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14. Juni 2008 - Luz Maria de Stefano de Lenkait:

Anmerkungen zur Süddeutsche Zeitung vom 14.6.08:
Titelstory: "Iren stürzen Europa in die Krise" von Martin Winter und Nico Fried
und Leitartikel "Europäischer Albtraum" von Martin Winter

Motiv zum Jubeln

Die klare Ablehnung des Lissabon-Vertrages durch die Iren hat die Idee eines freien demokratischen Europas gerettet und seine Verwirklichung offen gelassen. Gescheitert ist der Versuch, Europa in ein autokratisches Regime zu zwängen, was, wie im Lissabon-Vertrag beinhaltet, die Festlegung eines bestimmten Wirtschaftssystems bedeutet und die Pflicht zur Aufrüstung genauso wie in einer Diktaturverfassung. Das Wirtschaftssystem darf kein Thema einer Verfassung sein, sondern ist Folge der verfassungsmäßig zu garantierenden Vertragsfreiheit und ergibt sich damit von allein aus dem freien Willen der Bürger, wobei die Verfassung ihm nicht hineinzureden hat, sondern ihm zu garantieren hat, daß der Staat die Oberhoheit des Rechts durchsetzt, damit seine vertraglichen Freiheiten wirksam werden können. Das ist der Kern einer zivilisierten Gesellschaftsordnung, die sich in einer Verfassung artikuliert.

In einer Welt, wo die Rüstungsausgaben auf Rekordhöhe stiegen, ist es von entscheidender Dringlichkeit, Schritte zur Abrüstung zu unternehmen, was dieser Lissabon-Vertrag verhindern wollte mit seiner deplazierten unzulässigen Verpflichtung zur Aufrüstung. Also keine Krise, kein Alptraum, sondern ein Motiv zum Jubeln und eine Hoffnung für alle anderen Europäer, denen verwehrt worden ist, wie die Iren über die zukünftige Verfaßtheit Europas selbst abzustimmen.

Jetzt haben die Europäer die Chance, die Weichen für die Zukunft neu zu stellen: Weg von einer EU, die mit militärischer Stärke Weltmacht spielen will, hin zu einem Europa, mit dem alle Welt gute Beziehungen haben will, da es die Oberhoheit des Rechts garantiert, die zentrale Idee der Zivilisation, der liberalen Staatsidee. Das bedeutet nicht Macht, sondern Autorität für Europa, das sich auf einer von allen Europäern legitimierten Verfassung aufbaut und nicht ein Europa williger Komplizen von Deutschland und Frankreich, mit völkerrechtswidrigen, die Menschheit verachtenden Atomwaffen und Militärvormacht. Diese EU ist längst diskreditiert durch ihre völkerrechtswidrigen Kriege und Kriegsbeteiligungen, durch ihre Zerstörung von Weltmärkten für Agrarprodukte und Nahrungsmittel aufgrund ihrer den Marktpreis verfälschenden Subventionspolitik.

Europa hat sich selbst einen großen außenpolitischen Schaden zugefügt - nicht durch die irische Abstimmung im Referendum vom 12. Juni, wie Martin Winter völlig daneben in der SZ vom 14.6.08 behauptet - sondern durch seine Aggressivität an der Seite eines Hegemons in den letzten Jahrzehnten. Deshalb ist die EU längst in Bedeutungslosigkeit versunken, entgleist und verlassen von allen guten Geistern. Dagegen ist die Abstimmung in Irland eine Sternstunde der Demokratie für alle europäischen Bürger. Europa braucht ein Projekt, das es politisch legitimiert, keine schleichenden Vorgänge, die Deutschland im Bund mit einigen anderen Staaten Vorschub leistet ohne demokratische Legitimation, kein Abklatsch der Vorgänge zur Einheit Deutschlands (Zollverein, Deutscher Bund), die zu nichts Gutem geführt haben. Nur ein Bewußtsein über die schmutzigen, antidemokratischen Quellen der bisher praktizierten Europapolitik des politischen Establishments bringt die Europäer voran, indem sie sich von der Vergangenheit und den Ewiggestrigen endlich lösen. Frankreich, die Niederlande und jetzt Irland sind dafür ein guter Anfang. (Siehe: "The Tainted Source. The Undemocratic Origins of the European Idea" von John Laughland, 1997, auf Spanisch: "La fuente impura", Editorial Andres Bello, Barcelona, 2001)

Für ein hoch industrialisiertes Land wie Deutschland ist es schwierig, Irland zu begreifen. Ein kleines Land von Menschen mit starkem Charakter. Ein Land, das die ersten christlichen Kloster Europas hat, ein Land, dessen Immigration nach Übersee in Länder wie die USA Befreiung, Freiheit und Entwicklung mitgebracht hat. Ein Land, das sich nicht von fremdem Einfluss manipulieren läßt. Auf dieses Land richten sich mit Bewunderung die Augen der zivilisierten, demokratischen Europäer.

Luz María De Stéfano de Lenkait,

Juristin und Diplomatin a.D.