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29. Juni 2017 - Ingrid RumpF:

Zur Debatte um den Film „Auserwählt und Ausgegrenzt – Der Hass auf die Juden in Europa“

Der Film ist propagandistisch, historisch einseitig, in Teilen historisch falsch, chaotisch in manchen Bildsequenzen, dadurch teilweise unverständlich und ermüdend. Es ist in meinen Augen schlicht und einfach ein schlechter Film. Aber leider nicht nur das. Denn durch seine ausgeprägt propagandistische Herangehensweise und seine historisch falschen Behauptungen erzeugt er den Eindruck, als ließe sich ein pro-israelischer Standpunkt nur auf dieses Weise vertreten. Damit schadet  er vor allem dem Ansehen von Israelis und durch seine bewusste Vermischung von Antisemitismus, Antizionismus und Israel-Kritik auch dem Ansehen von Juden. Dass er das Ansehen von Arabern und Muslimen im Allgemeinen und das von Palästinensern im Besonderen beschädigt, kommt noch hinzu, ist schließlich ja seine erklärte Absicht. Der Film fördert damit Antisemitismus genauso wie Araber- und Islamfeindlichkeit. Außerdem vergiftet der Film auf gefährliche Weise die ohnehin schon sehr belastete politische Diskussion über den Nahostkonflikt und versucht, eine sachgerechte öffentliche Meinungsbildung zu verhindern. So etwas hat im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nichts zu suchen.

Als Autorin der Wanderausstellung „Die Nakba – Flucht und Vertreibung der Palästinenser 1948“ kenne ich seit Jahren die Versuche der „Freunde Israels“, die Ausstellung, wo immer möglich, zu verleumden, vor allem aber zu verhindern, weil sie wahlweise antisemitisch, anti-zionistisch oder anti-israelisch sei. Auch der Film verleumdet die Ausstellung. Nun sind es paradoxerweise dieselben Personen und Organisationen, die regelmäßig und z.T. erfolgreich, versuchen, die Ausstellung und andere Israel-kritische Veranstaltungen zu verhindern, also „Zensur“ fordern, die sich jetzt lautstark über vermeintliche „Zensur“ ereifern, obwohl ARTE und der WDR vollkommen sachliche Argumente für das berechtigte Zurückweisen des Films vorgetragen haben.

Eine besonders fragwürdige Rolle spielt in dem Zusammenhang der Historiker Michael Wolffsohn, der den Film die klügste, historisch tiefste und wahre Doku zum Thema Antisemitismus nennt. Michael Wolffsohn hat zusammen mit Friedrich Schreiber noch im Jahr 1993 das Buch „Nahost – Geschichte und Struktur des Konflikts“ herausgegeben, aus dem ich mehrfach in der Nakba-Ausstellung zitiere. Auf insgesamt 10 Seiten widmet sich das Buch unter dem Titel „Flucht und Vertreibung“ einer historischen Tatsache, die der Film in Gänze abstreitet. Historisch völlig abwegig behauptet der Film, die Palästinenser seien 1948 alle freiwillig gegangen, die israelische Armee habe ihnen sogar noch Lastwagen für ihre Ausreise nach Gaza zur Verfügung gestellt. Stattdessen beschreiben Wolffsohn/Schreiber die terroristischen Übergriffe der zionistischen Milizen Etzel (Führer: Menachem Begin) und Lechi (Führer: Jitzhak Schamir) am Beispiel des palästinensischen Dorfes Deir Yassin, bei dem mehr als 100 Zivilisten ermordet wurden. Sie machen auch deutlich, dass alle größeren für den jüdischen Staat vorgesehenen palästinensischen Städte, darunter auch Jaffa, das für den arabischen Staat vorgesehen war, bereits vor der Staatsgründung Israels und damit vor(!) Beginn des israelisch-arabischen Krieges Mitte Mai 1948 von jüdischen Milizen erobert und entvölkert waren. Zitat: „ Insgesamt verschwanden durch den Krieg von 1948/1949 etwa 365 arabische Dörfer von der israelischen Landkarte“. Anstatt die zahlreichen kursierenden, oft politisch motivierten Legenden in Bezug auf den Nahen Osten richtigzustellen, wie die Autoren im Vorwort zur ersten Auflage ihre Absicht beschreiben, strickt Wolffsohn jetzt unsäglich an deren Wiederbelebung. Welche politische Motivation mag dahinter stecken?

Ingrid Rumpf

Auseinandersetzungen um die Nakba-Ausstellung