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Gastronomicus – Alltagserlebnisse eines Gastronomen: Vier mal 12 Stunden sind ja auch eine 4- Tage-Woche – von Oliver Riek, Mitglied der NGG und der Tarifkommission

November 2022

Ich habe einen kurzen Artikel über die Nachteile und die Auswirkungen der Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes geschrieben. Ich denke, der lässt sich auch auf andere Branchen übertragen aber für mich ist der Fall ziemlich klar, dass die Flexibilisierung das Problem des Personal- und Fachkräftemangels nochmal verschärft!

Am 08.11. hat „wallstreet-online.de“ einen Artikel veröffentlich in welchem der DEHOGA- Präsident Guido Zöllick seine Forderung nach Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes erneuerte. Er wolle das Deutschland EU- Recht umsetze, dass statt einer Wochen- eine Tageshöchstarbeitszeit festlege. Demnach wäre es erlaubt bis zu 48 Stunden die Woche und bis zu 12 Stunden am Tag zu arbeiten. Nach Zöllick sei das gegenwärtige Arbeitszeitgesetz nach 50 Jahren überholt und nicht mehr zeitgemäß. Gerade in der Gastronomie müsse man flexibler handeln können weil zum Beispiel Hochzeiten und andere Veranstaltungen länger gingen oder Gäste im Sommer gerne länger auf der Terrasse sitzen wollten. Zu dem betonte Zöllick das eine Flexibilisierung nicht nur im Interesse der Betriebe und Gäste wäre, sondern auch im Interesse der Beschäftigten läge und sich so an der Lebensrealität orientieren würde. Stimmt das wirklich? Wir sähe die Flexibilisierung der Arbeitszeiten im Arbeitsalltag aus?

Die Diskussion um die Flexibilisierung ist nicht neu und rückte in den Fokus der Öffentlichkeit durch den Koalitionsvertrag der Ampel in welchem sich die FDP flankiert von der Union dafür aussprechen, während die SPD es den Sozialpartnern überlassen will, dafür oder dagegen zu stimmen. Soviel zur Theorie. In der Praxis würde man mit einem flexibeln Arbeitszeitmodel die Büchse der Pandora öffnen! Ein Beispiel: Ein Angestellter fängt um 10 Uhr mit seiner Schicht an. Er muss die Vorbereitungen für das Mittagsangebot machen, was sowohl den Service als auch die Küche in Anspruch nimmt. Sein Feierabend wäre 22 Uhr und das ist fast überall die Zeit, wo Restaurants noch gut gefüllte Gasträume haben. Zudem muss nachbereitet werden: Das Restaurant neu eindecken, Besteck/ Gläser polieren, Reinigungsarbeiten, abrechnen, umziehen und dann nach Hause. Obwohl Betriebe durch die Flexibilisierung von zwei Schichten auf eine oder anderthalb reduzieren können, verdoppelt sich annähernd das Arbeitspensum. Wo also früher vier Kellner in zwei Schichten arbeiteten (früh/ spät) sind es nun zwei Kellner die fast die gesamte Öffnungszeit arbeiten. Auf Grund des eklatanten Personalmangels ist es schon seit Jahren nicht mehr möglich ohne die Überschreitung des derzeitigen Arbeitszeitgesetzes das Pensum zu erfüllen. Und da Überstunden nur selten erstattet werden, können die Preise für die Gäste gering gehalten werden. Wir sind gar so weit, dass in Stellenanzeigen mit der Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen geworben wird. Will heißen: Im Idealfall, jedoch seltenst wird das gesetzliche Minimum eingehalten.
Um zum einen Personalkosten zu sparen und zum anderen dem Personalmangel entgegenzuwirken, soll in Zukunft erlaubt werden, was bisher verboten ist und dies geht einzig zu Lasten der jetzt schon hoffnungslos überlasteten Beschäftigten. Meine Befürchtung: Die Masse der Betriebe, die durch Corona, Krieg und Inflation Geld verloren und sich verschuldet haben, wollen so schnell es geht wieder auf Volllast arbeiten ohne verkürzte Öffnungszeiten und ohne auf Gäste durch weniger Plätze verzichten zu müssen. Sie werden also -wie auch in der Vergangenheit- keine Rücksicht auf individuelle Bedürfnisse, insbesondere jener von älteren Beschäftigten nehmen sondern sich mit dem Argument herausreden das alle Kollegen gleich behandelt werden und individuelle Lösungen ungerecht wären. Ich gehe also davon aus, dass auf Grund der finanziellen Einbußen zum einen und dem anhaltenden Personalmangel zum anderen, die Flexibilisierung voll ausnutzen werden.
Das Argument des DEHOGAs auch so die 4- Tage- Woche realisieren zu können ist Augenwischerei, denn dass hieße an vier Tagen 12 Stunden zu arbeiten. Wer aber arbeitet die anderen zwei Tage wenn dafür nicht genug Personal vorhanden ist? Für ein flexibles Wechselschichtsystem gibt es jetzt schon kaum bis gar kein Personal mehr wenn man zusätzlich noch zu berücksichtigen hat, dass Beschäftigte frei und Urlaub haben oder krank sind. Apropos krank: Die krankheitsbedingten Fehlstunden nehmen kontinuierlich zu. Alleine von 2008 bis 2018 wurden 107 Millionen krankheitsbedingter Fehlstunden registriert. Besonders betroffen sind die Alten- und Krankenpflegeberufe und Niedriglohnbranchen wie das Hotel- und Gaststättengewerbe, was dazu führt, dass das Bestandspersonal Ausfälle kompensieren und Mehrarbeit in Kauf nehmen muss. Zudem werden auf Grund der dünnen Personaldecke Dienstpläne sehr spontan ausgehängt und je nach Situation nach Belieben geändert, was Diensten auf Abruf führt, die eigentlich gar nicht erlaubt sind.
Ein weiterer Aspekt ist die Tatsache, dass seit der Einführung der Minijobs aktuell weniger als die Hälfte aller in der Gastonomie tätigen Personen noch in Vollzeit beschäftigt sind. Aber gerade die Prekärbeschäftigten wurden zu Beginn der Pandemie sofort entlassen. Mehr als 300.000 Personen in geringfügiger Beschäftigung haben in Folge der Corona Krise ihren Arbeitsplatz verloren. Die dadurch entstandene Lücke wird weder eine überhastete Zuwanderung noch die Flexibilität Arbeitszeit schließen.
Zu erwarten ist, dass sich mit dem kommenden Weihnachtsgeschäft die Situation nochmal verschärfen wird weil die Nachfrage rasant angestiegen ist. Das führt dazu, dass sich zwar das Geschäft langsam erholt, als Konsequenz dessen die Nachfrage nach Personal deutlich zunimmt.

Wer die Arbeitsbedingungen im Hotel- und Gaststättengewerbe vor Corona als normal noch zu akzeptieren bereit war, hat im Zuge der Kurzarbeit gemerkt, wie hoch der Wert von Planungssicherheit und Freizeit ist, was wiederum allmählich dazu führt, dass viele nicht mehr bereit sind, dass Arbeitspensum der Vor- Vorona- Zeit in Zukunft zu akzeptieren. Eine aktuelle Umfrage der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gastätten hat dies in ungeschminkter Art bestätigt und widerspricht so der Meinung des DEHOGA Präsidenten Zöllick, welcher bei der Flexibilisierung davon spricht, dass diese im Interesse der Beschäftigten sei. Ein weiteres Argument der Arbeitgeberseite ist, dass man mit der Flexibilisierung mehr Geld verdient. Das stimmt. Ist aber auch logisch wenn man statt maximal 45 Stunden nach seinem Wunsch 48 Stunden in der Woche arbeitet. Noch besser wäre es aber, wenn dazu noch Überstunden bezahlt würden. 2021 -also mitten in der Pandemie- wurden über 1,8 Milliarden Überstunden registriert. Wohl gemerkt REGISTRIERT , die Dunkelziffer an nicht dokumentierten Überstunden dürfte weitaus höher liegen. Brisant dabei ist, dass mehr als die Hälfte der fast 2 Milliarden Überstunden nicht bezahlt wurden. Nicht vergessen sollte man dabei, dass in vielen Arbeitsverträgen eine Klausel enthalten ist, in welcher eine bestimme Anzahl an Überstunden mit dem Bruttolohn abgegolten wird, was nichts anderes heißt, dass man für mehr Arbeit, weniger Geld bekommt. Zu Herrn Zöllck kann man folgendes sagen: Er ist Hoteldirektor des Hotels Neptun in Warnemünde, Mecklemburg- Vorpommern. Dieses Bundesland, welches eines der stärkten, touristischen Hotspots in Deutschland ist, hat mit Abstand den schlechtesten Tarifvertrag! Zudem musste das Hotel wegen duzender Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz empfindliche Strafen zahlen.
Ich empfinde es als zynisch den Beschäftigten die Flexibilisierung mit höheren Gehältern schmackhaft zu machen weil Herr Zöllick weiß, dass selbst der Tariflohn kaum zum überleben reicht und Menschen deswegen gezwungen sein werden, noch mehr zu arbeiten, statt dass ihre Fachkompetenz und Berufserfahrung sich in den Gehältern widerspiegelt.
Herr Zöllick sollte sich also die Umfrage der NGG genauer ansehen, denn an dieser kann er die Bedürfnisse der Beschäftigten ableiten. Ich kann aber vorweg greifen: Die Mehrheit der Beschäftigten WILL NICHT MEHR arbeiten. Wie wollen mehr Planungssicherheit, mehr Wertschätzung und mehr Rücksicht auf das Privatleben! Wer mehr arbeiten will möchte dies freilich nur, weil heutzutage eine Vollzeitstelle alleine nicht mehr für den Lebensunterhalt reicht. Also entweder länger arbeiten oder einen Nebenjob annehmen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Zahl der Mini- und Multijobber kontinuierlich ansteigt.

Man kann es drehen und wenden wie man will: Die Flexibilisierung wird das Problem des Personal- und Fachkräftemangels nicht lösen, im Gegenteil! Sie wird es noch verschärfen denn alle empirischen Studien der letzten Jahre zeigen unmissverständlich, dass zu viel und zu stressige Arbeit, Arbeit auf Abruf und permanentes einspringen die Zahl der krankheitsbedingten Fehlstunden erhöht weil diese Art der maximalen Ausbeutung im Sinne der Gewinnmaximierung die Menschen krank macht. Nicht umsonst ist die Wissenschaft in den letzen Jahren verstärkt darauf gekommen, arbeitsbedingte Erkrankungen genauer zu untersuchen.

Wieso wehren sich die Beschäftigten nicht? 30% aller neu abgeschlossenen Arbeitsverträge sind sachgrundlos befristet. Wer also zu sehr auf sein Recht beharrt oder dem Unternehmen nicht produktiv genug ist, bekommt im besten Fall eine zweite, einjährige Verlängerung. Im schlimmsten Fall aber kann das Arbeitsverhältnis ohne Angabe von Gründen beendet werden. Der befristete Arbeitsvertrag hebelt also maximal zwei Jahre sämtliche Rechte für den Arbeitnehmer aus. Dabei sollte doch ein halbes Jahr Probezeit genug sein, um sicher zu gehen das man selbst zum Betrieb oder dieser zu einem passt. Erschwerend kommt hinzu, dass 80% aller gastronomischen Betriebe klein- bis mittelständisch sind, also weniger als 50, oft auch weniger als 10 Angestellte haben. Dies macht großflächig organisierte Arbeiterkämpfe schwierig. Zudem ist die Leidensbereitschaft großer Teile der Beschäftigten so groß, dass man bald schon von Masochismus sprechen kann. Dabei hat sich der Arbeitsmarkt von Arbeitgeber zum Arbeitnehmer hin verlagert und das spielt den Arbeitnehmern in die Karte. Genutzt wird dies jedoch nur in der Form die Branche komplett zu verlassen. Statt also offen zu streiken, haben bereits Hunderttausende die Gastronomie verlassen. Ein stiller und schleichender Protest, dessen Wirkung bei den Betrieben so recht nicht anzukommen scheint.

Aber der Mindestlohn ist doch gestiegen, lockt das niemanden in die Gastronomie? Die wachsende Inflation und die steigenden Kosten für Lebensmittel und Energie lassen die Mindestlohnerhöhung verpuffen. Schon bei der letzten Erhöhung reichten die 12 Euro nicht mehr aus um von seiner Vollzeitstelle leben zu können.

Aber die Tariflöhne sind doch auch um bis zu 30% gestiegen? Das stimmt, blöderweise steigt aber auch die Tarifflucht der Betriebe und das in rasendem Tempo. Waren 2019 noch 37% der Beschäftigten in tarifgebundenen Unternehmen beschäftigt, waren es 2018 nur noch 23%. Statt also den Angestellten Gehälter zu zahlen, die für sie angemessen sind, hat sich die Gastronomie bei den Durchschnittsgehältern auf Mindestlohnniveau eingependelt. Angestellte solle zwar maximal flexibel und belastbar sein, sollen alles geben und dabei ein hohes Maß an Motivation mitbringen, gleichzeitig aber am Ende des Monats feststellen, dass für sie im Gegenzug nicht viel übrig bleibt. Stattdessen wird mit einem guten Trinkgeld geworden, welches man aber auch nur dann bekommt, wenn man weder Urlaub hat, noch im frei oder krank ist. Überstunden werden ohnehin seltenst bezahlt.
Alles zusammengenommen haben die meisten Unternehmen ein engmaschiges und kreatives Betrigssystem aufgebaut und es sich jahrzehntelang sehr einfach gemacht. Sie konnten es sich leisten über die eigenen Öffnungszeiten hinaus wenige Gäste mit viel Personal bedienen weil sie eben keine Überstunden bezahlten. Das es bei Hochzeiten länger gehen kann ist normal und gilt für viele Veranstaltungen. Gehen wir auch hier in die Lebensrealität von der Herr Zöllick redet: So gut wie jeden Abend dürfen die letzten zwei Gäste sich an einem Glas Rotwein aufhalten, während das verbliebene Personal bereits mit den Aufräum- und Putzatbeiten fertig ist und darauf wartet das die Gäste endlich gehen. Hierbei gilt das vorgeschobene Prinzip, nach welchen man Gäste nicht rauswirft. Es sind also die Gäste, die bestimmen wann das Personal nach Hause gehen darf und das raubt Motivation und geht ebenso zu Lasten der Familie, der man sagen muss, dass man nie weiß wann man nach Hause kommt weil man ja nie weiß, wie lange die Gäste denn sitzen wollen. Dieses Open Ende Prinzip ist eines der Gründe für schwindende Ambitionen langfristig oder gar bis zur Rente in der Gastronomie zu arbeiten.
Wenn selbst das Hotel Neptun des Herrn Zöllick nicht ohne Arbeitszeitüberschreitungen das Pensum schafft, wie kann er dann davon reden, dass die Beschäftigten von der Flexibilisierung etwas positives hätten? Ist es nicht viel mehr so, dass der Arbeitsmarktwandel
In den Köpfen der alten, weißen Männer nicht angekommen ist? Und glauben Sie, dass sie weiterhin Beschäftigte finden, deren Hinhabe für den Job in Aufgabe des eigenen Lebens mündet?
Die empirischen Studien rund um den Arbeitsmarkt, Arbeitszeiten, Wertschätzung, Sinnhaftigkeit und Mitbestimmung konterkarieren das, was der DEHOGA uns weis machen will.
Durch die schlechten Perspektiven entscheiden sich immer weniger Menschen eine Ausbildung in der Gastronomie zu machen. 2011 wurden 77.097 Ausbildungsverträge abgeschlossen, 2011 waren es nur noch 43.279. Der demographische Wandel und die Überakademisierung sind eines der Gründe aber nicht der Hauptgrund! Die Gastronomie schafft es nicht anderen Branchen gegenüber Konkurrenzfähig zu sein, was sie im Rennen um die besten Azubis aber sein müsste!

Fazit:

Die Mehrheit der Beschäftigten klagt über zu viel Stress, zu wenig Planungssicherheit, zu wenig Wertschätzung und nicht zuletzt über zu wenig Geld. Niemand fällt mehr auf die Augenwischerei des DEHOGAs und der meisten Betriebe herein, der Ruf der Gastronomie wurde in den letzten 30 Jahren dermaßen ruiniert, dass die Personallücken nur noch durch Aushilfskräfte und ad hoch Zuwanderung gelöst werden sollen, was aber das strukturelle Problem nicht lösen wird. Es ist nicht klug zu legalisieren was vorher verbogen war um so ein Problem zu lösen. Nicht jedenfalls in diesem Falle! Wir wollen keine befristeten Arbeitsverträge, keine mit dem Bruttolohn inkludierten Überstunden, keine Arbeit auf Abruf, keine 12- Stunden- Schichten, keine 6- Tage- Woche und nicht noch mehr Stress.

Und vor allem wollen wir nicht, dass man uns für dumm verkauft!

Betriebe, die bereits die 4- Tage- Woche einführten, trotz einer 40- Stunden- Woche oder gar weniger berichten von produktiverer Arbeit, weniger streßbedingte Fälle, weniger Krankmeldungen und einer höheren Motivation, die sich auch auf die Gäste überträgt.
Davon will der an den Turbokapitalismus glaubende DEHOGA nichts wissen.

Es lohnt sich also das Thema nicht nur auf der Metaebene zu betrachten denn wie immer steckt der Teufel im Detail.

https://www.ngg.net/fileadmin/Hauptverwaltung/Materialien/PDF/20221018__Auswertung-Beschaeftigten-Umfrage-Gastgewerbe.pdf

https://www.wallstreet-online.de/nachricht/16171397-roundup-dehoga-dringt-lockerung-arbeitszeit-regelungen


Mit der Zerstörung von Ökosystemen zerstören wir auch unsere Lebensgrundlage: Die Corona-Pandemie – Ursachen und gesellschaftliche Gegenstrategien. 8. Januar 2021

„…sollte ein zoonotischer Spillover* solch welterschütternden Ausmaßes uns vor Augen führen, dass die Verteidigung der wilden Natur gegen parasitäres Kapital mittlerweile einen Akt menschlicher Selbstverteidigung darstellt.“ (Andreas Malm, „Klima/x“)

Wir erleben in diesen Monaten eine für die große Mehrheit der Menschen völlig unerwartete Bedrohung der menschlichen Gesundheit, und eine daraus hervorgegangene globale Lähmung menschlicher Aktivitäten.
Auch Attac beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit diesem Thema, etwa in der aktualisierten Erklärung des KoKreis vom 12.11.2020.

Was auffällt beim Rezipieren dieser Debatten eben auch bei Attac: es wird breit über die notwendigen Maßnahmen zur Linderung der Corona-Folgen diskutiert, über den defizitären Zustand des Gesundheitswesens auch in Deutschland, über Sinnhaftigkeit, Transparenz und Legitimität des Regierungshandelns in der Krise, über die Ungerechtigkeit bei der finanziellen Unterstützung derjenigen, die durch „Lockdown“ in ökonomische Bedrängnis geraten. Aber sehr wenig wird über die eigentliche Ursache dieser neuen Pandemie diskutiert, aus welchen Gründen diese neue Plage über die Menschheit gekommen ist. Finanzminister Scholz spricht von einer Naturkatastrophe, und das ist für viele sicher eher eine beruhigende Deutung: die Natur bringt eben ab und zu solche Desaster hervor, die Menschheit kann dann nur versuchen, die Folgen möglichst zu kompensieren.
Zur psychologischen Bewältigung kann man versuchen, die schlechten Nachrichten einfach zu verdrängen, oder sie sogar als besonders tückische Lügenkampagne der Herrschenden zu interpretieren.

Es gibt durchaus nachvollziehbare Motive für die gesellschaftlich dominierenden Kräfte, die breite Debatte über die Mechanismen der Naturzerstörung, die nun diese neue Pest über die Menschen gebracht haben, zu scheuen. Im offiziellen Coronadiskurs werden die Ursachen von Corona in der kapitalistischen Ausbeutung und Zerstörung der Natur weitgehend totgeschwiegen.
Einige löbliche Ausnahmen gibt es: „ Die Wissenschaft sagt uns, dass die Zerstörung von Ökosystemen Krankheitsausbrüche bis hin zu Pandemien wahrscheinlicher macht. Das zeigt: Die Naturzerstörung ist die Krise hinter der Coronakrise.“ (Bundesumweltministerin Svenja Schulze). Dr. Sandra Junglen, Institut für Virologie, Charité Universitätsmedizin Berlin: „… Intensive Landnutzung, die Verbreitung von Monokulturen oder Rodungen von Wäldern führen zu einem Verlust der Artenvielfalt und verändern die Zusammensetzung der Säugetierpopulationen. Weniger Artenvielfalt bedeutet mehr Tiere einer Art im selben Lebensraum. Wenn das Ökosystem derart aus dem Gleichgewicht gerät, können sich Infektionskrankheiten besser verbreiten…“

Gut belegt ist bereits, dass circa 70 Prozent der menschlichen Infektionserreger ursprünglich aus dem Tierreich stammen, darunter das Humane Immundefizienz-Virus (HIV), Ebola, Influenza, Zika, Middle East Respiratory Syndrome (MERS), Coronavirus und Erreger des Schweren Akuten Respiratorischen Syndroms (SARS). Besonders ins Auge fiel die Gefahr von Übertragungen auf Wildtiermärkten, wo Menschen und unterschiedliche Tierarten auf engstem Raum zusammen kommen und die Tiere zusammengepfercht und unter hygienisch unhaltbaren Zuständen verwahrt werden. (Infektions-Ausbruch in Wuhan, VR China) – Professor Josef Settele , Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Department Biozönoseforschung: „Der weltweite Stand der Wissenschaft ist trotz offener Fragen eindeutig: Der Erhalt intakter Ökosysteme und ihrer typischen Biodiversität kann das Auftreten infektiöser Krankheiten generell reduzieren. Wir Menschen sind von funktionierenden, vielfältigen Ökosystemen abhängig. Mit der Zerstörung von Ökosystemen zerstören wir auch unsere Lebensgrundlage, wie die Corona-Epidemie zeigt.

Darum müssen wir uns gemeinsam für einen transformativen Wandel unserer Gesellschaft zum Schutz unserer Lebensgrundlagen einsetzen. Die Kernelemente eines solchen Wandels stellt der globale Bericht des Weltbiodiversitätsrats heraus. Es geht um nicht weniger als eine grundlegende, systemweite Reorganisation über technologische, wirtschaftliche und soziale Faktoren hinweg, einschließlich Paradigmen, Zielen und Werten."
Solche Forderungen gehen offensichtlich weit über den Schutz der kurativen Einrichtungen hinaus, sie beschränken sich nicht auf verbesserte Krankenbehandlung, sondern zielen auf einen tiefgreifenden Umbau des gesamten ökonomischen Gefüges, an dem die Besiedlungspolitik und eben auch die Nahrungsmittelproduktion einen entscheidenden Anteil hat. Wenn wir nicht diese ökonomischen Grundlagen der Entstehung von Pandemien in den Blick nehmen und bekämpfen, kommt die nächste Seuche ganz bestimmt.

Ursache der Pandemie ist die über Leichen gehenden Profitorientierung der kapitalistischen Ökonomie.

Aber ebenso wie gegen eine entschiedene Politik des Klimaschutz gibt es gegen einen wirksamen Schutz der natürlichen Lebensräume, sozusagen für ein friedliches Zusammenleben sogar mit den Mikroorganismen, machtvolle und finanzstarke Gegenkräfte. Dieses Feld der Auseinandersetzung müssen wir ebenso wie in der Klimapolitik beginnen politisch zu bearbeiten.

Aufgabe für attac als globalisierungskritische Organisation müsste es im Zusammenhang der Coronakrise deshalb an vorderster Stelle sein, die Ursache der Pandemie in der gnadenlosen, buchstäblich über Leichen gehenden Profitorientierung der kapitalistischen Ökonomie, insbesondere in der Agrarindustrie und in den Investmentfonds, die in diese investieren, zu benennen, die Konzernstrukturen mit ihren großenteils kriminellen Praktiken dahinter aufzudecken und die fatalen Folgen in Form einerseits der Pandemie(n), andererseits der Zerstörung der Lebensgrundlagen der ansässigen Menschen und Tiere, letztlich aber aller Menschen und des Lebens überhaupt zu skandalisieren. Das ist das, was attac als Kernkompetenz zugerechnet und von ihr/ihm im politischen Raum erwartet wird. Was nicht heißt, dass all die anderen Aktivitäten und Beteiligungen an Bündnissen zum Gesundheitswesen, zur Verkehrswende etc. nicht wichtig wären. Aber sie reichen nicht aus, um attac im politischen Raum sichtbar, hörbar und wirksam zu machen.

Was wir brauchen ist eine fundierte Kritik der kapitalistischen Wirtschaftsweise, bei Corona speziell im Agrarsektor und den damit zusammenhängenden Finanzmarktstrukturen, der imperialen Lebensweise mit jeden Tag ein Steak oder Hamburger auf unseren Nord-Westlichen Tellern (Wald wird v.a. für Tierfutter und Palmöl abgeholzt bzw. -gebrannt) und ein Aufzeigen der Ansätze einer anderen Wirtschafts- und Lebensweise, die sich nicht um Profit, sondern um Sorge für Mensch und Natur zentriert: "Eine andere Welt ist möglich!". Und damit präventive Umwelt-Gesundheits-Politik statt ausschließlich kurative Linderung und globale Quarantäne!

Oder mit den Worten des slowenischen Philosophen Slavoj Zizek: "Der Kampf gegen das Corona-Virus kann nur als Teil eines viel grundsätzlicheren, ökologischen Kampfes geführt werden." (Kultur-zeit/3sat 9.12.20, zu seinem gerade erschienenen Buch "Pandemie!", Passagen).
Nur wenn es uns gelingt, die Coronakrise als aus der gleichen kapitalistischen Produktions- und Lebensweise wie die Klima-, die Biodiversitäts- und die Flüchtlingskrise entstanden deutlich zu machen, kann es uns auch gelingen, den Verschwörungsmythen der Coronaleugner*innen den Boden zu entziehen.
Auch wenn die Idee einer Verschwörung von Bill Gates und der Pharmaindustrie als Ursache von Corona die realen Abläufe verfehlt, sind doch mächtige Konzerninteressen der Agrarindustrie, der Bergbauindustrie, der Digitalindustrie und der großen Investmentfonds an der für Corona ursächlichen Zerstörung der Natur beteiligt und die Pharmaindustrie als eine der nach Rüstungs-industrie, Drogen- und Menschenhandel profitabelsten und korruptesten Industrien an dem Verkauf von Medikamenten zur Bekämpfung solcher Pandemien. Auch hat die These, wir lebten in einer Diktatur statt einer Demokratie, insofern ein Fundamentum in re, als die parlamentarische Demokratie tatsächlich eine kastrierte, wesentlich auf eine pauschale Stimmabgabe alle 4 Jahre beschränkte Demokratie ist, die den Wähler*innen kaum Einfluss auf konkrete Entscheidungen lässt, welche dagegen faktisch zu einem großen Teil in den Hinterzimmern des politischen Betriebs unter Einflussnahme der Interessen der Großkonzerne auf die politischen Entscheidungsträger zustande kommen.

Nur wenn wir den Fokus auf diese systemischen Ursachen der Coronakrise (wie von Klima- und anderen Krisen) und damit auf die Notwendigkeit kollektiver Lösungen zu ihrer Bekämpfung legen, können wir auch die Halt- und Wirkungslosigkeit der radikal-individualistischen, äußerst kurzsichtigen Freiheitsvorstellungen der „Querdenkenden“ deutlich machen, die letztlich den neoliberalen, die globalisierte Zerstörung von Mensch und Natur ermöglichenden und befördernden, Vorstellungen von Freiheit nachgebildet sind: als Freiheit, ohne Rücksicht auf Verluste auszubeuten, anzueignen und zu konsumieren, was ICH will, unter möglichst freier Entfaltung der Marktkräfte und weitgehender Zurückdrängung des Staates.

An die Stelle solch individualistischer Strategien wie "Wie stärke ich mein Immunsystem?" müssen kollektive Strategien der Stärkung des "Immunsystems" der Natur und der Gesellschaft gesetzt werden, indem die politischen Regulierungen zur Eindämmung des Raubbaus an Wäldern, Böden, Wasser, menschlicher Arbeitskraft und Gesundheit gestärkt werden und letztlich eine andere Produktions- und Lebensweise als konkret möglich beschrieben wird, die statt auf Profit und der dafür notwendigen Ausbeutung von Mensch und Natur auf Fürsorglichkeit, der Hege und Pflege von Mensch und Natur, aufbaut.

Da Verschwörungsmythen sozialpsychologisch ihre Wurzeln häufig in Angst und Verunsicherung haben, die sie mit einfachen Erklärungen bannen wollen, welche aber in der Coronakrise und den krisenhaften Entwicklungen davor seit Beginn der neoliberalen Wende vor 30 Jahren, kulminierend in der Finanzkrise 2009, reale Fundamente haben in Form von Prekarisierung, wachsender sozialer Ungleichheit, sozialer Ent-Sicherung und autoritärer Einschränkung von Demokratie, hilft es mehr, diese realen Fundamente aufzuzeigen, als die Verschwörungsideen einfach als irrational und paranoid abzutun. Dabei kann auch der Verweis auf fundierte, kritische Berichterstattung und Analysen zu den Hintergründen von Naturzerstörung, Finanzmarktinteressen und Konzernstrategien helfen, die etwa in den öffentlich-rechtlichen Sendern wie arte, 3sat, ARD und ZDF, gezeigt werden, allerdings meist zu so später Stunde, dass kein*e Normalberufstätige*r das mehr sehen kann; eine der vielen Strategien, die Medien nicht im Sinne von wirklicher Massenaufklärung zu nutzen, was mit der These von den nur Fake-News verbreitenden Medien auch verzerrt, aber nicht ganz grundlos, versucht wird zu fassen (zur Ambivalenz der Strategien der öffentlich-rechtlichen Medien s. das jüngste Video von Rezo dazu).

*spillover=Übertragungseffekt

(Margareta Steinrücke und Matthias Jochheim)


Protokoll Virtuelles Treffen der Attac AG ArbeitFairTeilen

Digitales Treffen am 11. Dezember 2020

Anwesend: Margareta, Jutta, Rena, Ulla, Stephan, Herbert; Ingrid, Andreas, Ralf, Philipp und Richard hatten sich kurzfristig entschuldigt.

TOP 1: Aktuelle Bestandsaufnahme Arbeitszeitdebatte

Wir haben uns über jüngere Entwicklungen in den Gewerkschaften ausgetauscht; bei der IG Metall der Tarifvertrag zusätzlicher freier Tage, jetzt das Bemühen um die Vier-Tage-Woche; bei Verdi z.B. Tarifabschlüsse zu Zeit statt Geld bei der Post und beim TÜV, zu 14 Tagen Verfügungszeit bei der Telecom und dem Versuch in den Tarifverhandlungen im öffentlichen Nahverkehr zu einer Vereinheitlichung der Arbeitszeiten in den 16 Bundesländern mit Fernziel Einstieg in die 35Stundenwoche zu kommen, ebenso bei der EVG die 3. Tarifrunde in Folge Zeit statt Geld-Option (von 60% gewählt) – und das alles gegen härteste Widerstände und des Arbeitgeberlagers und mancher Regierungen wie der CDU/FDP-Regierung in NRW. Die Produktivitätsschübe von Digitalisierung und KI verlangen ebenso wie die Abwendung des Klimakollaps eine radikale Arbeitszeitverkürzung. Die Arbeitgeber versuchen den Arbeitstag zu verlängern und das Wochenende in die Regelarbeitszeit einzubeziehen – Corona als Begründung missbrauchend.

Die Erfahrungen von Kurzarbeit sind differenziert zu bewerten – einerseits sind sie ein schlagender Beleg für die arbeitsplatzsichernde Kraft von Arbeitszeitverkürzung, gleichzeitig fällt der Lohnausgleich von anfangs 60 bzw. 67% (mit Kind), ab 4. Monat 70/77%, ab 7. Monat 80/87% insbesondere für Geringverdienende viel zu niedrig aus.
Andererseits wirkt sie Angst verbreitend und Produktivität steigernd, aber auch Lust machend auf mehr eigene Zeit.

Aus dieser Erfahrung ist ein positiver Ansatz für kollektive Arbeitszeitverkürzung in der Krise zu entwicklen, wenn im nächsten Jahr Entlassungen und Insolvenzen auf die Tagesordnung kommen werden, der nur in Richtung einer Kurzen Vollzeit (ob als 4Tage- oder 32/30/28Stunden-Woche) mit vollem Lohnausgleich mindestens für die unteren und mittleren Lohngruppen gehen kann.

TOP 2: Unser europäisches Netzwerk

Margareta informierte über die sehr gelungene europäische Netzwerkveranstaltung und die Unterstützung durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Am 22./23.10.20 fand online die Konferenz "Working time reduction and climate crisis" des European Network for the Fair Sharing of Working Time statt, an dessen Organisation die AG ArbeitFairTeilen von attac-D (in Person von Margareta und seit einiger Zeit Philipp Frey vom Karlsruher Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse) zusammen mit dem Réseau Roosevelt aus Frankreich maßgeblich beteiligt ist. Bei ca. 100 Mitgliedern aus 15 europäischen Ländern gab es ca. 230 Anmeldungen und die Diskussion war ein voller Erfolg. Insbesondere weil es gelungen ist, die jüngsten Initiativen zur Arbeitszeitverkürzung, insbesondere die der IG Metall, in den Fokus zu rücken und Forscher*innen und Praktiker*innen aus Postwachstumstheorie, Green New Deal, Gewerkschaften, Fridays For Future und 4Days-Week Campaign in GB zusammenzubringen und gemeinsam über Strategien
nachdenken zu lassen, den Kampf gegen den Klimawandel und für die Arbeitszeitverkürzung zusammenzuführen. Es wird Anfang 2021 eine Dokumentation geben. Bereits jetzt sehr instruktiv ist der European
Newsletter on Working Time, den das Netzwerk mit Unterstützung der RLS herausgibt.Die 7. Folge ist gerade erschienen; jede*r, dem/der das (leider bisher nur) Englisch keine allzu große Mühe bereitet, sollte
ihn abonnieren.

Problem des Netzwerks ist die fehlende Man/Womanpower. Adrien Tusseau vom Réseau Roosevelt, der den weit überwiegenden Teil der Vorbereitung, Organisation und Dokumentation der Konferenz geleistet hat, ist ab 15.11.20 voll berufstätig, sodass wir uns andere Formen der personellen Unterstützung überlegen müssen. Freiwillige vor! Wir denken über eine studentische/wissenschaftliche Hilfskraft an einer der das Netzwerk unterstützenden Wissenschaftseinrichtungen in Frankreich nach. Dafür könnte die AG ArbeitFairTeilen vielleicht einen finanziellen Anteil leisten. Die RLS und auch das ETUI (Europäisches
Gewerkschaftsinstitut), das das Netzwerk erfreulicherweise jetzt auch unterstützen will, können keinerlei Personalkosten, sondern nur Projektkosten beisteuern.


TOP 3: Arbeitszeitverkürzung in der sozial-ökologischen Transformation

Bei allen Projekten und Kämpfen zur Energie- und Mobilitätswende spielt die Arbeitszeitverkürzung eine wesentliche Rolle. Das eröffnet uns die Chance, das Thema innerhalb von Attac und darüber hinaus populär zu machen. attac hat sich die Sozialökologische Transformation zum Schwerpunktthema gesetzt, und die Verkehrs- bzw. Mobilitätswende zur 1. Kampagne "Einfach.Umsteigen" darin. Arbeitszeitverkürzung spielt in der SÖT an drei Stellen eine systematische Rolle: die für die Einhaltung des Pariser Klimaziels von 1,5° notwendige Einsparung von Treibhausgasemissionen ist nur mit einer Arbeitszeit von in Deutschland ca.10 Stunden pro Woche zu haben; eine just transition, d.h. die Bereitstellung von Arbeitsplätzen für die Beschäftigten in den klimaschädlichen Industrien, die ihre alten verlieren müssen, lässt sich nur mithilfe einer einschneidenden Arbeitszeitverkürzung in allen Branchen realisieren (flankiert von Umschulungsprogrammen und Konversionsstrategien); Zeitwohlstand statt Geld- und Konsumwohlstand muss die neue "Leitwährung" einer notwendigen Postwachstumsgesellschaft werden. Zu manchen dieser Aspekte haben wir in attac schon einiges eingebracht (in der Corona-Webinarreihe, im neuen Erklärvideo zu
Arbeitszeitverkürzung, in den Diskussionen des attac-Rats zur SÖT und z.Z. zu einem linken Green New Deal).

Aber diese Gelegenheiten können wir zu wenig nutzen, da wir in der AG ArbeitFairTeilen schlicht zu wenige sind. Insbesondere jüngere Personen werden viel mehr gebraucht. Eventuell hängt das mit unserer
Arbeitsweise zusammen?

Das führt zum TOP 4.

TOP 4: Was tun - wie nutzen wir das Fenster der Möglichkeiten?

Derzeit hat das Thema Arbeitszeitverkürzung Konjunktur, einerseits durch die IG Metall, andererseits auch im politischen Raum (Katja Kipping und Bernd Riexinger/Linke, Serpil Midyatli/SPD, Sanna Marin/Ministerpräsidentin Finnlands, Jacinta Ardern/Ministerpräsidentin Neuseelands u.a.), und die erwartbare Arbeitsplatzvernichtung im Gefolge von Corona in 2021, aber auch der fortschreitenden
Digitalisierung und Automatisierung, ebenso wie die Wünsche der Menschen nach besserer Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, seelischer Gesundheit und mehr Zeitwohlstand eröffnen Möglichkeiten,
unsere Idee einer Kurzen Vollzeit um die 30 Stunden pro Woche für alle endlich breit in die öffentliche Diskussion zu bringen.

Deshalb können und wollen wir innerhalb und außerhalb von Attac auf unser Projekt aufmerksam machen.

Konkret wollen wir Bildungsmaterial für lokale Gruppen entwickeln, evtl. in Kooperation mit den dafür zuständigen Kolleg*innen beim attac-Bundesbüro, und eine Plakat-Kampagne starten. Wer dazu Vorschläge
und Ideen hat, bitte per Mail an Stephan Krull.

Das nächste Treffen ist am 12. März 2021, 17 Uhr, auf jeden Fall wieder digital.

Verweise

1. stephan@krullonline.de


Attac AG ArbeitFairTeilen: Die 4-Tage-Woche jetzt durchsetzen, Kurze Vollzeit für alle!

31. August 2020

Attac AG ArbeitFairTeilen: Die 4-Tage-Woche jetzt durchsetzen, Kurze Vollzeit für alle!

Der Vorsitzende der IG Metall hat die 4-Tagewoche als Option mit einem gewissen Lohnausgleich in die Diskussion gebracht.

Wir begrüßen diesen Vorschlag und unterstützen ihn in seinen wesentlichen Teilen. Ihn durchzusetzen, braucht es jetzt eine große gesellschaftliche Kampagne, für die die Grundlagen schon gegeben sind: Parteien wie die SPD, Die LINKE und die Grünen, auch der Arbeitnehmerflügel der CDU, treten für Arbeitszeitverkürzung ein. Die Forderung nach einer radikalen Arbeitszeitverkürzung wird unterstützt von kirchlichen Arbeitnehmer*innengruppen, von Arbeitsmediziner*innen, kritischen Wirtschaftswissenschaftler*innen, Jugendverbänden, Fraueninitiativen sowie der Umwelt- und Klimabewegung.

Es geht dabei nicht nur um Vollzeitbeschäftigte in der Metallindustrie, auch um die Erwerbslosen, die prekär Beschäftigten, die schlecht entlohnten Beschäftigten, überwiegend Frauen, in vielen Dienstleistungsbereichen, im Bildungs- und Gesundheitswesen. Eine radikale Arbeitszeitverkürzung auf durchschnittlich vier Tage pro Woche, eine faire Verteilung der Arbeit verbessert die Verhandlungs- und Machtposition der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften in allen Wirtschaftsbereichen.

Es geht auch nicht nur um Arbeit, sondern gleichermaßen um unsere Umwelt, um den Output unserer Arbeit. Ständige Produktivitätssteigerungen trotz gleichbleibendem Arbeitsumfang führen bei einer endlichen Welt zur Erschöpfung der Ressourcen und zu einer Überlastung der Natur einschließlich des Klimas. Nicht alles kann und muss weiter wachsen. Ein gutes Leben für alle erfordert nicht mehr Produkte, sondern mehr frei verfügbare Zeit.

Eine Wende in der Arbeitszeitpolitik?

Bei vielen Menschen und Aktiven in den sozialen Bewegungen wurde die Vorfreude auf eine Wende in der gewerkschaftlichen Arbeitszeitpolitik geweckt: Die Abkehr von individuellen und einzelbetrieblichen Lösungen hin zu kollektiven Kämpfen und Ergebnissen. Es scheint nun aber doch so, dass der Vorschlag nicht auf eine tariflich geregelte, kollektive Verkürzung der Wochenarbeitszeit zielt. Der Vorbereitungskreis „Offensive Gewerkschaftspolitik“ schreibt dazu: „Er scheint darauf zu zielen, betrieblich und im Einvernehmen mit den Arbeitgebern – wenn Kurzarbeit nicht mehr möglich ist – im Wege einer Betriebsvereinbarung die Arbeitszeit weiter zu verkürzen.“

Dann wäre der Vorschlag nicht mit einer gesellschaftlichen Kampagne verbunden. Es wäre die Chance vertan, andere Gewerkschaften, die sozialen Bewegungen, die emanzipatorische Frauenbewegung und viele andere in diese längst notwendige Kampagne einzubeziehen. Es wäre die Chance vertan, die Kampagne für die Vier-Tage-Woche in ein dringend erforderliches Transformationskonzept einzubinden. Nur so kann den Menschen die Angst vor sozialem Absturz genommen werden.

Arbeitszeitverkürzung statt Kurzarbeit und Erwerbslosigkeit!

Es ist schon sichtbar, dass die Krise, die lange vor Corona begann, tiefgreifende Wirkungen haben wird. Trotz Kurzarbeitergeld (was ja auch für Arbeitszeitverkürzung genutzt wird), ist absehbar, dass im Frühjahr 2021 die Situation vieler Betriebe und Beschäftigter sehr schwierig sein wird. Kurzarbeit, Personalabbau (Entlassungen), Betriebsschließungen, Insolvenzen und hohe Arbeitslosigkeit werden die ganze Gesellschaft vor der Bundestagswahl 2021 beschäftigen. Ohne breite gesellschaftliche Unterstützung wird die Gewerkschaft den Kampf nicht gewinnen können, zumal die Arbeitgeber und ihre Freunde eine aggressive Kampagne gegen die Arbeitszeitverkürzung fahren werden. Die gesellschaftliche Unterstützung kann nur erreicht werden, wenn mutig gesellschaftliche Grundfragen gestellt werden, die die Menschen bewegen. Die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung auf durchschnittlich vier Tage in der Woche zur Arbeitsplatzsicherung, zum Abbau von Belastungen, zur fairen Teilung aller Arbeit, zum Schutz von Umwelt und Klima und für ein gutes Leben für alle ist ein solcher Schritt, der seine Fundierung und Ergänzung in einer Anpassung des Arbeitszeitgesetzes auf maximal 40 Stunden pro Woche finden sollte.

Attac AG ArbeitFairTeilen: Kurze Vollzeit für Alle! Arbeitszeitverkürzung jetzt!

Stephan Krull und Margareta Steinrücke; www.attac-netzwerk.de/ag-arbeitfairteilen/startseite/ sowie http://www.arbeitszeitverkuerzung-jetzt.de/home.html


Attac-AK arbeitfairteilen Protokoll des Treffens am 28.10.2018 in Erfurt


Buchvorstellung: Mohssen Massarrat Braucht die Welt den Finanzsektor?

Mohssen Massarrat

Braucht die Welt den Finanzsektor?

Postkapitalistische Perspektiven

304 Seiten | 2017 | EUR 24.80

VSA-Verlag
ISBN 978-3-89965-725-8

 Der gegenwärtige Finanzsektor ist für die wachsende Einkommensungleichheit und viele anderen Miseren in der Welt maßgeblich verantwortlich. Hat er aber überhaupt positive Funktionen für die Menschheit?

 Die Krise seit 2008 hat eindrucksvoll die Dominanz des Finanzmarktes bewiesen. Ist es vermessen zu sagen, dass die Menschheit mit einer neuen Formation des Kapitalismus konfrontiert ist. Sie unterscheidet sich auf jeden Fall grundsätzlich von dem Kapitalismus, den Marx seinerseits analysierte.

In der klassischen Analyse wurde Macht als eine selbstständige Kategorie vernachlässigt. Sie ist jedoch für das Verständnis der Geschichte des Kapitalismus, aber auch der Gegenwart, zentral. Die krankhaft irrationale Reichtumskonzentration unserer Zeit ist das Ergebnis einer unvorstellbaren Machtakkumulation.

Der Autor arbeitet die Bedeutung der Macht an Hand der kapitalistischen Entwicklung seit der Industrialisierung heraus. Er zeigt, wie sehr Macht als verborgene Hand der Reichen und Herrschenden den Inhalt und die Ausrichtung kapitalistischer Gesellschaften in ihrem Interesse bestimmt. Imperialismus und Finanzmarktkapitalismus können so als Resultat der Verschmelzung von Macht und kapitalistischer Maschinerie präziser analysiert werden.

Während das Kapital die Grundlage der Wertschöpfung darstellt, übernimmt Macht in der kapitalistischen Geschichte wie ein roter Faden die Funktion der Umverteilung von den Besitzlosen zu den Vermögenden, von den armen zu den reichen Gesellschaften. Im Finanzmarktkapitalismus ist unter der Regie des Neoliberalismus der Versuch erkennbar, die Massenarbeitslosigkeit, den Verschuldeten Staat, den Sozialabbau und die Vermögenskonzentration strukturell zu institutionalisieren. ...

http://www.vsa-verlag.de/nc/detail/artikel/maechtiger-reichtum/


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Sylvia Kuba, 1. Mai 2017

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