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5. Mai 2013 - Luz Maria de Stefano de Lenkait:

Vor 10 Jahren überfielen die USA in enger Abstimmung mit Großbritannien und mit ihren willigen Verbündeten den Irak, jetzt haben wir die andauernde Syrien-Krise, Anlass zu folgender Stellungnahme zum

Irak-Krieg vor 10 Jahren,

Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 3.5.2013:
"Versöhnung ausgeschlossen - Sunniten gegen Schiiten, 300 Tote in einer Woche.
Der Irak rutscht immer weiter in Richtung Bürgerkrieg"
von Tomas Avenarius

Universelle Gerichtsbarkeit für Menschenrechtsverbrechen
- Überfall auf den Irak vor 10 Jahren
noch ohne Konsequenzen für die Verantwortlichen

Die Öffentlichkeit erlebt eine totale politische Publizität über eine imaginäre Gefahr, die angeblich von einem schiitischen Iran, Irak, Syrien und der libanesischen Hisbollah ausgehen würde, eine Ansammlung von Ländern, die erst einmal nur geografisch zusammenhängen, nämlich optisch auf der Landkarte und dabei in ihren Konturen zusammen an einen Halbmond erinnern - wie passend, ein Symbol des Islam. Das reicht, um daraus einen Medien-Hype zu fabrizieren. Demnach würde dieser Halbmond versuchen, das sunnitische System zu destabilisieren, würde den Terrorismus praktizieren, getrieben durch den Willen, den Staat Israels abzuschaffen.

Niemand will sich offenbar daran erinnern, dass die Konversion eines Teils der Perser zum schiitischen Islam lediglich im 16. Jahrhundert erfolgte, und dass sie durch die Dynastie der Safavidas ermutigt wurde, um so am besten der osmanischen Expansion entgegenzutreten. Die Medien ignorieren oder ersinnen zu ignorieren, dass der Iran immer eine wichtige regionale Macht war und das aktuelle Regime nur in neuen Amtskleidern dieselbe Politik der Pracht und Erhabenheit des Schahs weiterführt, der als Gendarm am Golf fungierte und der jedenfalls starke nukleare Ambitionen hatte, die damals durch Frankreich gefördert wurden. Trotz aller dieser profanen historischen Daten, die jedem Laien zugänglich sind, wird der Mittlere Osten vorläufig gemäß der simplen Schablone von "Sunniten und Schiiten" analysiert.

Hisbollah wird einfach für ein nützliches Instrument des Irans gehalten. Man unterschlägt dabei, dass diese Partei als Folge der israelischen Besatzung zwischen 1978 und 2000 entstand, eine Besatzung eines breiten südlichen Landesteils, der mehrheitlich von Schiiten bevölkert war. Die israelische Okkupation hätte sicherlich ohne den ungestümen heftigen Widerstand der Hisbollah lange gedauert. In diesem Zusammenhang ist die jüngste Meldung aus dem Hisbollah-Sender Al-Manar zu begreifen: "Es sei <normal> dass seine Bewegung in dieser Situation die syrische Armee und regierungstreue Milizen unterstütze. Der Hisbollah-Anführer Hassan Nasrallah betonte, sowohl die Hisbollah als auch Iran stünden fest zu Assad. Syrien habe "echte Freunde, die es nicht erlauben werden, dass das Land in die Hände der USA oder Israels fällt." (SZ vom 2.5.2013) . 

Was Hamas betrifft, werden Unterdrückung und sozioökonomische Marginalität der Palästinenser verschwiegen. Die Ambition der Weltmacht USA und ihrer Vasallen im Konflikt mit den Bewohnern und ihrer Staaten im Nahen und Mittleren Osten werden ausgeblendet. Befangen in einer Propaganda-Schablone, die noch durch die vereinfachende bequeme Gedankenlosigkeit gefördert wird und zudem einer gewissen Seite der gezielten Meinungsmache dient, läuft alles darauf hinaus, Konflikte in Kategorien von guten und bösen Mächten zu betrachten. Damit aber verfallen Journalisten, politische Publizisten, aber auch Politiker wie sogar einige SPD-Grüne in gedankenlose Barbarei. Gesellschaften mit anderen Ansichten und Verhaltensweisen verunsichern und irritieren solche Redaktionen, Publizisten und Politiker, die andersartige Gesellschaften und Staaten deshalb mit leeren "kulturellen" Stereotypen und oberflächlichen Allgemeinplätzen belegen, anstatt darauf zu achten, dass solche orientalischen Gesellschaften seit Jahrhunderten in einer starken sozio-ökonomischen und kulturellen Verflechtung leben.

Die individualistischen demokratischen Werte, die der Westen zu verkörpern beansprucht, sind unvereinbar mit den patriarchalischen Werten, die sich andernorts wie teilweise im Nahen und Mittleren am Zusammenhalt von Großfamilien, ihrer regionalen Vernetzung und gegenseitiger Hilfe orientieren. Große europäische Soziologen hatten schon eingeschätzt, dass die Gesellschaften, die zum Beispiel vom Buddhismus geprägt wurden, niemals in den industriellen Kapitalismus einsteigen würden, der auf den anscheinend sehr spezifischen Werten des christlich-protestantisch geprägten Kapitalismus beruht.

Auch die palästinensische Sache wird nicht als ein nationaler Befreiungskrieg wahrgenommen, die durch die Schaffung eines einziges Landes sich hätte lösen können, eines Landes, wo Juden, Christen und Moslems auf derselben Gleichheitsbasis leben würden, so wie es schon vor langem die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) proklamierte. Die berühmte Rede von Yassir Arafat vor der UN-Vollversammlung 1974 ist diesbezüglich besonders aufklärerisch. Aber sie ist von der medialen Gedankenlosigkeit und aufgrund der auf sie Einfluss nehmenden Kreise nicht berücksichtigt worden. Der offene Vorschlag von Yassir Arafat wird durch die mediale Einfalt und die gewollte Propaganda-Linie als eine arabisch-muslimische Ablehnung dargestellt, die zur jüdischen Präsenz in Palästina opponiert und infolgedessen ein Signal eines andauernden Antisemitismus sei, was zu bestrafen ist.

Jedoch genügt schon ein wenig Common Sense, ein wenig gesunder Menschenverstand, um zu begreifen, dass der Widerstand genauso dezidiert und gewaltsam erfolgt wäre, wäre Palästina nicht durch Islam-Gläubige sondern durch Buddhisten durchdrungen und würde die post-osmanische Türkei es wieder erobern wollen.

Können die Konflikte in allen diesen Regionen wirklich als Zusammenstoß von religiösen Werten wahrgenommen werden? Es lässt sich ständig beobachten, wie die führenden Medien den Anspruch einiger Staaten kritiklos reproduzieren, sich in Sprachrohre transnationaler Religionen verwandeln, insbesondere was die drei monotheistischen Religionen betrifft: Judaismus, Christianismus und Islam. Diese Staaten bemächtigen sich der Religion als Werkzeug, um sie in den Dienst ihrer Macht-, Einfluss- und Expansionspolitik zu stellen. Sie rechtfertigen so die fehlende Anwendung der großen von den Vereinten Nationen definierten Menschenrechtsgrundsätze, indem der Westen die andauernde Okkupation der palästinensischen Territorien seit 1967 de facto akzeptiert, und indem einige moslemischen Mächte Geißelungen akzeptieren.

Sanktionen werden diskriminierend eingesetzt, abgesehen davon dass sie sowieso gegen das internationale Recht verstoßen: Es gibt einerseits harte Bestrafungen, die von der sogenannten "internationalen Gemeinschaft" durchgesetzt werden, einer Handvoll Staaten mit viel Macht, wie in den Fällen Irak, Iran, Libyen und Serbien und andererseits die totale Abwesenheit solcher Strafmaßnahmen. Ja in anderen Fällen gibt es nicht einmal einen simplen Verweis wie bei der israelischen Besatzung, bei den Aggressionen von einigen westlichen Staaten, beim Gefängnissystem in Guantánamo und hinsichtlich des Zerfalls des demokratischen Rechtssystems in den USA.

Der Artikel von Tomas Avenarius „Versöhnung ausgeschlossen" (SZ, 3.5.2013 ) geht nicht auf den Grund der Katastrophe im Irak ein, nämlich auf ihren Ursprung, das Verbrechen einer unzulässigen Aggression und Besatzung. Diese Ursache lässt Avenarius völlig außer Acht, während er sich lediglich den Konsequenzen, der Folgen eines solchen ursprünglichen Verbrechens widmet, die aktuelle katastrophale Lage im Irak. Gerade auf diese fehlende mediale Einsicht macht uns Joachim Guilliard in seinem Artikel "Gezielte Zerstörung" (Junge Welt, 29.4.2013 ) aufmerksam und bringt die mediale Verblendung und Barbarei auf den Punkt in Bezug auf die große Aggression des Westens im letzten Jahrzehnt des barbarischen 20. Jahrhundert, der US-Krieg gegen Irak 2003:

<< Dieser fortwährende Niedergang wird im Westen weitgehend ignoriert. Washington und London seien zudem eifrig bemüht, die überwältigenden Beweise dafür herunterzuspielen, dass ihre Invasion eines der dysfunktionalsten und betrügerischsten Regime geschaffen habe, stellte Patrick Cockburn fest, der Nahostexperte der britischen Tageszeitung Independent. So schlimm die Situation aktuell ist, so kann sie bald noch wesentlich schlechter werden, befürchtet der ausgezeichnete Kenner des Landes. ...  

Zwar spielten Unfähigkeit, Überheblichkeit und Ignoranz sicherlich auch eine Rolle. Aber die katastrophale Entwicklung ist in erster Linie jedoch die Folge einer Eroberungs- und Besatzungspolitik, für die Stabilisierung und Demokratisierung keine Priorität hatte... Ziel war vor allem die nachhaltige Zerstörung einer Regionalmacht und die permanente Stationierung eigener Truppen - als Ausgangsbasis für die Umgestaltung bzw. Unterwerfung der gesamten Region. ... Die umfassende Zersetzung der einheitlichen Kultur unter der Besatzung und den Ausbruch sektiererischen Feindseligkeiten, die es zuvor nie gab, fasst der ehemalige UN-Koordinator für die humanitäre Hilfe in Irak, Hans von Sponeck, zusammen.

Im Unterschied zum Vietnam-Krieg hatte der Überfall auf den Irak keinerlei Konsequenzen für die Verantwortlichen. Die großen Medien hatten den Krieg unterstützt und möchten ihn nun am liebsten vergessen lassen. Die verantwortlichen Politiker müssen daher nicht einmal um ihr Ansehen fürchten. Viele sind noch voll im Geschäft und gefragte Gesprächspartner, wenn es um die US-Politik gegenüber Korea, Syrien oder Iran geht. In Europa ist die Situation kaum anders.

Dabei sind die Besatzungsverbrechen sehr gut dokumentiert. Zahlreiche Menschenrechts-, Friedens- und Solidaritätsorganisationen, Anwaltvereine und Parteien, Politiker, Juristen, Wissenschaftler, Journalisten und andere Aktivisten sammelten Beweise und führten weltweit Tribunale „von unten“ durch. Die umfassendsten waren das Welttribunal 2005 in Istanbul und die Kriegsverbrechertribunale im November 2011 und Mai 2012 in Kuala Lumpur... Die Ergebnisse der Tribunale gingen u.a. auch an den UN-Menschenrechtsrat und den Internationalen Strafgerichtshof - bisher ohne greifbare Resultate. Die beharrliche Arbeit von Gruppen wie die belgische Brussells-Tribunal-Initiative und die Klagen von Anwaltsvereinigungen vor nationalen Gerichten in Staaten, in denen dies im Rahmen universeller Gerichtsbarkeit für Menschenrechtsverbrechen möglich ist, sorgen... dafür, dass das Thema wenigstens auf der Agenda bleibt. Dies ist bitter nötig. Die absolute Immunität, nicht nur in strafrechtlicher Hinsicht, sondern auch in Bezug auf gesellschaftliche Reputation, ebnete schließlich den Weg zu weiteren Aggressionen... Mit dem Überfall auf Libyen 2011 zerschlug ein von den USA, Frankreich und Großbritannien geführtes Kriegsbündnis den Staat Nordafrikas mit dem höchsten Lebensstandard. Aktuell droht die Intervention der NATO in Syrien, den letzten säkularen arabischen Staat ebenso in den Abgrund zu stürzen wie den benachbarten Irak. >> Soweit auszugsweise aus Joachim Guillards Ausführungen. 

Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait