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Gesundheitsschutz muss in der Pandemie die oberste Maxime sein!

Seit fast einem Jahr dreht sich Politik in Deutschland und vielen anderen Industrieländern ganz zentral um Fragen der Gesundheit. Der Schutz der Bevölkerung, besonders bestimmter „Risikogruppen“, hält als Argument für vielfältige Maßnahmen der Regierungen her. Nur selten wurden und werden die Parlamente einbezogen, und wenn doch, dann oft nur zum Schein und rein formal. Noch seltener findet eine öffentliche, demokratische Debatte statt, welche Schritte denn sinnvoll, angemessen und notwendig wären.

Dabei fällt es den Regierenden erkennbar schwerer, die Menschen mitzunehmen. Nach wie vor sind viele Maßnahmen halbherzig und widersprüchlich. Wir wollen nicht missverstanden werden: Das SARS Cov 2 Virus ist gefährlich und Vorsorgemaßnahmen zum Schutz der Menschen sind notwendig. Aber dass Gesundheitsschutz die oberste Maxime staatlichen Handelns in der Pandemie wäre, ist nicht erkennbar.

  • Generell zielen die Maßnahmen viel eher auf den Erhalt vor allem großer Unternehmen, und wenn sie noch so unsinnige, gefährliche und gesundheitsschädliche Dinge herstellen oder tun: Autofirmen, Fluggesellschaften, Chemiekonzerne.

Wie wäre es mit der Existenzsicherung für alle Menschen statt Rettungsprogrammen für Großkonzerne?

  • Die konkreten Maßnahmen stellen die Reduzierung von zwischenmenschlichen Kontakten vor allem im privaten Bereich in den Vordergrund. Belastungen aus der Umwelt (Beispiel Feinstaub), die Cov19 offenkundig erheblich tödlicher machen, oder aus mancherlei Arbeitsprozessen (Beispiel Fleischfabriken), die das Ansteckungsrisiko dramatisch erhöhen, werden weitgehend ignoriert.

Wie wäre es mit der Einschränkung schädlicher Arbeitsprozesse oder des Autoverkehrs statt genereller Kontaktbeschränkungen?

  • Im Krankenhaus sollen die Maßnahmen die Verfügbarkeit von Intensivbetten für alle gleichzeitig behandlungsbedürftigen schwer Erkrankten sicherstellen, scheitern aber an der Verfügbarkeit von Personal.

Wie wäre es auch hier mit einem Blick auf die Menschen und die Umstände, die zu einem Mangel an Pflegekräften geführt haben?

Seit nunmehr 40 Jahren finden in der Bundesrepublik in kurzen Abständen Gesundheitsreformen statt, deren Ziel durchgängig eine immer weitergehende Ökonomisierung des Systems ist.

  • Krankenkassen wurden in Konkurrenz zueinander gesetzt und damit ihre Kosten erhöht.

  • Selbstbeteiligungen für Kranke wurden zeitweise extensiv eingeführt und damit Menschen der Zugang zum System erschwert.

  • Medizinische und pflegerische Handlungen wurden einzeln abrechnungsfähig gemacht und ihnen damit eine scheinbare Warenform gegeben.

  • Systematisch wurde diese Logik mit den Fallpauschalen (DRGs) auf die Krankenhäuser übertragen und deren Betrieb als Geschäftsmodell so überhaupt erst ökonomisch interessant gemacht.

  • Weil der ursprünglich in den DRGs abgebildete Pflegekostenanteil nicht zwingend für die Pflege ausgegeben werden musste, trugen die Pflegekräfte die Hauptlast der damit verbundenen rapiden Privatisierung und Durchökonomisierung der Krankenhäuser. Weitere vor- und nachgelagerte Bereiche (Putzdienst, Küche, Wäsche) wurden oft komplett ausgegliedert und waren so manchmal noch härter betroffen.

Attac hatte schon sehr früh vor dieser Entwicklung gewarnt. Mit unserer Kampagne „Gesundheit ist keine Ware“ hatten wir schon 2002 all die Probleme angesprochen, die sich in der Folge gezeigt haben. Heute steht das System Krankenhaus in mancherlei Hinsicht kurz vor dem Verlust seiner Funktion. Zwar war es ein richtiger erster Schritt, dass die Finanzierung der Pflege aus den Fallpauschalen herausgenommen wurde und auch die Bereitstellung weiterer Gelder im Rahmen der Coronamaßnahmen ist grundsätzlich zu begrüßen. Aber das erfolgte und erfolgt aufgrund intensiver Kämpfe der Beschäftigten und langjähriger Bemühungen zivilgesellschaftlicher Kräfte und und nicht wegen eines umfassenden Umdenkens seitens der Entscheider.

Inzwischen gibt es aber ermutigende Entwicklungen:

  • Immer mehr Fachleute und Betroffene stellen die Fallpauschalen als Abrechnungssystem für die Krankenhäuser infrage; nach Stimmen aus der Deutschen Krankenhausgesellschaft und der Ärzteschaft zuletzt eine umfassende Studie der Hans Böckler Stiftung.

  • Einzelne Bundesländer sprechen sich zumindest für weitere Veränderungen wie etwa die Herausnahme der Kinder- und Jugendmedizin aus dem DRG-System aus.

  • Die langandauernden Kämpfe der Beschäftigten bündeln sich an verschiedenen Stellen, nicht zuletzt im Bündnis „Gesundheit statt Profite“, und finden dort vielfältige Unterstützung anderer gesellschaftlicher Akteur*innen

In diesem Sinne möchte auch Attac D diese Stellungnahme als Beitrag dazu verstanden wissen, dass

  • Beschäftigte in Pflege und Medizin, aber auch in den outgesourcten Bereichen, ohne die stationäre Krankenbehandlung nicht gut gelingen kann

  • zivilgesellschaftliche Gruppen, denen an einer guten medizinischen Versorgung gelegen ist

  • Fachverbände, die unterschiedliche Interessen vertreten

  • Gewerkschaften

  • und Patientinnen und Patienten zu einem gemeinsamen Handeln zusammenfinden.

Notwendig sind jetzt viele Maßnahmen, darunter als einige der wichtigsten:

  • Abschaffung der  Fallpauschalen und Finanzierung der Krankenhäuser auf der Basis ihrer tatsächlichen Kosten

  • Ausreichende Personalausstattung der Kliniken in allen Bereichen, deutliche Erhöhung der Gehälter in der Pflege und nicht medizinischen Sektoren, Tarifverträge für alle

  • Verbesserung der Arbeitssituation dieser Beschäftigten und Aufwertung des Berufsbildes

  • langfristiges Programm zur Gewinnung von ausreichend Personal im Inland, ohne Abwerbung von ausgebildeten Kräften aus Drittländern, wo diese Kräfte selbst gebraucht werden

  • Rückführung von outgesourcten Tochterunternehmen

  • Rekommunalisierung der Krankenhäuser und ihr Betrieb als Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge

  • umfassende und verlässliche Investitionen in Bestand, Erhaltung und Ausbau der Gebäude und Einrichtungen durch die dafür gesetzlich zuständigen Bundesländer

  • mittelfristig bessere Verzahnung von stationärer und ambulanter gesundheitlicher Versorgung; bessere Beachtung sozialer Komponenten von Gesundheit.

Attac Deutschland engagiert sich an vielerlei Stellen für die Erreichung dieser Ziele:

  • Im Bündnis Krankenhaus statt Fabrik arbeitet die AG soziale Sicherungssysteme mit an der Entwicklung und Bündelung der Argumente für eine Medizin als öffentliche Daseinsvorsorge.

  • Im Bündnis „Gesundheit statt Profite“ sind eine Reihe lokale Attacgruppen engagiert und kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen und Bezahlung der Beschäftigten.

  • Im Bündnis „Weg mit PEPP“ haben wir gemeinsam mit anderen die Einführung von Fallpauschalen in der Psychiatrie und Psychosomatik bisher verhindert.

  • In der Deutschen Plattform für Globale Gesundheit beteiligen wir uns um eine bessere Sichtbarmachung der globalen Herausforderungen.