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„Stromnetze in Bürgerhand“ am 6.10.2011

Am 6.10. informierten sich zahlreiche Siegener Bürger auf einer Podiumsdiskussion über die Zukunft des Niederspannungsstromnetzes und Siegener Versorgungsbetriebe. Es diskutierten:

  • Herr Reinhold Baumeister - Kämmerer der Stadt Siegen
  • Herr Joachim Boller - stellv. Fraktionsvors. Grüne/Aufsichtsratsmitglied SVB
  • Frau Ute Höpfner - Diezemann – Fraktionsvors. CDU/ Aufsichtsratsmitglied SVB
  • Herr Torsten Schwarz - Geschäftsführer der KommunalPartner Beteiligungsgesellschaft mbH & Co KG
  • Frau Tanja Wagener – Fraktionsvorstandsmitglied der SPD-Fraktion Siegen
  • Herr Michael Wübbles - stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Kommunalen Unternehmer und Leiter der Abteilung Energiewirtschaft

Veranstalter waren Attac Siegen, BUND Siegen-Wittgenstein, Bündnis f. d. Atomausstieg-Siegerland, Greenpeace Siegen, NABU Siegen-Wittgenstein.

Herr Wübbels betonte, dass gerade jetzt die Chance für die Stadt besteht, durch die zurzeit überall bundesweit auslaufenden Konzessionsverträge, das örtliche Stromnetz vom privaten Energieversorger zurückzukaufen. Dies hat häufig wirtschaftliche Vorteile, da die Gewinne aus dem Netzbetrieb dann der Stadt zufließen. Darüber hinaus bestehen Möglichkeiten, die Energiewende zu beschleunigen, indem die Stadtwerke zum Produzenten erneuerbarer Energien werden und ihre Bürger in Bezug auf das Energiesparen zu beraten und zu unterstützen. Die Übernahme des Stromnetzes muss gut überlegt und sorgfältig durchgerechnet werden. Nachdem der Verband kommunaler Unternehmen 50 Städte bei der Gründung neuer Stadtwerke und 800 Städte bei der Übernahme von Netzen in bestehenden Stadtwerken begleitet hat, ist deutlich geworden, dass es sich fast immer wirtschaftlich lohnt.

Nach Meinung von Frau Höpfer-Diezemann besteht Übereinstimmung darin, dass es für die Energiewende sinnvoll sei, dass die Stadt das Stromnetz wieder übernimmt – strittig sei jedoch der geeignete Zeitpunkt für die Übernahme. Wegen der Schwierigkeiten bei der Festlegung des Kaufpreises, sei der Zeitpunkt in 10 Jahren günstiger, um finanzielle Risiken zu vermeiden und in dieser Zeit die Siegener Versorgungsbetriebe auf die Übernahme vorzubereiten.

Frau Wagner ergänzte, dass das finanzielle Risiko einer sofortigen Übernahme nicht mit dem Nothaushalt der Stadt Siegen vereinbar wäre und sieht deshalb in 10 Jahren einen geeigneteren Zeitpunkt für die Übernahme.

In der Energiewende sieht Joachim Boller ein zentrales Zukunftsthema. Diese Wende könnte durch die Stromnetzübernahme wesentlich erleichtert werden. Die Stromversorgung sei ein Teil der Daseinsfürsorge und gehöre daher nicht in die Hände eines Konzerns, der ausschließlich den Gewinnen seiner Aktionäre verpflichtet ist. Die Siegener Versorgungsbetriebe sind eigentlich nur ein Dreiviertelstadtwerk, weil etwa 25 % der Anteile der RHENAG (einer RWE-Tochter) gehören. Sein Ziel ist, dass daraus ein reines kommunales Unternehmen wird. Da die Nutzungsentgelte für das Netz laut Regulierungsbehörde mit 7-9 % verzinst werden können, ist eine Kreditfinanzierung möglich.

Herr Baumeister wies daraufhin, dass es sich um ein sehr komplexes Thema handele, mit dem die Verwaltung nur alle 20 Jahre umgehen müsse. Aus diesem Grund hat man externe Experten hinzugezogen: Sowohl die Stadt als auch die Siegener Versorgungsbetriebe haben jeweils eine Machbarkeitsstudie bzw. Wirtschaftlichkeitsbetrachtung erstellen lassen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen teilte er den Zuhörern jedoch nicht mit, sondern verwies auf eine Ermittlung des Bayerischen Städte- und Gemeindetages, nach der bei bisherigen Netzübernahmen in Deutschland Kosten von 400 bis 600 € pro Einwohner entstanden seien (das wären für die Stadt Siegen 40 bis 60 Millionen Euro). Hinzu käme, dass man für den Ankauf der Netze 40% Eigenkapital benötige. Das Betreiben der Netze könne nur einen geringen Beitrag für die Energiewende leisten, weil er den Strom sämtlicher Anbieter ohne Unterschiede durchleiten müsse. So könne man die 10 Jahre nutzen, um die SVB auf diese Herkulesarbeit vorzubereiten.

Für Herrn Schwarz kann die Lösung der Energieprobleme nur eine dezentrale sein, d.h. dass die Energie an vielen Orten verteilt erzeugt wird und nicht nur in Großkraftwerken. Dafür ist das Stromnetz von großer Bedeutung, weil es die Schnittstelle zwischen den dezentralen Stromerzeugern und den Stromverbrauchern ist, was den Erzeuger abhängig vom Netzbetreiber macht. Die Verteilungsnetze sind dabei noch wichtiger als die großen Überlandleitungen, weil sie als intelligente Netze dazu beitragen können, dass die erneuerbaren Energien effizienter genutzt werden können. Wichtig sei es dabei immer, gründlich die Kosten und Risiken abzuwägen und nach dieser Analyse würde man sich in 90% der Fälle für den Rückkauf der Netze entscheiden.

Nach Ansicht von Herrn Baumeister hat die Stadt Siegen in den vergangenen Jahren in verschiedene Maßnahmen investiert (energetische Sanierung, Kraft-Wärme-Kopplung u.ä.). Er fragte, ob es nicht sinnvoller sei, die begrenzten öffentlichen Finanzmittel für diese wirksamen Umweltschutzmaßnahmen einzusetzen als in eine Risikoinvestition zu gehen, deren umwelt- und energiepolistische Bedeutung äußerst zweifelhaft sei. Von den sechs Bewerbern um die Übernahme der Stromnetze war nur RWE bereit, sich auf einen 10-Jahres-Zeitraum einzulassen und es wäre nicht möglich gewesen, einen für die Stadt Siegen finanziell günstigen Netzvertrag für eine Laufzeit von nur zwei bis drei Jahren auszuhandeln.

Herr Schwarz hält es für eine gute Strategie, einen Vertrag mit einer Laufzeit von zwei bis drei Jahre mit dem bisherigen Betreiber abzuschließen, in dem der Ertragswert als Verkaufspreis festgelegt wird. Zehn Jahre sind dafür nicht erforderlich, denn in einigen Städten in NRW war RWE auch bereit, deutlich kürzeren Laufzeiten – zwei bis fünf Jahre – zuzustimmen. Während Herr Schwarz aus eigener Erfahrung von ein bis zwei Jahren für die gerichtliche Einigung über den Kaufpreis ausging, war Herr Baumeister der Ansicht, dass dies unüberschaubar lange dauern würde.

Für Herrn Wübbels ist bei der Konzessionsneuvergabe die Stadt bei den Verhandlungen eindeutig in der stärkeren Position. Wenn die Stadt darauf bestehen würde, einen kürzeren Vertrag abzuschließen, würde RWE darauf eingehen müssen – wie sich schon mehrfach gezeigt hat. Da die Stadt Siegen durch die Siegener Versorgungsbetriebe schon gute Voraussetzungen für eine schnelle Übernahme des Stromnetzes hat, seien zehn Jahre sehr lang. Kaum eine Netzübernahme ist ohne Gerichtsentscheidung ausgekommen, weil der Stromkonzern für seine Aktionäre einen möglichst hohen Erlös, die Stadt Siegen für ihre Bürger einen möglichst niedrigen Kaufpreis erreichen will. Die bisherigen Gerichtsurteile, auch vom Bundesgerichtshof, haben dabei zu einem für die Kommune wirtschaftlich vertretbaren Kaufpreis geführt. Es gibt eine Vielzahl von Finanzierungsmodellen, die es den Kommunen erlauben, den Kaufpreis aus den Netzentgelten zu tilgen.

Zu dem mehrfach von Herrn Baumeister geäußerten Risiko des Kaufpreises erläuterte Herr Schwarz seine praktische Erfahrung, dass man mit Erfolg auf die Herausgabe des Netzes zu einem bestimmten Preis klagen kann. Dieser Preis ist so niedrig, dass die Stadt durch den Netzbetrieb Gewinne erzielen kann.  <//span>Die von Herrn Baumeister oben vorgenommene Schätzung des voraussichtlichen Kaufpreises für das Siegener Netz aufgrund der Ermittlung des Bayerischen Städte- und Gemeindetages bezeichnete Herr Schwarz als „Murks“, da sie fachlich daneben sei.

Im Zusammenhang mit dem möglichen Kaufpreis und seiner wirtschaftlichen Bedeutung erklärte Herr Boller, dass dieses Thema im Aufsichtsrat der Siegener Versorgungsbetriebe anders diskutiert wurde, als Herr Baumeister berichtet hatte. Dort war nicht von 40-60 Millionen die Rede, sondern von einem Preis, bei dem der Wirtschaftsprüfer der SVB der Ansicht war, dass die Siegener Versorgungsbetriebe ihn ohne Erhöhung des Eigenkapitals und damit ohne eine Unterstützung durch die Stadt Siegen, bezahlen könnte und trotzdem noch Gewinne erzielen könnte.

Ein Gast aus dem Publikum bezweifelte, dass sich die Stadt Siegen tatsächlich darum bemüht habe, einen Rückkauf der Netze zu erreichen. Denn vor einem Jahr hatten sich 21 Kommunen aus dem Bereich Siegen-Wittgenstein versammelt, um zu beraten, wie man gemeinsam mit dem Auslaufen der Konzessionsverträge umgehen könne. Die Stadt Siegen hat sich an diesen Beratungen nicht beteiligt und hat durch diesen Alleingang ihre eigene Verhandlungsposition und die der anderen Kommunen geschwächt.

In seinem Schlusswort bekräftigte Herr Baumeister noch einmal seine Ansicht, dass die Stadt Siegen viel für den Umweltschutz getan habe und der Rückkauf der Netze zu riskant sei.