber von Mali sind so korrupt und unfähig, dass sie es sind, die Frankreich zur Intervention riefen. Wie immer hängen Marionetten-Regierungen von den westlichen imperialen Kräfte ab, um sich an der Macht zu halten.

Dieselben islamischen Kräfte, die westliche Unterstützung in Syrien bekommen und die Hauptagressoren gegen die Regierung in Syrien darstellen, sind jetzt diejenigen, die in Mali eingedrungen sind.

Sollte die islamische Macht in Syrien gewinnen, werden sie Aggressionen gegen die Nachbarn im Libanon, in Jordanien, Irak und anderen Ländern betreiben. Es gibt keinen Unterschied zwischen dem, was in Libyen 2011 geschah und dem, was jetzt in Mali 2013 geschieht und dem was geschehen könnte, falls die säkulare Regierung Syriens fällt. Es ist die destruktive imperiale Politik, die jede bewaffnete politische Kraft benutzt, wie sie sie in Libyen benutzte. Es ist dasselbe, was in Afghanistan und im Irak geschah, was in Syrien geschieht. Dieselben Islamisten, gestärkt von westlichen Ländern und arabischen reaktionären Autokratien, machen die Wende und greifen westliche Interessen an, dieselben westlichen Staaten, die ihre Anwesenheit in dieser Regionen betrieben und verstärkten.«
(“El socialismo europeo está muy metido con el colonialismo en África." von James Petras, amerikanischer Soziologe)

Mit anderen Worten bekommt der Westen jetzt eine bittere Quittung für seine verantwortungslose wahnsinnige Gewalt-Politik.

Hollande befürchtet terroristische Attacken in Frankreich als Konsequenz seiner Angriffe in Mali. Die ausländische Aggression führt also möglicherweise als Gegenmaßnahme zu terroristischen Attentaten in Frankreich. Eine Gefahr, die französische Aggression erst ausgelöst hat.

Die malischen Kämpfer im Norden als "Terror-Milizen" zu bezeichnen, ist unangemessen und unfair. Weil sie sich gegen die fragwürdige Übergangsregierung Malis gestellt und im Norden eine eigene Regierung konstituiert haben, sind die malischen Gegenkräfte keine Terroristen. Sie müssen sich selbstverständlich verteidigen, wenn französische Kräfte sie attackieren. Westliche Presseagenturen nennen diese malischen Kräfte Terroristen, aber die Söldner, die in Syrien gegen die syrische Regierung Terror-Anschläge durch Auto-Explosionen und Angriffe auf Polizei und andere staatliche Einrichtungen verüben, sind keine Terroristen, sondern willkommene Rebellen in europäischen Kanzleien und Presseagenturen.

"Deutsche Waffen werden ohne Wenn und Aber in die Klerikalmonarchie Saudi-Arabien geliefert, während die schiitische Islamische Republik Iran zur Existenzgefahr für die zivilisierte Welt stilisiert wird. Mit den islamischen Milizen, die Libyen beherrschen, hat sich der Westen arrangiert... In Ägypten sind die Muslimbrüder aber schon wieder die Bösen, und hierzulande sowieso."
("Altes Lied" von André Scheer, Junge Welt vom 16.1.2013)
André Scheer macht uns weiter darauf aufmerksam: "Längst führen die Großmächte in Afrika einen Verteilungskampf um Einfluss-Sphären und Rohstoffe. In den vergangenen Jahren haben dabei die EU und die USA massiv Boden an China verloren".

"Mali verfolgte einen antiimperialistischen und prosozialistischen Kurs nach seiner Unabhängigkeit im Jahr 1960. Der französische Franc wurde durch eine eigene Währung ersetzt, eine Bodenreform durchgeführt und ein Programm zur Industrialisierung auf Basis staatlichen Eigentums angeschoben, die französischen Militärstützpunkte wurden aufgelöst. Ein Militärputsch beendete im Jahre 1968 das sozialistische Experiment."
( "Krieg im Wüstenstaat" von Gerd Bedszent, Junge Welt vom 23.1.2013)

Der Putsch vom März 2012, stürzte den Präsidenten Malis Amadou Toumani Touré ("ATT"). Seitdem sind alle staatlichen Institutionen bedroht. In einem de facto zweigeteilten Land beherrschen islamische Milizen den Norden und kontrollieren die Berge. Die alte Führung dankte ab. Unter dem Druck der angeführten Putschisten gab der Ministerpräsident seinen Rücktritt 11.12.2012 bekannt. Mit Unterstützung aus Paris setzte die ECOWAS (westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft) nach dem Putsch eine Übergangsregierung in Bamako ein. Aber die Putschisten wollten einen neuen Mann präsentieren.

Der 70-jährige Übergangspräsident Dioncumba Traoré, eingesetzt von der ECOWAS, ist ohne echte Legitimität. Zwischen der Bevölkerung und der eingesetzten politischen Klasse in Mali besteht grundsätzliche Uneinigkeit. Der Einfluss des Islams auf die Politik verunsichert westlich orientierte Politiker. Aus Mali wird berichtet, auf grünes Licht und militärische Unterstützung aus der Region oder aus Frankreich sei man nicht unbedingt angewiesen: Mali sei kein französisches Anliegen, auch kein europäisches Anliegen. Mali sei ein afrikanisches Anliegen, aber zuallererst, ein malisches Anliegen, das die eigene Bevölkerung betreffe. Diesen Standpunkt will Europa nicht anerkennen. Daher der Aktionismus, der einem neokolonialen imperialen Denken entspricht und auch der Geldgier der Europäer, weil Mali reich an Mineralien ist, wie Uran unter anderen.

Die malische Armee gerät jetzt unter Druck, weil die Bevölkerung nicht versteht, wieso sie der "Besetzung durch ausländische Kräfte" kein Ende macht.

Der französische Angriff kommt bei einem Großteil der Malis nicht gut an. Es ist eine Aggression von Seiten Frankreichs mit Hilfe von NATO-Mitgliedern, die in Libyen begonnen hat. Die neue westliche Aggression, wie alle früheren aus dem Westen, hat eine enorme humanitäre Katastrophe verursacht: 800.000 Flüchtlinge und Vertriebene. Erst machen sie die Sahelzone zur Konfliktregion, dann setzen sie Machthaber ein, die ihnen genehm sind, und schließlich werden die ECOWAS-Truppen ins Land gebeten. Für nicht verhandelbar erklärten die Tuareg-Bewegung und die Regierung von Mali die nationale Integrität Malis.

Der UN-Sondergesandte für die Sahelzone, Romano Prodi, stellte sich hinter Algeriens Bemühungen für eine politische Lösung. Algier bevorzugte eine politische Lösung des Konflikts gegenüber der militärischen Option, für die sich vor allem Frankreich stark macht. Algerien braucht Zeit, um eine politische Lösung vorzulegen. Dem Kommandeur des Afrika-Kommandos der US-Streitkräfte (AFRICOM), General Carter F. Ham, zufolge, sei ein "auschließlich militärisches" Vorgehen in der Region zum Scheitern verurteilt. Den westlichen Mächten geht es vor allem um eine preiswerte Lösung: Sie wollen, dass "die Militäroperation von Algerien und anderen afrikanischen Partnern ausgeführt und bezahlt wird".

Letztlich zeigt sich in den Versäumnissen und offiziellen Ausflüchten aus Europa nur die Unfähigkeit, in dieser äußerst unsicheren Region jenseits der eigenen Staatsgrenze politische Verantwortung zu übernehmen. Die Sahelregion war für Frankreich nicht so wichtig. Weder der Präsident noch der Außenminister sind jemals dorthin gereist.

Frankreichs Armeechef Édouard Guillaud erklärte öffentlich, seine Truppen seien bereit, die sogenannten islamistischen Kämpfer aus ganz Mali zu vertreiben. Ob die afrikanischen Soldaten direkt für Kampfhandlungen an der Front einsetzbar sind, ist jedoch unklar. Es heißt, im Westen gestalte sich die Lage etwas schwieriger, da sich dort "die am besten organisierten" und "am stärksten bewaffneten" Gruppen befänden. Der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian kündigte einen "langen Kampf" an. (SZ vom 17.1.2013)
Ein Sprecher der sogenannten islamistischen Gruppe Ansar Dine verteidigte indes den Vormarsch der Aufständischen auf die Stadt Konna, der Frankreichs Intervention letztlich ausgelöst hatte: Man habe sich für die Offensive erst entschieden, nachdem der Versuch gescheitert sei, eine friedliche Lösung auszuhandeln. Ansar Dine hatte an Vermittlungsgesprächen mit Malis Übergangsregierung teilgenommen, aber Anfang Januar erklärte diese Gruppe den Waffenstillstand für beendet. An den Gesprächen hatten auch die separatistischen Tuareg-Rebellen der MNLA (Mouvement National de Libération Africaine, Nationale Befreiungsbewegung) teilgenommen, die zunächst in Allianz mit den Islamisten den Norden erobert hatten, aber später von diesen aus den großen Städten vertrieben wurden. Die Gruppe sei bereit, den Kampf gegen die vormals verbündeten sogenannten islamistischen Rebellen aufzunehmen. Die Situation sei derzeit völlig unüberschaubar. Das britische Außenministerium bestätigte (16.1.2013) einen "fortdauernden terroristischen Vorfall" gegen Europäer. Auch britische Bürger seien betroffen. Der Überfall in Algerien sei die Rache dafür, dass Algerien der französischen Armee für den Militäreinsatz im benachbarten Mali Überflugrechte gewährte. (SZ vom 17.1.2013)
Da die Gewährung von Überflugrechten für die französische Luftwaffe im Volk und unter Veteranen böses Blut machte, gibt es Anlass zu Spekulationen darüber, wie innerhalb des Regimes diese arrangierte Gewährung umstritten war und ist. Fast alle Algerier reagieren allergisch auf jede Art Militärpräsenz Frankreichs in ihrer Umgebung. (Aus der SZ vom 19/20.1.2013: "Ohne Rücksicht auf Verluste" von Rudolph Chimelli).

Die Lage in Mali bedrohe auch die Sicherheit in Europa, hört man aus Paris und aus dem Bundeskanzleramt in Berlin. Dieses Märchen, das aus Frankreich kommt, wird im Bundeskanzleramt bedenkenlos wiederholt. Dieselbe Masche wie früher das Propaganda-Märchen in bezug auf Afghanistan. Militärische Kreise haben nicht aufgehört, das Primat des Militärs über die Politik zu stellen, um Konflikte in der Welt militärisch anzugehen. Die an der Macht befindliche politische Klasse versagt auf der ganzen Linie.

Die Lektion aus Afghanistan wurde noch lange nicht gelernt. Selbstverständlich versucht Frankreich, seine militärische Inkursionen mit finanzieller und materieller Unterstützung Deutschlands und Europas zu betreiben. Was der Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrem Verteidigungsminister Thomas de Mazière fehlt, ist ein Schwergewicht an ihrer Seite, wie es der ehemalige US-Präsident John F. Kennedy in seinen Bruder besaß, als der US-Präsident Kennedy unter dem ungewöhnlichen Druck des US-Militärs stand, nachdem er vor der amerikanischen Öffentlichkeit die Verantwortung für das Schweine-Bucht-Desaster in einer Pressekonferenz übernahm. So wie Robert Kennedy energisch und entschlossen vor dem hohen militärischen Stab und dem Kabinett am nächsten Tag reagierte, sollte die Bundeskanzlerin oder ihr Verteidigungsminister vor den Militaristen, Franzosen eingeschlossen, reagieren, indem sie das Primat der Politik über das Militär klipp und klar gelten lassen müsste.

Einem Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes ist keineswegs zuzustimmen. Nach Artikel 24 Absatz 2. des Grundgesetzes kann sich der Bund "zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen". Beim Einsatz der Franzosen hingegen handelt es sich derzeit um eine unilaterale Aktion. Um die Europäer hineinzuziehen, stellt Frankreich den Problemstaat in der Sahel-Zone als eine Gefahr für Europa dar. Trotzdem lassen sich die anderen Europäer nicht so leicht überzeugen. Niemals war Europa einig, die realen Gefahren und Bedrohungen für Europa identifizieren zu können. Gerade deshalb gibt es keine europäische Sicherheitspolitik und wird sie nicht geben. Warum sollte Europa eine Weltmacht werden? Diese große Wahnvorstellung ist aufzugeben. "In einer freien Gesellschaft glauben wir, dass der Staat zum Wohle der Menschen da ist. Ich sage ganz offen, dass wir, in Amerika, alle jungen Männer und Frauen dieser Welt dazu aufrufen, gemeinsam mit uns gegen das Übel dieser Welt anzukämpfen: Armut, Krankheit, Analphabetismus, Intoleranz, Unterdrückung und Krieg. Das sind die großen Feinde unseres Zeitalters. Aber wir werden diese Feinde besiegen." Diese klare Erkenntnis und dezidierter Aufruf von Robert Kennedy als Präsidentschaftskandidat gilt immer noch für die USA, Europa und die gesamte Welt. Trifft diese Erkenntnis bei der EU auf Einstimmigkeit?

Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait