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4. März 2011 - Luz Maria de Stefano de Lenkait:

Libyen steht weiter im Mittelpunkt der Öffentlichkeit, wobei ein anderer Ton aus der US-Administration und von "Herald Tribune" zu vernehmen ist als hierzulande aus Regierungskreisen und ihren Multiplikatoren, Anlass zu folgender Stellungnahme zu

Nachrichten zu Libyen,
Leitartikel von James Carroll und
Letter von Gianni Riotta in Herald Tribune vom 2.3.2011

Süddeutsche Zeitung 3.3.2011, Titelseite:
„NATO erwägt Flugverbot über Libyen“ von csc,wtr und

SZ-Kommentar:
„Die Zeit arbeitet für Gaddafi“ von ave (Tomas Avenarius)

Stimmen der Vernunft aus den USA

Der SZ-Kommentar vom 3.3.2011 „Die Zeit arbeitet für Gaddafi“ offenbart, wie extrem Politiker aus den reichen Industriestaaten immer noch im Kriegswahn gefangen sind und wie Vorbereitungen für militaristische Operationen in fremden Ländern mit der zugehörigen Medienmanipulation ihre Hauptbeschäftigung bleibt. Unüberlegt facht Tomas Avenarius diesen Wahn an, als er einfach schreibt: „Die derzeitige Lage erfordert Bereitschaft zum militärischen Handeln.“ Er verdreht die friedliche Demonstration und versucht, sie in eine militärische Kampfmaßnahme zu pervertieren mit den Worten: „Die Aufständischen haben bisher keine Truppen aufgestellt“. Das war nie ihr Anliegen! Die Gewaltbereitschaft, die sich im SZ-Kommentar vom 3.3.2011 manifestiert, kann nur den Bürgerkrieg in Libyen anheizen.

Die große Politik stellt sich jedoch jetzt anders da, als es sich einige schräge Gestalten in deutschen Medien und Politikzirkeln zu wünschen scheinen: Eine erneute NATO-Sitzung am 2.3.2011 verlief wieder glücklicherweise ohne Ergebnis genauso wie die vorherige „dringliche“ NATO-Sondersitzung (25.2.2011). Weder die USA noch Großbritannien beauftragten den Einsatz militärischer Gewalt in Libyen. Auch nicht die Vereinten Nationen und keine ihrer Unterorganisationen. Auch kommt nichts dergleichen aus der Afrikanischen Union, der Arabischen Liga oder authentisch von den Oppositionskräften in Libyen selbst. Die Arabische Liga wandte sich nach einem Außenministertreffen in Kairo entschieden gegen eine Militärintervention. Russland und China erteilten Überlegungen der EU und der USA über eine Einrichtung von sogenannten Flugverbotszonen über Libyen eine Absage. Eine solche Idee sei „überflüssig.“ So der russische Außenminister Sergej Lawrow am 1.3.2011. Das Außenamt in Peking sprach sich klar gegen militärische Schritte zur Absetzung Gaddafis aus. Entsprechende Überlegungen im Westen verfolge man mit Sorge. „Wir hoffen, dass das Land so bald wie möglich zu Stabilität zurückkehrt und seine Probleme durch einen Dialog friedlich gelöst werden können.“ So die Verlautbarung aus dem chinesischen Außenministerium. Selbst der US-Verteidigungsminister Robert Gates äußerte sich eindeutig: „Eine solche Flugverbotszone bedeutet Krieg gegen Libyen. Das will Amerika nicht“ (ARD-Tagesschau 3.3.2011 um 20 Uhr). Wohl daher spucken die Militaristen Gift und Galle.

Dagegen hat das UN-Flüchtlingshilfswerk die Staaten der Welt derweil um Entsendung Hunderter Flugzeuge zur Rettung von Flüchtlingen gebeten, die sich an der tunesischen Grenze befinden.

Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag wird offiziell Ermittlungen wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Libyen einleiten. Friedliche Demonstranten wurden von Sicherheitskräften angegriffen. Bevor Haftbefehle erteilt werden, müssen die Täter und Verantwortlichen identifiziert werden. Das steht noch aus, auch wenn man in der ZDF- und ARD-Nachrichtenredaktion meint, die Rolle des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag übernehmen zu dürfen. (3.3.2011, ZDF-Heute-Sendung um 19 Uhr und ARD-Tagesschau um 20 Uhr)

Während Berlin die arabischen Demokratiebewegungen mit massiver verbaler Unterstützung für sich zu gewinnen sucht, debattieren deutsche Außenpolitiker über die Folgen der arabischen Umwälzungen für den Westen. Die Hegemonie von USA und EU über die Ressourcengebiete des Mittleren Ostens sehen sie bedroht: Eine in freier Wahl bestätigte Regierung etwa Ägyptens werde kaum in der Lage sein, eine prowestliche Politik à la Mubarak gegen die eigene Bevölkerung durchzusetzen. US-Experten raten mittlerweile zu einer Annäherung an Teheran, um den westlichen Einfluss im Mittleren Osten nicht absolut und definitiv aufs Spiel zu setzen.

Die Lage ist vor dem Hintergrund eines schon seit Jahren andauernden Hegemonialkonfliktes am Persischen Golf zu betrachten. Seitdem der Westen unter der Führung der USA den Irak zerschlagen hat, ist der Iran potenziell die stärkste Macht in der Region. Teheran hat im Jahr 2005 eine 20-Jahre-Vision für die Islamische Republik verabschiedet. Irans Anspruch auf regionale Hegemonie kollidiert mit den Herrschaftsansprüchen der reichsten Industriestaaten im Westen, die die Kontrolle über die mittelöstlichen Ressourcen um keinen Preis aufgeben wollen.

Auch in Saudi-Arabien regt sich inzwischen Widerspruch gegen die Königsfamilie. Akademiker, Geschäftsleute und politische Aktivisten fordern grundlegende politische Reformen, darunter ein Ende der Erbmonarchie zugunsten einer konstitutionellen Monarchie. Die aktuellen Proteste auf der Arabischen Halbinsel drohen das Kräfteverhältnis nun tatsächlich weiter zu Ungunsten des Westens zu verschieben. In Bahrain etwa erhebt sich die Bevölkerungsmehrheit gegen den prowestlichen Khalifa-Clan. Dasselbe gilt in Saudi-Arabien, wo sich die schiitische Minderheit jetzt der Protestwelle anschließen will. Zweifellos werden das saudi-arabische Königshaus sowie dasjenige des bahrainischen Monarchen die eigene Herrschaft mit brutaler Repression sichern. Besondere Sorge bereitet im Westen die Tatsache, dass die saudi-arabische Ostprovinz die erdölreichste Region der Welt darstellt.

Für den Westen ist vordringlich, seinen Einflussverlust zu verhindern. Würde Ägypten seine Außenpolitik verändern, dann bräche dem Westen eine tragende Säule weg. Das Militär, bislang Garant einer strikt prowestlichen Außenpolitik, ist in Kairo weiterhin an der Macht. Um die Ölfelder in Libyen unter Kontrolle zu halten, sind Interventionen westlicher Streitkräfte im Gespräch. Dennoch raten prominente Außenpolitiker in den USA mittlerweile dazu, einen umfassenden Kurswechsel zumindest in Betracht zu ziehen – von der aktuellen Konfrontationspolitik gegenüber dem Iran zu einer Politik der Kooperation und Einbindung Teherans. Der Westen solle jetzt schnell begreifen: „Seine alten Verbündeten existieren nicht mehr. Die Umstürze haben die geopolitische Landkarte der Region und die Machtverhältnisse dramatisch verändert.“ Man müsse „umgehend einen Ausgleich mit dem Iran finden, ansonsten verliert der Westen seinen Einfluss in der Region.“ (German Foreign-Policy: „Ein Hegemonialkonflikt, Stellvertreterkämpfe und Ausgleich mit Iran“ - 1.3.2011)

Einstweilen sucht Berlin die Demokratiebewegungen der arabischen Länder mit verbaler Unterstützung für sich zu gewinnen, um zumindest eine partielle Kontrolle über die Umwälzungen zu erlangen. Die Nähe Deutschlands zu den Diktatoren auf der Arabischen Halbinsel will Berlin nicht so sehr augenfällig durchblicken lassen. Sonst würden die Chancen sinken, Einfluss auf die Entwicklung zu nehmen. Auch in Kuwait muss der herrschende Clan - nicht anders als in Bahrain und Katar - mit Aufständen rechnen. Die Waffenexporte des Westens dienen den Diktatoren, Monarchen und Autokraten auch dazu, Proteste niederschlagen zu können. Dennoch stehen die anhaltenden deutschen Rüstungsexporte in die arabischen Golfdiktaturen in Berlin nicht zur Debatte.

Eine imperialistische Militärintervention würde die größte Gefahr für die Menschen der gesamten Region darstellen. Wie groß ist dieses Risiko?

Abgesehen von dieser Frage bleibt eines klar: Libyen ist nicht Ägypten. Sein Führer, Muammar Al-Gaddafi war keine Marionette der USA und EU wie Hosni Mubarak. Über viele Jahre war Gaddafi Verbündeter von Ländern und Bewegungen, die den Imperialismus bekämpften. Als er in einem Militärputsch 1969 die Macht übernahm, verstaatlichte er das libysche Öl. Deshalb und seitdem waren die USA und Staaten in Europa entschlossen, Libyen zu zermürben. Das wird von den großen Medien verschwiegen. Die USA und die UN verhängten verheerende Sanktionen, um die libysche Wirtschaft zu ruinieren. Die BBC zeigte (22.2.2011) die Fahne des 1969 gestürzten Monarchen König Idris, der die Marionette der US-amerikanischen und britischen Interessenpolitik war. Zweifellos wollen die USA und Großbritannien ihre Leute und Agenten einsetzen. Bezeichnenderweise empfiehlt das Wall Street Journal „die USA und Europa sollten helfen, das Gaddafi-Regime zu stürzen.“ (Leitartikel vom 23.2.2011). Das Interesse gewisser Kreise der USA und Europas an Libyen ist leicht zu durchschauen. Libyen hat erwiesenermaßen die größten Öl-Reserven und besitzt das Potential gigantischer Profite für die großen Ölkonzerne. Das steckt hinter ihrer angeblichen Sorge um demokratische Rechte der libyschen Bevölkerung. Sie wollen eine Regierung, die sich ihnen vollständig unterwirft. Sie haben Gaddafi den Sturz der Monarchie und die Verstaatlichung des Öls nie verziehen.

Als Stimme der Vernunft erhebt sich der Leitartikel der Herald Tribune vom 2.3.2011: ...“the United States must not intervene militarily in what increasingliy looks like a civil war.“ Und die Anmerkungen von James Carroll in Herald Tribune sind eine solide Basis für faire und besonnene Überlegungen: „The revolutions in the Arab streets... have already overturned the dominant assumption of global geopolitics – that hundreds of millions of impoverished people will uncomplainingly accept their assignment to the antechamber of hell. The United States, meanwhile, has been faced with the radical obsolenscence of its Cold War-rooted preference of strong-man „stability“ over basic principles of justice.

In 1979, with Iran's popular overthrow of the shah, America was given a chance to re-examine its regional assumptions, but the Carter Doctrine militarized them by threatening war for the sake of oil. In 1989, when people power dismantled the Soviet empire, Washington declared its own empire, and replaced the Communist devil with an Islamic one. But what if the devil has a point?

The Obama administration's initial ambivalence toward the popular Arab uprisings resulted... from the iron grip of a half-century old paradigm, the core principle of which, in the Mideast, is that oil matters more than human life. That paradigm is broken now, and Washington is chastened by the clear manifestation that its policies have been self-serving, callous, and even immoral.“

Gianni Riotta aus Mailand schreibt auch in Herald Tribune vom 2.3.2011:In his wonderful opened Article „How the Arabs turned schame into liberty“ (Views, March 1) Fouad Ajami compares the Arab uprising to the European revolution of 1848. He is right, the 20th century gave us organized revolutions in the Leninist mould, while spontaneous revolts were the mark of 1848.

The European Revolution did not start in France: it was ignited in Palermo, Sicily, on January 12, 1848. Demonstrating against the Bourbon king in the name of democracy, Sicilians lit the spark that inspired revolution on the Continent. Even Marx notes the date in a letter to Engels...“

Ebenso ein Artikel aus Virginia (USA) von einem ehemaligen Mitglied des “Senate Foreign Relations Committee“: „This commendable defense of democracy vis-à-vis the Middle East misses a few salient points. The claim is made that from North Africa to Iran, there has been a resistance to the „ideas and institutions that made representative government possible.“ This is not correct. In the early part of the 20th century, Iran had a freely-elected constitutional government that was stifled by the British. And in the early 1950s, Iran had a freely-elected constitutional government led by its national heroes, Mohammed Mossadegh and Hossein Fatemi, that the United States, aiding the British, overthrew.

Imagine the Middle East today, had that constitutional government flourished. For believers, the Koran it not only holy scripture, but also a guide to how to live one's life. And the Koran, in regard to governing, advises governing with the consent of the governed. Can there be any clearer definition of representative government or democracy?

Furthermore, no matter how hard the architects of the war with Iraq try to re-write history, reality cannot be denied. The so called freedom-agenda of the Bush-Cheney administration was as bogus as the intelligence used to take the United States to war with Iraq.

As the Egyptian democracy movement unfolds, affecting people from North Africa to the borders of India and beyond, it clearly shows that people will only be governed with their consent – nothing less.“

Wie man sieht, bieten Berichte und Kommentare der US-amerikanischen Tageszeitung “Herald Tribune” ein ganz anderes Niveau als SZ, ZDF und andere deutsche Medien. Sachlich und pragmatisch geben diese Beiträge Denkanstöße für jeden gebildeten Leser, Politiker und Journalisten. Hoffentlich können sich SZ-Journalisten wie Tomas Avenarius damit bereichern und einen gerechteren Standpunkt gewinnen, vorausgesetzt sie können gutes Englisch verstehen.

Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait