Der falsche Weg - Zur Einschätzung des Konjunkturprogramms der Bundesregierung Stellungnahme des Attac-Koordinierungskreises
26. Juni 2020
Die Bundesregierung plant ein Konjunkturpaket im Wert von 130 Mrd. Euro um die Effekte der Corona-Pandemie bzw. der ihr folgenden Wirtschaftskrise abzumildern. Unter anderem wird der Mehrwertsteuersatz im zweiten Halbjahr 2020 von 19 auf 16 Prozent sinken. Weiterhin soll der Ausbau digitaler Infrastruktur in Schulen vorangebracht werden, Familien erhalten eine Einmalzahlung von 300 Euro pro Kind, der Kauf von Elektrofahrzeugen wird gefördert und auch im Gesundheitswesen sowie im Klimaschutz wird es Investitionen geben.
Ein progressiver, zukunftsfähiger Entwurf wird mit dem Konjunkturpaket nicht vorgelegt, denn geltende wirtschaftliche Strukturen bleiben unangetastet und damit ist ein „Weitermachen wie bisher“ vorprogrammiert!
Aus einer linken, progressiven und emanzipatorischen Perspektive lässt sich erneut mit Staunen feststellen, wie viel Geld in Krisenzeiten für die Erhaltung des Status quo in kürzester Zeit zur Verfügung gestellt werden kann. Denn auch wenn in Teilen des Paketes Ansätze zu erahnen sind, wie ein richtiger Weg hätte verfolgt werden können, so kommen diese tatsächlich nicht zum Tragen. Stattdessen finden wir mal wieder dieselben alten Maßnahmen, die für die Probleme unserer Zeit und der Zukunft keine Lösung mehr sind.
Die Zäsur durch Corona muss genutzt werden, die Prioritäten geradezurücken, die Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und zu tun, #waswirklichwichtigist. Wir brauchen keine Wiederbelebung der bestehenden Wirtschaftsstrukturen, sondern ihren radikalen sozial-ökologischen Umbau. Eine zukunftsorientierte Wirtschafts- und Sozialpolitik muss einen Beitrag zur Beantwortung der globalen Klima-, Ressourcen- und Verteilungsgerechtigkeit leisten.
Dabei sind wir uns bewusst, dass ein Umbau bestehender Wirtschaftsstrukturen die Sicherung bestehender Arbeitsplätze infrage stellt. Das schafft Verunsicherung bei den Beschäftigten. Aber statt weiter Existenzängste zu schüren, um Profitinteressen zu schützen, braucht es eine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung um die „Arbeit der Zukunft“. Dazu gehören der Umbau der Autoindustrie in eine Mobilitätsindustrie, die gezielte Umschulung in benötigte Berufe im Handwerk oder Pflegebereiche mit sozialer Absicherung, dazu gehören breite Lohnsteigerungen im Niedriglohnsektor, eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung und ein emanzipatorisches Grundeinkommen.
Dazu gehört aber auch eine andere geschlechtliche Arbeitsteilung. Von den Folgen der Corona-Pandemie waren Frauen besonders betroffen. Schon unter Nicht-Krisenbedingungen lastet nicht nur der größte Teil der Carearbeit auf ihnen, auch im sonstigen Arbeitsleben werden sie systematisch benachteiligt, was Bezahlung und Qualität der Arbeitsplätze, Aufstiegschancen und Gestaltungsmöglichkeiten angeht. Während des Lockdowns haben sie die Folgen im Wesentlichen aufgefangen und auch von den krisenbedingten Arbeitsplatzverlusten werden Frauen überproportional betroffen sein. Das Konjunkturpaket ignoriert dies völlig und beinhaltet keine einzige Maßnahme, die der besonderen Krisenbelastung von Frauen gerecht wird.
Dabei könnte ein Denken von einer geschlechtergerechten Arbeitsteilung her genau die Fragen auf die Tagesordnung setzen, die einen strukturellen Ausweg aus der Krise befördern würden. Das wären Fragen wie: Welche Tätigkeiten, welche Arbeitsplätze sind wirklich systemrelevant? Welche Produkte und Dienstleistungen befördern das gute Leben aller? Welche gesellschaftlichen Infrastrukturen sind notwendig, damit diese Tätigkeiten getan und diese Produkte hergestellt werden können?
Stattdessen will die Bundesregierung den Kauf von Elektrofahrzeugen beziehungsweise den Austausch von alten Verbrennern in neue Elektrofahrzeuge fördern. Hierzu wird es Kaufprämien von bis zu 6.000 Euro bei einem Anschaffungswert von 40.000 Euro geben und auch die Kfz-Steuer wird stärker an Emissionen angepasst. Attac hat in seiner Kampagne „einfach.umsteigen“ schon hinlänglich thematisiert, dass wir eine Verkehrswende und keine Antriebswende brauchen.
Auch wenn eine Abwrackprämie 2.0 durch Druck von der Straße verhindert werden konnte, so bleibt die Regierung doch weit hinter dem zurück, was nötig und machbar wäre, um die individualisierte Mobilität zugunsten von klimafreundlicher Mobilität für alle zurückzudrängen.
Eine 300 Euro Einmalzahlung pro Kind ist Signal an Familien, aber was ist mit all denen Menschen, die ebenfalls stark von der Krise betroffen sind und keine Kinder haben? Was ist zum Beispiel mit Künstlern und anderen Kreativen, die ihrem Beruf in Zeiten von Social-Distancing nicht nach nachgehen können? In Hongkong gab es immerhin eine Einmalzahlung für jeden Menschen. Auch wenn dies nichts an der immer extremer werdenden Vermögensungleichheit in Deutschland ändern würde, die im Konjunkturpaket auch mit keiner Silbe erwähnt wird, so könnte diese Maßnahme zumindest die unmittelbare Not Einiger lindern. Es sind besonders die Einkommensschwachen, die von den Maßnahmen nicht oder nicht genug profitieren. Dies zeigt sich auch bei der Senkung der Mehrwertsteuer. Diese begünstigt insbesondere Menschen mit hoher Kaufkraft.
Gesundheitspolitik laut Konjunkturpaket bedeutet wohl vor allem, die Versorgung mit Schutzausrüstung und digitaler Infrastruktur sicherzustellen. Auch sollen Schutzausrüstung sowie Medikamente wieder zu größeren Teilen in Deutschland produziert werden. Mit keinem Wort wird der Personalmangel oder die nicht tragbaren Arbeitsbedingungen vor allem für Krankenpfleger*innen in unseren Krankenhäusern erwähnt. Attac fordert endlich eine faire Bezahlung.
Gerade im Gesundheitsbereich hat die Corona-Pandemie klar aufgezeigt, dass „der Markt“ beziehungsweise eine Herangehensweise nach kapitalistischem Denken eben nicht den Anforderungen der Menschen gerecht wird, sondern am ehesten den Anforderungen derer, die Aktien bei den großen Krankenhauskonzernen halten. Das Konjunkturpaket ändert nichts an der Profitorientierung im Gesundheitswesen, DRGs (Diagnosis Related Groups) werden beibehalten, die Sinnhaftigkeit der Rolle von Patenten und von Krankenhauskonzernen nicht infrage gestellt. Mit der Digitalisierung des Gesundheitswesens wird zudem ein falscher Schwerpunkt gesetzt. Es drohen eine zusätzliche Belastung des Krankenhauspersonals und die Zweckentfremdung dringend benötigter Gelder im Gesundheitswesen, die dann für die medizinische Ausrüstung, das Personal und die Patientenversorgung fehlen, während auf der anderen Seite digitale Infrastruktur leicht zur Profitmaximierung durch kranke Patienten benutzt werden kann. Es geht offenkundig nicht darum, wie ein öffentliches Gesundheitswesen für alle aussehen kann.
Auch Rüstungsprojekte werden gefördert. Um Großkonzerne zu stützen, ist der Regierung fast jede Maßnahme recht. Aber über der Rettung bestehender Wirtschaftsstrukturen kommt die Rettung des Klimas viel zu kurz. Dabei hat sich gezeigt, wie viele Arbeitsplätze in wirklich systemrelevanten Bereichen fehlen, wie im Gesundheitswesen, in der Pflege und Betreuung und in Aktivitäten zum ökologischen Umbau.
Unter den bestehenden Verhältnissen wirken Digitalisierungsprozesse eher als Brandbeschleuniger bestehender nicht nachhaltiger Trends, also der Übernutzung natürlicher Ressourcen und wachsender sozialer Ungleichheiten in vielen Ländern.
Dass die Regierung Wasserstofftechnologien fördern will, ist einer der wenigen eher positiven Aspekte, wobei auch hier zu klären ist, ob dies nicht die Förderung der energieintensiven Industrie durch die Hintertür darstellt (Stichwort „grüner Stahl“). Bei gleichzeitiger Förderung von individualisierter Elektromobilität und den mehr als zweifelhaften Maßnahmen im Bereich Gesundheit sind wir alles andere als auf dem Weg in eine sozialere und ökologischere Gesellschaft. So wie das Konjunkturpaket angelegt ist, gewinnen wieder die, die immer gewinnen, und es verlieren insbesondere die, die auch vor Corona schon von Armut und Ausgrenzung betroffen oder bedroht waren. Aber zu den großen Verlierern würden auch zukünftige Generationen gehören, die unser „Weiter-so“ noch sehr teuer bezahlen werden müssten.
Bei 50 Mrd. Euro geplanter Neuverschuldung muss sich die Regierung die Frage gefallen lassen, warum das Geld immer nur dann da ist, wenn auch Großkonzerne (jetzt Lufthansa, 2008 die Autoindustrie und Banken) in Schieflage geraten, aber in „guten Zeiten“ im Gesundheitswesen und in anderen sozialen Bereichen immer mehr gekürzt und gespart wird. Dieses Konjunkturpaket zeigt mal wieder, dass die Wirtschaft nicht für die Menschen da ist, sondern dass sie auf Kosten der Menschen um jeden Preis „gerettet“ werden soll. Warum Unternehmen, die mithilfe von Offshore-Firmen aktiv Steuerraub betreiben, und die in Falle Lufthansa noch aktiv zum weiteren Anheizen des Klimas beitragen, jetzt von der Allgemeinheit „gerettet“ werden sollen, ist insbesondere vor dem Hintergrund der Klimakrise unbegreiflich. Der Restart der Wirtschaft wird aus der Perspektive der Betriebe gedacht. Wieder einmal verspielt die Regierung damit die Chance, im Sinne der Menschen und des Klimas zu fragen, was denn die Güter und Dienstleistungen wären, die für ein gutes, nachhaltiges Leben aller notwendig sind, und den Neustart von daher zu planen. Es zeigt sich einmal mehr: Die Richtung stimmt nicht. Wir brauchen keine kleinen Korrekturen am Status quo, sondern nichts weniger als eine sozial-ökologische Transformation.
Das Konjunkturpaket wird über Schulden finanziert. Es ist zu befürchten, dass der Abbau der Schulden zukünftig dafür genutzt wird, die Kürzung von Sozialleistungen zu rechtfertigen. Dabei könnten die Ausgaben für das Konjunkturpaket für die Besteuerung großer Vermögen gedeckt werden. Deshalb tritt Attac für eine Vermögenssteuer auf Millionenvermögen, die Finanztransaktionssteuer sowie die Schließung aller auch internationalen Steuerschlupflöcher ein. Zudem ist aus Sicht von Attac die Senkung des Rüstungshaushaltes ein geeignetes Mittel, staatliche Ausgaben zu senken.
Als Attac Deutschland setzen wir uns auch im europäischen Attac-Netzwerk EAN für einen Systemwandel hin zu Klimagerechtigkeit, sozialer Sicherheit, Pflege, Frieden und Demokratie ein. Dies geht nur durch Beendigung der bisherigen EU-Austeritätspolittik und mit einer solidarischen Unterstützung der am stärksten von der Krise betroffenen europäischen Länder. Die Mittel dafür sind wesentlich durch Besteuerung von großen Privatvermögen, aber auch durch Kürzung der EU-Mittel für „Sicherheit und Verteidigung“ aufzubringen. Die öffentliche Verschuldung der Länder des Globalen Südens sollte gestrichen werden, damit die Länder ihre Ressourcen auf die Bewältigung der Gesundheitskrise umlenken können.