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16. April 2010 - Luz Maria de Stefano de Lenkait:

Weitere tote Bundeswehrsoldaten in Afghanistan und die ersten Reaktionen darauf in führenden deutschen Medien (Süddeutsche Zeitung, ARD und ZDF) fordern eine Stellungnahme heraus - hier wie gewohnt zur Anregung, Verwendung und Weiterverbreitung.

Kommentar in Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 16.4.2010:

„Die Afghanische Falle“ von Stefan Kornelius

und SZ-Artikel vom 16.4.10:

„Mehr Waffen ins Kriegsgebiet“ von Stefan Braun

Die professionell-ethische Pflicht eines Journalisten:

Grundgesetz und Gesetze ganz nach oben stellen

Zu Recht plakatiert Stefan Kornelius in seinem SZ-Kommentar vom 16.4.10 „Die Afghanische Falle“ die absurden Debatten über Kriegsterminologien und Waffentypen. Um so gravierender seine mangelnde notwendige Bewertung der militärischen Aktionen gemäß der Rechtsgrundlage des deutschen Grundgesetzes. Stefan Kornelius ignoriert diesen wesentlichen Aspekt, den ein Rechtsstaat ausmacht und der entscheidend für eine rechtsstaatliche Öffentlichkeit sein muss, nämlich konkret den Krieg abzulehnen und die CDU-geführte Regierung an den Pranger zu stellen. „Niemals zuvor aber wurden so viele Soldaten im Gefecht oder durch Anschläge getötet wie in diesen Tagen“ liest man erstaunt im Kommentar von Kornelius. Wo bleibt nach zwei Weltkriegen seine Kenntnis der jüngsten deutschen Geschichte und die notwendige Aufklärung bei ihm? Wie viele deutsche Soldaten fielen gegen brave Partisanen in Serbien und Griechenland, in Holland und in Frankreich? Die technische Überlegenheit half ihnen nicht gegen die Gerechtigkeit des Widerstands. „Nie mehr Lügen, nie mehr Tod, nie mehr Zerstörung und nie mehr Tränen als im zwanzigsten Jahrhundert, dem des Fortschritts, der Technik …. der Massenkultur und des Massenmordes“. Die Lektüre von Erich Maria Remarque würde Stefan Kornelius das kriegerische Grauen der deutschen Geschichte im 20.Jahrhundert erläutern.

Im Dritten Reich war die deutsche Bevölkerung aber blind und befangen. Heute jedoch lebt man hierzulande in einer rechtsstaatlichen Demokratie, zumindest formell anerkannt, und die Menschen in Deutschland haben offenkundig aus den Weltkriegen gelernt. Nicht aber das Establishment, Medien eingeschlossen. Umfragen besagen, dass etwa 70 bis sogar 80% der Bundesbürger den Kriegseinsatz in Afghanistan ablehnen. Das verlangt von Kommentatoren und Journalisten eine konsequente rechtsstaatliche Bildung und ein rechtsstaatliches Bewusstsein, um politisches Fehlverhalten, mutig, selbstsicher und entschlossen zu kritisieren. Sonst machen sie sich mitschuldig für die Toten und für weitere sinnlose Tötung deutscher Soldaten in einem fremden Land, wo deutsche Soldaten nichts zu suchen haben.

Was soll es für einen Sinn ergeben, die Öffentlichkeit über technische Waffen ausführlich zu dokumentieren, wie bei den Fernsehsendungen ZDF-Spezial (15.4.2010 um 19.20 Uhr), und Brennpunkt im ARD (15.4.2010 um 20.15 Uhr), und das am selben Tag der Tötung von weiteren deutschen Soldaten.

Was soll es, darüber zu schreiben wie im öden heutigen SZ-Artikel „Mehr Waffen ins Kriegsgebiet“ von Stefan Braun? Welchen Sinn hat die technische Überlegenheit, die das Dritte Reich auch hatte, wenn Mitglieder der Bundeswehr unter Bruch der Verfassung, unter Missachtung von Buchstaben und Geist der Charta der Vereinten Nationen in einem rechtswidrigen Krieg morden und ermordet werden?

Denkt Stefan Kornelius, die Bundeswehr zu schützen, wenn sich die öffentliche Meinung vor der regierenden Koalition beugt und schweigt? Angesichts von Torheit und Hochmut der CDU-geführten Regierung, die blind und stur am andauernden Krieg festhalten will, ist ihre endgültige Abwahl die einzige demokratische Antwort auf die unhaltbare Unrechtslage, in die sich die Bundesregierung (2001 unter Rot-Grün) selbst hinein begeben hat, die sie auch jetzt beibehalten will und mit der sie weiteres Leben aufs Spiel setzt. Dieser äußerst dumme Hochmut ähnelt dem abstoßenden Hochmut der Hochstapler und Verbrecher im Dritten Reich, die immer weiter an ihrer Kriegspropaganda festhielten, um ihren rechtswidrigen verlorenen Krieg bis zur totalen Niederlage weiter zu führen.

Die professionell-ethische Pflicht eines Journalisten und die Pflicht aller leitenden Persönlichkeiten in einer heutigen rechtsstaatlichen Republik, Kommandeure und Offiziere eingeschlossen, ist, Grundgesetz und Gesetze und ihre Respektierung ganz nach oben zu stellen und Anordnungen und fehlgeschlagene politische Entscheidungen und Maßnahmen in aller Öffentlichkeit zu diskutieren und bloß zu stellen! Das entspricht einer funktionierenden Demokratie. Alles anders ist Unterentwicklung im Sinne von Recht und Gesetz, alles andere ist Mangel an Zivilcourage! Wir leben nicht im Dritten Reich. Die unterwürfige Mentalität sollte allmählich und endgültig überwunden sein.

Da es in Wirklichkeit keinen überragenden Grund für den Afghanistan-Krieg gibt, greifen seine Befürworter zum Totschlag-Argument Hitler, wie beim Irak und jetzt auch beim Iran. Eine Beleidigung des gesunden Menschenverstandes. Man kann nicht jeden sinnlosen Krieg damit begründen, dass es in der Tat einmal einen sinnvollen Krieg, einen Verteidigungskrieg gab – einen gegen den Aggressor Nazi-Deutschland. Dass 15.000 erbärmlich bewaffnete afghanische Taliban mit dem hoch gerüsteten Vier-Millionen-Heer der Nationalsozialisten verglichen werden, zeigt, dass den deutschen politischen Eliten nicht nur moralisch, sondern auch intellektuelle Mindeststandards abhanden gekommen sind. (FAZ vom 4.1.2010). In Wirklichkeit wird die deutsche Demokratie mit zunehmender Militarisierung der Gesellschaft stranguliert. Der Krieg in Afghanistan dauert nun schon neun Jahre. Die Kriegsaktivitäten der Besatzung und die Anschläge der Taliban haben seitdem weiter zugenommen und werden weiter zunehmen, solange die Besatzer in ihrem Land bleiben.

Am 26.2.201 hat sich das Parlament mit überwältigender Mehrheit für die Regierungsvorlage entschieden, ohne einen konkreten Abzugstermin zu nennen. Grüne-Abgeordnete haben auch für die Aufrüstung am Hindukusch gestimmt. Das ist insofern konsequent, als die rot-grüne Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder Deutschland 2001 in den Afghanistan-Krieg geführt hat. Mit ihrem Ja zu weiteren Kampftruppen für Afghanistan bleibt die SPD Kriegspartei, wie sie es immer war. Notwendiger denn je ist ein Abzug der Besatzungstruppen als Voraussetzung für einen Waffenstillstand und einen anschließenden Friedensprozess. Die Besatzer bleiben derweil unter Beschuss. Erst der Truppenabzug schafft die Voraussetzungen für einen friedlichen Aufbau.

Mit steigenden fremden Truppenkontingenten und anwachsender Rüstung in Afghanistan wird der dortige Krieg weiter eskalieren, seine Kosten explodieren. Auch dann wird es keinen militärischen Sieg geben. Stattdessen werden das Chaos im Land und das Leid der Bevölkerung noch zunehmen. Außerdem droht ein Flächenbrand in der ganzen Region. Der Krieg hat sich bereits auf das benachbarte Pakistan ausgeweitet. Die Truppen-Aufstockung bedeutet eine Erhöhung um rund 20%, was erheblich ist. Andererseits bleibt das militärische Engagement Deutschlands gemessen an der Gesamtzahl der ausländischen Besatzer marginal. Der deutsche Beitrag ist vornehmlich ein politischer, der dem Zweck dient, dem Bush-Propaganda-Konstrukt „Krieg gegen den Terror“ Legitimation zu verschaffen. Würde Berlin aus der Kriegsfront ausscheren, würde das US-geführte NATO-Kriegsabenteuer überall verstärkt in Frage gestellt werden. Allerdings hat mit dem Abzug aller niederländischen und kanadischen Soldaten dieser Trend schon begonnen.

Die deutsche Bevölkerung ist seit langem und zunehmend mehrheitlich gegen den Krieg, aber die sogenannten Volksvertreter scheren sich nicht darum. Das ist es, was die Bürger demotiviert. Und nicht nur bei der Frage nach Krieg und Frieden. „Die da oben“ machen Politik gegen den Willen und die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung. Das ist die allgemeine Wahrnehmung. SPD und Grünen sind nicht in der Opposition angekommen. Die SPD sitzt nach wie vor im Kriegsboot. Eine grundsätzliche Wende ihrer Politik ist noch nicht erkennbar. Innerhalb der SPD hält der größte Teil am Krieg aus Überzeugung fest. Bei den Grünen ist schon ein stärkeres Nachdenken erkennbar.

Der Krieg nach außen findet seine Entsprechung in Sozialabbau und Repression im Inneren. Binnen nur eines Jahres sind die Kosten für den deutschen Afghanistan-Einsatz um rund 85% auf 1,1 Milliarden Euro gestiegen. Deutschland hat 2009 688 Millionen Euro für den Militäreinsatz in Afghanistan ausgegeben trotz der wirtschaftlichen finanziellen Krise. 2010 soll es über eine Milliarde sein. Der deutsche Rüstungshaushalt wächst von Jahr zu Jahr: Kürzlich wurden 31,1 Milliarden Euro für das laufende Jahr 2010 beschlossen. Für nichts sonst werden die Ausgaben so exorbitant gesteigert. Zugleich wird im Sozialbereich ohne Unterlass gekürzt. Und die Wahl hierzulande fällt immer häufiger auf Krieg. Am 9.5.2010 können die Bürger von Nordrhein-Westfalen bei den Landtagswahlen diese Politik quittieren.

Luz María De Stéfano de Lenkait