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5. März 2011 - Luz Maria de Stefano de Lenkait:

Im Zusammenhang mit Massakern und Schiessereien in Libyen wird das internationale Strafrecht ins Gespräch gebracht, Anlass zu folgender Stellungnahme zu

Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 4.3.2011, Titelseite:
„Gaddafi soll vor Welt-Strafgerichtshof

Nach Gleichheitsprinzip vor dem internationalen Gesetz handeln

Schon die Schlagzeile der Süddeutschen Zeitung (SZ) vom 4.3.2011 „Gaddafi soll vor Welt-Strafgerichtshof“ ist eine Anmaßung. Niemand soll vor Gericht ohne Anklage. Die SZ übernimmt die Rolle der Gerichtsbarkeit. Will die Süddeutsche Zeitung eine Lynch-Justiz von sich aus fordern oder ist sie dazu von gewissen interessierten Kreisen angestiftet worden?

„Eine neue Ära“, wie zu optimistisch und gleichzeitig oberflächlich die SZ die internationale Rechtslage bewertet, ist noch nicht in Sicht. Niemand darf Zivilisten angreifen. Diese eindeutige humane Maxime ist eine alte Selbstverständlichkeit. Seit den Nürnberger Prozessen wurde diese humane Maxime bekräftigt und das inhumane Verhalten nach dem gesunden Menschenverstand geahndet. Außenminister Guido Westerwelle würdigte die Nürnberger Prozesse als „Antwort auf die Perversion des Rechts im nationalsozialistischen Deutschland“. Der russische Außenminister Sergej Lawrow nennt die Nürnberger Prozesse die „bedeutendsten Prozesse in der Geschichte der Zivilisation.“ Die Nürnberger Prinzipien sind von allen Journalisten, Politikern und Richtern zu beachten: Der Grundsatz VI verdammt den Angriffskrieg. Im Jahr 2002 haben sechzig Staaten das Statut des Internationalen Strafgerichtshof ratifiziert, jenes Statut, das auf den Nürnberger Prinzipien beruht. Die USA haben es aber nicht ratifiziert. Der Journalist Nicolas Richter trifft den Nagel auf den Kopf, wenn er in seinem SZ-Kommentar „Zelten hinter Gittern“ vom 5.3.2011 schreibt: „Die USA haben im Sicherheitsrat … eine lange verhasste Institution anerkannt. Selbst aber treten die Amerikaner dem Tribunal nicht bei, aus Furcht vor Ermittlungen wegen eigener Verbrechen etwa im Irak.... Washington sollte sich dem Strafgericht endlich selbst unterwerfen.“ Diese Doppelmoral der USA ist unhaltbar. Eine dauerhafte, weltweite anerkannte Strafjustiz muss sich mit den Angriffskriegen und der Gewalt westlicher Staaten befassen. Bezeichnenderweise hat das Haager Weltstrafgericht noch keinen westlichen Verbrecher verurteilt. Diese Kriminellen laufen frei herum - auf freiem Fuß in den USA und in Europa.

Eine neue Ära, und zwar eine institutionelle Ära, in der die rechtmäßigen Weltinstitutionen und Grundlagen tatsächlich funktionieren und gelten, würde nur eintreten, wenn das Prinzip der Gleichheit vor dem internationalen Gesetz seine volle allgemeine universelle Gültigkeit wiedergewinnt und angewendet wird. Das ist bisher nicht der Fall. Nach dem Gleichheitsprinzip sollte der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag tagen und handeln. Infolgedessen wären alle Morde und Massaker gegen Zivilisten zu untersuchen, um die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Die meisten Verbrechen, die straflos geblieben sind, kommen aus den NATO-Staaten. Solche NATO-Verbrechen sind weltweit bekannt und zu präzisieren: Massaker und Mord von unzähligen Zivilisten bei den NATO- Bombenangriffen gegen Jugoslawien 1999 mit gezielten Angriffen auf Brücken voller Fußgänger, auf Krankenhäuser, weitere Straftatbestände: Die unzähligen Kinderopfer beim barbarischen Bombenangriff gegen Bagdad 2003, Massaker am Kundus (4.9.2009) und wiederholt ein neues Massaker in Kunar (Afghanistan, Meldung 1.3.2011), wo fünfundsechzig Zivilisten, die meisten von denen Kinder unter 13 Jahren, während einer NATO-Offensive getötet wurden. Nicht nur eine Regierungskommission, sondern auch die unabhängige Menschenrechtskommission Afghanistans und die UNO haben ebenfalls Untersuchungen zu den tödlichen Vorfällen in Kunar eingeleitet, die zum blamablen Ergebnis für die NATO führen: Ihre Erkenntnisse bestätigen die erhobenen Anschuldigungen gegen die NATO. Die zahlreichen Zivilisten, die im Verlauf der NATO-Kampfeinsätze in Afghanistan getötet wurden, sind schon seit Jahren ein Streitpunkt zwischen den Besatzungstruppen und dem afghanischen Präsident Karsai. In diesem Zusammenhang hat sich sogar der Oberkommandeur der NATO-Streitkräfte in Afghanistan, General David Howell Petraeus für die jüngste Tötung von Zivilisten entschuldigt.

Deutschland und Europa wollen immer noch nicht begreifen, dass mit dem US-Präsident Barack Obama eine Kehrtwende in der Weltpolitik eingetreten ist, auch wenn sich die vorhergehenden kriminellen Kreise der Cheney-Bush-Regierung gegen diese Kehrtwende stellen. Während die Obama- Administration den barbarischen Irakkrieg verurteilt, akklamieren gewisse deutsche europäische Kreise solcher Barbarei als Präzedenzfall für ähnliche mörderische Angriffe, die gegen alle UN-Grundlagen verstoßen.

Keine Anklage ist möglich, ohne strafrechtliche Untersuchung. Jede strafrechtliche Untersuchung muss ausführlich sein. Im Fall der angegriffenen friedlichen Demonstranten in Libyen beträfen die Ermittlungen auch die Opposition, die ebenso wie das Umfeld von Gaddafi bewaffnet ist. Würden Vertreter der Opposition Verbrechen begehen, gebe es auch für sie keine Straffreiheit. So verlautete es korrekt aus dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (Meldung von 4.3.2011). Besonders die Tätigkeiten der ausländischen Öl-Konzerne in Libyen müssen untersucht werden, weil in diesem Umfeld ein klares Motiv besteht, Libyen zu destabilisieren und einen Bürgerkrieg angezettelt zu haben. Diese Plausibilität ist unbestreitbar.

Sollten nur die angeblichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Libyen untersucht werden und die NATO-Verbrechen ohne gerichtliche Aufmerksamkeit, also straflos, bleiben, verliert der Internationale Strafgerichtshof von Den Haag seine legale Glaubwürdigkeit genauso wie der UN-Sicherheitsrat, der die Untersuchung blauäugig gegen ein bestimmtes Land anordnet und nicht gegen Verbrecher der NATO-Staaten. Auch Israel ist seit langem ein Fall für den Internationalen Strafgerichtshof auf Grundlage des lange fertiggestellten UN-Untersuchungsberichtes, den bekannten Goldstone-Report, und aufgrund des Berichts des UN-Menschenrechtsrat in Genf - ein weiterer gravierender Punkt, um die weltweiten Machtverhältnisse in Frage zu stellen, die innerhalb der Weltstaatengemeinschaft immer noch einseitig zugunsten der NATO-Staaten ausfallen.

Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait