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29. Mai 2011 - Luz Maria de Stefano de Lenkait:

Wolfgang Ischinger, ehemaliger Diplomat und Jurist, gibt Anlass zu folgenden schwerwiegenden Einwänden hinsichtlich seines jüngsten Artikels in der Süddeutschen Zeitung zum Thema Beteiligung an einem internationalen Militäreinsatz, d.h. am Krieg führen,

im ZDF vom 26.5.2011, ca. 10 Uhr, und

in der Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 27.5.2011, Rubrik Außenansicht:
„Die Last der Verantwortung“ von Wolfgang Ischinger

Aufklärerisch wirken

Stefan Kornelius, leitender Redakteur  der Süddeutschen Zeitung (SZ), hat sich Rückendeckung gesucht, um mit seinem Plädoyer für den Einsatz militärischer Gewalt (SZ, 20.5.2011) nicht allein dazustehen, sondern zu zeigen, dass es ganz oben über ihm Machtstellen gibt, die für diesen Einsatz die Tür offen lassen wollen.

Warum ist Wolfgang Ischinger daran interessiert?

Er repräsentiert (SZ-Rubrik Außenansicht vom 27.5.2011: „Die Last der Verantwortung“ ) sicherlich bestimmte Kreise und bestimmte Interessen, die einfach zu erahnen sind. Realistisch und eindeutig hat sich deshalb Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt bei der Sendung Beckmann im ARD (2.5.2011) sehr zurückhaltend und misstrauisch erklärt, als der Moderator mit gezielter Insistenz versuchte, ihn zu einer vorprogrammierten Schlussfolgerung zu treiben. Helmut Schmidt hat sich nicht dahin treiben lassen. Im Gegenteil erklärte er ganz präzis, er würde sich niemals für militärische Interventionen entscheiden, aufgrund von UN-Resolutionen, die angeblich Menschenrechte schützen wollen, die aber von dominanten partikulären egoistischen Interessen verdreht werden, Interessen, die die Interventionen bestimmen.

Gerade diese Überlegung fehlt vollkommen bei den Förderern militärischer Gewalt wie Ischinger.   Sehen wir sorgfältig und systematisch seine Sicht der Dinge durch. Sein Ausgangspunkt ist die Beteiligung an einem internationalen Militäreinsatz, der dem Schutz von Menschen vor Massenverbrechen dienen soll. Dazu fordert er vier Kriterien oder Entscheidungsgrundlagen:

1. Ein Mandat, das den Einsatz rechtlich-politisch legitimiert, nämlich eine Autorisierung durch den UN-Sicherheitsrat, eine Autorisierung, die den Einsatz gegebenenfalls auch trotz Veto Russlands und Chinas als „unausweichlich“ darstellen lässt.
„Die Kosovo-Intervention 1999“ als „dramatisches Beispiel für diesen Notfall“ wird dafür von Ischinger herangezogen, wobei die Dreistigkeit und Arroganz der Macht erkennbar ist sowie ihre Unbelehrbarkeit.
Im Sicherheitsrat sitzen permanent außer Russland und China drei westlichen Mächte. Von diesen westlichen Mächten sind in den letzten Jahrzehnten fürchterliche Aggressionen und Kriege ausgegangen. Womit sollen gerade diese drei westlichen Mächte, einen militärischen Einsatz „legitimieren“ können gegenüber der Staatenmehrheit der Weltgemeinschaft (192 Nationen)?
Ausgerechnet aus dem UN-Sicherheitsrates westlichen Partikularismus ergibt sich besorgniserregend das, wovor der Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt warnte, nämlich partikuläre westliche Interessen durchsetzen zu wollen unter dem Vorwand „Schutz von Menschen“. Der UN-Sicherheitsrat kann keine Legitimation hergeben genauso wie eine Diktatur keine Legitimation hergeben kann. Der UN-Sicherheitsrat erscheint in den letzten Jahrzehnten immer unzuverlässiger und unkontrollierbarer. Dadurch verliert er weltweit an Vertrauen: Die letzten Kriege gehen alle auf sein Konto. Bei einem undemokratischen, unkontrollierbaren Organ ist keine Legitimation zu erkennen.
Die UN-Charta verbietet expressis verbis den Einsatz von Gewalt, militärische Gewalt eingeschlossen. Daraus folgt, dass alle UN-Resolutionen oder ihre Interpretation zum Krieg oder zur militärischen Intervention illegitim, völkerrechtswidrig sind.   Sollte das Ziel der Schutz von Menschen sein, kann man dieses Ziel gewiss nicht erreichen, indem man eine zerstörerische Maschinerie einsetzt, die Menschen morden und die Infrastruktur des Landes vernichtet. Gerade die NATO-Aggression gegen Irak, gegen Serbien und gegen Afghanistan demonstrierte dieses barbarische Verhalten.
Die UNO wurde nicht gegründet, damit die Großmächte die Weltordnung bestimmen. Im Gegenteil war daran gedacht, den Frieden in der Welt auf der Basis der Zusammenarbeit und Verständigung aller Länder zu fördern, ohne zwischen großen und kleinen Staaten zu unterscheiden. Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle spricht diesen wichtigen Standpunkt in seinem Interview mit Financial Times an (17.11.2010).
Eine Anomalie entgegen der Grundidee der Vereinten Nationen ergibt sich ausgerechnet aus dem UN-Sicherheitsrat, in dem ständige Mitglieder einen Monopoleinfluss ausüben. Zu den aller wichtigsten Aufgaben der UNO gehören die unablässigen Anstrengungen, das Leben auf der Erde zu bewahren. Aber jeder Staat verfolgt seine eigenen Interessen, und die UNO hat sich in eine Rennbahn verwandelt, wo die Großmächte ihren grenzenlosen Egoismus demonstrieren. Gerade im Sicherheitsrat, wo die großen NATO-Staaten Veto-Mitglieder sind.
Noch immer verbietet das geltende Völkerrecht und die UNO-Charta den Krieg bzw. den militärischen Einsatz als Mittel der Politik. Es ist deshalb völlig absurd und höhnisch zu erwarten, dass die Vereinten Nationen einen Krieg, eine militärische Intervention legitimieren könnten.Monströs ist die Vorstellung, die Vereinten Nationen könnten eine NATO-Intervention, d.h.einen Krieg, legitimieren oder führen unter dem Vorwand, „Menschen zu schützen“. Das wäre Grund genug, die Vereinten Nationen sofort als gescheiterte Weltfriedensorganisation abzuschaffen. Gerade die NATO hat die Vereinten Nationen durch ihre monopolistische Tätigkeit im Sicherheitsrat manipuliert und pervertiert. Es ist zu hoffen, dass Wolfgang Ischinger sich nicht im Dienst der US-Extremisten oder Neokonservativen benutzen lässt. Damit würde er seinem eigenem Land einen schlechten Dienst erweisen.  

2. Die Region, in der der Einsatz stattfinden soll, sollte diesen unterstützen.
Diese Forderung versucht das hässliche Gesicht des Interventen rein zu waschen und den Sachverhalt zu vertuschen, als ob man mit dem Segen des Angegriffenen angreifen können würde. Das wollte die NATO auch in Belgrad 1999 durch Erpressung erreichen. Ist das ein beispielhafter Vorgang für Wolfgang Ischinger und Co.? Dafür gab sich Joschka Fischer her als Marionette der NATO in unwürdiger Mission, und zwar besonders augenfällig geführt von den amerikanischen Ultras unter der Regie von Madeleine Albright. Vergebens. Das Staatsoberhaupt Serbiens beugte sich nicht. Daher die Bomben auf Belgrad genauso wie jetzt auf Libyen. Diese Vorgänge müssen Wachsamkeit in allen Regionen der Welt verursachen, damit sie sich auf Distanz des Westens halten und unter sich mit Ausschluss der USA Sicherheitsabkommen schließen und politisch regional enger zusammenrücken.  

3. Das klar definierte politische Ziel muss tatsächlich erreichbar sein mit den zur Verfügung stehenden Mitteln, einschließlich des militärischen Einsatzes.
So Ischinger. Dieses Kriterium ist das auffälligste von allen, das den enormen Irrsinn bloßstellt, Menschen mit dem Einsatz einer Vernichtungsmaschinerie schützen zu wollen. Ischinger ignoriert oder übersieht darüber nachzudenken, von welchen Mitteln er tatsächlich spricht. Welche militärischen Mitteln stehen heute den großen mächtigen Industrieländern zur Verfügung, die sich uneingeschränkt fühlen, militärisch im Ausland zu intervenieren? Die heutigen militärischen Mittel sind vernichtend und ausrottend für alles Leben. Sie sind deshalb von einer menschlichen, das Völkerrecht respektierenden Weltgesellschaft zu ächten. Diese Aufklärung im Regierungsmilieu und in der Öffentlichkeit ist dringend erforderlich, um die perverse Ungeheuerlichkeit zu entlarven, den Einsatz von Gewalt als notwendig und sogar als „moralisch“ zu rechtfertigen. Das Gegenteil ist feststellbar der Fall, wie zu viele NATO-Massaker es beweisen, auch auf europäischem Boden, wie in Jugoslawien 1999.
Zur Anwendung von Gewalt gilt die allgemein gebotene Verhältnismäßigkeit, und zwar für jede Person und für jede zivilisierte Nation. Daher auch die Genfer Konventionen.
„Zur Wahrnehmung internationaler Verantwortung“ wirkt die klare Äußerung von Kurt Biedenkopf im ZDF sehr aufklärerisch (26.5.2011, 10 Uhr): Er sprach von „Bescheidenheit“ in Bezug auf die Rolle der deutschen Republik. Als der Moderator diesen Begriff als „Machtlosigkeit“ missdeutete, reagierte Biedenkopf sofort und stellte die Sache richtig: So würde er es nicht nennen. Ein rechtmäßiger Staat müsse bescheiden handeln, d.h. innerhalb des Rahmens von Recht und Gesetz. Aktionen außerhalb dieses Rahmens seien zu vermeiden. Diese Aufklärung eines CDU-Politikers vom Kaliber Kurt Biedenkopf ist ein Denkanstoß für Politiker wie Wolfgang Ischinger und all diejenigen, die sich von seinen militaristischen „Entscheidungsgrundlagen“ beeindrucken lassen.   Ein Rätsel Ischingers ist, wen er mit „wir“ meint. Nach seiner Art zu Denken, ohne auf das Gesetz zu achten, kann man ahnen, dass es die Mächtigen sind, die für ihn zählen und mit denen er sich identifiziert, diejenigen, die sich über Recht und Gesetz stellen und anmaßend handeln. Daher seine vierte Forderung, die hinter allen anderen steckt und mit der er die Maske fallen lässt:

4. Den Einsatz müssen „wir“ aus deutschen und europäischen Interessen heraus begründen können.
Hiermit entlarvt Wolfgang Ischinger selbst die partikulären Interessen von zwei oder drei westlichen Mächten, die den Einsatz bestimmen und sich gezwungen sehen, ihn zu „legitimieren“. Gerade diese Forderung offenbart den vollkommenen Mangel an Legitimation. Rücksichtslos unterstützen US-Regierungen und ihre Vasallen-Regime in Europa Jahrzehnte lang ein Apartheid-Regime in Südafrika, organisieren kriminelle Militärputsche, um Regierungen, die ihnen nicht passen, gewaltsam zu stürzen, nahmen sogar die nukleare Zerstörung von Zentraleuropa im Kalten Krieg in Kauf, bereiten Kriege vor, wo es in ihrem Interesse erscheint, manipulieren Welt-Institutionen mit Erpressungen und Bestechungen wie vor beiden Irak-Kriegen 1991 und 2003, als ihr unverschämtes Korruptionsverhalten im UN-Sicherheitsrat bloßgestellt wurde. (Vor dem 1991-Irak-Krieg: diplomatische Falle, um Irak zum Einmarsch in Kuweit zu verführen und dann gekaufte PR-Kuweit-Show mit gelogenen Baby-Brutkasten-Horror; vor dem 2003-Irak-Krieg gefälschtes britisches Regierungsdossier, das von US-Außenminister Colin Powell am 5.5.2002 dem UN-Sicherheitsrat vorgelegt wurde).
Die US-Regierung kontrolliert die Weltöffentlichkeit mit Lügen, Manipulation und Desinformation, um die Wahrheit ihrer gewalttätigen Gangsterpolitik zu vertuschen. Doch mit ihrem Unilateralismus stoßen die USA weltweit auf Misskredit und zunehmenden Widerstand. Deswegen ist ein notwendiges Bremsen der hegemonialen US-Politik durch die UN-Vollversammlung und durch regionale Organisationen zu erwarten und zu begrüßen. Die Welt sehnt sich nach stabilen friedlichen Verhältnissen ohne rückständigen neokonservativen Extremismus à la Bush. Diese Regierung war die schlimmste für Amerikas Außenpolitik in der modernen Geschichte, wie in außenpolitischen Kreisen der Vereinigten Staaten inzwischen auch öffentlich anerkannt wird.
Die letzten Jahrzehnte erlebten das Versinken der USA und Teile Europas in Verhältnisse des Faschismus, und eine paralysierte Welt sieht ungläubig staunend zu. Europa ist immer noch nicht in der Lage, sich selbst aus diesen Unrechtszuständen zu befreien. Im Gegenteil hat es sich als US-Eskorte und Vasall betätigt.
Das Kriterium eines Wolfgang Ischingers ist eine plakative erbärmliche Demonstration dieses dekadenten Zustandes. Dieser Sumpf, dieser Bruch mit allem Recht und allen Normen zwischenstaatlicher Beziehungen machten die Regierung Bush zu einem Desaster. George W. Bush als Verdreher jeder Moral und als Rechtsbrecher wurde damit eine Gefahr für die Weltsicherheit. Aber der US-Industrie-Militärkomplex hat weiterhin seine Lobby unter den Neokonservativen in den USA und Europa, aber auch bei US-Demokraten und besonders auffällig und abstoßend bei deutschen Sozialdemokraten, Grünen und ihrem Umfeld. Das sind die Machtkreise, die die Welt in unsichere Verhältnisse immer noch weiter treiben.
Wolfgang Ischinger muss an die präzise nüchterne Feststellung des ehemaligen russischen Präsidenten Putin denken: "Die Welt ist durch Amerika unsicher geworden."
Vor dieser unangenehmen westlichen Realität ist die deutsche Öffentlichkeit blind, kopflos geblieben. Das Wort ist der Ausdruck von Ideen, von Konzepten und Prinzipien, die man hat. Ischingers Ausführungen sind der Vorlauf für mehr Gewalt und Zerstörung. Die Öffentlichkeit benötigt Mut und Realismus, um die internationalen Verhältnisse zu erfassen, sie festzustellen, um die Weltmacht-Gefahr bloß zu stellen. Überall, wo sie einmarschierte, hat sie nur Chaos und Zerstörung hinterlassen. Das Versagen der US-amerikanischen Außenpolitik stellt ein anschaulich abschreckendes Beispiel für Deutschland und Europa dar. Dagegen ist Deutschlands Position unter dem Vize-Kanzler Guido Westerwelle im vollen Einklang mit den UN-Grundsätzen und mit dem Grundgesetz, also mit seiner eigenen Verfassung, die mit der UN-Charta in Sachen Gewaltverzicht in den internationalen Beziehungen zusammenfällt.
Am Zustandekommen des Grundgesetz waren die USA beteiligt, als sie noch die Werte der Zivilisation glaubwürdig vertraten. Ein der perfidesten Versuche der heutigen USA besteht darin, das deutsche Grundgesetz pervertieren zu wollen genauso wie der Versuch der USA, die Vereinten Nationen zu korrumpieren und die UN-Charta für ihre Herrschaftsinteressen zu demontieren. Der Gipfel der Perversion ist von humanitärer Intervention zu sprechen und damit militärische Interventionen, nämlich modernes Instrumentarium der Vernichtung und Verwüstung zu meinen und zu benutzen.
Eines ist klar: Das gefährliche Problem USA bleibt auf der Tagesordnung; die neokonservativen Republikaner und einige wenige Ultras unter den Demokraten haben von Anfang an die notwendige außenpolitische Wende verhindert und wollen die dringende Wende, die US-Präsident Obama versucht zu schaffen, weiter verhindern. Keiner dieser rückständigen Leute hat jemals die amerikanische Außenpolitik auf der friedlichen Basis des Dialogs dargestellt. Niemals. Aber wer sich auf Gewalt setzt, sät überall Gewalt. Massenverbrechen verhindert man nicht durch noch größerer Massenverbrechen. Die Konsequenzen von solchen Fehlentscheidungen sind zu gravierend, zu kriminell, um nicht berücksichtigt zu werden.
Die Öffentlichkeit ist aufgerufen, sie zu benennen, wenn Korruption oder Gleichgültigkeit von Politiker es verhindern, dass es geschieht: Aufklärung über den Einsatz militärischer Gewalt ist dringend geboten.

Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait