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ARD-Tagesschau 20 Uhr vom 23.8.2008 mit Meldung zum Abzug russischer Truppen aus Georgien

Gebot der praktischen Vernunft

Nicht die NATO wohl aber die EU hat ausgezeichnete Gründe für eine fruchtbare Zusammenarbeit mit Russland. Außenminister Walter Steinmeier müßte nach Moskau reisen, um die Beziehung mit Russland in die richtige Bahnen zu lenken. Dazu braucht er keine Konsultation mit der NATO, auch keine Konsultation mit den Amerikanern, vorausgesetzt, der deutsche Außenminister ist der Angelegenheit gewachsen genug. Eine gemeinsame deutsch-russische Stellungnahme, die die Kooperation und gemeinsame Sicherheit betont, ist dringender denn je. Außerdem könnte Steinmeier anders als Angela Merkel mehr Verständnis für die russische Position haben, vor allem wenn er aufmerksam zuhört, was der Kreml in seiner Wahrnehmung der angespannten Lage zu sagen hat.

Was der Abzug russischer Truppen aus Georgien betrifft, gibt es keinen Grund zur Kritik. Das Bundeskanzleramt genauso wie alle europäische Staatskanzleien müssen genau wissen, daß sich Russland seit der Zeit der Sowjetunion immer an Verträge und internationale Abmachungen gehalten hat. Die Außenpolitik der Sowjetunion und dann Rußlands ist immer völkerrechtsmäßig gewesen, was ihm einen respektvollen Platz in der Staatengemeinschaft verschaffte.

Der Propagandakrieg in europäischen Medien versucht, in der Öffentlichkeit die Lüge zu verbreiten, daß Moskau sich nicht an den EU-vermittelten Waffenstillstandsplan hält. Das Gegenteil ist wahr. Der EU-französische Plan erwähnt keinen Zeitpunkt für den Abzug russischer Truppen. Deswegen wurde nach einem Telefongespräch zwischen dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedjiev und dem französischen Präsident Nikolas Sarkozy als EU-Ratspräsident letzte Woche abgemacht, die zusätzlichen russischen Truppen, die nach dem Angriff Georgiens auf Südossetien ins Land kamen, würden erst ab dem Freitag 22.8. abziehen. Nach zwei Tagen werden OSZE-Beobachtern in Georgien eintreffen. Der Abzug erfolgt gegen den Wunsch der Bewohner in Südossetien und Abchasien, die sich von den Russen geschützt fühlen und kein Vertrauen in ein aggressives Regime in Georgien haben können. Außerdem verbleiben in Südossetien und Abchasien die russischen Friedenstruppen. Sicherheitszonen oder sogenannte Pufferzonen werden auch von russischen Truppen besetzt, was verständlich ist, nachdem Georgien mit seiner Aggression ein ungeheuerliches Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit Auslöschung von Dörfern und über 1.500 zivilen Toten Südossetien begangen hat.

Andererseits erwähnt der EU-Friedensplan mit keinem Wort die von Condi Rice und Angela Merkel herausposaunte "territoriale Integrität" Georgiens, weil wie bekannt zwei kaukasische Provinzen von Georgien abgetrennt sind und nach dem georgischen Überfall erst recht keine weitere Bindung an Georgien haben wollen, sondern zu Rußland. Der Versuch von Condolezza Rice und Angela Merkel, den Waffenstillstandsplan zu umgehen, ging ins Leere. Die US-Regierung scheiterte sogar im UN-Sicherheitsrat damit, eine Resolution verabschiedet zu bekommen, die dem EU-Plan nicht entsprach. Dagegen hat Russland den genauen Plan im Wortlaut als Resolutionsentwurf in New York präsentiert. Darüber schweigen deutsche Medien. Von eigenständiger europäischer Politik und eigenständiger Rolle Europas keine Spur. Offener konnte eine klar pro-amerikanische und anti-russische Parteinahme kaum verkündet werden. Die Dummheit und Naivität in Deutschland kennt keine Grenze: Einige Machtzirkel wagen daran zu denken, daß sich die EU nach alledem noch als Vermittlerin beweisen könnte und reden über EU-Truppen, als ob die Russen erst gestern geboren worden wären, um die verantwortungslose Parteinahme von der deutschen Bundeskanzlerin an der Seite eines verbrecherischen Aggressors nicht wahrzunehmen. Im konkreten Fall will Angela Merkel nicht erkennen, daß die Weltmachtpolitik der USA, das aggressive Element ist, das ein Brandherd im Kaukasus angezündet hat.

Die NATO war bei argwöhnischer Beobachtung aus dem Kreml mit den neuen Mitgliedern Polen 1997 sowie 2004 mit den baltischen Staaten, Estland, Lettland und Litauen schließlich bis an die Grenzen Rußlands gewachsen. Zusätzlich verärgern US-Pläne für ein Raketenabwehrsystem in Polen und Tchechien Russland seit langem. Europa hat die Wahrnehmung Russlands nicht beachtet und den Ärger Moskaus über das wachsende Engagement der NATO in Rußlands Hinterhof absolut unterschätzt. Rußland will die gefährlich aggressive georgische Regierung abgesetzt sehen, aber nicht mit militärischen Mitteln. Russische Truppen haben nur militärische Einrichtungen und Ziele angegriffen, keine Verwaltungseinrichtungen, was zeigt, daß sie die Regierung Georgiens nicht militärisch stürzen wollen. Rußland will selbstverständlich ein Regimewechsel in Tiflis, wie der russische Außenminister Sergej Lawrow bestätigte, als er den georgischen Präsidenten Saakaschwili aufforderte, zurückzutreten (Meldung von 13.8.). Sein Rücktritt wäre eine angemessene, für sein Land vertrauensschaffende Geste des georgischen Präsidenten, sollte er einen Funken Patriotismus und Anständigkeit besitzen, denn als Verhandlungspartner hat er keine Glaubwürdigkeit für die Russen, auch nicht für die von ihm überfallenen kaukasischen Provinzen. Außerdem darf Georgien niemals der NATO beitreten. Es ist das Gebot der praktischen Vernunft.

Luz María De Stéfano de Lenkait,

Juristin und Diplomatin a.D.