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18. Mai 2012 - Luz Maria de Stefano de Lenkait:

US-Interessenvertreter, besonders die aus dem Umfeld des Militär-Industriekomplexes sind angesichts der bevorstehenden NATO-Tagung in Chicago in führenden deutschen Medien besonders aktiv, so auch in der Süddeutschen Zeitung, die einem dieser Leute ein Interview gewährt hat, Anlass zu folgender Stellungnahme zum

Interview in der Süddeutschen Zeitung (SZ) vom 18.5.2012
mit Nicholas Burns, früherer US-Spitzendiplomat, SZ-Interviewer Christian Wernicke

Führungsrolle Deutschlands nicht nach US-Geschmack

Eine aggressive Außenpolitik der USA, die seit langem in der Gesetzlosigkeit gelandet ist, ruft zahlreiche Krisen überall in der Welt hervor und verlängert sie, gerade mit Hilfe eines sichtbar gewordenen aggressiven Militärpaktes aus dem Kalten Krieg, der, anstatt sich 1990 aufgelöst zu haben, immer weiter in Europa agitiert und erodiert.

Sich gegen diese ungeheuerliche unzulässige Außenpolitik der USA zu wehren, die schon lange außer Kontrolle geraten ist und generelle Unsicherheit schafft, ist heute das Gebot der Stunde für alle seriösen Diplomaten und europäischen Regierungen. Öffentlicher Widerstand fällt in das Ressort eines unabhängigen Journalismus als zuverlässiger Anker der europäischen Demokratie.

Der ehemalige amerikanische Diplomat Nicholas Burns missversteht absichtlich ein friedfertiges demokratisches Deutschland und übersieht die aktuelle Lage Europas gegenüber einer obsoleten NATO. In den 80er Jahren lag der Anteil der europäischen NATO-Mitgliedsländer an den Militärausgaben des Militärpaktes noch bei 40%. Heute sind es nur ca. 20%. (US-Nachrichtendienst Stratfor in „Infragestellung der NATO“, Junge Welt, 18.5.2012)

Selbstverständlich ist Deutschland eines der wichtigsten Länder der Welt. Gewiss haben sich die Deutschen heute als zutiefst überzeugte Demokraten bewiesen. Deswegen sollen sie sich zu Krieg und Aggression verleiten lassen? Ist das „die Überlegung“, das normale Kriterium eines US-amerikanischen Diplomaten? Was für eine perverse verzerrte Schlussfolgerung!

Gerade weil die deutsche Bevölkerung sich zutiefst friedfertig überzeugt zeigt und mit ihrem Grundgesetz vollkommen identifiziert, vertrauen die Völker der Welt diesem Deutschland. Nicht weil es heute demokratisch, stark oder schwach ist, sondern weil es entschlossen friedfertig ist. Das Gegenteil geschieht mit den USA: Obwohl sie eine Demokratie sind, obwohl sie niemals einen Hitler hatten, auch jetzt nicht haben, verlieren die USA immer weiter das Vertrauen der ganzen Welt und werden als die größte Gefahr für den Weltfrieden gefürchtet, gerade deshalb, weil sie als Demokratie nicht im Rahmen des internationalen Gesetzes handeln, sondern außerhalb des internationalen gesetzlichen Rahmens in Militarismus und mörderische Aggressionen versunken sind und alle demokratischen humanen Werte über Bord geworfen haben.

Wenn die Demontage des Rechts auf internationaler Ebene erfolgt, und zwar durch das UN-Sicherheitsgremium, ist die Gefahr des offenen hässlichen Faschismus wieder zu erkennen mit allen seinen verhängnisvollen Konsequenzen wie Krieg, Massenmord und Aggressionen weltweit. Die verheerenden Symptome sind zahlreich, bedrohlich und eindeutig genug. Politik und Öffentlichkeit sind aufgerufen, dieser enormen Gefahr entgegenzutreten. Gegen das Dritte Reich gab es Widerstand. Gegen den gegenwärtigen Faschismus, nämlich der offenkundigen Recht- und Gesetzlosigkeit auf höchster Ebene, angeführt von den USA, und zwar im UN-Sicherheitsrat und in der NATO, muss die Weltstaatengemeinschaft allgemeinen wirksamen Widerstand leisten.

Die Urteile der Nürnberger und der Tokioer Tribunale erbrachten neue Prinzipien über die persönliche Verantwortung wegen Kriegsverbrechen. Daraus wurden neue strafrechtliche Tatbestände im Strafgesetzbuch beschrieben, also neue Delikte. Darauf müssen eine rechtsstaatliche Öffentlichkeit, Richter und offizielle strafrechtliche Institutionen achten, vor allem deshalb, weil manche Politiker und ihre Berater peinlich gegenüber Recht und Gesetz entgleisen, wie nicht nur bei den CDU-CSU-Ultras, sondern auch wieder bei SPD und Grünen zu beobachten ist. Gerade deshalb muss sich die deutsche Öffentlichkeit entschieden dagegen einschalten und die Rechtsverweigerer an den Pranger stellen. Wozu sonst die Pressefreiheit in Deutschland, etwa um US-Manipulationen Platz zu lassen?

Der neue Faschismus, nämlich die Missachtung von Recht und Gesetz, mit der Wiederkehr der hegemonialen Kanonenbootpolitik ist viel gefährlicher, viel menschenverachtender und verbrecherischer als der alte bekannte europäische Faschismus des 20. Jahrhunderts. Ihn durch propagandistische Lügen und konstruierten Erfindungen in die Öffentlichkeit zu tragen, ist Volksverhetzung, die selbstverständlich strafrechtlich verfolgt und bestraft gehört.

In diesen Sumpf immer tiefer einsinkend geben die USA keine Signale von Vernunft und Normalität von sich. Rationalität ist bei der Führung in Washington nicht mehr zu erkennen. Trotz der schwersten finanziellen Krise, die ihre Bevölkerung am härtesten trifft, verharrt die US-Regierung darin, weitere gigantische Ressourcen in unproduktive Rüstungsprojekte und in ihre Hunderte weltweiten Militärstützpunkte und Kriegsaktivitäten zu vergeuden. Ein irrsinniger katastrophaler Weg! Es ist eine Zumutung, auch nur daran zu denken, Deutschland und Europa sollten mit eigener Geldverschwendung dabei helfen.

Sicherlich können die USA in dieser Hinsicht nicht mit Deutschland und Europa rechnen, gerade weil Deutschland heute „normal“ denkt und handelt. In diesem Zusammenhang lobt der deutsche Außenminister Guido Westerwelle - vor allem nach dem Libyen-Debakel der NATO mit rund 70.000 Toten - die „deutsche Kultur militärischer Zurückhaltung“, wie Christian Wernicke im geführten Interview mit dem dreisten US-Amerikaner zutreffend hervorhebt. (SZ vom 18.5.2012)

Eine glückliche und richtige Führungsrolle übernahm Berlin schon in der Tat, als es nicht für den NATO-Einsatz in Libyen stimmte und viele europäische Länder Berlin folgten. Vollkommen falsch ist die Behauptung von Nicholas Burns, „die Arabische Liga und die Vereinten Nationen riefen zur Intervention in Libyen auf.“ Im Februar und März 2011 äußerte sich sogar selbst der damalige amerikanische Verteidigungsminister Robert Gates innerhalb der NATO zweimal gegen diesen ominösen Krieg. Gerade an diese ursprüngliche US-Position musste der Verteidigungsminister Deutschlands, Thomas de Mazière, erinnern, als er persönlich seinen Kollegen im Pentagon einen Monat später im April 2011 besuchte.

Die große Politik stellte sich beim Libyen-Konflikt von Anfang an anders da, als es sich einige schräge Gestalten und Kriegstreiber in Politikzirkeln zu wünschen schienen: Zwei „dringliche“ NATO-Sondersitzungen, die erste am 25.2. und die zweite am 2.3.2011, verliefen ohne Ergebnis: Weder die USA noch Großbritannien beauftragten den Einsatz militärischer Gewalt in Libyen. Auch nicht die Vereinten Nationen und keine ihrer Unterorganisationen. Auch kam nichts dergleichen aus der Afrikanischen Union, der Arabischen Liga oder authentisch von den Oppositionskräften in Libyen selbst, die ursprünglich keine ausländische Einmischung wollten. Der US-Amerikaner Nicholas Burns lügt plump im Interview, wenn er das Gegenteil behauptet. Wenn er sich richtig dokumentiert, ist er verpflichtet, die Lage mit Wahrhaftigkeit richtig zu stellen. Deutschland war sogar im Fall der Libyen-Resolution bereit, mit Nein zu stimmen und mit Deutschland viele andere europäische Länder. Das ist schon eine deutliche politische Führungsrolle. Nur nicht nach dem Geschmack der US-Machteliten, oder?

Zwar beriefen sich die Kriegsherren auf die Resolution des UN-Sicherheitsrates vom 17.3.2011, jedoch erlaubte diese Resolution keine Intervention, keine Parteinahme zugunsten einer Seite in einem Bürgerkrieg, was auch die Grundsätze des allgemeinen Völkerrechts und die UN-Charta untersagen. Eine Parteinahme widerspricht der UN-Charta. Allerdings hält auch die UN-Sicherheitsrats-Resolution selbst keiner juristischen Überprüfung stand, wie der Völkerrechtler Prof. Dr. Hans Köchler, Präsident der „International Progress Organisation“ mit Sitz in Wien in seinem Brief und beigefügtem Memorandum (26.3.2011) deutlich aufklärt. Der UN-Sicherheitsrat mit der Billigung der Resolution zu Libyen (17.3.2011) überschritt seine durch die UN-Charta definierten Kompetenzen und verstieß gegen Grundsätze des allgemeinen Völkerrechts. „Es ist offensichtlich, dass die Übertragung praktisch unbeschränkter Vollmachten an interessierte Parteien und regionale Gruppen ... nicht nur mit der Charta der Vereinten Nationen, sondern mit dem internationalen Recht an sich nicht vereinbar ist.“ Durch diese Generalermächtigung zur Intervention hat die Resolution erst die Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit geschaffen. Professor Dr. Köchler schlägt eine völkerrechtliche Bewertung der Sicherheitsratsresolution durch den Internationalen Gerichtshof vor,die noch bevorsteht, und zwar für alle früheren UN-Sicherheitsratsresolutionen seit 1991.

Schon seit dem ersten Irak-Krieg 1991 sieht die Weltstaatengemeinschaft sich der Tatsache gegenüber, dass von einigen wenigen UN-Mitgliedsstaaten, nämlich den USA und ihren Vasallen, UN-Mandate als Blanko-Scheck zum Krieg missbraucht werden. Ein Problem, das einen seriösen amerikanischen Ex-Diplomaten beschäftigen sollte.

Eine große Enttäuschung für die ganze Welt, nicht nur für die Arabische Welt, war gewiss die widersprüchliche Haltung der USA unter Präsident Barack Obama. Gefangen in einem Lügen-Labyrinth wollte er keinen weiteren Krieg anstiften und keinen Krieg gegen Libyen sehen und nichtsdestotrotz erlaubte Obama den Krieg und sogar die NATO-Kriegsmaschinerie dazu einzusetzen, auch um US-amerikanische Kosten zu sparen. Dadurch wurde die NATO noch einmal nach Jugoslawien, Afghanistan und Irak, ein mörderisches Instrument für Aggressionen. Die NATO muss sich für Massaker, Massenmord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten. Der Tag dazu wird kommen, denn Verbrechen gegen die Menschlichkeit verjähren nicht.

Die meisten Europäer empfinden die Idee, dass das Militär ihre demokratischen Freiheiten verteidigt, als geradezu lächerlich. Seit der Auflösung der Sowjetunion verliert die NATO Sinn und Zweck. Amerika muss sich damit abfinden. Es war ein irreparabler Irrtum, auf der NATO-Gründung und -Aufrechterhaltung bestanden zu haben, sowohl im vergeudeten konstruierten Kalten Krieg, der niemals hätte stattfinden dürfen, als auch später nach der Wende 1990. Unter den Folgen dieser wahnsinnigen Verschwendung leiden die USA am meisten. Sie haben das Problem geschaffen. Sie müssen das Problem lösen.

Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait