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Wie aus Enttäuschung, Scham und Zorn Bewegung entsteht

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Wie aus Enttäuschung, Scham und Zorn Bewegung entsteht

20. Dezember 2009

Niemand von uns hatte damit gerechnet, dass auf dem nunmehr 15. Klimagipfel ein Vertragswerk zustande kommen würde, dass auch nur seine eigene Tinte wert wäre. Solange die Folgen der Klimaerwärmung nicht direkt die Interessen der in die Regierungen investierenden Konzerne berühren,werden die Regierungen der Industriestaaten sich nur widerwillig auf ehrgeizige Reduktionsziele einigen. Und auch wenn die Reduktionsziele ehrgeiziger werden, so sollen die Reduktionen den Wünschen der Regierungen der reichen Länder gemäß am liebsten auf dem Rücken der Entwicklungs- und Schwellenländer erreicht werden. Im globalen Norden wird es dagegen heißen: „Business as usual“

Allein massiver Druck aus der Zivilgesellschaft wird hier zu nennenswerten Fortschritten in Richtung eines fairen Deals führen.

Dass die Menschen bereit sind gegen den Klimawandel an sich auf die Straße zu gehen, zeigten sie am 12. Dezember 2009 als etwa 100.000 Leute demonstrierend durch die Straßen von Kopenhagen zogen. Vor allem der Sehnsucht nach einem effektiven Abkommen wurde Ausdruck verliehen, Klimagerechtigkeit blieb hingegen ein Randthema. Die Demo war bunt und familienfreundlich – dennoch wurden nach einigen spärlichen Zwischenfällen über 900 DemonstrantInnen überwiegend willkürlich und präventiv verhaftet.

Gleich zu Beginn der Protestwoche hatte sich die Polizei also auf eine repressive Strategie der Kriminalisierung der Proteste festgelegt. Die vielen Festnahmen schädigten das Bild der AktivistInnen in der Öffentlichkeit. Denn viele BürgerInnen gehen pauschal davon aus, dass wer von der Polizei festgenommen wird, sicherlich auch kriminell – und damit wahrscheinlich gewalttätig – sein müsse.

Es waren gewiss nicht wenige, die sich von den vielen Festnahmen haben einschüchtern lassen. Für uns war der Kampf um Klimagerechtigkeit aber wichtig genug, um ihm mit weiteren Protesten Gehör zu verschaffen. Am Mittwoch den 16. Dezember nahmen wir deshalb zusammen mit etwa 4000 anderen AktivistInnen an einer vom Climate Justice Action Netzwerk initierten Demonstration unter dem Titel „Reclaim Power“ teil.

Die Demo richtete sich unter anderem gegen das Bestreben der westlichen Regierungen ein Abkommen zu erzielen, welches es Menschen aus Entwicklungs- und Schwellenländern faktischverbieten würde, pro Kopf eben so viel CO2 auszustoßen wie Menschen aus Industriestaaten. Statt dessen sollten die Gesellschaften in den Industrieländern mit gutem Beispiel vorangehen und ihre Lebens- und Wirtschaftsweise so transformieren, dass alle Menschen ein gutes Leben führen können.

Auch der dominierende Lösungsansatz des Emissionshandels sollte grundlegend in Frage gestellt werden. Nicht nur ist es zutiefst fragwürdig, ein monetäres Äquivalent für die Verschmutzung der Atmosphäre zu definieren. Der Emissionshandel ist auch extrem manipulationsanfällig, potentiell höchst volatil und zur Blasenbildung tendierend, sowie in Abwesenheit wirksamer Sanktionsmechanismen ohnehin ein zahnloser Tiger. Darüber hinaus führen Maßnahmen des „Carbon Offsetting“ wie der Clean Development Mechanism häufig zur Ausbreitung von konzerngeführten Monokulturen und damit nur zur weiteren Dezimierung der ohnehin schon ständig schrumpfenden Biodiversität sowie der forcierten Vertreibung indigener  Bevölkerungen aus ihren Gebieten. Die Entwicklungsländer werden so zu „grünen Kläranlagen“ umfunktioniert, damit die Industriestaaten weiterhin ihr auf unendliches Wachstum und unersättlichen Ressourcenverbrauch ausgerichtetes Entwicklungsmodell vorantreiben können.

Dem entgegen forderten wir: „Climate Justice Now!

Leider lassen sich unsere Regierungen aber weniger von wissenschaftlichen Erkenntnissen oder vernünftigen Einsichten leiten als von den Interessen der großen Verschmutzer aus der Industrie sowie den nach neuen Spekulationsinstrumenten lechzenden Vertretern der Finanzwirtschaft. Da es also nicht bei guten Argumenten bleiben sollte, sondern ein weithin sichtbares Zeichen gesetzt sowie Druck auf die Regierungen ausgeübt werden sollte, zogen wir unter dem Motto „Reclaim Power“ zum Kongressgelände um dort symbolisch eine Versammlung der ErdenbewohnerInnen („People’s Assembly“) zu zelebrieren und wirkliche Lösungsansätze vorzubringen. Biosprit, Kernkraft und Gentechnologie sollte dabei eine Absage erteilt werden. Stattdessen forderten wir:

  • Ernährungs- und Energiesouveränität anstatt Abhängigkeit von transnationalen, Raubbau betreibenden Konzernen
  • das Belassen der fossilen Ressourcen im Boden (die direkteste und sicherste Methode der Vermeidung von Treibhausgasen)
  • offene Grenzen statt dem Ausbau der Festung Europa („neuer Mauerbau“)
  • Zahlung der ökologischen Schulden anstatt re-kolonialisierenden Vorschriften für den Süden
  • das Recht auf Selbstbestimmung der indigenen Bevölkerungen statt durch vermeintlich umweltfreundliche Maßnahmen bewirkte Vertreibungen

Zwar hatte die „Reclaim Power“-Aktion das erklärte Ziel, mittels friedlichen, zivilen Ungehorsams auf das Konferenzgelände vorzudringen. Letztendlich war das Eindringen in den Konferenzbereich aber nicht entscheidend. Denn bei der Aktion ging es vor allem darum, ein Zeichen zu setzen. Ein Zeichen dafür, dass wir die ungerechte und selbstgefällige Klimapolitik der Industriestaaten nicht mittragen, sondern ganz andere Lösungen fordern.

Gleichzeitig markierte die provokante aber friedliche Aktion wohl so etwas wie die Geburtsstunde einer globalen Bewegung für Klimagerechtigkeit.

Von der Ausdauer dieser Bewegung konnte man sich gegen Ende der Konferenz noch einmal überzeugen: Während im Bella Center die Karossen der Staats- und Regierungschefs einfuhren, ließen sich vor dem Konferenzzentrum bei klirrender Kälte und Schneefall reihenweise Menschen als Zeichen der Scham für diese egoistische und kurzsichtige Klimapolitik öffentlich die Haare scheren. Auch die Abschlussdemo am Freitagabend war trotz Minusgraden noch erstaunlich gut besucht.

Als Teil dieser Bewegung werden wir auch weiterhin Druck machen für Klimagerechtigkeit und ein faires Abkommen.

Nino David Jordan

 

"Was übrig bleibt ist Trauer und Wut"

Zwei Jahre wurde nun verhandelt und das Ergebnis ist gleich Null. Ein
Abschlusspapier wurde, von der Versammlung, lediglich zur Kenntnis genommen
und hat somit keinerlei bindende Wirkung. Abgesehen davon wäre es inhaltlich
auch völlig ungenügend gewesen.

In Kopenhagen hat sich auch der ursprüngliche offene Charakter der
Klimakonferenzen verändert. Durch das Ignorieren und Niederschlagen der
Protestbewegung in und vor dem Verhandlungszentrum wurde deutlich, dass es
keinen Konsens zwischen den Regierenden und der umweltbewegten
Zivilgesellschaft geben würde und dass die Herrschenden daran auch gar nicht
interessiert waren. Unübersehbar ist auch die Kluft zwischen Reden und
Handeln, auch und gerade bei der Kanzlerin, die in Kopenhagen wieder als
Klima-Kanzlerin auftrat, aber in Deutschland weiterhin Kohlekraftwerke
zulässt.

Dass jahrelange Mikado spielen - nach dem Motto "wer sich zuerst bewegt hat
verloren" - hat sich nun gerächt. Für alle, die diese Verhandlungen mit
Hoffnungen auf ein faires und wirksames Abkommen verbunden haben, bleibt nur
Trauer und Wut.

Ganz anders ist die Situation bei den Demonstranten. Während die Delegierten
in Luxushotels und weichen Betten residierten, schliefen die Protestler in
Turnhallen, ungeheizten abbruchreifen Fabrikhallen, mit zeitweise nur zwei
Toiletten und einem Wasserhahn auf ca.. 2000 Menschen. Dennoch war die
Solidarität unter ihnen riesengroß. Hier war Engagement zu spüren und soviel
Solidarität. Nehmen wir z.B. die Volksküche in der Massenunterkunft
Teglholmen. Sie arbeitete bis spät in die Nacht und das Essen war wieder
bereit, wenn es morgens früh los ging.

Bei den Vorbereitungstreffen für die Demonstrationen wurden Gemeinsamkeiten
entwickelt und die Polizeiwillkür schweißte nur noch mehr zusammen. Climate
Justice Now und Climate Justice Action sind die Namen der Protestnetzwerke,
die wir uns merken müssen und die in den nächsten Jahren eine immer größere
Rolle spielen. Ebenso wie der Protest insgesamt. Da die Regierungen alles
vergeigt haben bleibt letzten Endes nur der Widerstand übrig. Widerstand
gegen jedes Kohlekraftwerk, gegen Braunkohletagebau, gegen Straßen- und
Flughafenausbau, gegen Waldrodungen und gegen überflüssigen Luxuskonsum. Für
erneuerbare Energieversorgung, ein öffentliches Verkehrssystem auf Basis
regenerativer Energien, eine bäuerliche Landwirtschaft mit verminderter
Tierhaltung und stark erweiterten Mitbestimmungsrechten der Bürger in
ökologischen Fragen.

Keine Frage, dass Kopenhagen ein Disaster der Regierenden war, aber der
Zündfunke für eine neue und ständig stärker werdende globale Bewegung für
Klima-Gerechtigkeit und Klimaschutz.

Von daher hatte der Gipfel in Kopenhagen auch etwas gutes: Er hat die
Illusion zerstört, dass es die Regierungen schon richten werden.

Viele Fotos und ein sehr sehenswertes Video zur Demo am Mittwoch,

Sturm aufs Bella-Center, gibt es hier zu sehen:

http://klimaschutz-netz.de/

Beiträge von Sabine Wils und Eva Bulling-Schröter und anderen:
http://www.wir-klimaretter.de/

Mit freundlichen Grüßen

Udo

"Auf dem Weg zur Klimagerechtigkeit" von Alexis Passadakis

 *Von Alexis Passadakis, Kopenhagen* 21.12.2009

(erschienen im:  http://www.neues-deutschland.de am 21.12.209)


  Auf dem Weg zur Klimagerechtigkeit


    Umweltbewegung muss sich weiter organisieren und vernetzen, um
    künftig mehr zu erreichen

Hunderttausend bei der Großdemo im eiskalten Kopenhagen und eine
Aktionswoche inklusive zivilem Ungehorsam. Der UN-Klimagipfel stieß aus
der Perspektive des Protestes in neue Dimensionen vor. Zwar entstanden
auf Seiten der sozialen Bewegungen neue Koalitionen, von der Geburt
einer neuen Bewegung zu sprechen wäre allerdings noch verfrüht.


Die Mobilisierung von Kopenhagen ist das Ergebnis einer veränderten
Wahrnehmung der gesellschaftlichen Naturverhältnisse: Die Klimakrise
spitzt sich weiter zu und der Höhepunkt der Ölförderung (Peak Oil) ist
bald erreicht. Deshalb verschiebt sich das politische Terrain. Mit dem
UN-Klimagipfel in Kopenhagen ist daher die internationale Klimapolitik
endgültig vom »weichen« zu einem »harten« Politikfeld avanciert. Die
Anreise von 120 Staatschefs und 30 000 akkreditierten Vertretern von
Nichtregierungsorganisationen und Lobbyisten, darunter allein 440 von
der Internationalen Assoziation von Emissionshandelsunternehmen (IETA),
machte klar, dass es nun nicht mehr »nur« um Umweltpolitik geht, sondern
um Kernfragen von Ökonomie und Geopolitik.

Die ökologische Frage wird deshalb (wieder) als soziale verstanden. Zu
den etablierten Umweltorganisationen stießen das erste Mal bei einer
Klimakonferenz auch soziale Bewegungen wie Via Campesina, der weltweit
größte Kleinbauernverband, globalisierungskritische Organisationen sowie
linke und antikapitalistische Gruppen hinzu. Trotz der insgesamt großen
Zahl von Aktiven und unzählbaren Aktionen war Kopenhagen aber keine
fulminante Premiere einer neuen Bewegung für Klimagerechtigkeit. Anders
als die Proteste 1999 in Seattle gegen die Welthandelsorganisation (WTO)
für die globalisierungskritische Bewegung. Was diesen geopolitischen
Moment in Seattle ausmachte, war die demonstrative Einigung
unterschiedlichster sozialer Bewegungen auf einen minimalen und
pluralistischen aber wirkungsvollen anti-neoliberalen Grundkonsens.
Verbunden war all dies mit der Identifizierung von Gegnern, wie der WTO,
dem Internationalen Währungsfonds und der transnationalen Konzerne.

Diese Voraussetzungen fehlten jedoch in Kopenhagen. Für viele der
Demonstrierenden gab es überhaupt keinen Gegner, sondern die Hoffnung,
dass die Staatschefs ein ambitioniertes Klimaschutzabkommen aushandeln
mögen. Viel Bekenntnis, wenig Politik. Ein anderer Teil identifizierte
die weiterhin auf Wirtschaftswachstum orientierten Regierungen und eine
auf Marktmechanismen basierende Politik, wie den Emissionshandel, und
damit den UN-Prozess als Teil des Problems. Die geplanten, aber nur
teilweise erfolgreichen Aktionen zivilen Ungehorsams waren darauf
gerichtet, genau diesen Antagonismus sichtbar zu machen und das Feld
Klimaschutz als Frage von Klassen-, Geschlechter und anderen
Machtverhältnissen zu politisieren.

Ohne Zweifel haben das Konzept von Klimagerechtigkeit und die damit
verbundenen Proteste Akzente setzen können. Für mehr fehlt einer neuen
Bewegung jedoch noch die strategische Tiefe. Dazu würden eine größere
Dichte von aktivistischen Gruppen, mehr Strukturen, die als
Bewegungs-Think-Tanks dienen und engere Netzwerke mit kritischen
Gewerkschaftlern gehören. Ein Pendant zum Weltsozialforum als Ausweis
unabhängiger Kontinuität der altermondialistischen Bewegung ist
ebenfalls nicht in Sicht.

Allerdings könnte das offensichtliche Scheitern des Gipfels die
Entwicklung einer solchen neuen Bewegung für Klimagerechtigkeit
befördern und die Saat aufgehen lassen. Dazu müssen jedoch noch mehr
Menschen tatsächlich in Bewegung kommen und Kampagnen auf den nationalen
Ebenen die Frage einer sozial gerechten und damit effektiven
Klimapolitik aufwerfen.

Unser Autor ist attac-Mitglied und engagiert sich beim globalen Netzwerk
Climate Justice Action.