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Wir haben eine aufrichtige Mitstreiterin verloren

Nachruf auf Maria Mies, Gründungsmitglied von Attac

Maria Mies hatte ihren Durchbruch als Wissenschaftlerin durch ihre Beteiligung an der Entwicklung der Subsistenztheorie längst gehabt, sie hatte als Lehrende schon zahllose zukünftige Sozialpädagog*innen geprägt und war in der linken, feministischen, emanzipatorischen Bewegung bereits eine feste Größe, als die Entwicklungen begannen, die später zumindest teilweise in die Gründung von Attac eingeflossen sind.

Insbesondere beim Widerstand gegen die Verabschiedung eines „Multilateralen Investitionsabkommens – MAI“ war sie eine wichtige Person zur Vermittlung des Themas ins linksgrüne und linksradikale Milieu, das damals noch nicht eindeutig getrennt war, auch wenn auf allen Seiten viele das anders sahen. Diese Bewegung setzte Themen der Globalisierungskritik erstmals breit sichtbar auf die politische Tagesordnung, die vorher ein Schattendasein gefristet hatten. Das von Maria wesentlich inspirierte „Komitee Widerstand gegen das MAI“ war selbstverständlich auch bei den Protestaktionen anlässlich von EU- und G8-Gipfel in Köln im Frühjahr 1999 beteiligt. Aus MAI- und Gipfelprotesten kamen viele derjenigen, die dann die Initiative zur Gründung von Attac auch in Deutschland ergriffen. Die Geschichte von Maria Mies mit Attac beginnt also, ebenso wie die mancher anderer, schon vor dem Anfang von Attac.

Die Phase, in der das „Netzwerk zur demokratischen Kontrolle der internationalen Finanzmärkte“ im Wesentlichen ein Bündnis zahlreicher Nichtregierungsorganisationen war, interessierte Maria nicht sonderlich, war doch Organisationsbildung nicht so sehr ihr Ding. Aber spätestens, als im Sommer 2001 sichtbar wurde, dass hier eine lebendige politische Bewegung entstehen könnte, mischte sie auch praktisch mit, einige Jahre auch als Mitglied im bundesweiten Koordinierungskreis.

Dabei war Attac für sie, wie für sehr viele von uns, damals alles andere als eine feste Organisation oder gar ein identitätsbildendes Projekt, sondern ein Instrument, ein Werkzeug, das man nutzen konnte, um erfolgreicher die Themen der emanzipatorischen Bewegungen in die Öffentlichkeit zu tragen oder vielleicht sogar Forderungen durchzusetzen. Logiken des Selbsterhalts der Organisation waren ihr völlig fremd, im Gegenteil, dort, wo sie es für nötig hielt, trat sie solchen Tendenzen aktiv entgegen. Der rebellische Gestus blieb ihr auch im eigenen „Laden“ erhalten. Das hat mehr als eine Kokreissitzung geprägt und mehr als einmal hat Maria als einzige Positionen eingenommen, die alle anderen nicht teilten. Längst nicht immer erwies sich das im Nachhinein als falsch, auch wenn es fast immer anstrengend war. Aber wahrscheinlich muss ehrliches und leidenschaftliches politisches Engagement auch anstrengend sein. Dabei waren Maria die Strukturen von Attac keineswegs egal, aber ihr war ihre Offenheit für Einflüsse aus den Bewegungen wichtiger als Regeln, auch dann, wenn wir sie uns selbst gegeben hatten.

Thematisch hat sie Spuren in vielen Bereichen hinterlassen. Das Freihandelsthema, das ja schon beim MAI gesetzt worden war, blieb eines ihrer zentralen Anliegen. Die Beschäftigung mit dem Allgemeinen Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen wurde von ihr ganz stark eingefordert und in der „Stopp GATS“-Kampagne ja auch institutionalisiert. Konzernkritik ergibt sich von hieraus fast von selbst, ebenso wie der Widerstand gegen die Kommodifizierung der öffentlichen Daseinsvorsorge.

Feminismus, von Anfang an eine ihrer stärksten politischen Prägungen, musste aus ihrer Sicht auch in Attac einen Rahmen haben, weshalb sie den ersten Attac-Kongress im Oktober 2001 in Berlin nutzte, um gemeinsam mit vielen Frauen „FeminstAttac“ (das erst später so hieß) aus der Taufe zu heben – in der für sie typischen Art nicht dergestalt, dass eine von ihnen zum Mikro ging und die Gründung verkündete oder gar „beantragt“ hätte, sondern indem sich zahlreiche Frauen auf die Bühne setzen und sagten, sie seien das nun.

Je mehr sich Attac als Organisation etablierte, mehr den eigenen Regeln, Beschlüssen und Organisationslogiken folgte als den Dynamiken der Bewegungen, desto weniger beteiligte sich Maria an seiner Gestaltung. Sie blieb präsent, diskutierte an zentralen Stellen mit, hielt bei zahlreichen lokalen Gruppen Vorträge, war gut vernetzt in bundesweiten AGen und Arbeitszusammenhängen, engagierte sich aber nicht mehr in den formalen Strukturen.

Aber Attac hatte sich verändert, um fortan gleich bleiben zu können. Sie war sich gleich geblieben, um sich weiterhin verändern zu können. Das war ihr Markenzeichen. Die brennende Internationalistin, die an vielen Orten der Welt aktiv war, das In-der-Welt-Sein vieler Menschen äußerst ernst nahm, dessen und deren Diversität ganz ausdrücklich betonte, unter anderem als Aktivistin von „Diverse Women for Diversity“, sprach die Sprache ihres bei ihrer Geburt etwa 200, heute nur noch etwa 150 Einwohner*innen zählenden Eifeldorfes Auel, wenn sich die Gelegenheit ergab, immer noch aktiv. Dabei erzählen sich die Leute in der Eifel seit Generationen, dass die, die weggehen, ihre Sprache verlieren, damit sie die neue, die feine, die „hochdeutsche“, gewinnen können. Maria hat immer dazugewonnen, ohne das Alte zu verlieren.