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Corona-Krise: Regierungen müssen Konzernklagen verhindern

630 Organisationen weltweit fordern Aus für Konzern-Paralleljustiz

Weltweit ergreifen Regierungen in der Corona-Pandemie Maßnahmen im öffentlichen Interesse, um Leben zu retten und Arbeitsplätze zu sichern. Doch dies könnte Konzerne und Investoren auf den Plan rufen, die dadurch ihre Profite gefährdet sehen.

Mit Hilfe von Sonderklagerechten für Konzerne (Investor State Dispute Settlement, ISDS), die in vielen Handels- und Investitionsabkommen verankert sind, könnten sie Staaten für entgangene Profite verklagen. (1) Die UN-Organisation für Handel und Entwicklung (UNCTAD), zahlreiche Anwaltskanzleien sowie prominente Handels- und Menschenrechtsexpert*innen rechnen bereits mit einer bevorstehenden Welle von Konzernklagen. Auf Staaten, die schon jetzt unter der Gesundheits- und Wirtschaftskrise leiden, würden so enorme zusätzliche Kosten zukommen. Bis Ende 2018 mussten Staaten im Rahmen von ISDS-Schiedssprüchen oder -Vergleichen insgesamt über 88 Milliarden US-Dollar an Investoren zahlen. Einige Länder des globalen Südens sind derzeit noch mit ISDS-Klagen in Milliardenhöhe konfrontiert.

Es gibt rechtliche Möglichkeiten, diese Paralleljustiz zu stoppen

Weltweit fordern 630 zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter Attac Deutschland, daher ihre Regierungen in einem offenen Brief auf, Corona-Maßnahmen sofort von der Anwendbarkeit dieser Paralleljustiz auszunehmen und diese völlig zu stoppen.

In einer Zeit, in der staatliche Ressourcen als Reaktion auf eine Krise bereits mehr als ausgereizt sind, soll öffentliches Geld Leben, Arbeitsplätze und Lebensgrundlagen retten – und nicht für Anwaltskosten und Entschädigungszahlungen an internationale Konzerne verwendet werden, heißt es in dem Appell.

"Regierungen dürfen jetzt nicht tatenlos auf die ersten Konzernklagen warten. Sie können die Zustimmung zu dieser Paralleljustiz verweigern, zurückziehen oder ein Abkommen zur Aussetzung der Klagen abschließen. Zudem können sie laufende ISDS-Verfahren oder Zahlungen aussetzen. Aktuelle Verhandlungen müssen beendet und bestehende Abkommen, die Sonderklagerechte enthalten, gekündigt werden", sagt Hanni Gramann von der Attac-Arbeitsgruppe Welthandel und WTO. Für alle diese Szenarien existieren rechtliche Möglichkeiten.

Roland Süß vom Attac-Koordinierungskreis ergänzt: "Sonderklagerechte für Konzerne sind ein soziales und demokratiepolitisches Desaster, bei dem nur Profite zählen. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, dass Konzerne größere rechtliche Privilegien genießen als jene, die jetzt schon am stärksten unter der Pandemie leiden. Es ist Zeit, diese Paralleljustiz ersatzlos abzuschaffen, um eine Politik im öffentlichen Interesse zu stärken."
 



(1) Sonderklagerechte für Konzerne ermöglichen es ausländischen Investoren, Staaten vor privaten Schiedsgerichten außerhalb des nationalen Rechtssystems auf Entschädigung zu verklagen. Die Entschädigungssummen sind dabei in der Regel weit höher als die Summen, die vor ordentlichen Gerichten einklagbar wären.

Investoren könnten beispielsweise gegen folgende Maßnahmen klagen, die viele Regierungen in der Corona-Pandemie ergriffen haben:

  •  die Einschränkung und Stilllegung von Geschäftsaktivitäten mit dem Ziel, die Ausbreitung des Virus einzudämmen und Arbeitnehmer*innen zu schützen;
  •  die Sicherung von Kapazitäten im Gesundheitssystem durch die Beschlagnahmung privater Krankenhauseinrichtungen, die Unterstellung privater Gesundheitsdienstleister unter öffentliche Kontrolle oder die Verpflichtung zur Herstellung von Beatmungsgeräten;
  •  die vorläufige Aussetzung oder Stundung von Hypotheken- oder Mietzahlungen für Haushalte und Unternehmen;
  • die Verhinderung ausländischer Übernahmen von strategischen Unternehmen, die von der Krise betroffen sind;
  •  die Gewährleistung des Zugangs zu sauberem Wasser durch das Einfrieren von Wasserrechnungen und das Aussetzen von Abschaltungen;
  • die Gewährleistung bezahlbarer Medikamente, Tests und Impfstoffe;
  •  sowie Umschuldungen.