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7. August 2011 - Luz Maria de Stefano de Lenkait:

Die Ereignisse der internationalen Politik hinsichtlich Syrien und Libyen und ihre Behandlung in den Tageszeitungen "Süddeutsche Zeitung" und "Junge Welt" geben Anlass zu folgender Stellungnahme zu

Kommentar in Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 5.8.2011:
„Das nackte Interesse“ von Paul-Anton Krüger

Junge Welt (jW) vom 28.7.2011:
„Kolonialkrieg gegen Afrika“ von Joachim Guilliard,

jW vom 2.8.2011:
„Neue Eskalation in Syrien“ von Karin Leukefeld,

jW-Gastkommentar vom 3.8.2011:
„Was geschieht in Syrien? Irakische Sicht“ von Domenico Losurdo,  

und jW vom 5.8.2011:
„Gewalt muss enden“ von Karin Leukefeld

Höchste Priorität: NATO-Terror stoppen

Mit seinem Lamento („Das nackte Interesse“ -SZ, 5.8.2011) wimmert Paul-Anton Krüger außerhalb der internationalen Aktualitätüber den gescheiterten Versuch von Aggressoren, den UN-Sicherheitsrat noch einmal für eine Kriegs-Resolution nach dem libyschen Muster zu benutzen. Dagegen äußerte der Außenminister Deutschlands sein Verständnis für die Bedenken seiner Kollegen aus Russland, China, Brasilien, Indien, Südafrika und andere im UN-Sicherheitsrat. Aus einer Operation zum Schutz der Zivilbevölkerung ist eine kriegerische Unterstützungsoperation zum Sturz des Regimes geworden. „Aus diesem Grund, so Westerwelle, wollten die Kritiker der Libyen-Resolution eine Entschließung des Sicherheitsrats gegen das Assad-Regime in Syrien verhindern.“ (SZ-Artikel: „Vereinte Nationen erweitern „Liste der Schande““ von Reymer Klüver, 13.7.2011)

Die neuerliche dreiste US-Einmischung in Syriens Angelegenheiten ist nicht nur eine Frechheit und eine Zumutung, sondern sie liefert auch den öffentlichen Beweis dafür, dass die USA aktiv hinter Oppositionellen in Damaskus agiert, um den vom syrischen Präsidenten geforderten nationalen Dialog zu verhindern. Resolutionsentwürfe von den USA, Frankreich und Großbritannien sind deshalb heute und zukünftig suspekt. Alle drei sind weltweit bekannte Aggressoren. Es gehe darum, die Zivilbevölkerung zu schützen; diese Behauptung ist der Vorwand für die Bombardierung von Wohnvierteln, Krankenhäusern, und Moscheen in Libyen. Am Wochenende (30/31.7.2011) wurde die Sendezentrale des Libyschen Fernsehens angegriffen und zerstört. Mit der UN-Resolution, mit der sich die Aggressoren selbst ein Mandat erteilt haben, zum „Schutz der Zivilbevölkerung“ eine Flugverbotszone einzurichten, hat das überhaupt nichts mehr zu tun. Der NATO-Bombenterror ist für alle UN-Sicherheitsratsmitglieder ein Warnsignal, sich nicht auf weitere Vorschläge der USA, Frankreichs oder Großbritanniens einzulassen. Diese Länder haben ihre Glaubwürdigkeit als UN-Sicherheitsratsmitglieder vollkommen verloren. Die Präsidial-Erklärung ist deshalb ein richtiger diplomatischer Erfolg der mehrheitlich friedlichen Staaten, die sich für den friedlichen Reformprozess in Syrien positionieren.

Der Gastkommentar in der Tageszeitung „Junge Welt“ vom 3.8.2011 „Was geschieht in Syrien? Irakische Sicht“ von Domenico Losurdo, Professor für Philosophie an der Universität Urbino/Italien, trägt dazu bei, aus der herrschenden Propaganda-Maschinerie herauszukommen:

... Doch ist es schwierig, zwischen Wahrheit und Manipulation, zwischen gerechtfertigten Protesten und infamen Versuchen der Destabilisierung zu unterscheiden. Sinnvoll kann es daher sein, auf das Land nicht vom Westen, sondern z.B. vom Irak aus zu blicken. ... Gelegenheit dazu bietet ein Artikel … in der „International Herald Tribune“ (IHT) vom 30./31. Juli: Dort ist zu lesen: »Im Irak wird Syrien noch als so etwas wie eine Oase betrachtet. Die Iraker begannen, dorthin zu fliehen, um dem von den USA angeführten Krieg und dem darauffolgenden Blutbad der sektiererischen Gewalt zu entfliehen. Im Verlauf des Krieges hat Syrien zirka 300.000 irakische Flüchtlinge aufgenommen, mehr als jedes andere Land in der Region – nach Angaben des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge. Obwohl Syrien in diesen Tagen seinen Unruhen entgegentreten muss, kehren nur wenige Iraker in ihre Heimat zurück. Die Zahl der Iraker, die sich Richtung Syrien aufmachen, ist weitaus größer als die der Rückkehrer.« … Die Iraker fliehen,... weil sie genug haben von einem Land, das sich durch Unfähigkeit und Korruption auszeichnet. Es stimme, »Syrien wird als ein Land betrachtet, in dem man besser leben kann«. „Von der IHT befragt, äußern sich Iraker einfach und klar ... in Bezug auf Syrien: »Dort ist das Leben schön,... Jedenfalls gibt es dort etwas Wichtiges: Überall Freiheit und Sicherheit«. Und aufgrund dieser verbreiteten Überzeugung sei »wegen der Sommerferien die Zahl der Personen gestiegen, die den Irak in Richtung Syrien verlassen«. ...

...Gegenüber der US-Zeitung bezeugt ein Iraker: Ja, das Schauspiel, das von Syrien im Fernsehen geboten werde, sei äußerst beunruhigend, aber »wenn ich meine Familie anrufe, sagen sie mir, es ist alles o.k.« ...

Sicherlich ist das hier gezeichnete Bild einseitig und übertrieben rosig. ...

…...Doch diejenigen, die den Krieg im Irak entfesselten und direkt oder indirekt am Tod Zehntausender Menschen schuld sind, haben das Land in einen heute noch derartig katastrophalen Zustand versetzt, dass Syrien wie eine »Oase« erscheint; gerade deshalb haben sie kein Recht, anderen Ländern Lektionen zu erteilen. Um im Mittleren Osten zu bleiben: Diejenigen, die weiterhin Libyen bombardieren, ohne davor zurückzuschrecken, Fernsehjournalisten und -techniker dieses Landes zu ermorden, sich aber dennoch anmaßen, Lektionen über »Menschenrechte« zu erteilen und von einem neuen »humanitären Krieg« träumen, sie beweisen nur, dass sie jedes Schamgefühl und den Sinn für Lächerlichkeit verloren haben.“

(Ende des Zitats)

Dies trifft auch für die Grünen-Politikerin im Bundestag Kerstin Müller zu als Befürworterin für Krieg und Aggression im Namen der Menschenrechte. Sie muss sich selbst erklären, wie mit NATO-Bombenterror, Menschen zu retten sind. Sie ist unfähig, sich eine bessere humane Welt ohne den NATO-Terror vorzustellen. Das Kaiser-Wilhelm- oder Hitler-Syndrom lässt bei Kerstin Müller grüßen: NATO befiehl, wir folgen. Sind die Grünen die fünfte Kolonne des Pentagons in Deutschland? Die deutsche Wählerschaft und Wirtschaft haben ein Recht, es zu wissen, um einer solchen Partei die verdiente Abfuhr zu erteilen.

Die lang praktizierte US-amerikanische Diplomatie der Gewalt, die ihnen nützlich erscheinende diktatorische Regime so lange wie möglich fördert und stützt, missachtet grob die nationale Souveränität der vom Kolonialismus befreiten Völker. Sie entspricht den Methoden des großen Knüppels, die gerade aus der USA-Geschichte hinreichend bekannt ist. Dieser offene, am häufigsten mit brutaler Gewalt verbundene Interventionismus hat sich in den letzten Jahrzehnten verschärft und verschlimmert.

Dabei verbreiten die USA selbst Terror, Bomben, Gewalt und Tod. Ihr mörderischer Bomben-Wahnsinn macht vor Wohnhäusern, Krankenhäusern, Märkten nicht halt, sogar Frauen und Kinder werden mit Bomben massakriert, wie in Libyen. Diesbezüglich sind die verurteilenden Worte des deutschen Außenministers Guido Westerwelle in New York, als er im Juli Vorsitzender des UN-Sicherheitsrats war, sehr zutreffend. Sinngemäß erklärte er: Solche Angriffe sind ausdrücklich zu ächten, denn sie sind eine Schande. Eine auf Initiative Deutschlands eingebrachte und einstimmig verabschiedete Resolution habe „handfeste Konsequenzen“ für die Geächteten, so der deutsche Außenminister (12.7.2011).

Auf die „Liste der Schande“ sind die heutigen Aggressoren gegen Libyen zu setzen, d.h. die USA, Großbritannien und Frankreich, die für mörderische Angriffe der NATO gegen Kinder, Frauen, Wohnhäusern, Krankenhäuser und Märkte in Tripolis verantwortlich sind. Diplomatisch hat Guido Westerwelle darauf verzichtet, explizit diese Länder zu zitieren, aber inzwischen sind die NATO-Verbrecher weltweit bekannt. Vor allem bei der Weltstaatengemeinschaft und ebenso im Sicherheitsrat. Deswegen war eine Resolution gegen Syrien gescheitert, um dieses Land nicht den Aggressoren auszuliefern, wie es schon mit Libyen geschah.

Zweifelsohne gingen auch in Libyen junge Leute, Anwälte und Akademiker gewaltfrei mit der Forderung nach mehr Freiheit, mehr Demokratie auf die Straße. Sie wollen eine demokratische Verfassung ausgearbeitet haben. Aber mit Beginn der aggressiven NATO-Intervention waren sie endgültig aus dem Spiel.

Bereits Tage vor den Zusammenstößen vom 17.2.2011 hatten oppositionelle Kräfte schon zu massiver Gewalt gegriffen. Auch in den folgenden Tagen wurden vielerorts Polizeireviere und andere öffentliche Gebäude niedergebrannt. Es waren diese Angriffe, gegen die die libysche Polizei und Armee mit Waffengewalt vorgingen. In westlichen Ländern hätte man mit Sicherheit nicht zurückhaltender auf eine solche massive Gewalt reagiert. „In Libyen gibt es vielleicht Millionen Menschen, die Gaddafi nicht mögen, aber sehr wohl seine Errungenschaften schätzen“, so der norwegische Friedensforscher Johan Galtung. Seit die NATO bombt, dürften auch viele Gegner Gaddafis wieder hinter ihrer Regierung stehen. Selbst die sogenannte Bengasi-Übergangsregierung ist tatsächlich gespalten. Ein erheblicher Teil ruft jetzt nach Gaddafi.

Der neue Krieg der NATO wird von der überwiegenden Mehrheit der Staaten in der Welt abgelehnt. Die meisten Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika sind überzeugt, daß der NATO-Krieg nicht zum Schutz der Zivilbevölkerung geführt wird, wie propagandistisch verbreitet, sondern für den unmittelbaren Zugriff auf die libyschen Öl- und Gasvorräte. In Europa herrscht jedoch bei der Einschätzung der Ziele des neuen NATO-Krieges auch bei Linken und Friedensbewegung häufig bedauerliche Konfusion. Europäische Regierungen müssen sich ernsthaft die Frage stellen, ob es richtig war, einen Haufen rivalisierender Banden als legitime Vertretung Libyens anzuerkennen. Auf den unerhörten britischen Appell an die Rebellen, die libysche Botschaft in London als Vertreter Libyens zu besetzen, hat sich niemand gemeldet. Ein Kommentar darüber in der SZ glänzt durch seine Abwesenheit.

Muammar Gaddafi ist ein afrikanischer Patriot. „Gestützt auf die Stimmung in der Bevölkerung behielt eine stärkere »Libyenisierung« der Ölproduktion meist die Oberhand. Ein Einstieg in libysche Firmen und Banken blieb ausländischem Kapital unter Gaddafi weitgehend verwehrt. Wirksamer Widerstand gegen Privatisierungspläne kam jedoch nicht allein von alten Kadern in der Regierung und Verwaltung, sondern aus der gesamten Gesellschaft.“ (aus dem Artikel „Kolonialkrieg gegen Afrika“ von Joachim Guilliard, jW-28.7.2011)

Im Interview im lateinamerikanischen Fernsehsender Tele Sur am 8.7.2011 sagte der päpstliche Nuntius in Libyen, Giovanni Martinelli: „Die NATO intervenierte, weil sie gesagt hat, dass es Massaker an Zivilisten gegeben habe, aber ich glaube nicht an diese Hypothese.“ Zwar habe es „einige Konflikte“ gegeben, „aber Massaker an Zivilisten sind nicht begangen worden.“ Im Gegensatz dazu habe die „aggressive“ NATO-Intervention zu Verlusten unter der Zivilbevölkerung geführt. (Meldung vom 12.7.2011)

Die NATO-Bombenattentate begannen gerade dann, als sich eine UN-Untersuchungskommission mit den Ereignissen in Libyen beschäftigen sollte. Deswegen ist die Frage berechtigt, warum die Forderung nach einer Untersuchung des UN-Menschenrechtsrat zur Niederschlagung der Proteste in Syrien fallengelassen wurde. Wer hat Interesse daran, diese Untersuchung zu verhindern, genauso wie die Untersuchung in Libyen verhindert wurde?

Nach der kriminellen Einmischung mit Bomben-Terror in Libyen ist die Anklage vom Präsident Baschar Al-Assad (30/31.7.2011) plausibel und völlig glaubwürdig, „die Proteste zielten darauf ab, zunächst das Land und dann die gesamte Region zu fragmentieren und gegeneinander aufzuhetzen.“ Bewaffnete hätten außerdem öffentliche Einrichtungen verwüstet... Bei dem Versuch der Armee, die Straßen wieder frei zu machen, seien die Soldaten angegriffen worden. Einwohner von Hama sagen Korrespondenten von SANA (syrische Agentur), Männer mit Schnellfeuergewehren und Panzerabwehrwaffen seien auf Häusern positioniert und terrorisierten die Bevölkerung.“ (jW vom 2.8.2011: „Neue Eskalation in Syrien“ von Karin Leukefeld).

Nicht nur die US-Zeitung „International Herald Tribune“, sondern auch Berichte aus Kanada, China und Venezuela geben ein völlig anderes Bild über die diplomatischen Anstrengungen um Libyen. So Tele-Sur Agentur (4.8.2011). Demzufolge:

Der chinesische Außenminister, Yang Jiechi, in einem separaten Treffen mit dem UN-Gesandten Khatib bekräftigte die Unterstützung Chinas für eine politische Lösung der Krise Libyens.

“China wünscht sich, dass die UN und der Sicherheitsrat eine entscheidende Rolle spiele im Prozess zur Lösung der libyschen Krise durch politische Mittel und wertschätzt die Vermittlungsanstrengungen der AU”, sagte Yang.

Yang hat beide Seiten der libyschen Krise gebeten, dass sie Priorität im Interesse des Landes und ihres Volkes setzen, und dass sie den Vermittlungsvorschlag der internationalen Gemeinschaft ernst nehmen sollten. Ebenso bat der Außenminister Chinas beide Parteien, eine flexiblere Haltung einzunehmen und dass sie die Krise durch politische Mittel lösen möchten. Der Gesandte der UN signalisierte seinerseits, dass er die Unterstützung Chinas wertschätze zusammen mit seiner positiven Rolle, um eine friedliche Lösung der Krise in Libyen zu fördern.

Höchste Priorität hat, den NATO-Terror zu stoppen. Dazu sind die Separatisten aufgerufen, sich mit der offiziellen Regierung Libyens zu einigen, um die Einheit des Landes zu bewahren. Trotz der massiven Terrorangriffe ist Libyens Regierung nicht zusammengebrochen. Das weist auf einen Rückhalt für das Regime in der Bevölkerung hin. Den Menschen ist offenbar klar, dass die sozialen Errungenschaften der Gaddafi-Ära durch die „Freiheitskämpfer“ bedroht sind. Die libysche Armee verteidigt die Unabhängigkeit des Landes. Das wird auch den Rebellen allmählich klar.

Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait