Menü

16. Juli 2010 - Luz Maria de Stefano de Lenkait:

Das  völkerrechtswidrige Militärbündnis NATO soll nach dem Willen bestimmter Kreise vertraglich seine expansiv-aggressive Orientierung festzurren, wofür es bisher nicht die nötige Unterstützung unter seinen Mitglieder findet, und läßt deshalb Fürsprecher auftreten, so in der Süddeutschen Zeitung. Anlass für eine Stellungnahme, wie gewohnt zur Anregung, Verwendung und Weiterverbreitung. 

Süddeutsche Zeitung (SZ), Rubrik Außenansicht vom 15.7.2010:

„Russland gehört in die NATO“ von Volker Rühe

NATO: Zukunft nur als Abrüstungsagentur

Am 17.5.2010, demselben Tag, als in Teheran der Vertrag über die iranische Urananreicherung von den Präsidenten Brasiliens, Irans und Premierminister Erdogan unterzeichnet wurde, tagte die NATO in Brüssel in Anwesenheit der Hardlinerin, der ehemaligen amerikanischen Außenministerin Madeleine Albright. Albrights Anliegen war, die NATO als Militärbündnis für das 21. Jahrhundert zu etablieren. Dazu müsste sich die NATO besser auf Sicherheitsprobleme „jenseits ihrer Grenzen“ vorbereiten. Allerdings gab und gibt es keine Mehrheit, den NATO-Vertrag entsprechend zu ändern.

Wenn Amerika und die westlichen Großmächte noch die führende Rolle in der Welt behalten wollen, müssen sie sich von der Drohungs-, Abschreckungs- und Interventionspolitik verabschieden und sich stärker um die Wurzeln der internationalen Probleme kümmern. Der britische Außenminister Douglas Hurd hat dem Londoner Königlichen Institut für auswärtige Angelegenheiten einige vernünftige Grundsatzlinien zur Weltpolitik vorgetragen: Gewiss existiere im Westen ein Interesse an einer friedvolleren Welt, „aber wir können nicht überall sein und können nicht alles tun.“ Alle Länder stießen da auf Grenzen, was dann auch dem Handeln der Vereinten Nationen Schranken setzte. Die Vereinten Nationen seien weit davon entfernt, eine „imperiale Rolle“ spielen zu können. „Wo wir handeln, muss unser Handeln verhältnismäßig sein“. (Die Zeit, 5.2.1993).

Unter den NATO-Mitgliedsländern gibt es unterschiedliche Auffassungen, was etwa eine Bedrohung darstellt. Diesbezüglich ist die Auffassung des ehemaligen Verteidigungsminister Volker Rühe singulär und inaktuell. Er kehrt zur Terror-Paranoia von George W. Bush zurück. Vollkommen unglaubwürdig und verantwortungslos zeigt sich auch der ehemalige deutsche CDU-Verteidigungsminister, als er auf die „wachsende Bedrohung durch Raketen mit Atomsprengköpfen und auf die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen“ hinweist, ohne ein Wort für die erforderliche Abrüstung zu verlieren. Eine atomare Abrüstung, die der US-Präsident Obama auf die Tagesordnung gesetzt hat und die der deutsche Außenminister Guido Westerwelle zusammen mit seinen europäischen Kollegen in Europa fördern will durch den Abzug der atomaren Waffen aus Europa, wie er im vergangenen Mai bekannt gab .

Ein eigenes integriertes europäisches System, an dem auch die ehemalige Sowjetunion beteiligt sein muss, ist das primäre Ziel mit der vorrangigen Aufgabe, die Befreiung des ganzen Kontinents von fremden Waffenarsenalen und die weitere Abrüstung zu erreichen. Der Frieden kann sich nirgends technisch stabilisieren; er ist nur politisch stabilisierbar. Deshalb ist die atomare Abschreckung eine irrationale gefährliche Illusion.

Eine europäisch-amerikanische Allianz benötigt den NATO-Rahmen nicht. Im Gegenteil, dieser Rahmen ist völlig überflüssig geworden. Die NATO ist heute mehr denn je eine ungeeignete Organisation, die dem friedlichen Einheitsprozess Europas im Wege steht. Auf ihrer Stärkung zu bestehen, bedeutet dem Geist des Kalten Kriegs gegen die Abrüstung in Europa weiterhin huldigen zu wollen, was der Abrüstung entgegengesetzt ist und folglich Europa destabilisieren würde. Die NATO hat es nicht einmal geschafft, sich in eine politische Organisation zu verwandeln. Neue Spannungen und Krisen sind dadurch vorprogrammiert. Weder ist die NATO ein Vertrauensfaktor, noch Garantie oder Lösung für Stabilität, denn sie vertritt eine militaristische Politik der Stärke, basiert auf alten Konzeptionen von Ost-West Zusammenhängen, nämlich Konfrontation, und sieht nach wie vor die Menschen und alles Leben vernichtende Atomrüstung als Garant für den Frieden an. Solange sie ihren nuklearen Offensivstrategie beibehält (flexible response) und wenn sie vorhat, die andere Hälfte Europas in ihre militärische und politische Struktur einzufügen, ist das etwa keine Bedrohung der Länder, die nicht der NATO angehören? Wie rechtfertigt die NATO heute ihr Offensivpotential? Eine elementare Überlegung gestattet es, diese überholte West-Ost Organisation als das ernsthafteste Hindernis und die schlimmste Gefahr zu identifizieren, um eine gemeinsame europäische Friedensordnung aufrechtzuerhalten.

Die Auflösung der NATO wäre ein glaubwürdiger entscheidender Schritt Amerikas und Europas vor dem Anbruch des 21. Jahrhunderts gewesen, ein bedeutendes Hoffnungssignal für eine neue Ära der Menschheit. Aber der politische Willen hat gefehlt. Die wahnsinnige NATO-Strategie der flexible response gilt immer noch trotz Ende des West-Ost Konfliktes. Niemand weiß, gegen wen sie sich noch richtet oder weshalb die NATO darauf besteht, mit diesem Wahn weiter zu existieren.

Als gestriger Politiker ist Völker Rühe ein NATO-Anhänger der gestrigen Konfrontation, der rein gar nichts gelernt hat. Kurios, daß die SZ ihm ihre Rubrik Außenansicht einräumt. Ihm widersprach deutlich sein Kollege aus Schweden, als der schwedische Außenminister präzisierte, dass die Integration Europas nicht an einen militärischen Organismus gekoppelt ist (Juli 1995).

Irans Atomprogramm als Bedrohung darzustellen, wie es alle artigen Diener interessierter Kreise tun, ist nicht nur völlig unbegründet, sondern lächerlich unglaubwürdig. Die US-EU Haltung gegenüber dem Iran stellt ihre Überheblichkeit und Propaganda bloß. Die große Mehrheit der Staaten der Welt trägt den aggressiven Konfrontationskurs gegen den Iran nicht mit, sondern lehnt ihn explizit ab. Das gilt letztendlich auch für Russland und China, die sich nur aus opportunistischen Gründen per Lippenbekenntnis unter dem Druck der USA für Sanktionen im UN-Sicherheitsrat entschieden haben. Es gab keinen Grund für Sanktionen und Druckausübungen, nachdem der Iran-Vertrag mit der Türkei und Brasilien am 17.5.10 abgeschlossen wurde. Die harsche Reaktion der USA auf diesen diplomatischen Erfolg ist nicht anders als unüberbietbare Torheit zu bewerten, denn sie dient der Verschärfung der Lage und der Konfrontation.

Volker Rühe als Politiker von gestern trägt überhaupt nichts zur Lösung des Problems im Nahen Osten bei. Die Türkei als Regionalmacht wird eine neue Vormachtrolle im Nahen Osten spielen. Ankara verstärkt auch die wirtschaftlichen Bande zu Damaskus. Ihr Einfluss wächst. Ihre guten Beziehungen mit den Nachbarn, darunter auch mit dem Iran, liegen im ureigenen Interesse. Der türkische Premier Erdogan hat den Irak-Krieg abgelehnt und sich stark für die Palästinenser eingesetzt.

Im NATO-Bericht 2020 ist zu lesen: „Neue Gefahren können weit entfernt entstehen und dennoch die Sicherheit bei uns berühren“. Daraufhin sind „Leitlinien für Einsätze außerhalb der Grenzen der Allianz“ zu entwickeln. Unter anderen ist ein Hauptpunkt zu prüfen und zwar, ob es eine politische und militärische Bereitschaft zum Engagement in Übereinstimmung mit dem internationalen Recht steht.

Dieser Hauptpunkt stellt die Frage nach der Legitimität jeder NATO-Aktion. Eigentlich ist diese Frage grundsätzlich schon beantwortet, nämlich seit der einstimmigen Resolution der internationalen Richter in Den Haag im Juli 1996, die deutlich die NATO-Strategie, die auf den Besitz von Atomwaffen und ihrer Androhung besteht, als illegal, völkerrechtswidrig erklärte und die legale Pflicht aller Staaten für eine allgemeine und totale nukleare Abrüstung anmahnte. Aufgrund dessen erklärte ein deutscher Richter, (Richter Wolff aus Stuttgart, 8.12.1996), dass die Lagerung von nuklearen Waffen in Europa der UN-Gerichtsresolution vom 8.Juli 1996 widerspricht. Seitdem ist die Verlässlichkeit der Außenpolitik Europas infrage gestellt.

Wie kann sich Europa seine außenpolitische Verlässlichkeit vorstellen, wenn seine Außenpolitik mit dem Völkerrecht unvereinbar ist? Die aktuelle Außenpolitik, die einer Geisterfahrt gleicht, löst Alarm aus. Sie klammert sich an alte, irrige Konzepte eines überholten Bündnis, das gesetzwidrig geworden ist, seit dessen Strategie als solche durch den einstimmigen Beschluss des UN-Gerichtshof von Den Haag (8.7.1996) verurteilt wurde. In der Tat steht die deutsche Bundesregierung seitdem vor einem Dilemma: Entweder macht sie weiter mit alten völkerrechtwidrigen Konzepten und mit einem Völkerrecht brechenden Bündnis, das jetzt am Rand der Legalität weiter existiert, oder sie muss die große Wende in der Außenpolitik einleiten, um sie auf eine international anerkannte legitime Basis zu stellen. Alle Europäer, nicht nur die Deutschen, stehen für eine neue Außenpolitik in diesem Sinne. Das gilt auch für die meisten Mitglieder der Grünen und Sozialdemokraten. Es sind einige wenige, die in beiden Parteien versuchen, die allgemein erwünschte Erneuerung der Außenpolitik zu bremsen.

In den neunziger Jahren war es Volker Rühe, der als Verteidigungsminister mit unglaublichem Zynismus auf die psychologischen Hemmungen der Deutschen aufmerksam machte, um Krieg führen zu können. Schon damals kursierten Angriffspläne im deutschen CDU-Verteidigungsministerium. Wer sich verteidigen kann, der kann auch angreifen. Ein grausames Exempel dafür statuierte die NATO mit ihrem Bombenabwurf auf Belgrad im Juli 1999.

Von gleichem Kaliber wie Rühe entblößt der ehemalige Verteidigungsminister Franz Joseph Jung plump den Hauptzweck der NATO-Einsätze: „Es geht natürlich auch um die Sicherung des Energiebedarfs und der Rohstoffe.“ Ihm widerspricht aktuell und richtungsweisend überzeugend der niederländische stellvertretende Vorsitzende der NATO-Expertengruppe, ehemaliger Chef von Shell, der bei dem NATO-Treffen in Brüssel am 17.5.2010 klarstellte, dass „die Sicherstellung der Energieversorgung nur zivil möglich ist.“

Als „Kerngeschäft“ der NATO wurde die kollektive Verteidigung betont, obwohl die NATO keinen Gegner mehr vor ihrer Tür hat. Raketenabwehr-Planungen müssen vom Tisch. Das Misstrauen vieler osteuropäischer Mitglieder gegenüber Russland ist durch enge diplomatische Zusammenarbeit zwischen Moskau und den osteuropäischen Hauptstädte zu überwinden. Eine Fortsetzung der NATO-Erweiterungspolitik steht im klaren Widerspruch mit einem engeren guten Verhältnis zu Russland. Diese Inkongruenz wurde bei dem Treffen am 17.5.2010 trotz aller schönen Worte offensichtlich. Um diese Inkongruenz zu überspringen, die Opposition der Russen nichtig zu machen und die NATO- Erweiterungspolitik mit einem Coup zu festigen, tritt jetzt der hemmungslos kriegerische CDU-Ex-Minister Volker Rühe auf und empfiehlt Russland, gefälligst in die NATO einzutreten.

Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle ist gut beraten, als neues strategisches Konzept die Abrüstung, und zwar die Errichtung einer atomwaffenfreien Zone in Europa, auf dem NATO-Gipfel im Lissabon im November vorzulegen. Die NATO hat nur eine Zukunft als Abrüstungsagentur. Sie muss Europa von dem Wahnsinn der nuklearen Abschreckung mit ihren fatalen unverantwortbaren Ausrottungsrisiken endgültig befreien.

Luz María De Stéfano de Lenkait