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29. September 2015 - Eva Renate Marx-Mollière:

Brief an Gunter Weißgerber:


Hast Du Sie noch alle beisammen ?

Genosse Gunter,
diese Frage an Dich drängt sich mir auf, nachdem ich Deinen offenen Brief an Albrecht Schröter vom 23. September gelesen habe und vor allen Dingen, nachdem ich Deine zahlreichen Thesen inklusive Leugnung zahlreicher Völkerrrechtsverstöße in diesem Schreiben zur Kenntnis nehmen musste.

Ich möchte Dir die Gedanken aus dem offenen Brief von Desmond Tutu anlässlich des Evangelischen Kirchentages in Stuttgart im Juni diesen Jahres an Herz legen:

„Macht Geschäfte mit Juden, organisiert etwas mit ihnen, liebt sie. Aber unterstützt nicht die militärische, wirtschaftliche oder politische Maschinerie eines Apartheidstaates. …..
Hütet euch vor Antisemitismus und allen anderen Formen von Rassismus, aber hütet euch genauso davor, zum Schweigen gebracht zu werden von jenen, die euch wegen der Kritik an der unterdrückerischen Politik Israels als Antisemiten abstempeln wollen."

 

Als SPD –Mitglied muss jeder Bürger von Dir die Einhaltung des im Grundgesetz festgeschriebenen Rechts auf freie Meinungsäußerung erwarten und auch fordern.

Als Genosse der Sozialdemokratischen Partei darüber hinaus erwarte ich von Dir die Kenntnis der bereits im Mai 1946 frühen programmatischen Aussage unserer Partei:

„ Es gibt keinen Sozialismus ohne Demokratie, ohne die Freiheit des Erkennens und die Freiheit der Kritik.“
[Quelle: Informationen zur politischen Bildung, Heft 259, S.10f.]

 

Auch wenn Du, genauso wie ich in der 50 ger Jahren des letzten Jahrhunderts geboren bist.
Und natürlich auch Wissen um die Passagen aus dem Godesberger Programm 1959:

 

„Alle Völker müssen sich einer internationalen Rechtsordnung unterwerfen, die über eine ausreichende Exekutive verfügt. Der Krieg darf kein Mittel der Politik sein. Die Parlamente, die Verwaltung und die Rechtsprechung dürfen nicht unter den einseitigen Einfluß von Interessenvertretungen fallen. Die schöpferischen Kräfte des Menschen müssen sich in einem reich gegliederten und vielfältigen kulturellen Leben frei entfalten können. Die Kulturpolitik des Staates soll alle kulturwilligen Kräfte ermutigen und fördern. Der Staat muß alle Bürger vor den Macht- und Interessengruppen schützen, die das geistige und kulturelle Leben eigenen Zwecken dienstbar machen wollen“

 

Wie hältst du es dann mit der Tatsache, dass in Israel für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen unterschiedliche Gesetze gelten und zur Anwendung kommen? Dass es unterschiedliche Strassen—und Infrastrukturnetze gibt, dass ein Teil der Bürger täglich checkpoints passieren muss, die trotz Permits geschlossen oder auch offen sein können oder dass die Finanzierung der Schulen von der rassischen und religiösen Zugehörigkeit abhängig ist? Das selbst die Wasserversorgung davon abhängt, ob Du in einer staatlich geförderten Neubausiedlung auf besetztem Land oder in einen Dorf lebst, das Deine Vorfahren bereits seit Hunderten von Jahren bewohnen ?
Als Sozialdemokrat muss es Dir doch suspekt erscheinen, dass die Zäune und Schutzwälle angeblich israelischen Sicherheitsinteressen dienen, aber zugleich täglich tausende Palästinenser durch Lücken im Zaun auf israelisches Territorium kommen, wo ihre israelischen Arbeitsgeber schon sehnsüchtig auf die Tagelöhner warten, denen trotz der Arbeit der Zugang zu Sozialen Leistungen und (Renten-)Ansprüchen verwehrt bleibt .

Als Privatperson ohne politisches Amt könntest Du Dich einvernehmlich und versöhnlich auf die Seite der derzeitigen aktuellen israelischen Politik stellen und deren Legitimisierung des militärischen Vorgehens im Gaza-Krieg oder auch deren Prozederen in den Palästinensischen Gebieten mit einem eigenen Untersuchungsbericht akzeptieren. Du könntest auch die Verweigerung der Einreise für den UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte, Makarim Wibisono in die Palästinensergebiete durch das israelische Außenministerium gutheißen, die dazu führen sollte, ein „von vorneherein antiisraelisches Mandat“ zu verhindern. Du könntest darüber hinaus die Zahlen der UNO bezweifeln nach dem letzten Krieg in Gaza bzgl. der Verteilung der Opfer oder die illegale Realität der Administrativhaft. Ohne Prüfung der Umstände und der Möglichkeit, einen Anwalt zu sehen sich in Haft zu befinden, das gab es auch in Deutschland.
Kennst Du das nicht irgend woher ?

Du warst ein gewählter Repräsentant der SPD in unserem Land und bist noch ein Parteimitglied. Da schämen nicht verboten ist, tue ich das jetzt und begrüße ausdrücklich, dass Du nicht für mich in Leipzig und im Bundestag gewesen bist. Ich schätze die klare Position von Albrecht Schröter in Jena sehr und freue mich über das Engagement vieler Gruppierungen, Vereinen, Kirchen. Künstler, Wissenschaftler und Privatpersonen in Israel, die im Sinne der Erhaltung ihres eigenen Staates den menschenunwürdigen Umständen im Lande ein Ende bereiten wollen.
Die sind das Volk, oder?

Als Nachkomme einer jüdisch-stämmigen Familie, der die braune Vergangenheit, Tod, Vernichtung, KZ, Zwangsarbeit, Vertreibung und Suizid beschert hat, aber auch durch die Mutter mit ihrem persönlichen Engagement als Theologin in der bekennenden Kirche weiss ich nicht erst seit meinem Pateieintritt in die SPD im Jahre 1972, dass das verdammte antisemitische Erbe in unserem Lande bei Vielen mit der Idee des nachgenerationalen Entschuldigen wollens zum Weggucken und Schweigen geführt hat. Aber wer schweigt, stimmt zu.
Da möchte ich Luthers 92. These gerne auch noch in Leipzig an die Wand schlagen:

„Darum weg mit allen jenen Propheten, die den Christen predigen: Friede, Friede, und ist doch kein Friede.“

 

Ja, es ist noch kein Friede in Palästina.

Wie gut, dass es überall nicht nur Wutbürger, sondern auch Mutbürger gibt.
Genosse Albrecht in Jena, weiter so

Dr. med.Eva Renate Marx-Mollière