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22. Juni 2011 - Luz Maria de Stefano de Lenkait:

Neben Libyen kommt jetzt Syrien als Zielobjekt eines Regime-Wechsels im Sinne von US-Interessen an die Reihe, Anlass für folgende Stellungnahme zu Veröffentlichungen in der Süddeutschen Zeitung (SZ) vom 20.6.2011:

Kommentar von dbr (Daniel Brössler):
„Was Westerwelle zeigen muss“ und

SZ-Artikel von Reymer Klüver:
„Alle gegen Obama“

Naiv, ignorant oder gewissenlos?

Die jüngste Geschichte der Resolutionen des UN-Sicherheitsrats ist ausgesprochen ominös. Die Folge: Der Sicherheitsrat steht völlig de-legitimiert da. Seine Aufgabe, den Frieden zu bewahren, erfüllt er nicht mehr, ja, es gibt nicht einmal den Versuch dazu. Im Gegenteil. Seine Resolutionen funktionieren seit dem Irak-Krieg 1991 als Vorstufe für Aggression und Krieg und sind gegen Geist und Buchstabe der UN-Charta für den Krieg ausgelegt und eingesetzt worden. Mit anderen Worten, aus einem ohnehin undemokratischen Organ der Vereinten Nationen, wie sich aus seiner Zusammenstellung ergibt, ist sogar ein Organ zur Ermächtigung zum Kriegführen geworden. Der Sicherheitsrat erteilt vor fast jedem neuen US-Krieg ein Ermächtigungsgesetz in Form einer Resolution. Niemals tagt der UN-Sicherheitsrat hinsichtlich der flagranten Aggressionen der USA und anderer westlicher Mächte, wie es seine Pflicht wäre, um den Weltfrieden zu wahren. Die USA und andere westlichen Mächte haben wiederholt UN-Sicherheitsratsresolutionen mit Hinsicht auf ihre geplanten Aggressionen erarbeitet und beschließen lassen. Damit haben solche Mächte gegen ihre Pflichten als permanente Mitglieder des Sicherheitsrates verstoßen und die Funktion des UN-Sicherheitsrates verdreht und verhöhnt. Auf der Basis dieser faulen Resolutionen sorgen Mainstream-Medien und Meinungsmultiplikatoren („Spin-Doktoren“) für die Zustimmung der breiten Öffentlichkeit, d.h. Heerscharen von Journalisten, Mitarbeiter in Abgeordnetenbüros, in diversen Akademien, „Thinktanks“, Stiftungen und in anderen Organisationen, alle im Schlepptau der US-Interessen, sorgen für den öffentlichen Schein von Freiheit und Demokratie, der den US-Machthabern und ihren europäischen Vasallenstaaten so wichtig ist und verkaufen Aggression und Krieg als „legitim“. Und es funktioniert! Das ist schon seit dem Angriff auf den Irak 1991 zu beobachten.

Die NATO-Einsätze gegen Libyen erfolgen gegen das Regelwerk und Ziel der Vereinten Nationen und gegen den Willen der Menschheit. Libyen hat kein Land angegriffen. Es gefährdet nicht den Weltfrieden. Eine Resolution zum angeblichen Schutz der Menschen (17.3.2011) öffnete Tür und Tor für eine grausame NATO-Militäroperation, die eiskalt ununterbrochenen Bomben-Terror über Libyen bis auf den heutigen Tag fortsetzt. Nicht einmal der Aufruf des Papstes, der Vereinten Nationen und anderer Organisationen haben den NATO-Terror stoppen können. Durch das „Ermächtigungsgesetz zum Krieg“ des Sicherheitsrates fühlt sich der US-Präsident Obama sogar dazu legitimiert, den offiziellen Vorschlag aus Tripolis  zurückzuweisen, in Libyen international überwachte freie Wahlen durchzuführen. Westliche Mächte wollen ihre Vorstellungen mit allen ihren Machtmitteln in Libyen durchsetzen und ein Regimewechsel mit extremer Gewalt und Brutalität erreichen. Dazu haben sie sich in eine interne libysche Auseinandersetzung um die Macht an der Seite der Aufständischen gegen die offizielle libysche Regierung eingemischt. Damit werden weiterhin internationales Gesetz und Verfassung massiv unterlaufen.

Ein Rechtsbruch – ein Völkerrechtsbruch und ein Verfassungsbruch – begangen von einem wenig intelligenten Mann wie US-Präsident George W. Bush ist trotz aller vorhandener Berater eines US-Präsidenten vielleicht noch erklärbar. Schließlich hatte der Mann sogar Schwierigkeiten, sein Schulabschluss zu bekommen. Dagegen ist Präsident Barack Obama ein anderes Kaliber, ein Verfassungsprofessor und ein Völkerrechtler aus Harvard. Er trat Anfang 2009 das Amt des US-Präsidenten mit der Erklärung an, dass die Wiederherstellung des Rechts in den internationalen Beziehungen für die USA und für die Welt hohe Priorität habe. Deswegen ist es ein Rechtsbruch bei Obama unentschuldbar. Er trägt die volle Verantwortung dafür. Da er intelligent und hoch gebildet ist, ist ihm mehr Verantwortung zu zumuten als seinem erbärmlichen Vorgänger. Was ist los mit Barack Obama? Hat sich die Weltgemeinschaft in ihm so sehr getäuscht?

Wer ein souveränes Land regiert, ist keine Sache des Auslands, keine Sache von Fremdbestimmung, sondern allein eine Entscheidung des betroffenen Volkes. Zahlreiche Festlegungen im Völkerrecht verbieten ein militärisches Eingreifen von außen in die inneren Angelegenheiten eines Landes. Danach darf der UN-Sicherheitsrat „nur dann zu militärischen Mitteln greifen, wenn eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt“. (Art. 42 der UN-Charta). Die UN-Charta bezieht sich jedoch nicht auf innerstaatliche Revolten, auf Aufstände oder Putschversuche. Diese werden nach wie vor durch den Schutzmantel der Souveränität und Gestalt der Einmischungsverbots und der Garantie der territorialen Integrität abgeschirmt. Die richtige Auslegung der UN-Prinzipien ist auch in der UN-Charta festgelegt und zwar im Art.2, Absatz 7: „Aus dieser Charta kann eine Befugnis der Vereinten Nationen zum Eingreifen in Angelegenheiten, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören, oder eine Verpflichtung der Mitglieder, solche Angelegenheiten einer Regelung auf Grund dieser Charta zu unterwerfen, nicht abgeleitet werden“.

Diejenigen, die im Sicherheitsrat die Festlegungen der UN-Charta verletzt haben, nämlich an erster Stelle die USA, Frankreich, Großbritannien, müssen von der Weltöffentlichkeit an den Pranger gestellt werden. Da völkerrechtswidrig und von keiner UN-Resolution gerechtfertigt, darf ein durch westliche Aggressionen erzwungener Regimewechsel keineswegs weiter als normaler Vorgang oder als Gewohnheitsrecht akzeptiert werden.

Dieses Problem, das die Abschaffung des Völkerrecht mit sich bringt, hat der Präsident der „International Progress Organization“ in Wien, Professor Dr. Hans Köchler, in einem Brief und Memorandum vom 26.3.2011 an den Präsidenten des UN-Sicherheitsrats und die Vollversammlung thematisiert. Eine völkerrechtliche Bewertung der Sicherheitsratsresolutionen durch den Internationalen Gerichtshof ist dringend erforderlich. Daraufhin sollte die strafrechtliche Verfolgung von Personen, die sich in Deutschland und anderswo mutmaßlich des Aufstachelns zum Angriffskrieg, der Vorbereitung eines Angriffskrieges im Sinne des Strafgesetzbuchs im Zusammenhang mit dem Libyen-Krieg schuldig gemacht haben, effizient betrieben werden.

Was soll Daniel Brösslers Vorschlag, eine UN-Resolution für den Fall Syrien zu bekommen? Was soll seine Idee, der deutsche Außenminister müsse sich dazu einschalten? Welche Perfidie steckt hinter dieser seltsamen Vorstellung, die glücklicherweise vollkommen realitätsfremd ist? Alle Diplomaten, alle Politiker und Staatsmänner wissen, was Sicherheitsratsresolutionen heute bedeuten, wohin sie führen, wozu und von wem sie benötigt werden. Der größte Fehler Chinas und Russlands war es, sich nicht mit ihrem Veto der verheerenden Libyen-Resolution widersetzt zu haben. Diesen Fehler dürfen und werden Russland und China keineswegs noch einmal begehen. Der deutsche Außenminister ist sich dessen bewusst. Er muss sich so bald wie möglich von einer verbrecherischen Gemeinschaft distanzieren und mit ihr endgültig Schluss machen. Die militärische US-amerikanische Präsenz mit ihrem ganzen vernichtenden Instrumentarium muss auf deutschem, auf europäischem Boden verschwinden. Alle anständigen Politiker des Deutschen Bundestages sind zu diesem notwendigen existentiellen Schritt aufgerufen.

Gegenwärtig sind die USA in mindestens vier oder fünf bewaffnete Konflikte verwickelt, und das mit oder ohne Sicherheitsratsresolution: Irak, Afghanistan, Libyen, Jemen und Pakistan. Auf Pakistan und Jemen werden von unbemannten US-Drohnen Bomben über Wohnhäusern in Städten und Dörfern abgeworfen. Am Horizont der Menschheit zeigt sich keine friedliche Zukunft, sondern der Horror von USA- bzw. NATO-Kriegen, die möglicherweise sogar ausgeweitet werden. Die Welt folgt so den USA auf dem Weg in einen vorprogrammierten Dritten Weltkrieg. Und der UN-Sicherheitsrat bleibt untätig, paralysiert, kontrolliert von den barbarischen aktuellen Aggressoren und Verursachern von Tod und Verderben: die USA, Großbritannien und Frankreich. Ist Daniel Brössler so naiv, so ignorant oder gewissenlos, dass er jetzt nach allem, was geschehen ist, für eine UN-Resolution zu Syrien plädiert? Will er auch dorthin die verhängnisvolle westliche Aggression ausweiten? Schon mehrmals haben sich Sicherheitsrat-Resolutionen klar als Vorstufe für Aggression und Krieg erwiesen wie zuletzt die verheerende Resolution 1973 zu Libyen.

Die Friedenskräfte in den USA haben mehr denn je eine große Verantwortung dafür, den abenteuerlichen Kurs der Hochrüstung und des militärischen Interventionismus zu stoppen und die US-Regierung zu einer Wende zu veranlassen, nämlich zur Abrüstung. Dieser hohen Verantwortung müssen sie sich zunehmend stärker bewusst werden, denn die herrschenden Kreise der USA verlieren offenkundig das realistische Orientierungsvermögen. Das aggressive US-Verhalten überall auf der Welt, die zunehmende Militarisierung von Politik und Denken, die Missachtung der Interessen der anderen führen unvermeidlich zur moralischen und politischen Isolierung des US-amerikanischen Hegemons. Damit vertieft sich nur die schon bestehende Kluft zwischen ihm und der ganzen übrigen Menschheit. Werden von den USA alle Brücken zivilisierten internationalen Zusammenlebens gebrochen, bleibt zukünftig nur ihre vollständige Isolation.

Der SZ-Artikel von Reymer Klüver „Alle gegen Obama“ vom 20.6.2011 ist ein wertvoller Beitrag, um über diese wahnsinnige Realität aufzuklären: „In den USA wächst der Unmut darüber, dass das Land so viele Kriege führt. Der scheidende Verteidigungsminister Robert Gates, warnte in einem Interview mit der New York Times vor neuen kriegerischen Abenteuern. Gates hatte Präsident Obama auch von einer Intervention in Libyen abgeraten.“

Der US-Präsident versucht sich selbst und die amerikanische Öffentlichkeit durch seine einzigartige Vorstellung zu betrügen, es handelte sich bei dem Libyen-Konflikt gar nicht um einen richtigen Krieg. Das gab es in Deutschland schon einmal aus dem Mund eines anderen Zynikers und Betrügers. Zu Recht hat sich der amerikanische Kongress darüber empört. Sowohl das Pentagon, als auch das Justizministerium lehnen den merkwürdigen Standpunkt Obamas als unhaltbar ab. Eine angekündigte Gesetzesvorlage soll die Finanzmittel für den Libyen-Einsatz streichen. Daniel Brössler sollte den hervorragenden sachlichen Beitrag seines Kollegen Reymer Klüver aufmerksam lesen und endlich begreifen, dass die Zeit für US-Kriege vorbei ist. Glücklicherweise funktionieren dort noch die Institutionen und das common sense der Städte. Die Bürgermeister der wichtigsten Großstädte, allen voran Mike Bloomberg in New York, unterschreiben inzwischen einen Aufruf zu einem beschleunigten Ende des Engagements in Afghanistan. Eine aktuelle Bürgermeisterkonferenz der Vereinigten Staaten, an der rund 1200 Vertreter von US-Städten teilnehmen, verlangt ein rasches Ende der Kriege in Afghanistan und Irak. Der US-Kongress wird aufgerufen, die 126 Milliarden Dollar für die beiden Kriege pro Jahr künftig für dringend nötige Vorhaben in den USA zu verwenden. Ein ähnliches Vorhaben in Europa ist jetzt fällig. Wie lange sollen europäischen Städte zusehen, wie ihre Ressourcen in Kriege im Ausland verschwendet werden? Europa muss sich besinnen. NATO-Bomben zerstören alles, auch und vor allem die Psyche der Menschen.

Die Möglichkeit einer umfassenden politischen Lösung für Libyen, wie von Außenminister Guido Westerwelle, von Präsidenten, von China, Russland, und der Afrikanischen Union vorgeschlagen, bleibt von der größten Macht der Welt blockiert. Sie setzt sich mit der tauben Sprache der Gewalt durch: Mit der mörderischen und feigen Brutalität ihrer Waffen. Nicht allein der Irak, Serbien, Afghanistan und Libyen, sondern die Vereinten Nationen selbst wurden damit geschlagen. Die Weltstaatenmehrheit kann das nicht weiter dulden.

Den NATO-Terror zu stoppen, ist eine vollkommen vernünftige Haltung, deren Selbstverständlichkeit für normale unvoreingenommene Menschen indiskutabel ist. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind jetzt gefragt. Wo stehen sie, was tun sie im normalen menschlichen Sinn?

Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait