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25. Juli 2010 _ Luz Maria de Stefano de Lenkait:

Die NATO muss im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit bleiben, denn sie ist der Dreh- und Angelpunkt für die Zukunft Europas, vielleicht sogar der Welt. Deshalb und gerade auch anlässlich eines SZ-Interviews von Staatsminister im Auswärtgen Amt, Dr. Werner Hoyer, eines SZ-Leitartikels und eines SZ-Kommentars hier ein Kommentar zum

Leitartikel in Süddeutsche Zeitung (SZ):

„Die NATO in Gefahr“ von Martin Winter – 23.7.10,

SZ-Kommentar: „Recht auf Freiheit“ von Stefan Kornelius - 23.7.10,

SZ-Interview mit Dr. Werner Hoyer:

„Die Zeit der Feindbilder ist vorbei“ - 23.7.10

Internationale Beziehungen entmilitarisieren

Der SZ-Leitartikel „Die NATO in Gefahr“ von Martin Winter vom 23.7.2010 ist eine realistische Einschätzung des aktuellen Zustandes der NATO und lässt hoffen, dass sie bald untergeht. Martin Winter spricht aber nicht die weiterhin gültige, aber inakzeptable NATO-Strategie an, die illegal, illegitim ist.

Die Welt kann nicht mittels der Beherrschung durch eine Militärmacht ihre Sicherheit finden, eine Militärmacht, die durch einen engen Kreis westlicher Mächte ausgeübt wird. Dieser enge Kreis westlicher Mächte bestimmt die internationalen Beziehungen entsprechend seiner Interessen und behält sich vor, UN-Sicherheitsrats-Resolutionen auszulegen und sie gemäß dieser Auslegung am Rand der Mehrheit desselben UN-Rates durchzusetzen, wie es die unsägliche Eskalation zum Krieg am Golf 1991 und die nachfolgenden weiteren Angriffskriege unter Beweis stellen. Angriffskriege, die das Weiße Haus in abenteuerlicher Weise hervorrief und Gelüste im rückständigen Europa weckten. So die militärische Intervention im Jugoslawien-Konflikt entgegen aller warnenden Stimmen, mit der Gefahr, die mörderische Konfrontation in ein großes Morden im gesamten Balkan bis hin zur Ausweitung zu einem Krieg in ganz Europa, falls der Kontinent in ein militärisches Eingreifen hineingezogen worden wäre.

Die entscheidende unbeantwortete Frage für die Vereinten Nationen ist, nach welchem Maßstab eine Bedrohung für den Weltfrieden definiert wird, mit anderen Worten, wie die Bedrohung für den Weltfrieden für alle Mitglieder gleichermaßen verbindlich erkennbar ist. Man kann heute einfach und weltweit feststellen, dass die am 2.8.1990 erfolgte Invasion vom Irak in Kuwait gar nicht als Bedrohung für den Weltfrieden von der Weltstaatengemeinschaft wahrgenommen wurde. Das erste Land, das am schnellsten reagierte, war Großbritannien. Aber nicht, weil es den Weltfrieden bedroht sah, sondern eigene Interessen: Für die Londoner City ist Kuwait ein sensibler Punkt, der Interessen wichtiger Konsortien tangiert. Von England ging die Propaganda aus, Saddam Hussein mit Hitler zu vergleichen. (The Economist, 2.8.1990).

Die Frage, die zur Verantwortlichkeit aller europäischen Staaten überhaupt nicht gestellt und nicht beantwortet wird, lautet: Kann eigentlich militärische Gewalt dazu beitragen, Konflikte zu lösen, sie unter Kontrolle zu bringen? Kein Industriestaat, kein Zweite- und kein Dritte-Welt-Staat ist heute mehr militärisch zu verteidigen, zumindest dann nicht, wenn man das verteidigen will, was lebensnotwendig ist oder die zivilisatorische Basis eines Landes ausmacht. Dies gilt nicht nur für einen nuklearen Krieg, sondern auch für einen konventionellen Krieg. Die Verhältnismäßigkeit der Mittel, Grundsatz in jedem zivilisierten Rechtsstaat, war nicht nur im Golf-Krieg sondern auch in weiteren Angriffskriegen gegen Jugoslawien, Irak und Afghanistan nicht gewahrt worden. Die Verhältnismäßigkeit der Mittel kann heute in keinem Krieg mehr gewahrt werden, weil die modernen militärischen Mittel selbst jede Verhältnismäßigkeit sprengen. Aus pragmatischen Gründen sind heute kriegerische Aktionen, militärische NATO-Interventionen generell als offenkundige Irratio zu erkennen und von allen verantwortungsvollen Instanzen einer zivilisierten Gesellschaft abzulehnen.

Die Identifikation einer Weltfriedensgefahr darf man nicht einer Staatengruppe allein überlassen. Wie beim Golf-Konflikt können sie sonst nach eigenen Interessen eine Friedensgefahr postulieren und nach ihrem Sinn die Welt in einen Krieg stürzen. In den neunziger Jahren hat die deutsche SPD-Opposition den damaligen FDP-Außenminister Klaus Kinkel mit der Frage konfrontiert: „Wo in der Welt sehen Sie einen Konflikt, der durch einen internationalen Krieg beendet werden könnte, ohne dass es am Ende dieses Krieges das politische Problem genauso gibt, wie es das vor diesem Krieg gab? Nennen Sie mir einen einzigen. (Rede von Günter Verheugen, SPD-Bundestagsfraktionsdokument 8/93 vom 23.4.1993). Der Außenminister Kinkel schwieg.

Trägt zur Friedenssicherung eine militärische Organisation Europas bei, deren Außenpolitik auf bipolaren Kategorien des Kalten Krieges beruht? Wie versöhnt sich mit der Sache der europäischen Integration eine militärische Organisation, die noch in eine offensive nukleare Strategie verrannt ist und die hartnäckig gegen alle Abmachung an ihrer Ost-Erweiterung und weiterer Aufrüstung festhält, um angebliche „Werte“, die heute das ganze Europa teilt mit Gewalt - Atombomben inklusive - „zu verteidigen“, gegen einen unbestimmten Angreifer oder eine eingebildete Gefahr? Diese Frage sollte sich der Staatsminister Werner Hoyer stellen und beantworten. Eine solche Organisation hat sich gründlich und radikal zu verwandeln, um der neuen europäischen Realität und dem historischen Augenblick zu entsprechen. Mit anderen Worten, sie muss aufhören zu sein, was sie ist. Sie muss sich auflösen oder eine Abrüstungsorganisation werden.

Dramatisch ist es, dass der Wille in herrschenden Kreisen der NATO nicht dazu besteht, abzurüsten, um Europa von Waffenarsenalen endlich zu befreien. Als ein Schritt dafür müsste die NATO ihre offensive Strategie aufgeben, die gegen die ehemalige Sowjetunion und ihre Nachbarstaaten gedacht ist. Sie müsste sich in eine von Vancouver bis Wladiwostok ausgedehnte Organisation verwandeln, die auf der Abrüstung und auf Entmilitarisierung der internationalen Beziehungen beruht, um der politischen Lösung von internationalen Konflikten den Vorrang zu garantieren. Solange diese Verwandlung nicht stattfindet, scheint die Einstellung des Staatssministers Werner Hoyer im Auswärtigen Amt extrem naiv, als er offensichtlich das reale Problem der NATO übersieht. (Interview mit Dr. Werner Hoyer: „Die Zeit der Feindbilder ist vorbei“. SZ vom 23.7.2010). Der FDP-Staatsminister im Auswärtigen Amt nimmt die begründete ernste Wahrnehmung der Russen gegenüber einem offensiven Bündnis nicht wahr, ein offensives Bündnis, dessen aggressiver Charakter sich wiederholt manifestiert hat, in Europa durch NATO-Bombardement von Belgrad und serbischem Territorium 1999 und in Zentralasien durch NATO-Bombardement von Afghanistan 2001. Beide NATO-Bombenangriffe verursachten enorme humanitäre Katastrophen.

Der ehemalige russische Botschafter in Luxemburg und Schriftsteller, Tschingis Aitmatow, kritisiert zu Recht das Vorgehen im UNO-Sicherheitsrat, „in dem die ständigen fünf Mitglieder nicht selten einen Monopoleinfluss ausüben.... Die UNO wurde nicht gegründet, damit die Großmächte die Weltordnung bestimmen, im Gegenteil war daran gedacht, den Frieden in der Welt auf der Basis der Zusammenarbeit aller Länder zu fördern, ohne zwischen großen und kleinen Staaten zu unterscheiden. Zu der allerwichtigsten Aufgaben der UNO gehören die unablässigen Anstrengungen, das Leben auf der Erde zu bewahren. … Jeder Staat verfolgt seine eigenen Interessen, und die UNO hat sich in eine Rennbahn verwandelt, wo die Großmächte ihren Egoismus demonstrieren. Statt eines Forum der Staaten brauchen wir ein Weltforum mit menschlichem Gesicht – ein allgemeinmenschliches Parlament...“.(Tschingis Aitmatov: Ein Dialog).

Absolute Offenheit und Empfänglichkeit für Prinzipien anderer Zivilisationen, vor allem der fernöstlichen, die adäquatere Antworten auf die existenzielle Fragen der Gegenwart haben, gehören zur gegenwärtigen westlichen Aufklärung, um das Zusammenleben im 21. Jahrhundert gemeinsam meistern zu können. Die Auffassung des japanischen Kaisers Akihito und dessen katholischen Gemahlin, Kaiserin Michiko, zeigt dem Westen auch die richtige offene Haltung zu einer friedvollen Weltordnung: „Die Welt besteht aus Menschen verschiedener Anschauungen. Damit alle glücklich leben können, sollte man diese Verschiedenheit berücksichtigen und beim Aufbau einer besseren Welt zusammenarbeiten.“

Eine bedrohliche unberechenbare Gefahr zeichnet sich dadurch „wenn Propheten auftreten, die das Recht beanspruchen, andere zu beglücken, selbst wenn diese die Gnade nicht wünschen, der gnädige Prophet aber zu wüten beginnt und sich in einen unerbittlichen Henker verwandelt.“ (Tschingis Aitmatov: Ein Dialog).

Die weitere Existenz einer illegalen NATO entfremdet sich jeden Tag mehr von menschlichem Räsonieren und Argumentieren. Ihre Anhänger, wie ein Stefan Kornelius mitten in einem außenpolitischen Ressort der Öffentlichkeit, bedienen sich lieber der Sprache der mörderischen militärischen Gewalt und beugen sich der Arroganz der Macht. Alles andere als es wiederzugewinnen, verlieren sie erst wirklich dadurch ihr vermeintlich verlorenes Ansehen wegen der deutschen Geschichte. Solche Leute versuchen verzweifelt, die NATO-Gewalt noch in letzter Sekunde zu retten, denn sie trösten sich dadurch von ihrer Enttäuschung, historisch nicht an der Seite eines Kriegssiegers gewesen zu sein und verstricken sich deshalb in ein simplistisches, perfides Feindbild, in die Abschreckungsstrategie des Kalten Krieges, eine der täuschenden überlebenden Mythen aus dem finsteren vergangenen 20. Jahrhundert.

Überzeugen kann man nur auf der Basis von Tatsachen. Tatsache ist, dass die NATO-Abschreckungsdoktrin dem Völkerrecht zuwiderläuft, wie die UN-Resolution vom internationalen UN-Gericht in Den Haag, am 8 Juli 1996 belegt. Militärische Abschreckung mit Atomwaffen, die auch in der Golf-Region auf US-Stützpunkten bereitgehalten werden, ist schlichtweg völkerrechtswidrig. Diejenigen Politiker oder Journalisten, die trotzdem an dieser illegitime illegale Abschreckungsdoktrin des Kalten Krieges noch festhalten wollen und dafür öffentlich plädieren, beziehen konkret eine völkerrechtswidrige Position und untergraben damit das internationale Rechtsbewusstsein. Besonders verwerflich und beschämend, wenn solche rechtswidrige Positionen ausgerechnet aus Deutschland kommen, wo das Völkerrecht so barbarisch inhuman wie nirgendwo sonst auf der Welt im 20. Jahrhundert verletzt wurde.

Luz María De Stéfano de Lenkait