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9. Januar 2012 - Luz Maria de Stefano de Lenkait:

Die mögliche zukünftige Rolle Deutschlands in der internationalen Politik gibt Anlass zu folgender Stellungnahme zu

Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 3.1.2012, Rubrik Außenansicht:
„Nur mit Partnern wirklich stark“
von Ulrich Speck, außenpolitischer Analyst und Kommentator in Heidelberg.

Machtfragen

In Washington kursieren Bedenken und fundierte Überlegungen über die Berechtigung weiterer Ausgaben für eine gigantische transatlantische Militärorganisation, die eher ein globales Risiko darstellt und eher für zukünftige Kriege steht, um sich selbst zu rechtfertigen. Sie existiert als enorme Bürokratie mit entsprechenden egoistischen Interessen. Mit dem Ende des Kalten Krieges verschwand die raison d'être dieser ungeheuerlichen Organisation, deren Existenz eigentlich auch im Kalten Krieg umstritten war. Die politische Betonung innerhalb der NATO-Mitgliedschaft nach dem Ende des Kalten Krieges lag bei der Abrüstung. Europäische Länder kürzten manchmal radikal ihre militärischen Budgets. Sie haben ein strategisches Niveau erreicht, um wesentlich abzurüsten. Das Institut für strategischen Studien detaillierte Kürzungen in Frankreich, Polen, Spanien, Österreich, Deutschland, Italien und anderen, sogar in Großbritannien, der traditionell engste militärische Partner der USA. In diesem Zusammenhang erheben sich neokonservative militaristische Stimmen, die Europa mahnen, seinen Beitrag für militärische Ausgaben innerhalb der NATO zu erhöhen. Angesichts der Finanzkrise, angesichts der sozialen Not sowohl in Amerika als auch in Europa, und angesichts vor allem der Gefahr, dass die NATO neue Kriege erfinden kann, um ihre absolut unnötige Existenz zu sichern, wäre es angebracht und vollkommen vernünftig , dass US-Präsident Obama eine radikale Entscheidung trifft, nämlich die NATO definitiv zu schließen.

Ungeachtet dem Geschrei von Republikanern und Militärfanatikern sollte er sich an die amerikanische Nation wenden, um klarzustellen, dass Amerikas Sicherheit gar nicht an Europas Sicherheit gebunden ist, wie das Dogma des 50iger Jahre bis heute ständig predigt, sondern im Gegenteil, Europas Sicherheit ist Sache der Europäer allein und Amerikas Sicherheit, Sache der Amerikaner. Zweimal wurde Amerika von einem arroganten wahnsinnigen alten Kontinent gedrängt, in zwei Weltkriege militärisch einzugreifen. Ein drittes Mal muss Amerika diesen Irrsinn von vornherein ausschließen. Als Risiko für weitere Kriege und als Quelle von weiteren unproduktiven und verschwenderischen Ausgaben ist die NATO zu schließen. Wer hätte mehr Autorität und Entscheidungskraft, dies zu tun, als der amerikanische Präsident? Es war Amerika, das dieses Monster kreierte. Damit begann der Kalte Krieg und eine Zeit von nuklearer Konfrontation, die sich bis heute verlängert mit allen verheerenden Folgen und Krisen. Das Problem hat sich verschlimmert durch die NATO-Ostexpansion zu Ländern, die eher Amerika in Krieg verwickeln, als dass sie zum Frieden beitragen können. Russland ist sich diesem Risiko bewusst, weshalb es mehrmals seine Sorge geäußert und gemahnt hat, internationalen Respekt und die Sicherheit der Grenzen zu bewahren.

In diesem problematischen Kontext äußert sich der außenpolitische Analyst und Kommentator aus Heidelberg Ulrich Speck in seinem SZ-Artikel „Nur mit Partnern wirklich stark“ (3.1.2012). Darin wird gut dargelegt, was hinter den Kulissen politischer Machtzirkel in Berlin und anderswo diskutiert wird. Aber der Analyst lässt viele Fragen offen oder besser gesagt, im Vakuum. Es fällt auf, dass er den inhaltslosen Begriff der deutschen „Verantwortung“ gebraucht. Diese Vokabel hat ihre propagandistische Vorgeschichte: Sie kommt immer dann in Umlauf, wenn es darum geht, die deutsche Öffentlichkeit für militärische Abenteuer zu gewinnen (Angriff auf den Irak 1991, u.s.w.).

„Der Druck auf Deutschland, mehr außenpolitisches Profil zu entwickeln, wird noch stärker werden. Nicht nur die Finanzkrise, sondern auch der schrittweise Abzug der USA führen dazu, dass auf Deutschland mehr Verantwortung für sich und andere zukommt.“ Woher der Druck auf Deutschland kommt und was für eine Verantwortung gemeint ist, lässt der Kommentator in der Luft.

Die Frage nach der internationalen Position Deutschlands nach seiner wiedergewonnenen Einheit ist bisher nicht klar beantwortet worden und deshalb erneut zu stellen: Was will Deutschland mit der ihm zufallenden Macht anfangen? Welche sind Berlins außenpolitische Maximen und Ziele?

Wohin soll sich deutsche Außenpolitik bewegen? Unter den unterschiedlichen Auffassungen, die im Land darüber kursieren, fasst der Autor drei zusammen:

1. die nationale Option;
2. die transatlantische Option und
3. die europäische Option.

„Diese Optionen werden selten explizit entwickelt und ins Feld geführt. Der Streit darüber spielt sich eher untergründig ab. Doch es ist wichtig, diese Debatte öffentlich zu führen, denn die Außenpolitik einer demokratischen Führungsmacht muss auf einem internen Konsens ruhen. Darin ist dem Autor vollkommen zuzustimmen.

1. Die Nationale Option:

Sie bedeutet, dass sich Deutschland stärker auf die Verfolgung eng definierter, vor allem wirtschaftlicher Interessen konzentriert. Warum soll es nicht eigenständige Außenpolitik betreiben, nach dem Modell Chinas oder der Türkei? Dazu muss sich Deutschland seiner herkömmlichen Bindungen entledigen und sich darauf konzentrieren, mit „strategischen Partnern“ neue Koalitionen zu schmieden.

Dem Analyst aus Heidelberg zufolge stößt diese Option auf folgende Befürchtungen: Eine solche Politik könnte erhebliche Irritation bei Nachbarn und Partnern hervorrufen und zu Gegenkoalitionen führen – nicht nur wegen der Erinnerung an die deutsche Expansion und die damit verbundenen Gräueltaten, sondern auch aufgrund der Machtbalance in Europa. „Die Deutschlands eng mit Europa und den USA verflochtene Wirtschaft würde folglich massiv beeinträchtigt. Mit anderen Worten: Für einen echten Alleingang sei Deutschland nicht stark genug. Deutschlands Wohlergehen sei entscheidend auf die vertrauensvolle Kooperation mit den Nachbarn angewiesen. Nur wenn es im Konzert agiert, ist Deutschland wirklich stark“.

Das Vertrauen seiner Nachbarn und Partnern gewinnt sicherlich Deutschland durch einen neuen Diskurs und entsprechendes Handeln, ein eindeutiges Handeln und Diskurs für den Frieden und gute Beziehungen durch Zusammenarbeit. All dies führt zur Abrüstung und Investition im sozialen Bereich, in die existentiellen Notwendigkeiten der Bevölkerung. Eine solche politische Entscheidung Berlins würde gewiss alle Zweifel und alles Misstrauen wegwischen. Darüber hinaus schließt die Zusammenarbeit einen Alleingang aus.

2. Die transatlantische Option. d.h. die enge Hinwendung zu den USA.

Das Angebot eines „Partnership in Leadership“, wie George W. Bush es versprach, ist nach wie vor der Honig für den einfältigen Partei-Bären, der sich wichtig fühlen will, und aber auch für jene, die ihren alten Traum endlich verwirklicht sehen wollen. „Partnership in Leadership“ mit den USA wirkt auf jene reaktionären militaristischen deutsche Kreise als Faszinosum. Die Arroganz solcher Kreise lässt sie glauben, die Erosion amerikanischer Führungsstärke stoppen zu können. Sie glauben, dass Amerika und Europa eng kooperieren müsse, wenn die liberale Weltordnung weiter bestehen solle. Die Frage bleibt unerörtert, ob diese liberale Weltordnung, die in eine wirtschaftlich-finanzielle Krise geführt hat, angemessen und gerecht für die Menschen ist, auch für die deutsche, europäische Bevölkerung. In das Militär weiter zu investieren, bedeutet im sozialen Bereich weiter zu kürzen. Wird das die deutsche Öffentlichkeit annehmen? Sollte die europäische Bevölkerung ihre sozialen Errungenschaften weiter opfern, um einem enormen Militärapparat die Existenz zu sichern und das auch noch trotz der Abwesenheit einer ernsten existenten militärischen Bedrohung und trotz Finanz- und Schuldenkrise? Der Niedergang der US-Industrie begann schon vor Jahrzehnten. Unter anderem war er eine Folge der sogenannten „Globalisierungspolitik“ in der Ära des ehemaligen US-Präsidenten William Clinton. Die rechtsradikale Kampagne gegen Obama wird von Angehörigen reicher Familien unterstützt. Deswegen greifen die Wortführer dieser miesen Kampagne nicht das Wirtschaftssystem an, nicht die liberale Weltordnung, die verantwortlich ist für den Albtraum vieler Menschen und Familien.

„Anarchie oder permanenter Kampf konkurrierender Machtzentren, sind ein Risiko für die Sicherheit und Prosperität Deutschlands. Um aber auf Augenhöhe mit den USA zu handeln, müsste Deutschland zum strategischen Akteur werden. Es müsste in der Lage sein, bereit zu entschlossenem Handeln“. Was dies aber bedeutet, verschweigt der Heidelberger Autor und fällt damit auf. Ja, er lässt durchblicken, dass das Militär seinen unerfüllten oder besser gesagt seinen wiederholt gescheiterten Herrschaftstraum mit dieser Option realisierbar sieht. Daher auch die lancierte sogenannte „Verantwortung“, die immer wieder ins Spiel gebracht wird, um die Öffentlichkeit in diese falsche Richtung zu lenken. Solche vertrottelten Militaristen, die nichts aus der Geschichte gelernt haben, weil sie nichts lernen wollen, sondern auf ihre Revanche warten, singen verlogen weiter: Deutschland müsste als primus inter pares eng mit den anderen europäischen Mächten verbunden sein, seinen „Pazifismus“ relativieren und „in Rüstung investieren“. Dahin läuft der Hase der zweiten Option.

Die internationalen Verhältnisse realistisch anzuerkennen und sich nicht von Größenwahn leiten lassen ist Voraussetzung für eine stabile Außenpolitik. „Auf Augenhöhe mit den USA zu handeln“ darf kein Ziel der deutschen Außenpolitik sein. Die USA ist mächtiger und kann zu einem großem Maß wirtschaftlich autark sein. Deutschland bei weitem nicht. Deutschland hat ein hohes Niveau an Nationaleinkommen und Wohlstand erreicht und das gilt es zu bewahren. Dazu braucht es sich nicht in Konkurrenz mit den USA zu sehen. Eine Politik der schönen Phrasen blamiert sich unweigerlich aufgrund der harten Wirklichkeit. Statt gleicher Augenhöhe gilt natürlich schon immer die Gleichberechtigung gemäß dem Völkerrecht, wie sie für alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen gilt und wie sie für die zivilisierte Regelung der Beziehungen zwischen den Staaten vollkommen hinreichend ist.

Hoffnungen der Friedenskräfte auf eine weniger aggressive Außenpolitik dürfen nicht auf der Strecke bleiben sowie Hoffnungen auf weitere Fortschritte im Emanzipationsprozess der Völker aller Regionen. Die Neugestaltung einer Außen- und Sicherheitspolitik, die imstande wäre, Frieden, Stabilität und Fortschritt in der Welt zu bringen, steht an.

Die transatlantische Option als unerwünschte Welt von gestern, von Bush/Clinton/Bush, gehört der Vergangenheit an. Man darf den lauten Schrei der Menschheit nach Frieden und Gerechtigkeit nicht überhören. Deutschland, Europa muss sich auf die wahren Probleme der Welt konzentrieren. Das bedeutet, Schluss mit der Kriegspolitik, Schluss mit der sinnlosen Aggressivität der amerikanischen Außenpolitik, die die Bush-Clinton-Bush Regierungen in den letzten Jahrzehnten betrieben und die Welt in eine Krise nach der anderen bis zum Bomben-Terror gestürzt haben. Hiermit gestaltet sich eine ernste aktuelle Verpflichtung für Deutschland und Europa. Deutschland ist reif genug, an dieser Verpflichtung zu arbeiten und sie zu erfüllen. Davon hängt die Zukunft Europas ab.

Die OSZE bietet den geeigneten Raum, um den Frieden durch Dialog und Diplomatie mit allen Ländern sicherzustellen. Eine Zeit des Vertrauens und der Normalisierung der staatlichen Beziehungen ist angesagt, und zwar durch die Wiederherstellung von Völkerrecht und Gesetz. Auf der Basis und unter Regie des Rechts ist die europäische Außenpolitik endlich richtig zu stellen, um die weitere Verzerrung und Verdrehung des demokratischen Systems in den Händen einer wachsenden Oligarchie zu stoppen.

Der Kampf gegen den Hunger, gegen das Unsoziale, gegen eine ungezügelte amerikanische Dominanz, der Schluss mit der Verschwendung von Milliarden in Militärmaschinerien für Invasionen und Kriege, allgemeine Abrüstung und Sanierung der Finanzpolitik sind Hauptaufgaben für eine aktuelle OSZE-Agenda, für eine aktuelle EU-Außenpolitik. Schluss mit der trügerischen Anti-Terroristen-Rhetorik. Amerika und Europa müssen sich endlich von dem Terror befreien, der sich viel zu lange im Weißen Haus und Kanzleien eingenistet hat.

Die Mahnung des russischen Präsidenten Dmitri Medwedjew ist hier absolut zutreffend. Europa muss sich von der NATO-Dominanz lösen. Er bestätigt, wie Europa unter der NATO-Dominanz aus der Bahn des Rechts geraten ist. Der russische Präsident, Dmitrij Medwedjew, spricht die beste Tradition Amerikas an, nämlich das politische Bewusstsein von Lincoln und Jefferson, die in den USA und in Europa vergessen scheint, nämlich die Oberhoheit von Recht und Gesetz in den internationalen Beziehungen. Das ist der Schlüssel für eine erwünschte europäische Sicherheitsordnung von Vancouver bis Wladiwostok, die innerhalb der OSZE möglich und aufzubauen ist. Es ist eine einmalige Chance, die eigentlich nach der Wende 1990 hätte ergriffen werden müssen. Dabei hat der ehemalige Kanzler Helmut Kohl versagt und seiner Nachfolger haben bis heute nichts entscheidendes unternommen.

3. Die europäische Option:

Der Aufbau einer gemeinsamen EU-Außen- und Sicherheitspolitik Das ist bisher nicht geschehen, nicht einmal ansatzweise. Alle Staaten müssten die Diplomatie und die Politik als gemeinsames Dach und gemeinsame Bühne akzeptieren. Nationale Sonderwege wären auszuschließen. Die EU müsste vor allem in Krisen geschlossen agieren. EU-Staaten dürften keine Sonderverhältnisse zu großen Mächten aufbauen und sie müssten ihre Möglichkeit zum Veto aufgeben.

Deutschland könnte hier vorangehen. Aber die Realisierungschancen für eine EU-Außenpolitik hängt davon ab, dass zumindest Paris und London mit Berlin im gleichen Takt marschieren, was sich bisher illusorisch zeigte. Das Libyen-Debakel hat fatalerweise den Sonderweg Frankreichs und Großbritanniens wieder an der Seite der Supermacht gezeigt, entgegen einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik. Besonders Großbritannien scheint immer wieder daran interessiert, eine europäische Außenpolitik scheitern zu lassen. Saboteure braucht die EU gewiss nicht.

Außen- und Sicherheitspolitik sind Kernbereiche der Souveränität, die man nur teilt, wenn erhebliches Vertrauen vorhanden ist.

Der Schritt zu einer aktiveren Außenpolitik fällt Deutschland schwer. „Seit den Zerstörungsorgien der NS-Zeit hat Deutschland ein neurotisches Verhältnis zur Macht.“ Es fehlt in Deutschland der Sinn für den rechtlichen Rahmen, die Macht zu begrenzen. Grenzenlose, maßlose Macht ist entgleisend und führt zu neuer Destruktion, wie das Desaster der USA im Irak und anderswo deutlich genug zeigt. Aber Macht innerhalb eines rechtsstaatlichen Rahmen auszuüben, ist etwas ganz anderes. Gerade hier mangelt es Deutschland an einer vernünftigen Orientierung aufgrund einer Rechtskultur. Solange dieser Mangel besteht - und er ist immer noch sehr auffällig erkennbar - gibt es keine gute Chancen und keine Notwendigkeit von internationaler Machtausübung seitens Deutschlands.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Mitte Europas entmachtet. Amerika aber blieb Machtstaat und wurde verständlicherweise für europäische, vor allem für deutsche Sicherheitspolitik federführend zuständig. Wie wenig sich Europa seitdem entwickelt hat, zeigt seine Ohnmacht, seine Orientierungslosigkeit, wenn Washington nicht das bestimmende Wort vorgibt. Um Machtfragen kommt man in der EU nicht mehr herum. Wie rational es mit dieser Macht umzugehen lernt, ist gewiss eine zentrale weltpolitische Frage.

Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait