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8. Juni 2010 - Luz Maria de Stefano de Lenkait:

Der lange Arm der rechtsextremen Regierung Israels reicht trotz aller ihrer Verbrechen weiterhin in deutsche Medien hinein. Deshalb hier eine Stellungnahme, wie gewohnt, zur Anregung, Verwendung und Weiterverbreitung:

Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 7.6.2010:
„Israel soll Militäraktion aufklären lassen“ von Peter Münch,

SZ-Kommentar vom 7.6.2010:
„Eine Chance für Erdogan“ von Kai Strittmatter,

ARD-Fernsehsendung „Report aus Mainz“ vom 7.6.2010, 22 Uhr

Hauptfrage:

Anerkennung Palästinas - frei von militärischer Besatzung und Kolonisierung

Die Türkei entsteht als neue Regionalmacht im Nahen Osten, die das Vertrauen der islamischen und arabischen Staaten besitzt. Mit besten Beziehungen zu seinen Nachbarn Syrien, Irak, Iran, und auch zu Ländern im Balkan, im Kaukasus und in Zentralasien. Das irritiert die USA und die EU. Der SZ-Kommentar von Kai Strittmatter „Eine Chance für Erdogan“ vom 7.6.2010 macht diese westliche Irritation offenkundig. Jedoch sind die EU und die USA selbst daran schuld, dass sie wegen ihrer seit langem einseitigen ungerechten Politik an der Seite eines verbrecherischen Staates das Vertrauen der arabischen und islamischen Welt verloren haben. Es ist nicht verwunderlich, dass eine solche Politik von Anfang an zum Scheitern verurteilt war und den gesamten Westen ersichtlich in Misskredit bringt. Nicht nur in der islamischen sondern auch in der christlichen Welt: So folgt Lateinamerika nicht länger dem Diktat des Westens. Zur Zeit hat die Politik Obamas im Nahen Osten einen empfindlichen Rückschlag erlitten, die indirekten Gespräche mit den Palästinenser eingeschlossen, die der Sonderbeauftragte George Mitchell sorgfältig versuchte, wieder in Gang zu bringen. Washington will sein Scheitern nicht eingestehen, vielleicht auch deshalb, weil es bei der Vorbereitung der israelischen Militäroperation auf internationalem Gewässer am 31.5.2010 involviert war (siehe http://www.globalresearch.ca/index.php?context=va&aid=19573).

Die Annäherung des Präsidenten von Brasilien an US-kritische Staatschefs Südamerikas, wie der Präsident von Venezuela, Hugo Chávez, und jüngst der iranische Präsident, missfällt Washington sehr. Je mehr Länder den Geist des Teheraner-Abkommen vom 17.5.2010 unterstützen, desto stärker die Irritationen in Washington und in der EU. Aber wichtigstes Ergebnis bleibt: Lula und Erdogan haben bewiesen, dass man mit Respekt, Freundschaft und Dialog viel mehr gegenüber stolzen und empfindlichen Nationen wie Iran erreicht als durch Androhen von Sanktionen, durch ihre Implementierung oder durch militärische Konfrontation. Als Präsident Obama im Januar 2009 ins Weiße Haus eintrat, schien er es verstanden zu haben, aber danach ist er wieder in die alten Zwangsmethoden verfallen, die in der tradierten US-Außenpolitik verankert sind.

Im SZ-Kommentar von Strittmatter wird mit Verbreiten von Nebel gearbeitet und mit Ablenken vom Thema. Der Kommentator tut so, als wüsste er nicht, wovon er schreibt, als er die Türkei als Friedensstifter oder Vermittler ermahnen will. Nach so vielen wiederholten Rechtsverstößen Israels, die keinen Friedenswillen erkennen lassen, ist klar und deutlich, dass es die Weltstaatengemeinschaft mit einem verbrecherischen Staat zu tun hat. Mit einem Verbrecher ist kein Frieden möglich, kein Leben sicher. Deshalb existieren in allen zivilisierten Ländern Strafgesetze und Gerichtshöfe, um den Verbrecher zur Rechenschaft zu ziehen und zu verurteilen. Der wiederholte Verbrecher Israel, der Wiederholungstäter ist nicht an Frieden interessiert, sondern an seiner weiteren Immunität. Deshalb versucht er immer wieder mit neuen Tricks, Showdowns und Täuschungsmanövern aller Art, sogar mit taktischen Rückzügen, sich dem Gewicht von Recht und Gesetz zu entziehen und sich als Unschuldslamm vor der Öffentlichkeit zu inszenieren, wie jetzt nach dem kriminellen Angriff auf das türkische Schiff mit Helfern und Hilfsgütern für Gaza, und nachdem der UN-Sicherheitsrat die unmittelbare Aufklärung dieser Untat durch eine internationale Kommission gefordert hat.

Das schwerwiegende Ergebnis der Autopsie der toten Zivilisten bekundet die kriminelle Verantwortung der beteiligten Soldaten und deren Grausamkeit: 30 Schusswunden, Kopfschüsse fünfmal aus nächster Nähe. Der gezielte Mord ist offenkundig. Zu recht demonstrieren in Tel-Aviv etwa 7000 Israelis unter dem Motto: „Die Regierung ertränkt uns alle“ und fordern eine Aufhebung der Gaza-Blockade und ein Ende der Besatzung der Palästinenser-Gebiete. Die unmenschliche Blockade hat den Zorn der Palästinenser noch erhöht. Die Öffnung der Blockade durch Ägypten ist ein hoffnungsvolles Zeichen der menschlichen Vernunft.

Auch die Europäische Union müsste zu einem Ende der Gaza-Blockade beitragen. Darüber haben die Außenminister Frankreichs und Großbritannien in Paris am Sonntag 6.6.2010 gesprochen. Schon 2009 hat sich der EU-Sonderbeauftragte für den Nahen-Osten, Tony Blair, gegen die Blockade eingesetzt. Heute steht die Blockade weltweit in der Kritik.

Die Idee einer Flotte mit Hilfsgütern als Mittel, die Blockade zu beenden, ist genial. Sie bringt die israelische Regierung in eine Zwickmühle, nämlich vor die Wahl zwischen für Israel mehr oder weniger gleich unangenehmer Alternativen:

a) Die Schiffe ohne Hindernis Gaza erreichen zu lassen, wie der Kabinettssekretär vorschlug. Dies würde zum Ende der Blockade führen;

b) Die Schiffe in internationalen Gewässern zu stoppen, ihre Fracht zu kontrollieren und sicherzugehen, dass keine Waffen oder „Terroristen“ an Bord sind. Dann sie ihren Weg fortsetzen zu lassen. Dies würde das Prinzip einer Blockade aufrecht erhalten;

c) Die Schiffsbesatzung auf hoher See gefangen zu nehmen, sie nach Ashdod zu bringen und eine direkte Schlacht mit den Aktivisten an Bord zu riskieren. Die Regierung Netanjahu hat diese schlimmste Alternative gewählt, wohl wissend, dass sie dazu führen würde, dass Menschen getötet und verletzt würden, wie es tatsächlich auch geschah.

Man stürmt kein Schiff und erwartet niedliche kleine Mädchen, die dann die Angreifer mit Blümchen begrüßen. Die Propaganda der israelischen Regierung und Armee wiederholt eine einfache Story: „Die Elite der Elite“, die Spezialeinsatzarmee kam auf das Schiff, um „zu reden“ und wurden von einer gewalttätigen Menge angegriffen. Diese groteske Absurdität ist extrem offensichtlich: Israelische hoch bewaffnete Soldaten stürmten auf hoher See ein Schiff mitten in der Nacht und griffen es zur See und aus der Luft an und jetzt wollen sie die Opfer sein! In der Tat sind sie die Opfer eines arroganten und inkompetenten Kommandeurs, unverantwortlicher Politiker und der Medien, die von solchen Kommandeuren und ihren Leuten mit Propaganda gefüttert werden. Inzwischen hat die israelische Armee gestanden, dass das von ihr konfiszierte Material (Video-Filmen) „bearbeitet“, also gefälscht wurde. Der Londoner Guardian (8.6.2010) - nicht ARD, nicht ZDF- stellt die israelische Regierung vollkommen bloß: „Israels offizielle Reaktion darauf ist fast so schrecklich gewesen wie das Angriffskommando, … Die Politik lautete, erst zu schießen und die Opfer später in Verruf zu bringen. Tag für Tag isoliert sich Israel selbst von internationalem Recht und der Weltmeinung“. (Israels Regierungsarm reicht hinein bis in deutsche Medien: An dem In-Verruf-Bringen der Opfer versuchte sich die ARD-Sendung vom 7.6.2010 „Report“ aus Mainz, produziert unter dem SWR-Redakteur Fritz Frey, aber zu den Verbrechen der israelischen Armee kein Sterbenswörtchen, nicht in einer einzigen Sendung mit diesem Format und schon gar nicht in einer Sondersendung von ARD oder ZDF, die es nicht einmal gab!)

Die Türkei hat ihre Beziehungen mit allen ihren Nachbarn gestärkt und setzt sich als ein entschlossener Protagonist in einem erweiterten Mittleren Osten durch. Sein Prestige unter den Palästinensern ist tatsächlich gewachsen. Schon seit April funktioniert ein neues türkisches Fernsehprogramm in arabischer Sprache. Die Eröffnungszeremonie für diese Neuerung war gekennzeichnet von einer bewegenden Rede des Premierministers, Recep Tayip Erdogan, der auf das historische, kulturelle und religiöse Erbe hinwies, das Türken und Araber vereint. Wie ein Mann erhoben sich die Zuhörer und brachen in Ovationen aus, als Erdogan berühmte Verse arabischer Dichter zitierte. Jetzt verstärkt das Teheraner Abkommen vom 17.5.2010 die Rolle der Türkei als Regionalmacht im Nahen Osten.

Kein ernsthaftes realistisches Staatsoberhaupt, auch nicht der türkische Premier Tayip Erdogan, kann sich für das falsche Spiel Israels um den Frieden hergeben. Sich das Gegenteil vorzustellen ist eine Beleidigung der Intelligenz der zivilisierten Welt.Mit Kriegsverbrechern wie Netanjahu und seine Clique ist kein Frieden zu erwarten. Verhandlungen mit solchen Leuten sind nicht nur unerwünscht und inakzeptabel, sondern sie wären ein reines Ablenkungsmanöver, um den Kern des Problems noch einmal zu vertuschen: Die illegale Okkupation eines Territoriums, an der die rechtsextreme Regierung Israels gegen Recht und Gesetz festhält.

Die Hauptfrage ist jetzt nicht die arabische Anerkennung des Existenzrecht Israels, sondern die israelische Anerkennung Palästinas, frei von militärischer Besatzung und Kolonisierung. Wem nützt es, mit einigen zu reden und mit anderen nicht, wohin führt es, eine Gruppierung als Freund zu betrachten und eine andere als Feind zu stigmatisieren mit derselben kriegerischen Rhetorik einer unwilligen Regierung? Weder die USA noch Europa darf der Hamas, die bei den letzten Wahlen im Frühjahr 2006 gesiegt hat, irgendwelche Bedingungen stellen, Israel anzuerkennen. So simpel ist das Problem nicht nach den vielen Inkursionen dieses Rechtsbrechers und UN-Resolutionen ignorierenden Staates. Welches Israel meint der Kommentator? Das von 1947, das von 1967 oder das gegenwärtige Israel, das die meisten Palästinenser unter militärischer Besatzung und hinter Mauern, zersplittert in drei Zonen hält? Diese Frage muss sich der Journalist stellen und nach seinem besten Wissen und Gewissen beantworten, bevor er schreibt. Er muss zwischen Recht und Unrecht unterscheiden können und als zivilisierter Mensch für das Recht Partei ergreifen. Über Unparteilichkeit so banal zu schreiben, ist nicht nur fehl am Platz in Bezug auf den Nahost-Konflikt, sondern auch Flucht vor dem allgemeinen Gebot in einer Zivilisation, sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden, mit anderen Worten, für eine gerechte Sache Partei zu ergreifen, vor allem im Konflikt des Nahen Ostens, der schon viel zu lange aus dem Ruder gelaufen ist und jeden legalen Rahmen sprengt. Natürlich sind die an Israel gerichteten Verurteilungen durch die Vereinten Nationen wegen der verschiedenen und ständigen israelischen Aggressionen äußerst unangenehm für die israelische Regierung und ihre europäischen Unterstützer.

Aber Israel muss sich in seiner privilegierten Beziehung zur EU auch an den europäischen Menschenrechtsmaßstäben messen lassen. Wie sonst soll es die europäische Öffentlichkeit weiter dulden, dass Israel angesichts der andauernden brutalen Verletzungen von Völkerrecht, Genfer Konventionen und Europäische Menschenrechtskonvention weiterhin EU-Privilegien zugestanden werden? Wo bleibt die Diskussion über den Entzug dieser Privilegien?

Friedensstiftung darf nicht durch oberflächliche Kommentare bagatellisiert werden, die gewollt oder ungewollt darauf abzielen, eine Weiter-so-Politik gegenüber Israel zu fördern, als ob nichts geschehen wäre, als ob die Weltstaatengemeinschaft nicht seit langem mit dem Problem eines ständigen Friedensstörers zu tun hätte. Mit Zivilcourage und Ernsthaftigkeit muss jeder aufgeklärte Journalist dieses hartnäckige Problem einsehen und sich damit konfrontieren, um die richtigen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen.

Oberflächliche Kommentare wie der von Kai Strittmatter tragen zu weiterem Unrecht bei. Palästina gehört nicht den Israelis. Aus dieser primären Erkenntnis folgen ganz andere Überlegungen für einen sachlichen Kommentator als für Kai Strittmatter, vorausgesetzt es mangelt nicht an Rechtsbewusstsein und vorausgesetzt es kommt nicht zu der in Deutschland tradierten Fehleinschätzung, Recht als Ausdruck der Stärke, als eine Äußerung der Mächtigsten zu dulden.

Luz María De Stéfano de Lenkait