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Titelseitenartikel von Süddeutsche Zeitung vom 29.8.2008: "Russland verspottet die Europäer" von Sonja Zekri und Kommentar: "Moskauer Wutausbruch" von dbr,

SZ-Interview mit Außenminister Walter Steinmeier - Daniel Brössler vom 28.8.2008

Das Problem hypermächtige imperial-aggressive USA richtig anpacken

Am Montag (1.9.2008) findet ein EU-Sondergipfel in Brüssel statt. Die Staats- und Regierungschefs Europas hätten die russische Regierung dazu einladen müssen, sollten sie willig sein, die Krise mit Moskau zu überwinden. Aber nein: Die Kunst der Diplomatie ist bei europäischen Machteliten längst tot. Sie sind es gewohnt, Politik in ihrem seltsamen Monolog, ohne Widerspruch, unter sich zu betreiben. Dann applaudieren sie sich selbst. Diplomatie ist nicht immer die Kunst der leisen Töne wie "dbr" sie falsch darstellt. Diplomatie erfordert vor allem Klarheit in der Sache und fallweise stärkere Töne, zum Beispiel, wenn ein Diplomat auf taube Ohren stößt. Die professionelle diplomatische Palette ist reich, und die Zeiten der Diplomatie à la Richelieu sind längst vorbei.

Die EU-Außenminister haben sich verrannt, als sie eine ungerechtfertigte, verurteilende Rhetorik gegen den Kreml von einer Außenseiterin wie Condi Rice übernahmen (19.8. in Brüssel). Schon die Einberufung einer Sondersitzung der Nato, beantragt von Washington, war eine Eskalation einer hiesigen Krise. Die NATO-Sondersitzung hätte nie stattfinden dürfen, denn es geht um eine Krise in Europa, die nur von Europäern alleine, also auch Russen, hätte bewältigt werden sollen. Die Szene danach (20.8.) war eine unverschämte Medien-Kampagne gegen Rußland, wie immer in Deutschland gleichgeschaltet, aber orchestriert von der NATO-USA. Sogar ein NATO-administrativer holländischer Beamter, ein Gewährsmann der USA, maßte sich in Brüssel an, anstelle der europäischen Außenminister zu sprechen. Soll dann eine gewisse Wut in Moskau verwundern? Staatsmänner sind Menschen von Fleisch und Blut, die emotionale Belastung auch spüren. Die Böswilligkeit europäischer Machteliten verursacht nicht nur eine gerechtfertigte Wut, sondern größte Sorge angesichts der Unwilligkeit, fehlender Bereitschaft oder Inkompetenz, die angemessenen Schritte zur Entspannung zu tun. Es ist bekannt, daß einige Länder in Europa gegen diese Schritte sind. Unter Londoner Regie sind solche Länder nützlich, um die Normalisierung der Beziehung zwischen Deutschland, Frankreich und Rußland zu verhindern, zu sabotieren. In Kenntnis davon hat Berlin dem EU-Sondergipfel am 1.9. zugesagt, der von einem politisch labilen französischen Präsidenten einberufen worden ist, wahrscheinlich auf Druck aus London und Washington. Und Berlin mit Angela Merkel zeigt keinen Weg der Entspannung, sondern ist tief in die US-Machtpolitik verstrickt, ja an sie gekettet. Das ist nicht nur extrem blind, sondern in höchstem Maße unverantwortlich und dumm.

Berlin und Moskau müssen miteinander reden. Beide sind einfach schon deshalb miteinander verflochten, weil beide in Europa zusammen leben. Abgesehen von wirtschaftlichen Aspekten können und müssen Moskau und Europa einen neuen Anfang versuchen mit dem Ziel, ein gemeinsames Sicherheitssystem aufzubauen. Besser spät als nie. Die wirtschaftlichen Aspekte sind sekundär. Die politischen existentiellen stehen jetzt so deutlich wie nie zuvor im Vordergrund. Deutschland darf nicht den Lehrmeister gegenüber Rußland spielen. Es hat kein Recht dazu und hat auch nichts zu lehren. Solange die EU sich weigert, Georgien als Aggressor zu erkennen, ist es schwer, Verständnis bei Rußland zu wecken. Es ist normal, daß sich Moskau unter solchen Umständen auf Distanz zu einer EU hält, die Partei für eine Aggression nimmt und keine Hilfe für die Opfer dieser Aggression berücksichtigt. Ein solches Europa, ohne Sinn für Menschlichkeit, ohne Sinn für Wahrheit und Gerechtigkeit, braucht niemand. Wenn wie zu befürchten, die Londoner Regie in Brüssel die Oberhand gegen Rußland behält, muß sich der deutsche Außenminister enthalten. Auch Frankreichs Außenminister. So können beide eine Politik der Vernunft langsam aufbauen und Rußland dabei einschließen. Moskau wäre dazu bereit, wenn Berlin und Paris es auch sind.

Verteidigungsminister Franz Josef Jung spricht mit dem Format eines guten Außenministers in der Krise. Mit Realismus und Balance hat er sofort erkannt, daß die Forderung Georgiens nach EU-Friedenstruppen nicht auf der internationalen Tagesordnung stehen darf. Minister Jung hat humanitäre Hilfe für die überfallene Region Abchasien organisiert und geleistet, heißt es am Mittwoch 27.8. (Meldung 28.8.08)

Leider findet man keine Vision einer Außenpolitik, keine außenpolitische Konzeption im Interview mit dem deutschen Außenminister. (28.8.08). Kein Bezug auf den Blickwinkel Rußlands bei der Wahrnehmung der Vorkommnisse.

Die Außenpolitik muß Wahlkampfthema werden, weil sie existentiell für Deutschland und Europa ist und die gegenwärtige Koalition sich nicht traut, das Problem richtig anzupacken, das Problem einer hypermächtigen imperial-aggressiven USA, jenseits von Recht und Gesetz. Rußland ist nicht das Problem. Imperiale Vergangenheit haben fast alle europäische Länder, aber diese Zeit ist lange vorbei. Die gegenwärtige imperiale Macht sind heute die USA. Daniel Brössler weigert sich, diese Realität zu erkennen, und so versucht er, sie mit einer falschen Frage an den deutschen Außenminister zu verkehren. Walter Steinmeier ließ sich nicht beirren und ignorierte einfach die impertinente Frage des SZ-Journalisten.

Luz María De Stéfano de Lenkait,

Juristin und Diplomatin a.D.