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27. Februar 2010 - Luz Maria de Stefano de Lenkait:

Der Rücktritt von EKD-Ratspräsidentin und Landesbischöfin Margot Käßmann undder politische Kontexgeben Anlaß zu einem Kommentar zur Süddeutschen Zeitung (SZ) vom 25.2.10:

„Ein starker Rücktritt“ von Tanjev Schultz

Angeschlagenes und entlarvtes Establishment

Der Rücktritt der Bischöfin Margot Käßmann als Ratsvorsitzende der EKD und als Landesbischöfin von Hannover hat viele Hoffnungen der deutschen Christenheit begraben, Hoffnungen von evangelischen wie katholischen Christen. Bischöfin Käßmanns Begründung ist nachvollziehbar: Sie habe nun nicht mehr die „Freiheit, ethische und politische Herausforderungen zu benennen und zu beurteilen“. Ihre Geradlinigkeit zeigt sich in ihrem Entschluss. Ihre vier Monate dauernde Amtszeit setzte große Hoffnungen in sie für eine wahre Änderung des evangelischen Amtes. Sie war kein „Strohfeuer“, wie es oberflächlich heißt, denn sie hat das Amt durch ihre Entschlossenheit und Stellungnahme für die Botschaft des Evangeliums wirklich verändert. Aber in einer Welt der Männer, wo sich versteckte Macho-Kultur immer noch anmaßend breit macht, war das gar nicht einfach für Margot Käßmann, obwohl sie sich persönlich durch Talent, Authentizität, Charisma und Courage durchsetzen konnte. Sie ist und bleibt die populärste und beliebteste Bischöfin der deutschen Christenheit, eine der herausragendsten Persönlichkeiten der Kirchen Deutschlands. Führungspersönlichkeit, die kein Amt benötigt, um weiter eine führende Rolle in der Gesellschaft einzunehmen. Weder die katholische noch die evangelische Kirche bieten hierzulande eine richtige Orientierung in den schwierigen aktuellen Fragen. Die Ratsvorsitzende und Landesbischöfin von Hannover Margot Käßmann hat diese ersehnte und bisher fehlende Orientierung der Gesellschaft gegeben. Vor allem als sie klipp und klar den militärischen Einsatz von Soldaten in Afghanistan als ungerechtfertigt erkannte. Damit löste sie ein politisches Erdbeben aus und eine unverschämte Attacke der Ultrarechten, versammelt in der Presse des Springer-Konzerns, die in ihren Boulevard-Blättern nur überall allgemeine Vulgarität sät. Auf einmal wurde die Kritik an der Bischöfin brutal und verheerend verdrehend. Solche Medien zeigen das hässliche primitive Gesicht einer Gesellschaft, die Intellektualität und Bildungsniveau nicht zu schätzen weiß und lediglich in Konsum-Kategorien, Spaß und Stimmung lebt. Das Denken und Nachdenken ist zu viel Anstrengung, eher eine Belastung für solche Spaßvögel. Deshalb sind diese Boulevard-Blätter wie Bildzeitung, BZ, Express am meisten verbreitet. Damit glänzt die verbreitete vulgäre Unbildung.

Diese primitiven Ultras beglückwünschen sich für das Fehlverhalten von Margot Käßmann und ihren Rücktritt. Es sind dieselben Leute, die die seltsame Initiative ergriffen, sie ins Bundeskriegsministerium einzubestellen und sogar die Idee in der Öffentlichkeit verbreiteten, ihr eine Reise nach Afghanistan vorzuschlagen. Schlecht beraten entsprach die Bischöfin der Bitte des Kriegsministeriums, reiste nach Berlin und traf sich mit dem Bundesminister Karl-Theodor zu Guttenberg, anstatt ihn in Hannover zu treffen, wie es hätte sein müssen, wenn der Minister ihr etwas zu sagen hatte. Aber die ungewöhnliche Einladung, nach Afghanistan zu reisen, ließ sie offensichtlich diskret ins Leere fallen, ohne große Glocken der Öffentlichkeit. Von da an waren die Ultras entschlossen, sie aus ihren Ämtern zu jagen, und so haben sie nur auf einen guten Vorwand gewartet. Bedauerlicherweise kam es dazu, als sie am Samstag 21.2. nach einem Treffen mit Freunden selbst nach Hause fuhr, anstatt sich fahren zu lassen. Die vollkommen überzogene Reaktion der Medien, vor allem der Presse aus dem Springer-Konzern, offenbart den lebendigen Groll und die Erbitterung der militaristischen Ultrarechten wegen der eindeutigen Kritik der Bischöfin an deren Einsatz in Afghanistan. Diese seltsame Reaktion des rückständigen Establishments auf die Silvester-Predigt der Bischöfin stellt bloß, wie angeschlagen und entlarvt sich dieses Establishment durch die ausgesprochene Wahrheit der Bischöfin fühlte. Es war eine gezielte inszenierte und orchestrierte mediale Kampagne, die an die ebenso heftige überzogene Kampagne der ultrarechten Medien gegen die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth erinnert, als sie in den neunziger Jahren den Krieg als Mittel der Politik kategorisch ablehnte. Die nationalistische, militaristische Machtfront, die über einen großen Teil der Medien als ihr Kampfinstrument verfügt, hat sich nicht geändert. Im Gegenteil. Seit der deutschen Einheit 1990 hat sie ihren Schafspelz abgeworfen und zeigt sich schamlos als Horde von primitiven Wölfen, die sie schon immer war.

Margot Käßmann muss kämpferisch in der Sache bleiben, gerade deshalb, weil Medien und Politiker sich dem Sachverhalt noch lange nicht richtig stellen wollen, sondern in Personalien, in Nebensächliches und in propagandistische Floskeln fliehen. Die Bischöfin ist auch ein glaubwürdiger Ansatzpunkt, die ökumenische Einheit von evangelischen und katholischen Christen wirksam zu betreiben. Die Bischöfin hat die Basis beider Kirchen hinter sich.

Es gibt niemanden von vergleichbarer Popularität und Breitenwirkung in der evangelischen Kirche, niemanden, der sie einfach als Ratsvorsitzende ersetzen könnte. Nikolaus Schneider, der rheinische Präses und ihr Stellvertreter ist mehr denn je herausgefordert, die Hoffnung, die die Ratsvorsitzende wie keine andere zuvor weckte, weiter lebendig zu halten und zu erfüllen. Margot Käßmann ist aufgerufen, ihn dabei zu unterstützen und ihm in diesen rückständigen Verhältnissen den Weg nach vorne zu weisen.

Stünden die 14 Mitglieder des Rates der EKD tatsächlich einmütig hinter ihrer Vorsitzenden, hätten sie ihren Rücktritt nicht akzeptiert, und vor allem sie nicht mit einer so schwierigen Entscheidung allein gelassen, unabhängig davon, wie sie sich letztendlich entscheiden würde.

Aus Verantwortungsbewusstsein ist ihr Rücktritt selbstverständlich ein Akt der Stärke, wie der SZ-Kommentar von Tanjev Schultz es richtig einschätzt, und zwar moralischer Stärke.Vielen Politikern und Prominenten mangelt es an solchem Verantwortungsbewusstsein für das Amt und an der Anständigkeit, opportun und prompt zurückzutreten. Es wäre wünschenswert, Prominente und Politiker hätten die persönliche Größe, Fehler einzugestehen und vorbildlich damit umzugehen. Margot Käßmann ist ein Anzeichen grundlegender Veränderung in Deutschland geworden, eine grundlegende Veränderung, die das Land dringend nötig hat.

Luz María De Stéfano de Lenkait