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25. September 2012 - Luz Maria de Stefano de Lenkait:

ZDF-Sendung von Maybrit Illner:
 „Hass auf dem Westen. Was bringt der Kampf gegen den Terror?“
ZDF am 20.9.2012, 22.45 Uhr und

Leitartikel in Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 22.9. 2012:
„Die Auch-dabei-Macht“ von Daniel Brössler

Wohin der Hase läuft

Die Maybrit Illner-Sendung des ZDF vom 20.9.2012 „Hass auf den Westen.....“ versagte grundsätzlich dabei, das Thema im Rahmen der aktuellen internationalen Politik zu behandeln und daraus eine realistische, plausible Antwort zu entwickeln und sie zu erläutern, nämlich dass der Hass und die gewalttätigen Proteste in der arabischen Welt das Ergebnis der US/EU-Gewalt-Politik sind. Nicht nur bedauerlich, sondern abstoßend war bei der Maybrit-Illner-Sendung zu sehen, wie sehr eine grundsätzlich falsche Politik junge Menschen ohne Bildung skrupellos in ihrem guten Glauben ausnutzt, um sie in sinnlose lebensgefährliche Militäreinsätze ins Ausland zu senden. Solche Soldaten handeln im guten Glauben, sie würden etwas Ehrenvolles für das deutsche Volk tun. Ist dieser perverse Betrug nicht ein fatales déjà-vu in der extremen Geschichte Deutschlands, das enorme Menschenleben und Leid seit dem Ersten Weltkrieg 1914 gekostet hat? War es nicht das propagandistische nationalistische Getue aus dem Ersten Weltkrieg, das in einen Zweiten Weltkrieg mündete? Die Behauptung, wir seien „sprach- und ratlos“ gegenüber den Ausschreitungen in der islamischen Welt ist heuchlerisch und verlogen: Wo bleibt die Wahrnehmung der wiederholten zahlreichen Aggressionen des Westens in den letzten Jahrzehnten?

Die Maybrit-Illner-Sendung am 20.9.2012 bringt einen weiteren Beweis für den Mangel an politischer Kultur ans Licht und die gravierenden Lücken in der Aufarbeitung, in der Analyse der deutschen Geschichte des 20.Jahrhundert. Dieses historische Verarbeitungsdefizit war offenkundig und schockierend, als bei der Sendung ein Redakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“ Hitler für seine pro-Krieg-Linie bemühte. Er setzte damit an die verbreitete falsche Schlussfolgerung an, die militärische US-Intervention im Zweiten Weltkrieg würde die aktuelle interventionistische Gewalt-Politik rechtfertigen, ohne dass die Moderatorin angemessen reagieren konnte, weil die Redaktion sie darauf nicht vorbereitet hatte. Im Gegenteil brachte die Redaktion, offensichtlich unter US-Propagandaeinfluss, den Begriff des „Kampfes der Kulturen“ ins Spiel und übermittelte damit irrende Schlussfolgerungen: Maybrit Illner stellte nämlich die vollkommen deplazierte Frage, ob man den „Kampf der Kulturen, den wir erleben“ mit Gewalt lösen könne. Maybrit Illner stellte somit eine inexistente Tatsache als existent vor, ein US-Konstrukt im Interesse des militärischen Industrie-Komplexes, um Kriege, um Gewalt-Politik zu verewigen. Es gibt keinen Kampf der Kulturen, keine Trennung zwischen Kulturen oder Religionen, keinen Antagonismus unter ihnen. Dies wird als Propaganda von bestimmten westlichen Kreisen unter die Leute gebracht, um Konflikte zu provozieren und Akzeptanz für weitere Konfrontationen zu erreichen. In diese Perversion sollte weder die Maybrit-Illner-Redaktion noch irgendeine andere Medienredaktion verfallen, denn wer Konfessions- oder Religionskriege führen will, sollte sich dazu nie auf deutsche Sendungen oder Redaktionen berufen können. Christen und Muslime stellen gemeinsam 50% der Weltbevölkerung und befruchteten sich kulturell gegenseitig.

Die Maybrit-Illner-Sendung kam so mit Hilfe Hitlers zur Akzeptanz des aus den USA importierten „War on Terror“ oder Krieg gegen den Terror, ohne zu erkennen, dass es sich dabei um eine verheerende Konstruktion der neokonservativen Aggressoren handelt, um neue Aggressionen unbegrenzt weiter zu führen. Auffällig ist, dass diese seltsame Bemerkung von einem Redakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“ kam, also aus der Ecke der gedanklich, begrifflich (wenn nicht auch pekuniär) korrumpierten pro-NATO-SPD-Kreise.

„Der „War on Terror“ ist nach dem Vietnamkrieg schon jetzt die zweitlängste militärische Konfrontation in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika“ stellt der Journalist Knut Mellenthin fest ... „Dabei gehört der „Krieg gegen den Terror“ zu den stärksten intellektuellen Zumutungen, die sich die westliche Gesellschaft jemals gefallen ließ“...(„USA wollen 'Global Leadership' verewigen“ von Knut Mellenthin).

Andererseits bestätigt der tendenziöse Gedanke von Daniel Brössler in seinem SZ-Leitartikel „Die Auch-dabei-Macht“ von 22.9. 2012 diese gefährliche, entgleiste pro-NATO-Zumutung: „Ungerecht wäre es allerdings, der Berliner Außenpolitik einen eigenen Sound abzusprechen. Es klingt an, wann immer Westerwelle das Lied von der Kultur der militärischen Zurückhaltung singt. Was unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer in den neunziger Jahren mit Einsätzen im früheren Jugoslawien begonnen hatte und nach dem 11. September 2001 in Afghanistan fortgeführt wurde, gilt unter Merkel und Westerwelle nicht länger als Schritt zur Normalität, sondern als Irrweg.“ Dass es in der Tat keine Normalität, sondern ein gravierender Irrweg war, hat leider der Journalist noch nicht begreifen können. Angekettet an der irrationalen US-Außenpolitik verliert Daniel Brössler jedes Maß und jeden Sinn für Normalität, Verstand und Vernunft. So manifestiert Daniel Brössler dieselbe Irrung und Verwirrung in Bezug auf die jüngsten NATO-Aggressionen. Die NATO griff Libyen 2011 massiv an. Die wenigen Mächtigen haben dazu diese höchst kriminelle Organisation, die sogenannte Atlantische Allianz, skrupellos benutzt und benutzen sie weiter, um politische Lösungen in aktuellen Konflikten zu verhindern. So sehr wie die NATO das libysche Volk missachtete, so sehr missachtet sie jetzt das syrische Volk. „Libyen ist genau ein Fall wie alle anderen NATO-Einsätze, die das Gegenteil von dem erreichen, das sie wollten, d.h. in dem Moment, als sie anfangen, militärisch los zu gehen, militarisieren sie das Land und die ganze Gegend und sie kriegen über viele Jahren das Land nicht befriedet,“ hebt der Linke-Abgeordnete Jan van Aken sinngemäß bei der Maybrit-Illner-Sendung hervor. Sollte der deutsche Außenminister Guido Westerwelle wirklich diesen verheerenden Kurs weiter verfolgen? Daniel Brössler ist wohl nicht ganz bei Sinnen, wenn er dafür plädiert. Als Anhänger der NATO-Aggressoren erlaubt er sich keinen einzigen freien Gedanken, keine Spur von Demokratiebewusstsein oder Menschlichkeit, sondern allein bedingungslose Gefolgschaft der größten Angreifer und Mörder der letzten Jahrzehnte. Weil sie groß und mächtig sind, weil sie in makellosem Anzug mit Hemd und Krawatte erscheinen, kann sie ein Daniel Brössler nicht als Gangster erkennen und zeigt sich von ihnen tief beeindruckt. Er vergisst einen zutreffenden Ausspruch: Selbst wenn der Affe sich in Seide kleidet, bleibt er ein Affe. So die NATO-Mörder. In dieser unehrenhaften Gesellschaft fühlt sich aber Daniel Brössler geschmeichelt und will dort auch noch den deutschen Außenminister und die deutsche Kanzlerin sehen. Diese tradierte deutsche Gewohnheit ist erkennbar verheerend. Natürlich passt Deutschland unter der Merkel-Regierung nicht weiter in dieses verhängnisvolle unehrenhafte Bündnis.

Allerdings kämpft Deutschland für seinen richtigen Kurs und steht deswegen unter enormen NATO-Druck. Aufklärerische Journalisten und verantwortungsvolle Politiker sollten ihrem Land beistehen, den richtigen europäischen Kurs einzuschlagen, vor allem deshalb, weil das bedeutet, sich von den US-amerikanischen Ketten zu lösen. Nicht nur für die Europäer, sondern für fast alle anderen Länder der Welt haben die USA längst ihre Vorbildrolle verloren. Es gibt keinen Grund für Europa, Hinterhof der USA zu bleiben, wenn sich sogar schon Lateinamerika aus dieser Lage befreien konnte. Als US-Protektorat wird Deutschland niemals erwachsen, niemals in der Lage sein, seine politische Verantwortung für sich selbst, für Europa und für die Welt wahrzunehmen und sie souverän auszuüben.

Lebensfremde Schreibstuben-Ideologien verbunden mit Machtphantasien bieten keine realistische Hoffnung für die Menschen in Europa und der Welt. Europa wird auf der Basis der Diversität und versöhnter Verschiedenheit politisch aufgebaut, so dass eine dauerhafte gemeinsame staatliche Ordnung erreicht werden kann. Ein gemeinsames europäisches Dach wird durch Recht und Frieden errichtet und zusammengehalten. Es ist das Gegenteil von jener Kloake, für welche die braunen Nationalisten im so genannten Dritten Reich zwölf Jahre lang Europa okkupierten und vernichteten.

Das 21. Jahrhundert muss den Weg vom ewigen Krieg zum dauerhaften Frieden zeichnen. Eine provinzielle Krähwinkelei führt nicht weiter, denn sie ist rückwärtsgewandt. Klare Verhältnisse sind die Vorbedingung jeder Freundschaft. Klare Verhältnisse sind aber nicht mit Unterwürfigkeit zu verwechseln. Deutschland muss jetzt eine europäische Außenpolitik entwerfen, die den amerikanischen Freunden ganz klar sagt: Wir wollen eure Freunde sein, eure Einmischung aber werden wir nicht dulden. Journalisten wie Daniel Brössler und andere sollen ruhig von dem Gedanken Europa für die Europäer sprechen und schreiben, natürlich in Freundschaft mit anderen Völkern. Da kann man auch lauter als bisher über Europa-Bewusstsein nachdenken, schreiben und sprechen. Dieses Europa darf kein Europa der Banken und der Großkonzerne sein, sondern sollte ein Europa der Politik des zivilisatorischen Fortschritts, ein Europa der Kultur und des Geistes werden. Dann sollte sich niemand davor fürchten, dass dieses Europa eine unabhängige Großmacht darstellt, auf das alle Europäer stolz sein könnten, und für das sie sich nicht zu schämen bräuchten, wie es heute allzu oft der Fall ist. Ein Europa, das endlich auch die Politik macht, die seiner kulturellen und seiner wirtschaftlichen Möglichkeiten entspricht. Mit anderen Worten: Ein Europa, das zum Segen für die ganze Menschheit wird. Dieses Ziel ist ein Gebot historisches Realismus und intellektueller Redlichkeit für jeden denkenden Journalisten und Politiker.

Weit entfernt davon bezeichnete der CDU-Bundesverteidigungsminister Thomas de Mazière in der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“ (20.9. 2012) eine Friedenspolitik als unrealistisch. Er verfiel in die plumpe realitätsfremd-verkehrte Sicht, die Bundeswehrsoldaten kämpften für das deutsche Volk im Ausland, und müssten sich natürlich gegen gewaltsame Attacken der Einheimischen mit Gewalt „wehren“. Die Minister-Sicht ist extrem verkehrt. Er griff zum Vergleich mit einer deutschen Familie, die in ihrem Haus angegriffen würde, um die gewalttätige Wehrhaftigkeit der Familienmitglieder als legitime Verteidigung darzustellen, als ob Afghanistan deutsch wäre und die dort kämpfenden deutschen Soldaten nicht als Angreifer und Invasoren von den Afghanen wahrgenommen würden, und so wehren sie sich gegen die deutschen Soldaten, um sie aus ihrem „Haus“, aus Afghanistan hinauszuwerfen! So verdreht und unrealistisch ergibt sich die Sicht eines Ministers, der sich selbst der Realität verschließt, den Einsatz in einem fremden Land als Invasion und Aggression anzuerkennen und die Attacken, auf welche die Invasoren stoßen, als Abwehrreaktionen der Einheimischen im Land. Die verkehrte Sicht des Ministers ist katastrophal und erbärmlich. Daraus ergibt sich eine katastrophale verkehrte Außenpolitik, die Krieg und Gewalt zu rechtfertigen versucht. Von Realismus Null. Junge Soldaten werden skrupellos ausgenutzt und in einen sinnlosen Tod geschickt. Dann versucht die ZDF-Sendung mit Hilfe eines anwesenden verkrüppelten Soldaten die niedrige Akzeptanz für den Afghanistan-Einsatz in der Bevölkerung zu erhöhen. Der junge Mann ist noch nicht erwachsen genug, die Täuschung dieser perfiden Politik zu durchschauen und gab ein erbärmliches Bild ab, völlig abhängig von den obersten Stellen, die ihn unterrichtet und psychologisch bearbeitet haben, um zu sterben und zu töten. So sehr manipuliert und entmenschlicht wirkt die Psyche des deutschen Soldaten, dass er seine Verstümmelung unbeirrbar akzeptiert, absolut entfernt, wie ausgelöscht vor einer Selbstbefragung zu einer ominösen Militär-Intervention in einem fremden Land, die für unsägliche Zwecke mit seinem Leben und physischen Integrität skrupellos spielt.

Es handelt sich um ein Thema, das absichtlich unbeachtet und unverarbeitet geblieben ist, im Interesse des deutsch-europäischen und US-Militär-Industrie-Komplex, der die deutsche Bevölkerung und Eliten für seine Riesengeschäfte mit Interventionen und Kriegen zur Verfügung haben will. Die richtigen Standpunkte von Inge Jens und Jan von Aken retteten die Sendung trotz der propagandistischen Tendenz. „Die Bundeswehr ist überflüssig, denn es gibt keinen gerechten Krieg. Ich kann die Frauen-Frage mit Hilfe des Militärs nicht lösen, denn unsere Militärs sind für Waffen und ein bisschen Ordnung ausgebildet. Mit Gewalt und Krieg erreicht man nichts.“ So sinngemäß spricht Inge Jens die Sprache des gesunden Menschenverstandes. Und Jan van Aken: „Terror kann man nicht mit Krieg bekämpfen. Die Regierung will weltweite Kriegseinsätze und noch mehr Waffen-Exporte. Man kann Projekte in Afghanistan aufbauen unter der Voraussetzung, dass das Militär fernbleibt. Seit 11 Jahren versucht Deutschland den Aufbau mit Militär, und das ist komplett gescheitert.“ Der junge Soldat stand da ohne persönliche Überlegung, völlig wehrlos gegenüber einer verderblichen Politik, die auf höchster Ebene entschieden wurde und keine Rücksicht auf Menschenleben nimmt. Der Bundesverteidigungsminister Thomas de Mazière gab ebenso eine erbärmliche Figur ab, völlig daneben und widersprüchlich für die wenigen Antworten, die er auf präzise Fragen der Moderatorin geben konnte. Eine Hauptfrage, die das Bündnis betraf, wollte er nicht direkt, nicht klipp und klar beantworten, nämlich Maybrit Illners Frage: „Wenn wir uns nicht verpflichtet fühlen würden durch unser Bündnis, wäre die deutsche Regierung dann gar nicht in Afghanistan?“ Thomas de Mazière fühlte sich unbequem und spielte mit Floskeln über die NATO: Die Bündnisverpflichtung sei etwas gutes und wertvolles. „Ohne diese Bündnisverpflichtung hätte es die deutsche Einheit nicht gegeben.“ Dass es sich bei der deutschen Einheit um eine Zwangs-einheit handelte nach US-amerikanischem Gusto, hat er wohl nicht wahrgenommen, oder es stört ihn nicht die Erpressung, mit welcher der US-amerikanische Außenminister James Baker die Regierung von Helmut Kohl von Anfang an unter Druck setzte, als die USA das Verbleiben Deutschlands in der NATO als Bedingung für die deutsche Einheit verlangten.

Weil es Gewalt gibt, müsse eine Regierung auch mit Gewalt handeln, ist ein monströser Unfug, eine entgleiste absolut inakzeptabel falsche Überlegung eines Bundesministers, eher geeignet für einen billigen Stammtisch von unterstem Niveau. Es ist die verkehrte, verdrehte Logik ungebildeter Leute. Im Gegenteil: Nicht weil es Verbrechen gibt, muss man auch verbrecherisch reagieren. Politik und militärische Gewalt schließen sich grundsätzlich aus. Für beides zu plädieren ist der Widerspruch, der die aktuelle deutsche Außenpolitik in die Sackgasse des Terrors hineingeführt hat. Vernunft und Verstand sieht man bei der Regierung nicht, sondern nur bei kritischen außerparlamentarischen Organisationen wie Attac oder den Friedensratschlag und im Bundestag allein bei der Oppositionspartei Die Linke.

Die Schaffung einer echten europäischen Sicherheits- und Außenpolitik ist eine Aufgabe, die seit der Wende 1990 vor den Europäern unerledigt bleibt und endlich anzugehen ist. Nur wenn dies geschieht, kann sich Europa den Problemen in der Welt angemessen widmen, Probleme, die überhaupt nicht mit Militär oder kriegerischen Aggressionen bzw. militärische Interventionen zu lösen sind. Aus Europa ist eine Macht des Friedens aufzubauen.

Maybrit Illner hätte besser vorbereitet sein sollen in Bezug auf die Kette von gewaltsamen Untaten der USA/EU-Angriffskriege seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, Untaten, die im Zusammenhang mit dem Hass gegen den Westen stehen, der eigentliche Hauptpunkt der Diskussion in der Sendung. Nicht die Redaktion, sondern Jan van Aken und Inge Jens lenkten diese Diskussion in die richtige Richtung, nämlich mit ihrem Hinweis, über das Verhältnis von Ursache und Wirkung nachzudenken. Maybrit Illner schuldet der Öffentlichkeit eine bessere notwendige Fortsetzung zu diesem brennenden Anliegen. Jetzt weiß die Redaktion, wohin der Hase läuft.

In Bezug auf das, was Thomas de Mazière als Rechtfertigung für den deutschen militärischen Einsatz in Afghanistan erklärt, sagte Jan van Aken direkt an den Bundesminister gewandt: „Es sind alles Geschichten, die Sie sich selbst erzählen und die mit der Realität gar nichts zu tun haben.“ Maybrit Illners zutreffende Frage: „Hat dieses neue Deutschland mit dem Krieg in Afghanistan seinen ersten Krieg verloren?“ Ganz sicher, antwortet rapid der Linke-Abgeordnete. Die überwältigende Mehrheit der deutschen, europäischen Bevölkerung teilt diese krude realistische Wahrnehmung. Frankreich will seine Soldaten aus Afghanistan vor Ende dieses Jahr abziehen, während Kanada und andere NATO-Länder schon mit dem Abzug begonnen haben.

Deutschland ist ein Land, das historisch keine fortschrittliche politische Entwicklung kennt. Deutschland wusste nicht, die Nazi-Barbarei rechtzeitig zu verhindern. Die damaligen politischen Eliten weigerten sich, eine Allianz gegen die faschistische Gefahr zu bilden. Diese Blindheit, diese Unfähigkeit, politisch aktiv zu reagieren, bleibt bis heute eine auffällige geistige Lähmung. Der Preis für die Befreiung war unermesslich: Ein 2. Weltkrieg mit 60 Millionen Toten, die meisten davon Zivilisten. Eine Abnormität, die nicht von den deutschen Eliten, von jungen Generationen und Redaktionen als normal zu akzeptieren ist. Diese ungeheuerliche Konsequenz hat die Seele vieler Deutscher zerstört, erlöscht und nicht dazu geführt, die notwendige politische Frage zu stellen, wie das alles hätte verhindert werden können. Im Gegenteil haben deutsche Eliten diese Frage verdrängt und die vor der nationalsozialistischen Machtergreifung geschehene Abnormität quasi als Normalität angenommen. Daher der Hang zur militärischen Gewalt und die Skepsis gegenüber politischem Handeln, weil das hierzulande niemals richtig funktioniert hat. Ein solches Land verbreitet Furcht und Schrecken, denn es kann nicht mit zivilisierten Mitteln umgehen, d.h. mit dem Dialog als grundsätzliches Instrument einer konstruktiven vernünftigen Politik. Das Handicap dagegen ist enorm und über Jahrhunderte tradiert. Solange Deutschland an der NATO angekettet bleibt, versinkt es immer weiter in der Unfähigkeit, politisch gegenüber den zahlreichen Konflikten der Welt zu handeln. Der erbärmliche Auftritt von Guido Westerwelle vor dem UN-Sicherheitsrat in New York in Bezug auf Syrien bekräftigt das Defizit Deutschlands, was Weltpolitik angeht.

Dieser erbärmliche Zustand ist von interessierten radikalen militaristischen Kreisen der USA und anderswo genau erkannt worden und wird gezielt ausgenutzt. Kein Zufall, dass der US-Präsident Barack Obama keine Interesse daran zeigte, diese historische Frage für die Deutschen politisch aufzuklären und ihnen zur Normalität zu verhelfen. Im Gegenteil, er behandelte die Frage ganz tendenziös und einkalkuliert unter dem Gewalt-Aspekt, als ob die militärische Gewalt die einzige Alternative gegen Hitler gewesen wäre: „Eine gewaltlose Bewegung hätte Hitlers Armeen nicht aufhalten können“. (Rede von Obama zum Friedensnobelpreis am 10.12.2009 in Oslo). Ein Redakteur der Zeit, also aus der rechten Ecke der SPD, ergriff dasselbe irrende Muster, um Krieg und Gewalt zu rechtfertigen. Jan van Aken reagierte prompt: „Afghanistan aber hat nicht die Welt in Schutt und Asche gelegt.“

Die Simplizität der militärischen Logik, die aus einem fait accompli in einem bestimmten Moment der deutschen Geschichte entsteht, dient bis heute noch zur Rechtfertigung der militärischen Gewaltanwendung. Die US-amerikanische Propagandisten wiederholen diese Masche deshalb gezielt in Bezug auf Deutschland.

Bevor es zum Aggressor wurde, was abzusehen war, hätte Nazi-Deutschland durch eine breite politische Allianz aller humanistischen Kräfte verhindert werden können. Viel wichtiger und aufklärender ist es, diese umfassende politische Überlegung jener wiederholt auftauchenden US-amerikanischen Simplizität entgegenzusetzen und sie in den Vordergrund zu stellen.

Jetzt gibt es wieder keine humanistische Allianz gegen das andauernde Unrecht in deutschen Verhältnissen, gegen den freien Fall in den Abgrund. Die fortschrittliche Seite der Christdemokraten ist aufgerufen, sich mit den Kräften der Linken zu verständigen, vor allem was die Außenpolitik angeht.

Das größte Hindernis bildet die SPD, die Partei, die wahrscheinlich am stärksten politisch zurückgeblieben ist und in einer Kalten Kriegsmentalität verankert bleibt - unbeweglich und verblendet. Spekulationen darüber, was geschehen würde, wenn die Amerikaner nicht im Zweiten Weltkrieg interveniert hätten, führen zu nichts. Konstruktiver und sinnvoller wäre es diesbezüglich die Überlegungen von Mahatma Gandhi in Betracht zu ziehen. Aber viel wichtiger ist die Debatte bei der Politik anzusetzen, um eine extreme, irrende Entwicklung von Anfang an zu verhindern.

Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait