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30. November 2018 - Nirit Sommerfeld an Thomas Schalla:

 

Sehr geehrter Herr Dr. Schalla,
 
Sie haben gestern bereits mein Schreiben an Frau Rosenberg erhalten, daher werden Sie wissen, wer ich bin.
 
Ich habe den gesamten Schriftverkehr studiert, der im Zuge Ihrer Absage der Veranstaltung mit Andreas Zumach zustande kam, und muss Ihnen sagen, dass Ihr unten zitiertes Schreiben (vom 28.11.2018 an Herrn Zumach) mich wirklich entsetzt hat. Nach dem Entsetzen kam die Wut. 24 Stunden später habe ich mich wieder gefasst und will Ihnen detailliert erklären, warum Ihr Schreiben so viel mehr beinhaltet, als Ihnen beim Verfassen vielleicht bewusst gewesen sein mag. Ich möchte das in Ihrem eigenen Text gerne erläutern:
 
 
"Sehr geehrter Herr Zumach,
auch mir tut die Absage weh -
"
Der erste und wichtigste Satz, mit dem Sie zweierlei sagen: Die Veranstaltung wird von Ihnen selbst abgesagt, und das bereitet Ihnen Schmerzen.
Solche und ähnliche Sätze habe ich schon oft in ähnlichem Kontext gehört - von einem Pfarrer in München, der eine ähnliche Situation erlebte wie Sie; von Kulturreferentinnen, denen angeblich die Hände gebunden sind und sie mich daher nicht fördern können etc ... sie erinnern mich an die (im Orient, aus dem ich komme) nicht unübliche Situation, dass Eltern ihre Kinder schlagen und dabei behaupten, es täte ihnen mehr weh als dem Kind.
Was mich dabei schmerzt und wütend macht ist, dass diese ‘double message’ den Empfänger (in dem Fall Herrn Zumach) dazu bewegen soll, Mitgefühl mit dem Sender (in dem Fall Sie) zu bekommen. Zumindest sollen wir, die wir diesen Satz seit Jahren immer wieder zu hören bekommen, Verständnis für die ’Notsituation’ des Mitteilenden bekommen. Wir, die wir gerade Opfer werden durch einen Akt, den Sie verursachen, sollen doch bitteschön auch begreifen, dass Sie leiden - wir können uns also gleich doppelt schlecht fühlen, weil wir Sie in eine so missliche Situation gezwungen haben.
Und hier sind wir am Punkt: Wer oder was genau zwingt Sie, so eine Entscheidung zu treffen? Als mein Großvater 1938 von einem freundlichen Nachbarn versteckt wurde, waren beide in einer schweren Notsituation. Als der Nachbar eines Tages meinem Großvater sagen musste, er könne ihn nicht mehr verstecken, weil die SA vor seiner Tür stand, wird er ihn auch gebeten haben, Verständnis für seine Entscheidung zu haben. Mein Großvater hatte Verständnis - schließlich hatte sich der Nachbar selbst in Lebensgefahrgefahr gebracht - und wurde kurz darauf aufgegriffen, ins KZ gebracht und ermordet.
Welche SA steht bei Ihnen vor der Tür, Herr Dr. Schalla?
 
"ich halte offene Diskussionen in der Regel  für sachgemäßer als nicht miteinander zu sprechen."
In der Regel?! Was macht diese Situation zur Ausnahme? 
Das glauben Sie im Folgenden erklären zu können:
"Ich habe die Absage der Veranstaltung angeordnet, weil ich Schaden für das Verhältnis  zwischen Evangelischer Kirche und der Jüdischen Kultusgemeinde Karlsruhe  abwenden möchte."
Sie wollten vermeintlichen Schaden abwenden, weil eine Person der Jüdischen Gemeinde Karlsruhe - oder waren es am Ende doch mehrere? - Herrn Zumach und das Bündnis BIB e.V. durch Falschaussagen diffamiert hat. Die Person hat ihre Aussagen schriftlich widerrufen, es ist also geklärt, dass es sich wirklich um Diffamierung handelt. Kann man hoffen, dass die Absage nun auch widerrufen wird?
 
"Ich will die Wahrnehmung Ihrer Person von Seiten der Jüdischen Kultusgemeinde nicht kommentieren. Ich will auch nicht  beurteilen, ob und in welchem Umfang diese Wahrnehmungen berechtigt  sind. Ich habe deshalb auch keine Ermittlung darüber aufgenommen, wer  was gesagt hat."
Es scheinen also tatsächlich mehrere Personen "was gesagt" zu haben. Hätten Sie auch mit Absage reagiert, wenn Parteimitglieder der AfD diese Aussagen über Herrn Zumach gemacht hätten? Das wäre in Zukunft durchaus denkbar, dass Verleumdungen von Personen kommen, die eine offen rechtsgerichtete Geisteshaltung haben.
Außerdem wollen Sie nicht beurteilen, ob die "Wahrnehmungen berechtigt sind" oder nicht. Warum nicht? Sie haben die Veranstaltung mit Herrn Zumach seit Monaten im Programm stehen - Sie müssen sich doch selbst ein Urteil über ihn gemacht haben. Sie hätten womöglich sogar vermittelnd eingreifen können zwischen denen, die offenbar eine verschobene Wahrnehmung über Herrn Zumachs angebliche antisemitische oder antiisraelische Haltung und ihm selbst.
 
"Ich muss aber zur Kenntnis nehmen, dass ausweislich der offiziellen  Stellungnahme von Seiten der Jüdischen Kultusgemeinde eine ernsthafte  Störung des Verhältnisses in Karlsruhe eine wahrscheinliche Folge der  Veranstaltung in der Evangelischen Erwachsenenbildung gewesen wäre."
Ist die "offizielle Stellungnahme von Seiten der Jüdischen Kultusgemeinde" die mittlerweile zurückgenommene Aussage von Frau Rosenberg? Hat sich also demnach geklärt, dass Herr Zumach keine antisemitischen Ansichten in seinem Vortrag zum Besten geben wollte? Wäre das nicht noch einmal eine ausgezeichnete Gelegenheit, hier vermittelnd einzugreifen, den "Irrtum", die daraus erfolgten Falschaussagen, die "Wahrnehmung" aufzuklären bzw. zu korrigieren und schließlich die Veranstaltung doch noch stattfinden zu lassen?!
 
"Die Entscheidung hat selbstverständlich nichts mit Transparenz zu tun, sondern mit Zuständigkeiten. Als Dekan bin ich letztverantwortlich für  das Erscheinungsbild der Evangelischen Kirche in Karlsruhe. In dieser  Funktion habe ich eine Güterabwägung vorgenommen und zu diesem Zeitpunkt  dem Verhältnis zu unseren Geschwistern in der jüdischen Kultusgemeinde  den Vorrang gegeben."
Hier würde ich mich wiederholen: Sie hätten eine wunderbare Chance, das Verhältnis zu Ihren Geschwistern der jüdischen Kultusgemeinde zu vertiefen, mit Hinblick auf der Suche nach friedlichen Lösungen - auch in Israel.
 
"Kritische Auseinandersetzung mit der  Regierungspolitik Israels ist genauso möglich wie die kritische  Auseinandersetzung mit jeder anderen Regierungspolitik auf der Welt."
EBEN NICHT, wenn solche Veranstaltungen am laufenden Band abgesagt werden!!!
 
"Es ist aber fraglich, ob diese Auseinandersetzung ausgerechnet jetzt und  ausgerechnet von Einrichtungen der evangelischen Kirchen geführt werden  muss."
Wann denn sonst?! Wenn noch mehr Blut geflossen sein wird? Wenn noch mehr verzweifelte PalästinenserInnen in ihrer Ohnmacht Messer zücken, Raketen werfen, sich protestierend in den sicheren Tod vor israelische Scharfschützen stürzen, die wiederum eines Tages alle traumatisiert aus diesem Alptraum erwachen werden? Wenn Israelis sich noch mehr fürchten vor allem und jedem, der um sie herum ist? Ich wäre interessiert zu hören, was Sie selbst zur Rolle der Evangelischen Kirche und zum richtigen Zeitpunkt der Auseinandersetzung denken, gerade weil -
 
"Um des - auch für unser eigenes Selbstverständnis zentrales -  enges Miteinanders von Christen und Juden halte ich es für richtig, hier  in Demut einen Schritt zurückzutreten."
- es um ein Miteinander von Christen und Juden hier bei uns in Deutschland geht! Demut ist angebracht - vor Menschen, die leiden, die verletzt sind. Nicht vor Falschaussagen.
 
"Ich meine nicht, dass dies Ihr Grundrecht auf Meinungsfreiheit maßgeblich einschränkt"
Ob maßgeblich oder nicht - durch die Absage einer lange geplanten Veranstaltung auf Grund von verleumderischen Aussagen wird die Meinungsfreiheit eingeschränkt. Punkt. Selbstverständlich hat Herr Zumach, begünstigt durch die heutigen technischen Möglichkeiten und das Internet, viele Möglichkeiten, seine Meinung frei zu äußern. Ich lasse Ihnen demnächst ein Video zukommen, in dem Herr Zumach in einem Interview mit mir über eine Stunde seine Meinung äußert. Das entbindet aber die Kirche als Veranstalter nicht aus ihrer Pflicht.
 
"Für uns in Karlsruhe sind damit nicht alle Fragen beantwortet und ich  kann mir vorstellen, dass auch für Sie nicht meine Antwort sehr  zufriedenstellend ist. Vielleicht finden wir die Möglichkeit, darüber  bei anderer Gelegenheit noch einmal ausführlicher zu sprechen."
Auch ich finde, dass immer noch viele Fragen geklärt werden müssen. Ich bin jederzeit zu Gesprächen bereit - am liebsten öffentlich, mit Gesprächspartnerinnen aller Religionen und politischen Ausrichtungen, oder ggf. auch im kleineren Rahmen.
 
Was den 6. Dezember betrifft, möchte ich Sie auffordern, die Angelegenheit noch einmal gut zu überdenken und ruhig diese ganze Situation öffentlich zu thematisieren. Nur durch eine offene Auseinandersetzung mit dem ganzen Thema werden wir einen Schritt weiter kommen, gerade im jüdisch-christlichen Dialog. Denn was auch immer uns trennt (auch Frau Rosenberg und mich) - eines haben wir doch bestimmt gemeinsam: Die Vision eines Landes zwischen Mittelmeer und Jordan, in dem Juden in Sicherheit, Freiheit und Frieden leben können. Genauso wie alle anderen Menschen dort.
 
Sie wären nicht der erste Veranstalter, der unter Druck gerät und sich plötzlich im Zugzwang sieht; sie wären auch nicht der Erste, der sich dann doch entschließt, eine Veranstaltung durchzuziehen und der Meinungsfreiheit ihr Recht einräumt. Sie können sich gerne bei der Evangelischen Akademie Bad Boll erkundigen, bei der Bürgermeisterin von Germering, bei Prof. Meyen von der Uni München. Sie alle mussten durchs Nadelöhr gehen, doch am Ende kam Dialog, Austausch und vielleicht sogar Hoffnung auf ein besseres Miteinander heraus.
 
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Kraft für die richtige Entscheidung.
 
Beste Grüße,
Nirit Sommerfeld
 
"Viele Grüße
Thomas Schalla
"
 
Dieser Brief geht in Kopie an Herrn Zumach, den BIB-Vorstand und andere.