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21. August 2008 - Maria de Sttefano de Lenkait:

Entwicklung einer Rechtskultur in Deutschland vonnöten

Kommentar in Süddeutsche Zeitung vom 21.8.08: "Neue Fronten im Osten" von Thomas Urban

Grotesk war die Idee, die NATO einzuschalten in einen Konflikt, in dem eine Seite ausgerechnet von dem NATO-Hauptakteur, von der USA, hochgerüstet worden ist, aufgrund dessen es zum Aufbruch der Gewalt im Kaukasus kam. Schon diese Tatsache disqualifiziert die Einschaltung einer solchen Organisation als Friedens- oder Stabilitätsfaktor in einer der unruhigsten Regionen der Erde. Die NATO hat sich als voreingenommen erwiesen, seitdem sie schon Partei ergriff. Solange ein extremistischer US-Vizepräsident eine unberechenbare Außenpolitik im Weißen Haus treibt und die Neokons immer noch das Sagen haben, gebietet der gesunde Menschenverstand aus elementaren Sicherheitsgründen, die NATO fernzuhalten, sie auf keinen Fall in europäische Angelegenheiten sich weiter einmischen zuzulassen. Verhängsnisvolle NATO-Absichten in einem russischen Einflußbereich werden keinerlei Chancen im UN-Sicherheitsrat haben angesichts eines begründeten Widerstands Moskaus gegen eine solche Einmischung. Auch China würde solchen Plänen im Sicherheitsrat nicht zustimmen, um keinen Präzedenzfall für sein eigenes Reich zu schaffen.

Schon in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts entstand zuerst die NATO in Europa und damit begann eine Rüstungsspirale zwischen zwei konfrontativen Blöcken. Mit der Auflösung des Warschauer Paktes hätte sich die NATO auch auflösen müssen, aber statt dessen begann sie eine Expansion nach Osten gegen alle Versprechungen und Abmachungen mit Rußland. Bis zur deutschen Einheit gab es Anstrengungen für Abrüstung in Europa. Nach der deutschen Einheit war das vorbei. Am emörendsten ist, daß das neue vereinte Deutschland an der Seite der USA-Regierung alle Abmachungen und Vereinbarungen mit Rußland nicht einhielt. Gestern unter Hitler, heute unter NATO-Führerschaft bricht Deutschland alle Verständigung, die im guten Glauben getroffen wurden. Die CDU-FDP-Regierung von Helmut Kohl hatte zugesichert, die NATO würde sich nicht nach Osten ausdehnen. Außenminister Hans-Dietrich Genscher war sich diesem wichtigen ernsthaften Punkt in der Wahrnehmung Rußlands besonders bewußt. Deshalb gab er dem Kreml sein gewichtiges Wort. Sogar Präsident George Bush Senior hatte dem sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow nach der deutschen Einheit 1990 versprochen, die NATO werde nicht nach Osten ausgedehnt. Im Vertrauen darauf sind die damals sowjetischen Truppen aus Ostdeutschland abgezogen. Bush-Nachfolger Bill Clinton sorgte 1993/1994 mit der "Partnerschaft für den Frieden" für das Vorstadium einer NATO-Osterweiterung. Seither ist die Allianz in flagrantem Wortbruch an Rußlands Grenze herangerückt. Eine solche Dreistigkeit führt natürlich zur Zerstörung aller vertrauensbildenden Maßnahmen zwischen Berlin und Moskau. Zusätzlich haben US-Pläne für ein Raketenabwehrsystem in Polen und Tschechien Russland verärgert. Würden die Ukraine und Georgien in die NATO eintreten, käme dieser Beitritt einer weiteren Expansion gleich und die Einkreisung Rußlands wäre vorangetrieben, was Moskau zu Recht als feindseligen Akt empfinden würde. Wieso wundert sich der Westen dann über Gegenmaßnahmen Rußlands? Wo bleibt der Realitäts- und Verantwortungssinn der deutschen Eliten? Wo bleibt die kritische Einstellung der deutschen Medien nach gesundem Menschenverstand? Benutzen die Journalisten ihre herausposaunte demokratische Pressefreiheit, um mit klarem Verstand die heikle Lage in unserem europäischen Haus zu beobachten und sie realistisch, ohne Vorurteile, zu bewerten, anstatt sich NATO- oder US-Berichte anzueignen und zu reproduzieren, die Rußland als Bedrohung diffamieren und Tatsachen verdrehen?

Eine wahnsinnige neue Aufrüstung in einem Klima von Konfrontation und Mißtrauen dürfen europäische Regierungskanzleien keineswegs zulassen. Die Verschlechterung der Beziehung geht auf Konto Berlins und Washingtons, seitdem sie ihr Wort schamlos brachen. Wenn Souveränität etwas bedeutet, ist Deutschland frei, sich von fremden Entscheidungen zu lösen. Deutschland ist ein souveräner Staat, aber es nimmt seine Souveränität nicht wahr, es nimmt sich die Freiheit nicht. Lieber wollen einflußreiche Kreise mit einer Sklavenseele Deutschland an ein Bündnis ketten, das von den USA kommandiert wird. Die deutsche Einheit selbst entstand nicht im Licht der Freiheit, sondern unter einer erpresserischen Bedingung der US-Regierung: die Eingliederung des vereinten Deutschland in die NATO. Dieses Defizit hat die CDU-FDP-Regierung von Helmut Kohl zu verantworten, die eine deutsche-deutsche Verständigung mit ihrer Bruder-Regierung am Runden Tisch vernachlässigte zugunsten der Vorherrschaft Amerikas auf dem Kontinent. Die verhängnisvollen Ereignisse in Europa haben eine lange Schatten.

Gewaltverzicht und Abrüstung sind die Säulen einer zivilisierten Gesellschaft für ganz Europa in vollem Einklang mit der OSZE- und UN-Charta. Hier braucht es eine fortzusetzende Debatte. Hier besteht Handlungsbedarf für die Bundesregierung, vor allem, wenn man den Trend zu erneuter Aufrüstung stoppen will, wie die Überlegungen von Thomas Urban zu denken Anlaß geben. Denn darum geht es. Keine Abwehroption ist nötig, wenn die Abrüstung konsequent und entschieden gefördert wird. Die Situation bleibt unverändert, denn die Falken beharren immer noch auf der Option militärischer Gewaltanwendung und sie glauben, mit Gewalt Frieden stiften zu können. Hier ist die Entwicklung einer Rechtskultur in Deutschland vonnöten. Dazu braucht man zuerst allgemeine Kenntnis und Achtung des Völkerrechts, Respekt von Verträge und Abmachungen und den Willen, die Rechtsordnung der Vereinten Nationen - anstatt sie auszuhöhlen - zu stärken, als einzige realistische Alternative zur gegenwärtigen Militarisierung und Gewaltbereitschaft in den internationalen Beziehungen.

Luz María De Stéfano de Lenkait,

Juristin und Diplomatin a.D.