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29. Juli 2011 - Luz Maria de Stefano de Lenkait:

Die Libyen-Krise spitzt sich zu, die Propaganda auch - Anlass zu folgender Stellungnahme zu

Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 27.7.2011:
„Gaddafi soll in Libyen bleiben dürfen“ von Sonja Zekri

und Kommentar:
„Gaddafi muss gehen“ von Sonja Zekri (zri)

Plump desinformierend: Ihr Gewissen heißt NATO

Schon beide Titel in der Süddeutschen Zeitung vom 27.7.2011 „Gaddafi soll in Libyen bleiben dürfen“ und „Gaddafi muss gehen“ weisen auf widersprüchliche Verhältnisse hin. Die militärische NATO-Aggressionsgemeinschaft sucht nach einem Ausweg, nachdem sie vier Monate lang ein kleines arabisches Land grausam bombardiert hat. Der sinnlose Einsatz kostet täglich mehrere Millionen Euro. Blanker Zynismus zeigt der britische Außenminister William Hague, wenn er sich anmaßt zu sagen, das legitime Staatsoberhaupt Libyens, Muammar al-Gaddafi, solle „am besten, das Land (sein eigenes Land) verlassen, damit die Menschen keine Angst mehr vor ihm haben müssten.“ Der von Hass, Frustration und Wut verblendete Brite verliert nicht nur seine persönliche Balance, sondern jeden Realitätssinn und will nicht oder wird unfähig normal einsehen, was den Menschen in Libyen Angst einjagt, nämlich die täglichen unmenschlichen Bombenexplosionen in Wohnhäusern, Fabriken, Krankenhäusern, auf Märkten und in landwirtschaftlichen Einrichtungen. Für einen eiskalten Briten sind diese grausamen Attentate ganz normal, für ihn haben die Menschen keine Angst davor. So die ungeheuerliche Lesart, die Sonja Zekri bedenkenlos unkritisch reproduziert, als ob die kriminelle Energie der NATO nicht höchst abstoßend wäre. Sie spricht von der arabischen Welt und meint damit nur die Saudis und Öl-Monarchien, die sich an die Seite der Aufständischen und westlichen Angreifer gestellt haben. Die Position der Arabischen Liga hat der ägyptische Generalsekretär Nabil-Al-Arabi vertreten (13.7.2011): Niemand habe „das Recht zu entscheiden, ob ein Präsident seine Legitimation verloren habe, nur das eigene Volk“. Die Arabische Liga lehnt jede ausländische Einmischung ab. Diese in der SZ verschwiegene arabische offizielle Erklärung gilt für Syrien und für jedes souveränes Land, trotz der entgleisten Dreistigkeit einiger unverbesserlicher Westmächte, die ihre Dominanz mit Terror, Mord und Vernichtung durchsetzen wollen. Zekri äußert sich besorgt über den Gesichtsverlust der NATO und rechtfertigt deshalb die weiteren kriminellen Angriffe: „...Gaddafi würde vielmehr als Bezwinger des Westens und der aufständischen „Kakerlaken“ triumphieren... der Westen wäre nicht nur blamiert, er hätte wieder einmal einen Kompromiss mit einem Tyrannen geschlossen. … Ihn (den Militäreinsatz) nach so viel Aufwand und bombastischer Rhetorik auf so jämmerliche Weise zu beenden, das würde die arabische Welt – zu recht – als Verrat begreifen.“

In der Nacht zum 17. Juli 2011 erschüttern zwei Stunden lang die Abwürfe von rund 70 Bomben mehrere Wohnviertel in Tripolis. Die Hochhäuser in der ganzen Stadt erzittern wie bei einem Erdbeben, viele Anwohner flüchten voller Angst auf die Straße. Zahlreiche Gebäude werden zerstört und die Bewohner unter den Trümmern begraben – seit 120 Tagen ist dies nun Alltag in Libyen. Das besonders schwere Bombardement an diesem Sonntagmorgen war offenbar die Antwort der NATO auf die Großdemonstration vom Freitag, wo erneut Hunderttausende gegen den NATO-Krieg protestierten und ihre Unterstützung für die Regierung demonstrierten.

(Kein »arabischer Frühling« Hintergrund. Der Krieg gegen Libyen.
Teil I: Über den Charakter der Revolte und die Opposition im Land,
Joachim Guilliard - Junge Welt 27.7.2011/Thema/Seite 10)

Die USA verbreiten Terror, Bomben, Gewalt und Tod. Ihr mörderischer Bomben-Wahnsinn macht vor Wohnhäusern, Krankenhäusern, Märkten nicht halt, sogar Frauen und Kinder werden mit Bomben massakriert, wie in Libyen. Diesbezüglich sind die verurteilenden Worte des deutschen Außenministers Guido Westerwelle in New York als Vorsitzender des UN-Sicherheitsrats sehr zutreffend. Sinngemäß erklärte er: Solche Angriffe sind ausdrücklich zu ächten, denn sie sind eine Schande. Eine auf Initiative Deutschlands eingebrachte und einstimmig verabschiedete Resolution habe „handfeste Konsequenzen“ für die Geächteten, so der deutsche Außenminister (12.7.2011). Gerade aufgrund dieser jüngsten UN-Resolution, die auf Initiative Deutschlands zustande kam, war eine entsprechende würdige Reaktion der SZ-Redaktion zu erwarten, die aber ausblieb. Mörder und Attentäter sind an den öffentlichen Pranger zu stellen, auch wenn es dem US-Konsulat in München nicht passt.

Auf die „Liste der Schande“ sind die heutigen Aggressoren gegen Libyen zu setzen, d.h. die USA, Großbritannien und Frankreich, die für mörderische Angriffe der NATO gegen Kinder, Frauen, Wohnhäusern, Krankenhäuser und Märkte in Tripolis verantwortlich sind. Diplomatisch hat Guido Westerwelle darauf verzichtet, explizit die Attentäter namentlich zu zitieren, aber inzwischen sind die NATO-Verbrechen weltweit bekannt. Vor allem bei der Weltstaatengemeinschaft und ebenso im Sicherheitsrat. „Aus diesem Grund, so Westerwelle, wollten die Kritiker der Libyen-Resolution eine Entschließung des Sicherheitsrats gegen das Assad-Regime in Syrien verhindern“. (SZ-Artikel: „Vereinte Nationen erweitern „Liste der Schande““ von Reymer Klüver, 13.7.2011)

Es kommt jetzt darauf an, dass sich unabhängige selbstständige Journalisten für die Wirksamkeit der wertvollen UN-Resolution einsetzen. Ein effektiver Anfang wäre, die aktuellen großen Aggressoren gegen die Zivilbevölkerung in Libyen auf die Liste der Schande zu setzen. Sie werden wegen ihrer schändlichen Untaten von aller Welt ohnehin geächtet. Eine unabhängige deutsche Presse sollte hier mutig anfangen, im Sinne der menschlichen Anständigkeit und im Sinne der Gerechtigkeit zu arbeiten.

Die Saudis mit der gesamten Arabischen Welt absichtlich zu verwechseln und so die Stellungnahme der Arabischen Liga zu verschweigen, die jede ausländische Einmischung kategorisch und explizit zurückweist, wirkt in der Tat als ein Verrat oder grobe Ignoranz gegenüber den arabischen Völkern, die sich niemals mit den arabischen Autokratien identifiziert haben, am wenigsten mit der fremden Hegemonie westlicher Kolonialmächte, die gemeinsame Sache mit Despoten und Autokraten machen. Der verräterische Charakter der Saudi-Dynastie und Öl-Aristokratien ist weltweit bekannt. Sie verraten die arabischen Völker, indem sie nicht davor zurückschrecken, zusammen mit ehemaligen Kolonialmächten wehrlose Menschen, wie Kinder, Frauen und Kranke zu morden. Sie sind diejenigen, die mit zu den NATO-Bomben-Attacken angestiftet haben.

Der Gesichtsverlust der NATO, die sowieso durch Illegitimität ihr hässliches Gesicht verloren hat, ist der SZ-Journalistin wichtiger als die unsäglichen menschlichen Opfer, Zerstörung der Infrastruktur und enormen Kosten.

Unprofessionell verschweigt sie auch das Interview von Gaddafis Premierminister in „Le Figaro“ (12.7.2011), dem zufolge die Machthaber in Tripolis zu „Verhandlungen ohne Bedingungen“ mit der Gegenseite bereit seien. Selbstverständlich sind die NATO-Luftangriffe einzustellen, um solche Verhandlungen zu ermöglichen. Das Staatsoberhaupt Libyens Gaddafi bestehe nicht darauf, selbst an solchen Verhandlungen beteiligt zu sein. Er sei bereit, die „Entscheidung des libyschen Volkes zu respektieren.“ Es gehe um „einen Dialog zwischen allen Parteien, der unter dem Schirm der UNO und der Afrikanischen Union geführt werden könne und dessen Ziel die Einführung eines neuen politischen Systems in Libyen sein könne... Nach einem vereinbarten Waffenstillstand, der von der AU, der UNO, der EU oder sogar der NATO überwacht werden könne, sollten Gespräche zwischen allen beteiligten Parteien über einen demokratischen Reformprozess beginnen, der in freien Wahlen einmünden soll. Damit könne das libysche Volk selbst über sein künftiges politisches System und seine künftige Regierung entscheiden.“(Sinngemäß übertragen aus „Le Figaro“, 12.7.2011)

Am selben Tag der Veröffentlichung des Interviews vom libyschen Premierminister im Le Figaro (12.7.2011) hatte Frankreichs Außenminister AlainJuppé in einem Interview mit „France Info“ bestätigt, dass es Kontakte zwischen Gaddafi-Abgesandten und der französischen Regierung gegeben habe. Er bestätigte damit eine Äußerung von Gaddafis Sohn in einer algerischen Zeitung, dass Gesandte des Gaddafi-Regimes in Paris empfangen worden seien. Einer von ihnen habe sogar mit Sarkozy persönlich gesprochen. In einem Fernsehinterview zwei Tage vorher hatte der französische Verteidigungsminister, Gerard Longuet, den Eindruck erweckt, dass die französische Regierung nunmehr auf eine Regelung des Konflikts durch Verhandlungen setzt: Man müsse sich „nun um einen Tisch setzen“. „Die Bombardements werden eingestellt, sobald die Libyer miteinander reden... denn es liege nun der Beweis vor, dass es keine Lösung per Gewalt gibt.“

In afrikanischen Medien wurden die neuen Töne aus Paris auch mit den hohen Kosten im Zusammenhang gebracht, die der Libyen-Einsatz für Frankreich mittlerweile verursacht. Es sei fraglich, „wie lange die Franzosen noch mit diesem militärisch abenteuerlich und ökonomisch ebenso kostspieligen Unternehmen einverstanden sein werden.“ Die Kosten der Intervention in Libyen für Frankreich belaufen sich bis dato auf 160 Millionen Euro laut Angaben des Finanzministeriums Frankreichs. Allein Frankreich kostet der Militär-Einsatz täglich eine Million Euro. (Meldung in der SZ am 20.7.2011)

Dessen ungeachtet hat sich die abstoßende kriminelle Linie Washingtons durchgesetzt, die Zekri in ihrem kaltschnäuzigen SZ-Kommentar von 27.7.2011 widerspiegelt. Eine Feuereinstellung komme für die NATO auch während des Fastenmonats Ramadan nicht in Frage, und eine politische Lösung mit Gaddafi sei nicht möglich.

US-amerikanische Freiheit und Demokratie mit Bomben, Tod und Zerstörung: Das ist einfach nur abstoßend, monströs. Kein Land braucht, kein Land will eine solche Demokratie, eine solche fürchterliche Freiheit. Barack Obama hat sich nicht nur persönlich diskreditiert, sondern sein Land nackt der Missachtung der ganzen Welt ausgeliefert. Eine Allianz mit Verbrechern ist eine widerliche Komplizenschaft, eine Schande für Europa, eine Schande für Deutschland. Ja, die deutsche Bevölkerung muss sich für einen solchen Verbündeten zutiefst schämen, der als Botschaft für die Freiheit auf extreme Gewalt setzt.

Die Bomben-Aggression der NATO verstößt gegen geltendes internationales Gesetz, nämlich die Charta der Vereinten Nationen, die Stabilität und Frieden für die Welt sichern soll. In diesem Kontext sind alle deklamatorischen Parolen von US-Präsident Obama und aller anderen Politiker, die die Kriegshandlungen unterstützen, unglaubwürdig und zynisch. Der NATO-Wahnsinn ist zu bremsen. Der common sense ist gefragt, um mit Konflikten umzugehen, ohne sie zu verschlimmern, ohne sie zu eskalieren. Deshalb wäre ein neuer außenpolitischer Kurs Deutschlands zu begrüßen, und zwar als ein Startpunkt für ein Europa, das wirklich unabhängig souverän endlich die US-Ketten ablegt.

Den Krieg zu stoppen heißt letztendlich aus der NATO auszutreten. Eine verantwortungsvolle Kanzlerin muss sich endlich von einer abscheulichen „Allianz“ zum Krieg, Mord und Vernichtung klar und deutlich distanzieren. Sonst verfällt sie in blanken Zynismus und gravierende Verwechslung, wenn sie für den Frieden mit vernichtenden Instrumenten, mit mörderischen Mitteln handeln will. Diese Dekadenz muss sie sich selbst und Deutschland ersparen.

Viele Politiker, auch bei der Partei Die Linke, halten den Aufstand in Libyen immer noch für eine Fortsetzung des »arabischen Frühlings« und stehen hinter den als »demokratische Opposition« idealisierten »Rebellen«. Vorbehaltlos übernahmen die meisten das von der Kriegsallianz in kürzester Zeit durch Propagandalügen erschaffene Feindbild von Gaddafi. Hartnäckig hält sich – ungeachtet aller historischen Erfahrungen – die Hoffnung, die NATO würde eine fortschrittliche Entwicklung im Land herbeibomben.

Allerdings stößt der Krieg außerhalb Europas und Nordamerikas auf breite weltweite Ablehnung. Hier sind die meisten Länder davon überzeugt, dass er nicht zum Schutz der Zivilbevölkerung oder für Demokratie geführt wird, sondern für den unmittelbaren Zugriff auf die libyschen Öl- und Gasvorräte und andere Ressourcen. Die parallele militärische Intervention Frankreichs in der Elfenbeinküste und die forcierte Ausweitung der militärischen Präsenz der USA in Afrika deuten zudem auf Ziele hin, die darüber hinausgehen: Die Sicherung und Ausweitung westlicher Dominanz auf dem gesamten afrikanischen Kontinent.

Offenkundig wollen sich die Rebellen nicht auf Verhandlungen über eine Feuereinstellung einlassen, ohne sicher zu sein, dass sie am Ende definitiv die Macht in die Hand bekommen, was auch das Interesse ihrer internationalen Beschützer ist. Sie vertrauen in die Demokratie nicht so weit, dass sie sich einem demokratischen Wahlprozess aussetzen würden, ohne vorher schon sicher zu sein, dass sie die Sieger sein werden. So weit das Demokratieverständnis von Verrätern und westlichen „Demokratien“, die sich als Angreifer an die Seite der Rebellen stellen.

Dem libyschen Volk seine Selbstbestimmung zu ermöglichen, wäre der wunderbare Sieg des Rechts über die bloße brutale Macht, etwas, was schon seit der Renaissance in Kunst und Kultur Europas anerkannt wurde, wie der wunderschöne David von Michelangelo offenbart. Aber Sonja Zekri ist weit von einer kulturellen Wiedergeburt entfernt. Sie ist das Produkt der aktuellen Dekadenz Europas. Daher offenbart sie eine unwürdige Nähe, wenn nicht ihre unwürdige Verbindung mit der terroristischen weltweiten Aggressivität des Pentagons. Daher ihre Unfähigkeit, menschlich mitzufühlen, menschlich die Perversion des Terrors wahrzunehmen und abzulehnen, da, wo er sich zügellos manifestiert. Sonja Zekri ist dieselbe Journalistin, die die NATO-Bomben auf Tripolis als harmlos hervorhob (siehe ihr SZ-Kommentar vom 9.6.2011: „Die neue Präzision der NATO“), anstatt die Perversion der Bombenattentate gegen Wohnhäuser, Krankenhäuser, Geschäfte, Frauen und Kinder darzustellen und zu verurteilen. Solche Bombenangriffe sind für Zekri bedenkenlos, weil sie NATO-Bomben-Angriffe sind. Die Journalistin Sonja Zekri ist aber keine gewissenlose Frau. Nein: Ihr Gewissen heißt NATO. Die Geschichte des Dritten Reichs kennt solche Ungeheuerlichkeiten bis ins Extrem eines kriminellen Endes. Für sie gibt es keine vorstellbare, keine wünschenswerte Welt, ohne den Führer, heute die NATO, aufgrund dessen sie Vernichtung und Tod bis zum wahnsinnigen Schluss vorziehen.

Eine letzte Bemerkung: Genau wie die USA erkennt Libyen den Internationalen Strafgericht nicht an. Deswegen ist jeder Beschluss dieses Gerichts für den Staatschef Libyens nicht anwendbar. Ein Haftbefehl gegen den US-Präsident Obama, obwohl gerechtfertigt, wäre genauso unanwendbar, da die USA dieses Gericht nicht anerkennen. Die Journalistin sollte sich darüber im Klaren sein, bevor sie so plump desinformierend darüber schreibt.

Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait