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24. September 2012 - Luz Maria de Stefano de Lenkait:

Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 13.9.2012: „Diplomatischer Freistil“,
SZ vom 18.9.2012: „Hang zur Hybris“, beide von Peter Münch,

SZ vom 24.9.2012:
„Wenn alle vom Krieg reden...“ von Volker Perthes, Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP)

Aus der Bedrohungs- und Sanktionspolitik aussteigen

Seit Anfang August ist die von der Regierung Netanjahu erneut gesteigerte Kriegspropaganda gegen den Iran fast täglich zu spüren. Selbst die Chefs der verschiedenen früheren und gegenwärtigen israelischen Sicherheitsdienste und verantwortliche israelische Generäle haben laut offiziellen Meldungen offen vor dem Desaster und den Zerstörungen in Israel gewarnt, die mit dem Beginn eines solchen Krieges verbunden wären. Trotzdem brechen Netanjahu und Ehud Barak jeden Rekord an politischer und sicherheitspolitischer Abenteuerlichkeit und setzen das Leben von israelischen Bürgern, Juden wie Araber, furchtbaren Zerstörungen aus. Es ist naheliegend, die Perfidie zu vermuten, die Netanjahu-Regierung habe offenbar die Absicht, die zu befürchtenden Leiden der Bewohner Israels infolge der vorhersehbaren Reaktion auf einen israelischen Angriff gegen den Iran mit Vorbedacht zu nutzen, um andere Mächte und Kräfte in den Krieg hineinzuziehen. Dabei geht es auch darum, die israelisch-palästinensische Frage ebenso wie die Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit im Inneren Israels von der Tagesordnung zu verdrängen.

Netanjahu versucht mit seinen Kriegsplänen auch, die Wahlen in den Vereinigten Staaten zu beeinflussen. Die Gefahr ist in der Tat furchtbar, aber sie ist nicht fatal unvermeidlich. Es ist immer noch möglich, Israel von seiner perversen Absicht abzuhalten. Eine breite Mobilisierung öffentlicher Aktionen gegen den Krieg ist in Israel zu schaffen, der Kampf gegen den Krieg ist überall an erste Stelle zu setzen. Journalisten und Leiter von Stiftungen, wie die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) müssen sich dringend klipp und klar gegen den Krieg aussprechen und gegen das implizierte Kalkül in solchen israelischen Zumutungen, die USA und Europa zu weiteren, noch schärferen Maßnahmen gegen Iran zu bewegen. Ein solches Diktat von wenigen Extremisten ist inakzeptabel. Es ist die De-eskalation, die Europa auf der ganzen Linie im Nahen- und Mittleren Osten anstreben muss, d.h. aus der Bedrohungs- und Sanktionspolitik ist auszusteigen und mit dem Iran ist nicht länger nach israelischem Gusto ein Konflikt zu erfinden oder zu fördern. Völlig falsch, weil kakophonisch, ist von Konfliktlösung zu sprechen, wenn es keinen realen Konflikt gibt, sondern lediglich ein israelisches Konstrukt, das dazu führt, die USA und Europa gegen den Iran auszuspielen.

Kriege können Atomwaffen nicht beseitigen. Das kann nur eine umfassende Vereinbarung zur Entmilitarisierung des gesamten Nahen Osten von atomaren und Massenvernichtungswaffen generell. Die Stiftung Wissenschaft und Politik sollte in der Lage sein, dieses Problem der Massenvernichtungswaffen wahrhaftig anzupacken, für die gesamte Region durch den gerechten vernünftigen Vorschlag, eine atomwaffenfreie Zone im Nahen und Mittleren Osten zu errichten. Die israelische Regierung muss dazu endlich den Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen unterzeichnen, dem sich Israel als einer der wenigen Staaten in der Welt bisher nicht angeschlossen hat.

Aus Regierungskreisen Tel Avivs hört man, es gebe „keinerlei Grund, hysterisch zu werden“. Israel müsse sich auf einen „Krieg von etwa 30 Tagen“ vorbereiten, doch dank des israelischen Luftabwehrsystems seien auf israelischer Seite maximal 300 bis 500 Tote zu befürchten, wurde gemeldet. (Nachrichten vom 31.8.2012) Die Absicht der Netanjahu-Regierung, einen militärischen Angriff auf den Iran auch ohne vorher zugesicherte Unterstützung der USA zu wagen, ist heftig attackiert worden.

„Netanjahus Bemerkungen über eine 'unabhängige israelische Aktion' sind eine absichtliche Irreführung der Öffentlichkeit, heißt es aus dem intellektuellen Milieu Israels. Es könne Netanjahu 'nicht erlaubt werden, Hunderttausende Opfer bei israelischen Truppen und Zivilisten zu machen' allein in der Hoffnung, dass es ihm so gelingen werde, die USA in den Krieg hineinzuziehen. Diese ungeheuerliche Unmenschlichkeit ist vor der ganzen Welt hemmungslos bloß zu stellen. Anstatt das verlogene und perverse Spiel der „Atomgespräche mit Iran“ mitzuspielen, sollte die SWP geeignete Maßnahmen gegen den sich ankündigenden Aggressor vorschlagen, nämlich seinen Status in der EU abzuerkennen oder auszusetzen. Außerdem sind gleichzeitig Konferenzen für die nukleare Abrüstung in der Region zu organisieren.

Zwischen Israels Premierminister Benjamin Netanjahu und der US-Regierung von Präsident Barack Obama ist in diesem Zusammenhang ein Kampf in aller Öffentlichkeit ausgebrochen. Israelische Angriffsdrohungen und der amerikanische Wahlkampf bilden die schlimmste Kulisse. Netanjahus Wunsch, Ende September bei seinem USA-Besuch zur UN-Vollversammlung wie immer auch Obama zu treffen, wurde vom Weißen Haus abgelehnt. Aus Termingründen, versteht sich. Daraufhin hätten Netanjahu und Obama eine ganze Stunde miteinander telefoniert, wobei sich die allergrößte Uneinigkeit zwischen beiden Staatschefs in Bezug auf den Iran unüberbrückbar bloßstellte.

Barack Obama steht vor seiner Wiederwahl. Sein republikanischer Kontrahent Mitt Romney nutzt die Iran-Debatte, um den Amtsinhaber als Weichling darzustellen. Unter solchem Vorzeichen erschien es wohl als absolut kontraproduktiv und töricht, Netanjahu nun auch noch im Weißen Haus die Bühne für weitere Angriffe zu bieten. Das Weiße Haus erinnert sich noch an dessen Besuch im Sommer 2011, als Netanjahu Obama vor laufender Kamera im Oval Office erst eine Geschichtslektion erteilte und sich anschließend von den republikanischen Freunden im Kongress auf Kosten des Präsidenten Obama mit Ovationen feiern ließ. Eine Verweigerung eines Treffens mit einem unerwünschten anmaßenden Gast ist deshalb plausibel und selbstverständlich. Mit Blick auf die jüdischen Wähler erscheint eine Absage immer noch besser als ein offener Streit vor Publikum im Wahlkampf.

Der israelische Premier muss erkennen, dass er seine Kräfte überschätzt hat, nicht nur in der Auseinandersetzung mit dem US-Präsidenten, sondern auch im Fernduell mit Teheran. Der Gouverneursrat der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA in Wien verabschiedete am 13.9. 2012 eine Resolution, die keine Sanktionen gegen den Iran anspricht und nicht erneut den Sicherheitsrat zum strapazierten Atom-Anliegen einschaltet. Die IAEA-Resolution ist eine neue starke diplomatische Schlappe für die Sanktionspolitik der USA und EU, vor allem weil Russland und China sie mittragen. Beide Länder lehnen es ab, die Sanktionen gegen Iran weiter zu verschärfen. Dieses eindeutige diplomatische Signal des IAEA-Gouverneurrates an die USA/EU und an Israel war nach dem Gipfeltreffen der blockfreien Staaten in Teheran am 30./31. August vorauszusehen. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Forderung des Präsidenten Ägyptens aufmerksam zu machen. Mohammed Mursi fordert die USA der New York Times zufolge zu einem Richtungswechsel in der Nahostpolitik auf.

Im Sicherheitsapparat Israels gibt es auch hörbaren Widerstand gegen die extreme Haltung von Netanjahu. Verteidigungsminister Ehud Barak hat schon eine Kehrtwende eingeleitet und ist auf den Washingtoner Kurs umgeschwenkt. Niemand dürfe vergessen, dass die USA der engste Verbündete Israels seien. Deshalb „müssen wir alles tun, um die Partnerschaft mit den USA nicht zu beschädigen“. Netanjahu scheint nicht nur vom Weißen Haus, sondern auch von seiner eigenen Reihen in eine Ecke abgewiesen zu sein. Peter Münch schildert hoch aktuell und sachlich die Auseinandersetzung zwischen Tel Aviv und Washington hinter der Kulisse eines US-Wahlkampfes und überlegt richtig:“...es kann nicht im amerikanischen Interesse sein, sich vom Regierungschef eines nahöstlichen Kleinstaats das Gesetz des Handelns aufzwingen zu lassen“ (SZ vom 18.9. 2012: „Hang zur Hybris“ von Peter Münch).

Israels Premier benimmt sich in der Tat, als sei er der Präsident der Vereinigten Staaten, Obama sein Außenminister und Hillary Clinton seine Botschafterin, „die sich lieber gleich einen neuen Job suchen solle“, wie der SZ-Journalist Nicolas Richter zutreffend sieht („Netanjahus Amtsanmaßung“ vom 13.9. 2012). Netanjahus Amtsanmaßung hat sich schon unter der Bush Regierung spüren lassen, als er versuchte, den USA zu diktieren, wie sie sich im Sicherheitsrat in Bezug auf eine UN-Resolution verhalten sollten. Damals war es Condoleza Rice, die amerikanische Außenministerin, die mit großem Format und Entschlossenheit die israelische Anmaßung zurückzuweisen wusste.

Netanjahu aber wittert in den USA besonders günstige Umstände für Einflussnahme. So Nicolas Richter weiter (13.9. 2012): Obamas Rivale Mitt Romney steht unter außenpolitischem Profilierungszwang. Unterstützt wird er vom israelischen Premier Benjamin Netanjahu. Deshalb zeigte sich der Republikaner während seiner Israelreise der Israel-Regierung seltsam ergeben. Wahlkämpfe eignen sich nicht für rote Linien, vor allem nicht, wenn sie Krieg bedeuten. Obama ist zu Recht genervt von dem Mann, der sich so verhält, als wäre er sein Chef.

Laut Umfragen erkennen die Amerikaner Obamas Bilanz in der Außen- und Sicherheitspolitik an. Die Ausfälle und das Kriegstrommeln der Neokonservativen haben dazu geführt, die Aufklärung im amerikanischen Publikum von allein zu schaffen, welcher Präsidentschaftskandidat das kleinere Übel darstellt. Die Republikaner versuchen deshalb vergebens die Hoheit über diese Themen zurückzuerobern, indem sie Obama in diesem Bereich persönlich attackieren und als „Schwächling“ diffamieren. Während dessen distanziert sich Obama in seinen Reden immer wieder von seinem Vorgänger, dem Kriegspräsidenten George W. Bush.

Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait