Menü

30. Oktober 2010 - Luz Maria de Stefano de Lenkait:

Die NATO steht vor einer wichtigen Konferenz und im Fokus politischer Beobachter, Anlass für eine Stellungnahme zu

Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 23.10.2010, Rubrik Außenansicht:
„Die NATO – Pakt der Bürokraten“ von Alexander Chramtschichin

Zuerst Austritt Deutschlands aus der NATO

Der Aufsatz des russischen Akademikers Alexander Chramtschichin „Die NATO – Pakt der Bürokraten“ in der SZ vom 23.10.2010 ist hoch interessant und gibt Anlass zu weiterem realistischen Nachdenken über ein Relikt aus dem Kalten Krieg, das, anstatt sich aufzulösen, in Europa trotz seiner Illegalität und Illegitimität weiter besteht.

Der Moskauer Akademiker erinnert an den NATO-Überfall auf Jugoslawien als Demonstration des aggressiven Charakters des NATO-Militärpaktes. Die Aggression, die Joschka Fischer gegen Belgrad billigte und durchzusetzen half, war bösartig und feige. Sie fand in schamloser Verletzung der Prinzipien statt, auf denen die UNO aufgebaut worden ist. (Art.33/1 der Charta Vereinten Nationen).

Nach der Niederlage der letzten europäischen Macht, die sich das Recht nahm, andere Nationen auf dem Kontinent anzugreifen und ihre Grenzen neu zu ziehen, wurde das Nürnberger Tribunal einberufen. Das Nürnberger Tribunal definierte Verbrechen gegen den Frieden als die schlimmste Verletzung des Völkerrechts. Im Statut für den Internationalen Militärgerichtshof werden unter II. Zuständigkeit und allgemeine Grundsätze (Art.6) Verbrechen gegen den Frieden beschrieben als „Pläne, Vorbereitung, Einleitung oder Durchführung eines Angriffskriegs oder eines Krieges unter Verletzung internationaler Verträge, Abkommen oder Zusicherungen oder Beteiligung an einem gemeinsamen Plan oder an einer Verschwörung zur Ausführung einer der vorgenannten Handlungen“.

Als Türöffner für die Wiederaufnahme militärischer Überfälle in Europa musste eine so genannte „humanitäre Intervention“ herhalten. Jedoch wurde diese Ausrede sofort benutzt, als 50.000 Nato-Soldaten in die serbische Provinz Kosovo einmarschierten. Die Schröder-Fischer-Regierung verschaffte Deutschland wieder die Möglichkeit, Luft- und Bodenkriege zu führen, und dieser Staat hat den damals eingeschlagenen Weg bis heute nicht wieder verlassen. Truppen, Panzer und Tornados wurden nach Afghanistan entsandt und Kriegsschiffe vor die Küsten des Libanons und Somalias beordert.

Die „humanitäre Intervention“ wurde aus der Trickkiste geholt, um die NATO-Kriegsmaschinerie auch außerhalb ihres Verteidigungsbereichs aktiv werden zu lassen und sie als politisches Instrument zu installieren, mit dem die Vereinten Nationen umgangen und ersetzt werden können. Man konnte wieder Kriege aus traditionellen Gründen führen: Zur territorialen Abrundung, zur Aneignung von Ressourcen, zur Sicherung lebenswichtiger Transportrouten, einschließlich der Seewege, zur Bestrafung widerspenstiger Gegner oder einfach aus Rache. All das bleibt Inhalt der sogenannten „neuen Strategie“ der NATO, eine „neue Strategie“, die gar nicht neu ist, sondern ein weiteres Trugbild zeigt, um Akzeptanz zu werben.

Eine Kriegspolitik beruht immer auf Manipulation und konstruierten Lügen. Sie untergräbt die sozialen Bedingungen von Freiheit und Gleichheit. Der Begriff der Menschenrechte wird mittlerweile missbraucht, indem er als Begründung für den Krieg gegen Afghanistan herhalten muss.

NATO-Politik und Lüge sind heute verschwistert.

In dieser Verbindung werden Menschenrechte und Demokratie nachhaltig pervertiert. Kollektive Gewalt und Kriege sind mit den Menschenrechten unvereinbar. Deshalb sind alle militärischen Interventionen vom Kosovo- bis Afghanistan-Einsatz abzulehnen und als Menschenrechts- verbrechen zu verurteilen. Bundeswehrsoldaten sind aufgerufen, zu desertieren. Menschen zu schlachten, wird heute als „humanitäre Intervention“ verkauft, eine Perversion des Denkens, die unterstreicht, wie wichtig der Kampf um Begriffe, um das Verständnis der Wirklichkeit ist. Redaktionen und Medien wollen nicht wahrnehmen, worum es bei der NATO-Strategie, alt oder „neu“, eigentlich geht: Um Massenvernichtungsmittel, um eine nukleare Abschreckungsstrategie, die die Menschheit und alle Lebensexistenz mit Auslöschung gefährdet und deshalb als illegitim von der Internationalen Gerichtshof in Den Haag erklärt wurde (8.7.1996). Eine solche illegitime Militärorganisation steht auch einer vernünftigen Abrüstung im Weg, die sowohl US-Präsident Obama wie der russische Präsident Medwedjew und der deutsche Außenminister Guido Westerwelle entsprechend ihrer Erklärungen implementieren wollen.

Die NATO war seit ihrer Gründung ein aggressiver Pakt, durch und durch rückständig. Mit ihrer neuen Militärdoktrin von 1991 wurde sie zum Weltsheriff der globalen Interessen der USA und ihrer EU-Vasallenstaaten. Aktiv beteiligte sie sich an der Zerstückelung Jugoslawiens, am barbarischen, 78 Tage dauernden Bombardement Serbiens, am Sturz von Regierungen, an der Besetzung Afghanistans. Vor diesen kriminellen Realitäten schließt Russland nicht die Augen. Im Gegenteil, die russische Führung ist sich vollkommen im Klaren darüber. Der Warschauer Pakt wurde später gegründet und früher aufgelöst. Heute ist die NATO seit dem einstimmigen Urteil des UN-Gerichtshof von den Haag (8.7.1996) auch offiziell illegitim.

Mit nüchterner Deutlichkeit stellt der Direktor des Moskauer Instituts für politische und militärische Analyse bloß, dass die Allianz militärisch-politisch am Ende ist, vor allem nach ihrem Scheitern in Afghanistan, der letzte Sumpf für militärische NATO-Inkursionen. Das Projekt eines europäischen Raketenabwehrsystem wird von den US-Republikanern mit Unterstützung ihrer CDU-CSU-FDP-Kumpanen gefördert. Es ist vielmehr ein rein politisches Projekt Washingtons. Deshalb hat der Washington-hörige NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen dieses Projekt zu seinem eigenen zentralen Anliegen gemacht und Lobbyarbeit bei europäischen Medien organisiert, so auch bei der SZ-Redaktion, wo besonders Stefan Kornelius unter NATO-Einfluss steht. Kornelius SZ-Kommentar „Medwedjev wendet sich dem Westen zu“ (22.10.2010) wie sein SZ-Artikel am selben Tag „Der Anti-Putin“ (22.10.2010) sind ein Glaubensbekenntnis zur NATO. Die prompte Darstellung eines russischen Akademikers ist wie ein Weckruf für den Chef des außenpolitischen Ressorts der SZ. Niemand glaubt an eine Gefahr aus dem Iran oder aus Nordkorea. Eine Phantasterei, die der Phantasterei über eine außerirdische Attacke ähnelt. „Es gibt keine Szenarien, dass Iran, selbst wenn es diese Waffen (nukleare Raketen) hätte herstellen können, einen massiven Raketenangriff auf Europa unternehmen würde. Diese Idee ist so realistisch wie ein Vorschlag, ein Raketenabwehrsystem für den Schutz Europas vor Außerirdischen aufzustellen.“ So der russische Akademiker in seinem SZ-Beitrag. Warum sollte sich Russland dann an einem solchen Projekt beteiligen, das keine militärische Bedeutung hat?

Die NATO-Bürokratie verfolgt weiter ihre Pläne zur Schaffung eines „größeren Mittleren Ostens“, der Ausdehnung ihres Aktionsradius und „Spezielle Zusammenarbeit“ in Asien und Lateinamerika, dem Nahen Osten, in Nordafrika und auch mit Hilfe einer Europäischen Armee. Die Politik der EU ist zu verurteilen, weil sie mit der der NATO übereinstimmt. Die Militärausgaben der EU für Auslandsmissionen stiegen zwischen 2002 und 2009 von 30 Millionen auf 300 Millionen Euro. Über die Finanzkrise darf sich niemand wundern.

Ungeachtet der beherrschenden Rolle der USA werden die Aggressionen gemeinsam mit anderen aggressiven Kräften verübt, was den Charakter der NATO nicht verändert. Die NATO ist direkt mit der EU verbunden und umgekehrt, da ein Großteil der EU-Mitgliedstaaten gleichfalls der NATO angehört und der Lissaboner Vertrag entsprechende militärische Klauseln und Verpflichtungen enthält. Alle Regierungen der NATO-Mitgliedsländer tragen die Verantwortung für ihre Handlungen, sie unterstützen die aggressiven Pläne. Ein deutscher Außenminister Guido Westerwelle sollte nicht auf Illusionen hereinfallen: Die NATO steht im Widerspruch zu jeder Abrüstung. Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien war ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu einer neuen Strategie, die jetzt ante portas steht vor der NATO-Konferenz in Lissabon am 19. November 2010. Die NATO handelt als Weltsheriff mit Kollaborateuren auf allen Kontinenten in Verfolgung des Planes eines „Größeren Mittleren Ostens“ und einer aktiven Einmischung in Osteuropa, im Kaukasus und anderswo. Die Verblendung der Grünen, ihre Weigerung aus rein opportunistischen Gründen, die NATO-Illegitimität und das NATO-Verbrechen aufzuklären, lassen sie als eine unzulässige irrelevante Gruppierung erkennen. Ehrlicher gegenüber ihrer Wählerschaft wäre es, sie würden sich in einen Naturschutzverein verwandeln.

Die Völker und alle friedensliebenden Kräfte der Welt akzeptieren keineswegs die NATO als Weltgendarm. Alle Versuche, die NATO in das System der Vereinten Nationen einzubeziehen, sind kategorisch abzulehnen, denn sie verdrehen und verhindern damit die Funktion der Vereinten Nationen, den Weltfrieden zu bewahren. Sie kann niemals eine „Frieden schaffende Kraft“ im Rahmen der UNO sein. Die Auflösung dieser aggressiven, rückständigen militärischen Kriegsmaschinerie ist dringend erforderlich. Zuerst ist es geboten, dass Deutschland und andere europäischen Staaten aus der NATO austreten. Für diese souveräne Entscheidung braucht Berlin sich hinter keiner Gemeinsamkeit zu verstecken.

Luz María De Stéfano de Lenkait