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11. August 2011 - Luz Maria de Stefano de Lenkait:

In der Tageszeitung "Junge Welt" erschien ein ausgezeichneter Artikel von Joachim Guillard, der über Hintergründe und Ursachen der Vorgänge in und um Libyen aufklärt, Anlass ihn in hier in Auszügen wiederzugeben, und dies auch mit Bezug zu einem Artikel von Sonja Zekri in der Süddeutschen Zeitung

Meldungen zu Libyen, Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 10.8.2011:
„Libyens Rebellen in der Krise“ von Sonja Zekri

Engagement für die Afrikanische Union:
Für USA und Vasallen als Gefahr wahrgenommen

Aus dem hervorragend dokumentierten Aufsatz von Joachim Guilliard: „Der Krieg gegen Libyen. Teil I: „Über den Charakter der Revolte und die Opposition im Land“ (Junge Welt, 27.7.2011) kann man sich gründlich über Ursachen und Hintergrund der Vorgänge in Libyen informieren. Sie sind damit zu einem guten Teil geklärt. Anders ausgedrückt, jeder kann wissen, warum der Westen Gaddafi jagt.

Aus „Der Krieg gegen Libyen. Teil I“ von Joachim Guillard

( http://www.jungewelt.de/2011/07-27/021.php ):

„Das Staatsoberhaupt Libyens, Muammar Gaddafi ist ein wichtiger Motor der afrikanischen Einigung, die nach Unabhängigkeit von Petrodollars und vom Internationalen Währungsfonds strebt. … All diesen Ziele steht Gaddafi im Weg. …

Nach dem Sturz des von den USA und den Briten eingesetzten Königs Idris im Jahr 1969 waren nach und nach die meisten ausländischen Unternehmen verdrängt und die Ölproduktion in die Hände der staatlichen Libyschen Nationalen Ölgesellschaft LNOC überführt worden. Dies war besonders für US-amerikanische Konzerne ein herber Verlust. ...

Libyen entwickelte sich bald zum Vorreiter der OPEC-Staaten und setzte als erstes Land höhere Preise für sein Öl durch. Innerhalb von zehn Jahren verfünffachten sich nun die Staatseinnahmen. Mit diesen Einnahmen konnte der Staat seinen Bürgern einen relativ hohen Lebensstandard verschaffen, den höchsten Afrikas. ...

Sozialistische Ideen spielten bei allen damaligen Revolutionen eine wichtige Rolle. Libyen setzte sie jedoch wesentlich gründlicher um als andere Länder der Region. Gesundheit und Bildung sind seitdem kostenlos, wichtige Güter und Dienstleistungen werden subventioniert, Alte, Witwen und Waisen erhalten eine Rente, Arbeitslose finanzielle Unterstützung u.v.m. ...

Es gelang jedoch nicht, Libyens Abhängigkeit vom Erdölexport zu verringern. Niedrige Rohölpreise und die gegen das Land verhängten Sanktionen brachten die Wirtschaft in den 1990er Jahren an den Rand des Ruins. Die libysche Führung suchte daher nun einen Ausgleich mit dem Westen und machte dabei erhebliche Konzessionen. ...

Die UN-Sanktionen wurden daraufhin ab 1999 sukzessive gelockert und 2004 vollständig aufgehoben. Im Gegenzug öffnete Libyen seine Öl- und Gasindustrie für ausländische Unternehmen. ...

Mittlerweile sind wieder alle großen US-amerikanischen und europäischen Konzerne der Branche im Land aktiv. Nicht nur die großen US-Konzerne zogen ab 2004 wieder in Libyen ein, sondern weit mehr noch russische, chinesische und andere asiatische Firmen. Die ergiebigsten Ölfelder blieben zum großen Ärger der Multis weiterhin ausschließlich der LNOC und ihren Töchtern vorbehalten. ...

Die großen Konzerne versuchten sich natürlich dagegen zu wehren. Letztlich hatten sie jedoch wenig in der Hand. Für weiteren Unmut sorgten vor zwei Jahren öffentliche Überlegungen Ghaddafis,...einige Einrichtungen internationaler Ölkonzerne wieder zu verstaatlichen. Washingtons erneut unfreundliche Politik könne negative Auswirkungen auf ihre Geschäfte im Lande haben. ….

Was zunächst als Protestbewegung erschien, ging … unmittelbar in einen bewaffneten Aufstand über. Der Aufstand war keineswegs, wie meist angenommen, spontan, sondern schon seit langem geplant. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Nationale Front für die Rettung Libyens (NFSL), die bereits 1982 mit israelischer und US-amerikanischer Unterstützung gegründet wurde, um Ghaddafi zu stürzen. Die NFSL war treibende Kraft hinter den Demonstrationen vom 17. Februar 2011. ...

Die Nationale Front für die Rettung Libyens (NFSL) nutzte sofort ihre guten Kontakte zu westlichen Politikern und Medien und prägte so maßgeblich die Berichterstattung im Westen über die Auseinandersetzung. Ihr Generalsekretär, Ibrahim Sahad, zieht seither weiterhin von Washington aus die Fäden, während andere führende Mitglieder eine maßgebliche Rolle im sogenannten ›Nationalen Übergangsrat‹ spielen. Dieser Rat wird, ohne dass nach seiner Legitimation gefragt wird, vom Westen als Repräsentant der gesamten Opposition im Land angesehen und von der Kriegsallianz sogar offiziell als neue libysche Regierung anerkannt. ...

Auch Frankreich und Großbritannien hatten ihre Vorbereitungen offensichtlich schon lange vor dem 17. Februar begonnen. ...

Es sind Exilpolitiker und ehemalige Regierungsmitglieder, die alle seit langem engen Kontakt mit Washington, London und Paris halten. Ebenso eng verbunden mit Washington und ausgewiesener neoliberal ist der »Finanzminister« in der Gegenregierung, Ali Tarhouni. Er ist langjähriger US-Bürger und lehrte bis zum Beginn des Aufstands an der Washingtoner University Wirtschaft und Finanzwesen. Seine Frau arbeitet als Anwältin im US-Justizministerium. Somit stehen nun die drei wichtigsten bisherigen Verantwortlichen für die staatliche Repression an der Spitze dessen, was im Westen als demokratische Opposition angesehen wird. ….

Das obskure Gremium, repräsentiert – wenn überhaupt – nur einen kleinen Teil der Opposition und keineswegs die des gesamten Landes oder gar – wie die NATO-Staaten glauben machen wollen – des »libyschen Volkes«. Der Rat ist zudem zwischen den verschiedenen politischen und militärischen Befehlshabern gespalten, sein Einfluss auf das lokale Geschehen geht kaum über Bengasi hinaus. ...

Die anderen aufständischen Städte haben ihre eigene Führung, und auch viele bewaffnete Verbände kämpfen auf eigene Faust. Der NTC (Übergangsregierungsrat) erscheint wie eine ausländische Regierung, voller Nepotismus und Korruption.«Er sei wesentlich geschickter dabei, sich Legitimation unter europäischen Regierungen zu verschaffen als in der libyschen Bevölkerung. Mehrfach kam es, wie die kanadische Zeitung Globe and Mail berichtete, zwischen diesen zu bewaffneten Auseinandersetzungen. ...

Die libysche Gesellschaft ist stark stammesbezogen und schon daher wenig geneigt, ferne Autoritäten anzuerkennen. ...

Im Westen (des Landes) hat es, mit Ausnahme von Misrata, nie sonderlich große Demonstrationen gegeben. Seit die NATO bombt, dürften auch viele Gegner Ghaddafis wieder hinter ihrer Regierung stehen. »In Libyen gibt es vielleicht Millionen Menschen, die Ghaddafi nicht mögen, aber sehr wohl seine Errungenschaften schätzen“, so der norwegische Friedensforscher Johan Galtung. (Aus dem Artikel „Kolonialkrieg gegen Afrika. Hintergrund. Der Krieg gegen Libyen. Teil 2: „Kampf um die Reichtümer des Landes und die Dominanz über den gesamten Kontinent“ Von Joachim Guilliard – jW 28.7.2011) ...

Der neue Krieg der NATO wird von der überwiegenden Mehrheit der Staaten in der Welt abgelehnt. Die meisten Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika sind überzeugt, dass der NATO-Krieg nicht zum Schutz der Zivilbevölkerung geführt wird, wie propagandistisch verbreitet, sondern für den unmittelbaren Zugriff auf die libyschen Öl- und Gasvorräte. In Europa herrscht jedoch bei der Einschätzung der Ziele des neuen NATO-Krieges auch bei Linken und Friedensbewegung häufig bedauerliche Konfusion. ...

Ein sehr oberflächlicher Blick auf die Entwicklungen in Libyen ignoriert zum einen die massiven Zwänge, denen Libyen durch die UN-Sanktionen und die Kriegsdrohungen aus Washington ausgesetzt war, und überschätzt die Zugeständnisse an den Westen. Zwar sind alle großen Ölfirmen wieder im Land, doch zu sehr restriktiven Bedingungen. Das libysche Engagement für die afrikanische Einheit und Unabhängigkeit steht den Bemühungen der USA und der alten Kolonialmächte diametral entgegen, ihren Einfluss auszuweiten.“

(Ende des Zitats)

Aus einem Gespräch mit Johan Galtung kann man folgendes zusammenstellen (Junge Welt von 28.5.2011):

1. Libyen war früher selbst eine Kolonie. Wenn man die Kriegsverbrechen in Rechnung stellt, die von den Invasoren in Irak und in Afghanistan begangen wurden, müssten Ex-US-Präsident George W. Bush und sein Nachfolger Barack Obama als erste auf der Anklagebank sitzen. Der Irak-Krieg hat schließlich über eine Million Menschenleben gekostet. Warum hat man überhaupt Libyen angegriffen und nicht etwa den Jemen oder Bahrain? Das Völkerstrafrecht wird im Interesse des Westens angewandt.

2. Der aktuelle Libyen-Konflikt schwelt schon seit 30 Jahren. Zum einen gibt es Öl. Zum anderen ist Gaddafi ein alter Feind. Zu Beginn der 70er Jahren verbannte er die US-Amerikaner von ihrem Militärstützpunkt. Außerdem setzte er sich besonders für die arme Bevölkerung ein. Darüber hinaus war er eine Hauptfigur der Ölkrise von 1973.

3. Die größte Gefahr, die der Westen in Gaddafi sieht, ist aber sein Engagement für die Afrikanische Union. Man befürchtet, dass Afrika als potentiell sehr reicher Kontinent einen eigenen Wirtschaftsraum schafft und somit weniger Handel mit den alten Kolonialmächten in Westeuropa treibt. Zudem wollen die Europäer und Amerikaner den Einfluss Chinas eindämmen.

(Ein Gespräch mit Johan Galtung, Junge Welt von 28.5.2011).

Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait