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2. August 2012 - Mainz, Attac-Sommerakademie:

Nach dem Workshop der AG Globalisierung und Krieg bei der Attac-Sommerakademie in Mainz zum Thema "Bloß keinen Krieg gegen den Iran!" hat Barbara Fuchs mit den beiden Referenten Rouzbeh Taheri (R.T.) und Shir Hever (S.H.) ein Interview geführt. Es wurde in der neuen Zeitung gegen den Krieg veröffentlicht. 
http://www.zeitung-gegen-den-krieg.de/   Nr. 34 Herbst 2012, Seite 5

„Bloß keinen Krieg gegen Iran!“

Ein Interview mit Rouzbeh Taheri und Shir Hever

Der Iraner Rouzbeh Taheri und der Israeli Shir Hever trafen sich bei der Attac-Sommerakademie Anfang August in der Gutenberg-Universität in Mainz. Sie  diskutierten in einem gemeinsam vorbereiteten Workshop über den drohenden Krieg gegen den Iran, über die Funktion der Waffenexporte aus Deutschland und über Handlungsoptionen für die internationale Bewegung.  

Krise und Protest waren die großen Themen bei der Attac-Sommerakademie…
Rouzbeh Taheri: Da lagen wir mit unserem Thema „Bloß keinen Krieg!“ genau richtig. Denn Krise und Krieg sind miteinander verwandt.

Warum trommelt gerade jetzt Israels Premierminister Netanjahu mit Ungeduld zum Krieg?   
Shir Hever: Die neoliberale Politik und die Militarisierung der Gesellschaft haben auch in Israel zu einer ökonomischen Krise geführt. Es ist vor allem eine Krise der Ungleichheit. Die Reichen spüren die Krise kaum, aber die Armut steigt an und die Mittelklasse wird in rapidem Tempo immer kleiner. Der Verteidigungshaushalt wächst unaufhörlich. Er beträgt, wie in keinem Land sonst auf der Welt, acht Prozent des Bruttoinlandsproduktes, zählt man die versteckten Kosten hinzu, sind es sogar zwölf Prozent. Die sozialen Budgets aber werden zusammengestrichen. Die öffentlichen Dienste, wie Gesundheitswesen, Erziehung, Ausbildung oder Verkehr werden immer mehr vernachlässigt. Viele Menschen sind ungeschützt Armut und sozialem Abstieg ausgeliefert. Sie sind verzweifelt. Die Protestbewegung ist – wie schon 2011 – wieder auf der Straße. Ein Krieg mit dem Iran würde zu einer schweren Belastung werden. Aber Premierminister Netanjahu und Verteidigungsminister Ehud Barak, deren Popularität beschädigt ist, fürchten den Machtverlust bei der nächsten Wahl. Jahrelang haben sie auf die nukleare Bedrohung durch den Iran fokussiert. Mit einem Krieg könnten sie der Protestbewegung den Wind aus den Segeln nehmen und sich selbst noch rechtzeitig vor den nächsten Wahlen als „Kriegshelden“ in Szene setzen
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Wie verhält sich die Protestbewegung zur Kriegsfrage?
S. H.: Die gegenwärtige Bewegung ist sich bewusst, dass ein Krieg gegen den Iran ihre Bewegung zerstören könnte. Deshalb werden viele von ihnen aktiv. Zusätzlich zu Demonstrationen auf der Straße suchen sie Kontakt mit der iranischen Bevölkerung, um die Kriegspropaganda mit der Dehumanisierung des „Feindes“ aufzudecken. Erfreulich, dass auch in Berlin mit dem Iranian-Israel-Circle ein Aktionsbündnis entstanden ist, das gegen die Kriegstreiberei, die Sanktionen gegen den Iran und gegen die deutschen Waffenexporte protestiert.
 
Und wie ernst sind die Drohungen der iranischen Führung gegen Israel?
R. T.: Es gehört seit dreißig Jahren zum propagandistischen Repertoire der Regierung, sich als Gegner der israelischen Politik hervorzutun. Sie unterstützt  Gruppen im Libanon und in den besetzten Gebieten, die gegen Israel kämpfen. Aber es gab nie auch nur den Versuch eines direkten Angriffs auf Israel. Jeder iranische Politiker weiß, dass das Selbstmord wäre. Die Politiker im Iran sind keine Fanatiker, auch wenn sie im Westen so dargestellt werden. Präsident Ahmadinedschad hält provokante Reden, um die eigene Machtposition im Land und in der islamischen Welt zu festigen. Er möchte als unerschrockener Kämpfer dastehen, der  den Großmächten die Stirn bietet. Mit dieser verbalen „Standfestigkeit“ kann er von seinem Versagen in anderen Bereichen ablenken.
        
Aber sind es nicht vor allem die verheerenden Sanktionen der USA und der EU, die die iranische Wirtschaft schädigen?
R. T.: Dass ist richtig. Mit den Sanktionen wird seit vielen Jahren schon ein verdeckter Krieg geführt. Die wirtschaftliche Situation hat sich als Folge der Sanktionen dramatisch verschlechtert. Doch die Elite leidet nicht. Die Sanktionen treffen vor allem die einfache Bevölkerung. Die Preise für Nahrungsmittel sind stark gestiegen. Zugleich aber hat die iranische Regierung längst geplanten Sozialabbau umgesetzt und als Ergebnis der Sanktionen verkauft. Der Unmut der Bevölkerung wird dadurch von der Regierung abgelenkt. Die Unterdrückung der Opposition ist in der Atmosphäre der äußeren Bedrohung viel leichter.

Wo steht Deutschland, wenn es um Krieg oder Frieden in der Region geht?
S. H.: Der deutsche Verteidigungsminister Thomas de Maizière hat Barak gewarnt, den Iran anzugreifen. Aber dieses verbale Statement ist nichts wert, wenn Deutschland Israel für den Krieg gegen den Iran aufrüstet. Die 12 Militär-U-Boote, zu deren Lieferung sich die deutsche Regierung verpflichtet hat, sind die wichtigsten Angriffswaffen für diesen Krieg.  Sechs davon wurden schon geliefert. Die U-Boote können mit schweren Raketen (möglicherweise sogar mit Atomraketen) ausgerüstet werden. Ihr Ziel kann kaum ein anderes sein als der Iran. Kaum erwähnt wird, dass die Finanzierung dieser Kriegsgeräte zum Teil als Holocaust-Wiedergutmachung gilt.

Angriffswaffen als Holocaust-Wiedergutmachung?        
S. H.: Deutschland als drittgrößter Waffenexporteur der Welt will sich auch am Kuchen des Mittel-Ost-Konflikes bedienen. Deshalb wurden mit der israelischen Regierung Pläne entwickelt, wie die Kassen der Rüstungskonzerne gefüllt werden können. Die Finanzierung der U-Boote geht so: Ein Drittel der Kosten bezahlt Israel normal. Das zweite Drittel wird mit in Israel hergestellten Waffen bezahlt (so dass die israelischen Waffenfirmen profitieren können) und ein Drittel kommt aus dem deutschen Fonds für die Wiedergutmachung nach dem Holocaust. Anstatt die Überlebenden des Holocaust zu unterstützen, von denen viele in Armut leben und auf Sozialhilfe angewiesen sind, geht das Geld an die Besitzer der Waffenfabriken.

Welche Optionen seht Ihr für die internationale Bewegung?
S. H.: In dieser Situation sollte die internationale Bewegung sehr sorgfältig  darauf schauen, welches die Bedürfnisse der Bevölkerung sind, die sie unterstützen will. Aktivisten von außerhalb sollten keine Lösungen diktieren, sondern Solidarität mit den Aktivisten vor Ort zeigen, die ihren eigenen Weg suchen. Es wäre ein Fehler,  aus der Kriegsablehnung die gegenwärtige Regierung im Iran zu unterstützen oder einen Regimewechsel im Iran zu fordern. Darüber müssen die Menschen im Iran selbst entscheiden. Doch internationale Aktivisten haben die Verantwortung, Einfluss auf ihre Regierungen zu nehmen. Regierungen, die Waffen in Länder exportieren, die sich am Rande eines Krieges befinden, machen sich mitverantwortlich für den Tod und das Leid, das durch diese Waffen entsteht. Die deutsche Regierung kann nicht für sich in Anspruch nehmen, dass sie nicht weiß, dass Israel Gewaltabsichten gegen Iran hat. Israel in dieser Situation mit Langstreckenwaffen aufzurüsten, heißt, dass Deutschland einen feindlichen Gewaltakt gegen Iran unternimmt. Aktivisten sollten sich für ein Waffenembargo gegen Israel einsetzen.

R. T.: Einerseits müssen wir uns für ein Ende jeglicher Rüstungsexporte in die Region, und natürlich nicht nur in diese Region, einsetzen. Mit dieser Forderung sollte die Perspektive eines atomwaffenfreien Nahen und Mittleren Ostens verbunden werden. Zum anderen dürfen wir nicht den Fehler machen, die iranische Regierung zu unterstützen. Es muss klar sein, dass wir gegen Krieg sind und genauso gegen die Unterdrückung der Bevölkerung sind, egal ob im Iran oder in den palästinensischen Gebieten.    

Shir Hever ist israelischer Wirtschaftswissenschaftler und Publizist. Er arbeitet für das Alternative Information Center, eine palästinensisch-israelischen Organisation in Jerusalem und Beit-Sahour. 2010 erschien sein Buch “The Political Economy of Israel’s Occupation” im Verlag Pluto Press.
Rouzbeh Taheri ist Vorstandsmitglied des Iranischen Kultur- und Medienvereins in Berlin.
Das Interview führte Barbara Fuchs von der Attac-AG Globalisierung und Krieg.