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30. November 2018 - Manfred Budzinski an Thomas Schalla:

 

Sehr geehrter Herr Dekan Dr. Schalla,

ich weiß nicht, ob wir uns schon begegnet sind, z.B. bei einem Treffen von Kirche und Diakonie zum Flüchtlingsengagement. Ich möchte mich Ihnen deshalb kurz vorstellen. Ab 1978 war ich 10 Jahre lang Referatsleiter im Diakonischen Werk der EKD in Stuttgart und dem Präsidenten direkt zugeordneter Referent für Migrationsfragen. Ab 1988 bis 2011 arbeitete ich als Studienleiter in der Ev. Akademie Bad Boll. Ein Schwerpunkt waren die Tagungen zum Nahen und Mittleren Osten, insbes. zu Kurdistan, Iran, Irak, Türkei sowie Israel, Palästina, Libanon und Syrien. Ich habe zahlreiche Studienreisen der Akademie in den Libanon und nach Syrien mit geplant und durchgeführt. Ein weiterer Schwerpunkt waren Tagungen zu Rechtsextremismus und Antisemitismus zusammen mit jüdischen Menschen in Stuttgart und zusammen mit der Landeszentrale für politische Bildung, der Anne Frank Stiftung wie auch der Ehemaligen Synagoge Freudental. Über einen weiteren Schwerpunkt Flucht und Migration habe ich in zahlreichen Kooperationstagungen eng mit der Ev. Akademie Baden und dem EOK in Karlsruhe zusammengearbeitet, angefangen mit Pfarrer Weber über Pfarrer Dermann bis hin zu dem noch im EOK tätigen Herrn Blechinger. Zudem bin ich seit vielen Jahren Mitglied im Arbeitskreis "Friedensauftrag der Kirche", einem Beratungsgremium von Landesbischof July. Seit ein paar Jahren bin ich in der Nahost-Kommission der deutschen Sektion von pax christi engagiert, auch als ihr Sprecher.

Ich möchte Ihnen meine Meinung zu der von Ihnen veranlassten Absage der Veranstaltung mit Herrn Zumach am 6.12.18 in Karlsruhe mitteilen und beziehe mich dabei sowohl auf die Mail von Frau Weiß an Herrn Zumach vom 27.11.18 als auch auf die Mail von Herrn Zumach vom 28.11.18 an Sie und Ihre darauf folgende Antwort. Ich möchte noch vorweg schieben, dass ich in meiner 23jährigen Tätigkeit als Studienleiter in Bad Boll Herrn Zumach häufig als Referenten für friedenspolitische Tagungen gewinnen und ihn als Menschen und sachkundigen Vortragenden schätzen lernen konnte. Diese Absage, die einem Verbot gleichkommt, ist für mich zum Einen unverständlich  - was sind "Irritationen unterschiedlicher Art"? - und zum Anderen belegt die Art der Absage - nämlich keinerlei vorab-Kontakt mit Herrn Zumach sowie Information, und das bei einem langjährigen Referenten, bevor es zu einer evtl. Absage kommt  - für mich eine deutliche Respektlosigkeit gegenüber  diesem Referenten. Ich gehe davon aus, dass dies nicht Ihr normaler Umgang mit Referenten ist, und frage deshalb, warum wird dann so mit Herrn Zumach umgegangen? Frau Weiß bezieht sich auf das Miteinander im christlich-jüdischen Dialog und schreibt weiter, dass man sich bemühen werde, "die Politik des Staates Israel bei anderer Gelegenheit auf eine Weise offen und öffentlich zu diskutieren, mit der auch unsere Gegenüber zurechtkommen."D.h., Sie legen sich auch für die Zukunft einen Maulkorb für Veranstaltungen über Israel und Palästina an, indem Sie nur Veranstaltungen anbieten wollen, die Ihr Gegenüber quasi genehmigt. Ich habe bisher Erwachsenenbildung anders verstanden. Herr Dr. Bausch, Leiter der VHS Reutlingen und Mitglied im Kuratorium der Ev. Akademie Bad Boll, hat in seinem Eröffnungsvortrag am 21.9.2018 im Rahmen der Bad Boller Tagung zu Shrinking Space für die Zivilgesellschaft in Deutschland die Aufgaben der Erwachsenenbildung verdeutlicht:

  1. Die gesellschaftliche Kontroverse um den Israel-Palästina-Konflikt, muss sich auch in einer Bildungsarbeit abbilden, die diese Kontroverse in einem offenen, repressionsfreien Dialog bearbeitet. daher ist *die Freiheit der Lehre* ein hohes Gut und zu beachten.
  2. Eine solche Bildungsarbeit muss *wertgebunden* sein, die Orientierung an den unveräußerlichen Menschenrechten, darf nicht zur Disposition stehen.
  3. Es ist die Aufgabe von VHSen und Tagungshäusern, den Perspektivenwechsel zu ermöglichen, weil nur so demokratische Meinungsbildung möglich ist. *Wer sich dem Dialog verweigert, verweigert sich der Demokratie.*
  4. Die sog. Sozialen Medien fördern das Denken in einfachen Antworten, sie schaffen Distanz statt Nähe und verstärken gefährliche Pauschalurteile. Gerade deswegen haben wir in der Bildungsarbeit die Aufgabe, *differenzierte Betrachtungen* zu ermöglichen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Vorurteile und Stigmatisierungen die öffentlichen Diskurse beherrschen.


Sie gehen in Ihrer Antwort nicht darauf ein, dass Frau Rosenberg ihre sämtlichen Falschbehauptungen über Herrn Zumach schriftlich widerrufen hat, und schreiben lediglich von "Wahrnehmungen", ob berechtigt oder nicht entzieht sich Ihrer Kenntnis und wollen Sie auch gar nicht wissen. Ob es andere Behauptungen über Herrn Zumachen gibt, auf diese Frage gehen Sie nicht ein, geben Sie keine Antwort, obwohl Herr Zumach zu Recht da um Auskunft bittet. Frau Weiß bleibt mit der Absage ("weil die Politik des Staates Israel bei anderer Gelegenheit auf eine Weise offen und öffentlich zu diskutieren, mit der auch unsere Gegenüber zurechtkommen.") meiner Meinung nach sehr im Nebulösen, verstärkt durch Ihre Aussage: "Ich muss aber zur Kenntnis nehmen, dass ausweislich der offiziellen Stellungnahme von Seiten der Jüdischen Kultusgemeinde eine ernsthafte Störung des Verhältnisses in Karlsruhe eine wahrscheinliche Folge der Veranstaltung in der Evangelischen Erwachsenenbildung gewesen wäre." " ...muss...zur Kenntnis nehmen" und "...wahrscheinliche Folge...": Was wollen Sie damit sagen?

Statt um Transparenz bemüht zu sein, können Sie sich nicht einfach auf
"Zuständigkeiten" zurückziehen.
Wenn Sie als "Dekan...letztverantwortlich für das Erscheinungsbild der Evangelische Kirche in Karlsruhe" sind, dann ist mein Eindruck als evangelischer Christ, dass Sie sowohl mit Ihrer Absage als auch mitIhrer Vorgehensweise der Ev. Kirche nicht nur in Karlsruhe einen Bärendienst erwiesen haben, sondern auch dem christlich-jüdischen Dialog. Dies umso mehr, wenn ich Ihre Aussage zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der israelischen Regierungspolitik betrachte: "Es ist aber fraglich, ob diese Auseinandersetzung ausgerechnet jetzt und ausgerechnet von Einrichtungen der evangelischen Kirchen geführt werden muss."

Herr Dekan, ich nehme an, Sie meinen das nicht im Ernst, dass es jetzt gerade nicht geschickt ist darüber zu sprechen? Wenn nicht jetzt, wann dann? Ich meine dies nicht ironisch: Wenn man sich den permanent stattfindenden Bau völkerrechtswidriger israelischer Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten anschaut und dabei weiß, dass mehrere Parteien in der derzeitigen israelischen Regierung die ganze oder teilweise Annexion der Westbank fordern (der Likud von Ministerpräsident Netanjahu beschloss dies z.B. vor knapp einem Jahr), wollen Sie eine solche Annexion oder den kontinuierlichen Siedlungsbau mit allen seinen negativen Folgen erst abwarten, bevor Sie vielleicht an eine Veranstaltung denken und dann noch das Plazet Ihrer "Gegenüber" abwarten? Eine solche Haltung hat mit der von mir geschätzten Kirche nichts mehr zu tun.
Wir hatten von pax christi in diesem Februar ein intensives Gespräch innerhalb einer langen Sitzung mit VertreterInnen des Gesprächskreises "Juden und Christen" des Zentralkomitees deutscher Katholiken (u.a. mit dem jüdischen Leiter des Gesprächskreises, Herrn Prof. Nachama, Historiker und Rabbiner, geschäftsführender Direktor der Stiftung "Topographie des Terrors" in Berlin wie auch einer Vertreterin der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt) sowie aus dem Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. Eine Vorgehensweise wie die Ihre für eine Veranstaltung ist dort nicht vorgeschlagen worden, wäre dort undenkbar gewesen.
Ihre Absage und Vorgehensweise unterstreichen leider die Befürchtungen von Prof. Micha Brumlik, der vor einigen Wochen in der taz in der Rubrik "Gott und die Welt" einen sehr bedenkenswerten Artikel angesichts diverser Absagen (Ev. Akademie Tutzing) und verhinderten Auftritten (im Jüdischen Museum) mit dem Titel. "Die Antwort auf Judenhass darf nicht die Neuauflage des McCarthyismus sein" schrieb.

Herr Dekan, Sie schreiben von Demut. Diese wünsche ich Ihnen, indem Sie die Absage überdenken und rückgängig machen.

Ich grüße Sie in Erwartung Ihrer Antwort

Dr. Manfred Budzinski, Mühlacker