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Tony Judt: Ill Fares The Land

Bemerkungen über eine wichtige neue Analyse der politischen Weltlage: 

Wie der Titel sagt: Dem Land gehts schlecht, wo sich Reichtum häuft und die Menschen (sozial) verkommen. Jedoch ist das Buch keineswegs pessimistisch, sondern es betont gerade, wie wir aus der politischen Sackgasse heraus kommen können, nämlich aus dem Verständnis dessen, wie es so weit kommen konnte.

Tony Judt, geb. 1948 in London, hat in Oxford, Berkeley and New York gelehrt. In N.Y. leitet er das von ihm gegründete Remarque Institute, das sich besonders dem Studium Europas widmet.

Einführung:

T. Judt beginnt mit einem Appell: Bis zur Finanzkrise 2008 ist die Deregulierung allerorten gradezu Mode geworden. Wir müssen jetzt wieder über eine sinnvolle Rolle der Regierungen nachdenken und dabei auch die ethische Wertefrage wieder in die öffentliche Debatte einführen.

(In Deutschland ist in Vergessenheit geraten, warum wir den Sozialstaat haben. Es ist ja nicht nur die FDP, die versucht, uns den Ausstieg aus dem Sozialstaat schmackhaft zu machen. Um den Einstieg in den Ausstieg hinzubekommen, bedurfte es in Deutschland einer rot-grünen Koalition; eine konservative Regierung hätte so etwas wie Hartz-Reform und Agenda 2010 nicht durchsetzen können. Was bei uns der Schröder, das war in UK der Tony Blair. - Übrigens ist ein eigenes Kapitel den Schäden durch Verstaatlichung von Eisenbahnen gewidmet.)

Wie konnte es dazu kommen?

T. Judt widmet die Hälfte seines Buches der Entstehungsgeschichte, wobei er vielfach die Verhältnisse in Europa und USA vergleicht.

Leider hat Europa den unguten Aspekten in Amerika kräftig nachgeeifert. Das zeigt sich in den Vergleichsdiagrammen deutlich für die Aspekte Benachteiligung der Bildungschancen und der Gesundheitsversorgung für Ärmere. Die Diagramme zeigen auch die beispielhafte Entwicklung in den skandinavischen Ländern.

In der öffentlichen Debatte, und wohl auch im Denken, machte sich das rein ökonomische Kalkül breit. Dies hatte schon Keynes kritisiert, der für eine sinnvolle und antizyklische Rolle des Saates plädierte.  Hayek (der erst in Wien, dann in London lehrte) dagegen, für den die europäischen Marxisten versagt hatten, vertrat das Gegenteil. Beide Denker waren sehr einflussreich in Europa (und Hayek später auch in USA in dem Kreis um Präsident G. W. Bush).

Nach dem 2. Weltkrieg führte ein Konsens zwischen der Rolle des Marktes und des Staates zu der wirtschaftlichen Blüte. Diese wurde ab 1975 von Thatcher, Reagan, Giscard d`Estaing, Kohl, Schröder und Merkel zerstört.

Was haben wir daraus gelernt?

Die enorme Einkommensverteilung nach ganz oben (und nun auch die erbärmliche Handhabung der „Finanzkrise“) hat unsere Gesellschaft gespalten. So konnten Angst und Misstrauen an die Stelle von gegenseitigem Vertrauen treten, ein Vertrauen, das wir bräuchten, um die Politik gemeinsam zum Besseren zu wenden.

Schlimmer noch: Wir befinden uns in einem demokratischen Defizit, weil die Menschen dem politischen Bereich überhaupt nicht mehr zutrauen, sozial-ökologische Vorschläge umzusetzen.

T. Judt jedoch ermutigt uns, indem er uns an die Wende von 1989 erinnert. Unsere Stärke sei, zu opponieren, Neues zu wagen, Bescheidenheit und Kleinmut aufzugeben, unseren Zorn umzusetzen in eine neue öffentliche Debatte des Sozialen und der unentbehrlichen Rolle des Saates dabei.

Die Soziale Frage neu angehen

Ein doppeltes Dilemma: Einerseits können (und sollten) wir der neuen Armut nicht durch Almosen begegnen, andererseits müssen wir im Westen eine Wissensgesellschaft werden, um im Globalen bestehen zu können. Daher ist es unabdingbar darüber nachzudenken, unter welchen Bedingungen wir leben wollen. Die Aufklärung hatte die klassischen moralischen Kategorien zur politischen Anwendung gebracht. Jetzt müssen wir selber einen (moralischen) Wertemaßstab für das Ringen um politische Alternativen entwickeln.

Das Wichtigste ist, die Ungleichheit zu überwinden. Die größte Bedrohung für die Gesundheit einer Demokratie ist, wenn die Menschen sich voneinander absetzen, anstatt miteinander den Sinn für das allgemeine Wohl zu schärfen. Ungleichheit ist gesellschaftlich ineffizient!

Das von Vielen geäußerte Vorurteil, die Globalisierung führe per se zu höherem Wohlstand weltweit, ist falsch. Selbst in Indien haben nur 3,3 Promill der Beschäftigten Arbeit in der New Economy gefunden. Und Billiglohn führt zu schlimmer Arbeitsqualität (siehe in Asien).

Wir sollten gelernt haben, dass politische Entscheidungen von uns selber national getroffen werden. Also müssen wir ...

Den Staat neu denken

Zwei Voraussetzungen:

1. Der Staat darf nicht Zwang ausüben, anstatt eine effiziente Mitsprache zu gewähren.

2. Gerechte und ausreichende Steuern sollten dem Staat den benötigten Spielraum für sinnvolle Maßnahmen geben.

Ein Charakteristikum der westlichen Demokratien sind gegenwärtig Angst und Unsicherheit: Terrorismus, Klimaveränderung, Arbeits- und Einkommensverlust, Ohnmacht der Regierungen, mit den Problemen fertig zu werden. Wie wird die Welt aussehen, die wir unseren Nachkommen übergeben? Dies Alles erzeugt ein Klima, das chauvinistische Politiker allzu gern für ihre Machtbestrebungen ausnutzen.

Obwohl die gegenwärtige Linke versagt hat: Eine Soziale Demokratie ist das Beste, das wir anstreben können und sollten, und dies muss eine mutige und risikobereite sein, denn sie muss Neues versuchen, ohne das aufzugeben, was wert  ist  bewahrt zu werden.

Die Soziale Demokratie basiert auf der Idee der Gleichheit und ist streng zu unterscheiden vom Sozialismus, der für Viele ein Schreckensbild ist (besonders eindeutig in USA).

Unsere schwierige Aufgabe ist also, die Soziale Demokratie national in kleinen Schritten aufzubauen, und das unter Wahrung der internationalen Vereinbarungen.

T. Judt schließt mit dem Appell:

Lasst uns die Welt nicht bloß interpretieren, lasst uns die Welt verändern!

Tomas Martin