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10. Oktober 2009 - Luz Maria de Stefano de Lenkait:

Kommentar zum Artikel in Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 7.10.09:

„Schwierige Annäherung“ von Tomas Avenarius 

Die Nürnberger Prozesse verpflichten zu Widerstand

gegen Kriegsverbrechen und illegale Besatzung 

Es geht um die angestrebte Einheit der Palästinenser, die gezielt von bestimmten westlichen Regierungen, darunter Deutschland, verhindert wird, indem der demokratische Sieg von Hamas in freien Wahlen aberkannt wurde. Diese grundsätzliche Tatsache zu ignorieren, wie im SZ-Artikel „Schwierige Annäherung“ von Tomas Avenarius vom 7.10.2009, ist gravierend. Hamas ist durch freie Wahlen legitimiert, auch wenn diese demokratische Legitimation einem defizitären Demokratie-Verständnis der deutschen SPD-CDU-Regierung und auch gewisser Journalisten nicht passt. Von „Hamas-Coup“ oder „Machtübernahme“ zu schreiben, ist nicht nur unsachlich desinformativ, sondern propagandistisch tendenziös, im Sinne der destruktiven Haltung der israelischen Lobby. Man vermisst zu diesem Thema die realistische Sachlichkeit und nüchternde Kenntnis von Thorsten Schmitz. Wieso gibt die SZ-Redaktion der Unkenntnis eines Avenarius in dieser heiklen Angelegenheit den Vorrang?

Die israelische Lobby im Weißen Haus behindert den notwendigen Kurswechsel der Außenpolitik Washingtons im Nahen Osten. Schon das Dreier-Treffen am Rand der UNO-Vollversammlung in New York am 22.9.2009 folgte der Taktik der israelischen Rechtsextremistenkreise. Daß sich Palästinenserpräsident Abbas dennoch zum Händedruck bereit fand, war ein Zeichen der Schwäche gegenüber dem Druck aus dem Weißen Haus, das seinerseits unter dem Druck der israelischen Lobby stand. Eine glatte Verhöhnung sowohl der Palästinenser wie auch des US-Präsidenten Obama. Der Konflikt mit der starken pro-israelischen Lobby in den führenden Kreisen der USA ist unvermeidbar und deshalb mutig und selbstbewußt zu wagen. Der US-Präsident hat schon die destruktive Haltung Netanjahus zur Kenntnis genommen. Dass sich auch die deutsche Bundesregierung und die EU als stille Helfer Netanjahus bei der Sabotierung des Friedens im Nahen Osten betätigen, ist ebenfalls festzuhalten: Auffällig Merkels Schweigen zu Netanjahus Unnachgiebigkeit bei dessen Berlin-Besuch. Ist die deutsche CDU-Führung erpressbar?

Deutschland unkritisch an der Seite der Bush- Olmert- Netanjahu- Regierung hat sich blamiert und annulliert: Die Ausgrenzung von Hamas ist ein gewaltiger Fehler so wie die Ausgrenzung von Syrien, Iran und Hisbollah. Europas Weigerung markiert die Verzögerung der Weltdiplomatie, die Verzögerung eines stabilen Friedens im Nahen- Mittleren-Osten. Fehler sind zu korrigieren. Je früher desto besser. Durch die unerwünschte Einmischung einer rechtlos agierenden Regierung in Tel-Aviv hat sich eine blockierende Position der Bundesregierung nach israelischem Gusto durchgesetzt.

Für einen stabilen Frieden im Nahen Osten ist es zutreffend realistisch und konstruktiv, eine legitime demokratische palästinensische Regierung wie die Hamas anzuerkennen und mit ihnen zu sprechen. Im Interesse der Stabilität im Mittleren Osten ist das Gespräch auch mit Syrien und dem Iran zu suchen, wie der US-Präsident Obama und andere relevanten internationale Politiker es zutreffend anregen zu tun, darunter der britische, der französische und der russische Außenminister. Die Bundesregierung und mit ihr die EU gehen in die Falle der amerikanischen und israelischen Falken, die weiter auf vernichtende Konfrontation und Drohung setzen. Findet die extremistische Haltung der unverschämten israelischen Regierung Zustimmung in Berlin? Betrachtet Tomas Avenarius solche Rechtsextremisten, die Israel regieren und den Friedensprozess blockieren, als Freunde?

Die CDU-SPD-Regierung steht längst einer folgerichtigen Friedenspolitik in Nahost im Wege , indem sie gerechte Schritte torpediert oder verhindert. Beschämenderweise geschah es gleich zweimal:

Erstens: Laut Haaretz vom 28.1.2009, „Israel verhindert französische Initiative zur Aufhebung des EU-Boykotts gegen Hamas“. In der Tat hatte Paris ein gut konzipiertes Abschlussdokument der EU-Außenminister in Brüssel am Dienstag 27.1.2009 vorgelegt zur Anerkennung der Hamas als Gesprächspartner der Palästinenser. Deutschland fügte sich dem Druck aus Israel und ließ die französische Initiative scheitern. Zu Recht hat dann der britische Außenminister in Erwägung gezogen, Hamas anzuerkennen. Schließlich geht es um die Befreiung Palästinas und Hamas ist in diesem Zusammenhang als eine Befreiungsbewegung anzusehen, wie die PLO in 1964. Schon die Tatsache, dass Washington mehr als ein Jahrzehnt lang Gespräche mit der palästinensischen Befreiungsorganisation PLO ausgeschlossen hatte, verzögerte verantwortungslos den Friedensprozess in Palästina. Washington darf jetzt keineswegs dasselbe Risiko eingehen. Politische Kontakte mit Hamas sind auf Dauer unvermeidlich. Großbritannien hat es verstanden, genauso wie Frankreich, Russland, die Schweiz und andere europäische Länder. Die Frage des Umgangs mit der Hamas ist nicht länger zu vertagen.

Ein zweites Mal kam die CDU-SPD Bundesregierung dazwischen, um eine angemessene starke EU-Haltung gegen die rechtsradikale israelische Regierung zu torpedieren. In der Tat steigerte sich dadurch das Ausmaß an Inkompetenz der EU gegenüber Israel von schlimm zu schlimmer, wie sie sich in Brüssel am 9.7.2009 bloßstellte: In der Tat machte die EU-Kommission eine völlig unangebrachte unbegründete Kehrtwende, indem sie eine scharf formulierte Stellungnahme zur völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungspolitik zurückzog (9.7.2009) und sich vor der rechtsextremen Regierung Tel-Avivs wieder unsouverän verbeugte. Mit einer solchen Regierung ist keine Partnerschaft aufrecht zu erhalten.

Deutliche Kritik an Israel war zum ersten Mal in der EU vom belgischen EU-Kommissar Louis Michel zu hören (13.1.2009) zusammen mit der wachsenden internationalen Kritik an dem verbrecherischen israelischen Vorgehen. Auch die tschechische EU-Ratspräsidentschaft kritisierte eindeutig die inhumanen Handlungen Israels in Gaza. Die Maghreb-Staaten, Mauretanien, Tunesien, Algerien und Marokko brachen diplomatische Beziehungen mit Tel Aviv und distanzierten sich von der EU.

Deutschland ist längst kein Akteur in der Weltpolitik mehr, vor allem nicht im Nahost-Konflikt, aber es wirkt hinderlich. Wie kann Berlin der Hamas einen gerechten mutigen Widerstand gegen eine solche ungeheure unmenschliche Ungerechtigkeit verneinen? Gespräche mit Hamas dürfen nicht länger vertagt werden. Der ehemalige Außenminister Joschka Fischer weist ebenso richtig darauf hin, nicht mit Hamas denselben Fehler zu begehen wie damals mit der PLO. (SZ 27.1.2009)

Die Zeit der Taten ist gekommen. Deutschland und die EU sind mächtig genug, und verfügen über wirksame Mitteln, Israel zur Vernunft zu zwingen.

Zutreffend hat Washington die Kreditbürgerschaft an Israel vor Monaten entscheidend gekürzt und die Beziehungen mit Tel-Aviv praktisch eingefroren. Weitere härtere Maßnahmen sind nicht länger zu verzögern. Sie sind jetzt vor allem aus Europa fällig. Eine EU, die sich immer weiter vor den realen Problemen der Welt nicht verantworten will, ist selbstverständlich überflüssig. Aber zahlreiche europäische Staaten sind in der Lage, sich richtig einzusetzen. Schweden, Spanien, Finnland, Österreich, Italien, Belgien und vor allem Norwegen sind höchst qualifiziert, sich für einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten an der Seite des US-Präsidenten einzusetzen. Auch die Türkei und alle arabischen Regierungen. Diese Länder können zusammen mit Frankreich und Russland viel bewirken, um den Nahost-Friedensprozess in Gang zu setzen. Syrien ist durchaus als ernsthafter Vermittler einzustufen. Die Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen zwischen Washington und Damaskus ist in dieser Hinsicht von entscheidender Bedeutung.

Sollte sich die Bundeskanzlerin mit den Cheney-Bush-Olmert und Netanjahu weiter identifizieren und im Sinne dieser unheimlichen fremden Interessen weiter agieren, muss man sich die Frage stellen, welches Licht diese Symbiose auf die Kompetenz, Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit der deutschen Außenpolitik wirft.

Mit seiner derzeitigen offen unkritischen Pro-Israel-Position ist Deutschland kein echter Vermittler. Nur ein Hindernis auf dem Weg zum stabilen Frieden im Nahen Osten.

Die merkwürdige Haltung von Abbas gegenüber einem UN-Bericht, der Israel als Kriegsverbrecher an den Pranger stellt, ist viel mehr als ein Fehler. Die offiziell festgestellten Verletzungen der Menschenrechte seiner Landsleute nicht mit allen Konsequenzen für die verantwortlichen Täter anerkennen zu wollen, ist Hochverrat. Abbas hat sich damit selbst diskreditiert, ja völlig disqualifiziert als potentieller Führer der palästinensischen Nation. Alle Forderungen zum Rücktritt sind begründet. Die Einheit, eine Annäherung ist nicht um jeden Preis zu erreichen, am wenigsten um den Preis von Hochverrat. Hamas ist aufgerufen die Einheit der Palästinenser zu vollenden. Nächste Wahlen im 2010 können aktuelle Klarheit schaffen, vor allem, gegen einen vermutlich gekauften, korrupten schwachen Abbas. Nicht nur der „Goldstone“-UN-Bericht, sondern viele andere UN-Berichte zuvor, wie der vom UN-Beamten Richard Falk, verurteilen Israel wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Gaza. Die israelische Führung gehört längst vor das Internationale Strafgericht in den Haag. Dass ein palästinensischer Politiker die israelischen Verbrecher in Schutz nimmt, ist unentschuldbar, ja unerklärbar und gibt plausibel Anlass, ihn als Marionette der Israelis zu stempeln. Die Würde aller Palästinenser und die Gerechtigkeit der palästinensischen Sache erfordern seinen sofortigen Rücktritt.

Die Schweiz, eine hoch entwickelte Demokratie Europas, verfolgt eine vorbildliche Dialogpolitik mit der Palästinenser-Organisation Hamas. Kritik aus Israel ändert nichts an den Gesprächen auf diplomatischer Ebene mit Hamas, die die Schweiz souverän und unbeirrt seit Anfang Juli 2009 in Genf führt, um einen Weg zum Frieden zu ebnen. Im Gegensatz zur EU und Israel ist die Hamas für Bern keine Terrororganisation. Es ist an der Zeit, dass die EU das einsieht und sich nicht weiter in Vorurteile verrennt. Die Nürnberger Prozesse verpflichten jeden selbstbewussten zivilisierten Menschen, jeden zivilisierten Staat, gegen Kriegsverbrechen und illegale Besatzung Widerstand zu leisten. Es wird Zeit, dass Deutschland das Völkerrecht in seiner Integrität endlich anerkennt. Demgemäß muss ein professioneller Journalismus anfangen, sich daran zu halten und sich vorurteilsfrei zu behaupten.

Als Depositärstaat der Genfer Konventionen hatte die Schweiz israelische Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht verurteilt und während der Gaza-Invasion zu Jahresbeginn erklärt, in dieser Frage nicht „neutral im Sinne von tatenlos“ sein zu können. Vor dem UNO-Menschenrechtsrat hatte die Schweiz eine Untersuchung der Völkerrechtsverletzungen in Gaza beantragt.

Lobbyisten der israelischen Regierung können es nicht vertuschen: Auch wenn sie sich weigern, das brutale Ausmaß der israelischen Besatzungspolitik anzuerkennen, wird es ihnen nicht gelingen, dass immer mehr Menschen die Wahrheit über das Heilige Land begreifen. Sie kommt früher oder später immer ans Licht. 

Gez. Luz María De Stéfano de Lenkait