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12. Juli 2010 - Lu Maria de Stefano de Lenkait:

Nachfolgend eine Stellungnahme zur Lage im Nahen Osten aus Anlass eines Artikels des ehemaligen Aussenministers Joschka Fischer in der Süddeutschen Zeitung - wie immer zur Anregung, Verwendung und Weiterverbreitung. 

Kommentar zum Artikel in Süddeutsche Zeitung vom 12.7.2010, Rubrik Außenansicht:

„Wie man einen Partner vertreibt“ von Joschka Fischer

Politik gegenüber Israel ohne Druckmittel unwirksam

Die Einschätzung vom ehemaligen Außenminister Joschka Fischer hinsichtlich der „Blindheit“ der europäischen Außenpolitik im Nahen- und Mittleren Osten ist prägnant zutreffend. Nur fehlt seiner Überlegung Konsistenz, nämlich zu Ende zu denken. Europa muss handeln, wie Fischer richtig schreibt, aber wie, das verschweigt er, anstatt die Druckmittel anzuführen, über die Europa, vor allem Deutschland, verfügt, um sich effektiv für den Friedensprozess im Nahen Osten einzusetzen. Man fragt sich, was hat Joschka Fischer als damaliger Außenminister im Nahen Osten bewirkt? Warum zieht er nicht selbst die Konsequenzen einer unwirksamen Nahost-Außenpolitik? Der ehemalige Außenminister erliegt einem gewaltigen Irrtum, wenn er ganz banal an der US-EU-Sanktionspolitik gegen den Iran festhalten will. Hier zeigt sich Fischer in der westlichen Propaganda-Masche befangen und wird dadurch unfähig, selbstsicher, sachlich und fair darüber nachzudenken. Nicht aber der Premierminister Erdogan, der sich von den Irrungen und Wirrungen des Westens distanziert und befreit hat. Wenn Europa einen Vertrag nicht respektiert, muss es die Konsequenzen tragen. Das Nein Ankaras zu den neuen Iran-Sanktionen ist eine seriöse Antwort, die auf Respekt und Verständnis in der ganzen Welt stößt, nachdem sich die Türkei zusammen mit Brasilien engagiert hat, um den Iran-Vertrag (17.5.2010) abzuschließen. Eine Kehrtwende Europas ist nicht zu erwarten. Ihren törichten Hochmut werden die Europäer noch teuer bezahlen. Die Entfremdung der Türkei ist nicht verwunderlich, sondern die Konsequenz einer fehlgeschlagenen unaufrichtigen europäischen Außenpolitik in der Region. Als neuer Akteur im Nahen Osten ist die Türkei gegenwärtig sehr wertvoll.

Die aufschlussreiche Erklärung in der US-Tageszeitung „Herald Tribune“ Mitte März 2009 des ehemaligen US-Botschafter in Saudi Arabien und China, Chas Freeman, enthüllt das Hindernis, vor dem die US-Regierung seit langem steht, um den Friedensprozeß im Nahen Osten voranzutreiben. Der amerikanische Diplomat Chas Freeman hat die Aggressivität der israelischen Regierung öffentlich kritisiert. Er wurde deshalb Zielscheibe der mächtigen Israel-Lobby in den USA, mittels Senatoren und Abgeordneten, die gegen ihn auftraten. Sinngemäß erklärte der ehemalige amerikanische Diplomat:

„Es gibt eine mächtige Lobby, die entschlossen ist, die Verbreitung jeder anderen Meinung als ihre eigene zu verhindern, ... Die Taktiken der Israel-Lobby stellen Höhepunkte der Schande und Unanständigkeit dar, sie schließen Rufmord ebenso mit ein wie selektive falsche Zitate, vorsätzliche Verfälschung der Fakten, Fabrikation von Unwahrheiten und vollkommene Missachtung der Wahrheit. In der amerikanischen Öffentlichkeit ist es ebenso unmöglich wie in der Regierung, politische Optionen für den Nahen Osten zu diskutieren, die der herrschenden Fraktion in der israelischen Regierung nicht genehm sind. Den Hardlinern in Israel wird erlaubt, eine politische Richtung einzuschlagen, die letztendlich die Existenz des israelischen Staates bedroht… Das ist nicht nur eine Tragödie für die Israelis und ihre Nachbarn im Nahen Osten. Es fügt auch der nationalen Sicherheit der USA zunehmend Schaden zu. Die unerhörte Aufregung …... wirft ernste Fragen darüber auf, ob die Obama-Administration in der Lage sein wird, ihre eigenen Entscheidungen zur Nahost-Politik und zu den damit verbundenen Fragen zu treffen. … Die neue USA-Regierung ist herausgefordert, Maßnahmen zu überlegen und zu treffen, die am besten den Interessen der Vereinigten Staaten dienen und nicht denen der Lobby, die fest entschlossen ist, den Willen und die Interessen einer ausländischen Regierung durchzusetzen.“ ( Siehe englische Originalerklärung im Internet vom 10.03.2009).

Der neue amerikanische Präsident zusammen mit Europa muss diese ungezügelten Leute entschieden stoppen, um weiteres Unheil zu verhindern. Europa und die USA haben die Kräfte dazu und müssen klare Zeichen setzen. Sanktionen sind selbstverständlich längst gegen eine Regierung angebracht, die keine Skrupel kennt, die Welt in eine noch größere Krise zu stürzen.

Jedes Land trägt seine eigene Verantwortung für seine Existenz, für sein Leben in Frieden. Israel kann sich dieser Verantwortung nicht entziehen. Es ist eine konstruierte Lüge, dass die israelische Regierung mit Gegengewalt ihre Bevölkerung schützen wolle. Sollte ihr die Sicherheit der Menschen in Israel wirklich am Herzen liegen, hätten sämtliche israelische Regierungen längst einen ernsthaften Friedensprozess gestaltet und sich aus den okkupierten Territorien zurückgezogen. Schon in ihrer ersten Amtszeit weigerten sich die rechtsextremen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu (1996-1999) und dann Ehud Barak (1999-2000), sämtliche besetzte Territorien zurückzugeben. Solange diese starrsinnigen Friedensfeinde an der Macht bleiben, gibt es keine glaubwürdige Basis für Friedensgespräche mit den Palästinensern. Deshalb ist Präsident Abbas zu Recht auf Distanz zu Israel gegangen. Präsident Abbas handelt völlig richtig, wenn er den israelischen Premier ignoriert, solange dieser sich nicht bewegt. Heute muss ein erhöhter, starker Druck dringend die Aufhebung der Gaza-Blockade und die Öffnung der Grenzen erzielen, und dann muß der Druck aus Washington, London und Paris erreichen, dass sich Israel aus allen geraubten Territorien zurückzieht, die den Palästinensern und Syrien gehören.

Die arabischen Staaten dürfen keineswegs dem Irrweg Netanjahus folgen. Sie sind aufgerufen, sich solidarisch mit der palästinensischen Causa zu zeigen und entsprechend zu handeln. Die USA werden diesmal nicht gegen das Völkerrecht und damit gegen die Gerechtigkeit weiter agieren. Daher werden sie gegen die Rechtsradikalen in Tel-Aviv beharrlich konsequent vorgehen. Seit Anfang 2001 bewegt sich Israel gegenüber Palästina von Extrem zu Extrem.

Der Internationale Gerichtshof in Den Haag ordnete den Abriss der israelischen Mauer an und erklärte sie für illegal (2004). Auch die UN-Vollversammlung (September 2004) machte sich dieses Urteil zu eigen. Und das sogenannte Nahostquartett (UNO, USA, EU und Russland) forderte die israelische Regierung auf, die in seiner "Roadmap" formulierten Bedingungen zu erfüllen.

Die israelische Regierung reagierte schon damals durch Ablenkungsmanöver, um das Einfrieren des Friedensprozesses zu erreichen. Die lang andauernde falsche Haltung Israels ist jetzt an einen Punkt gekommen, dass alle illegalen Siedlungen geräumt und der Siedlungsbau gestoppt werden müssen. Der König von Saudi Arabien hatte in diesem Punkt schon damals vollkommen Recht. Gespräche mit Israel wären unter den aktuellen Umständen verlorene Worte ins Leere. Sie würden zu nichts führen, sondern Israel nur eine Plattform bieten, um weitere Lügen und Ablenkungsmanöver in die Öffentlichkeit zu lancieren. Die Einschätzung des saudischen Königs ist aktueller denn je. Die Lage hat sich nicht ein Deut geändert. Die arabischen Regierungen und die Palästinenser sind gut beraten, sich kühl und distanziert gegenüber der Falschheit der Machthaber in Tel Aviv zu verhalten.

Der Amtsantritt der rechtsextremen Regierung Netanjahus fand im März 2009 statt. Nach verschiedenen wiederholten Missionen des Sonderbeauftragten George Mitchell, die ins Leere gingen, und nachdem Netanjahu im Weißen Haus von Präsident Obama selbst im März 2009 aufgefordert wurde, alle illegalen Siedlungen zu stoppen, besuchte die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton Israel im Mai 2009 und wiederholte ausdrücklich die präsidentielle Forderung. Als sie auf die starrsinnige Reaktion Netanjahus stieß, kehrte sie zurück nach Washington und erklärte, nie wieder nach Jerusalem reisen zu wollen. Dass sie trotzdem im letzten Quartal 2009 noch einmal nach Israel reiste, bedeutete eine zwingende Mission, die selbstverständlich hätte professionell vorbereitet werden müssen. Stattdessen galt diese letzte Reise von Hillary als ein Rückzieher der US-Regierung vor den Israelis.

Nach der wiederholten Weigerung Netanjahus und der Missionen ins Leere von George Mitchell und Hillary Clinton ist es für die USA, für Europa und für die ganze Welt klipp und klar, dass eine Politik ohne Druckmittel gegenüber der Regierung Israels unwirksam, unseriös banal bleibt. Ihr Scheitern ist schon vorprogrammiert.

Die Reaktion des Palästinenser-Präsidenten Machmud Abbas sowie die allgemeine Reaktion der arabischen Welt auf den alten wiederholten Versuch Israels, sie zu „Verhandlungen“ zu locken, wirkte würdig und angemessen realistisch. Abbas will sich zutreffend nicht für ein israelisches Theater hergeben. Niemand will es. Es gibt nichts zu verhandeln, weil es keine Basis für Verhandlungen gibt, kein Signal für einen glaubhaften Friedensprozess, seitdem die israelische Regierung den Frieden durch eine kontinuierliche illegale Besatzung verhindert. Die Besatzung kann nur aufrecht erhalten werden, weil die USA und die EU sie dulden, ohne das geringste dagegen zu tun. Eine solche eklatante Torheit und leere Diplomatie ist angesichts eines eingemauerten Palästinas nicht weiter zu dulden.

Luz María De Stéfano de Lenkait