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23. Februar 2014 - Luz Maria de Stefano de Lenkait:

Die Ereignisse in der Ukraine, die wie Zeichen an der Wand ganz Europa gelten, und ihre Kommentierung sind Anlass für folgende Stellungnahme zu

Süddeutsche Zeitung vom 21.2.2014:
"Russisches Puppentheater" von Julian Hansm und
Kolumne "Im Namen des Vaters" von Frederik Obermaier und
"Schlüssel in den Wirren der Ukraine" von Tim Neshitov,

Süddeutsche Zeitung vom 22.2.2014: Leitartikel
"Ukraine Pflicht zur Einheit" von Frank Nienhuysen

Wohin es führt,
wenn nicht bald eine grundlegende Wende eintritt

Dem Artikel der Süddeutschen Zeitung "Russisches Puppentheater" von Julian Hans (21.2.2014) ist zu entnehmen:

"EU-Diplomaten machten erstmals den ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch uneingeschränkt für das Blutvergießen verantwortlich."

Deutsche Medien und Politiker wissen aber, dass bei der Brandstiftung in Kiew Gewaltstifter und Faschisten, radikale kriminelle Elemente als Urheber des Chaos anzuerkennen sind. Zu diesen radikalisierenden Gruppen hat niemand Zugang. Die europäischen Außenminister aus Frankreich, Polen und Deutschland konnten Gespräche mit dem ukrainischen Präsidenten und mit Parlamentariern der Opposition führen, nicht aber mit den bewaffneten Gruppen. Wer hinter solchen Extremisten und Vandalen stehen, ist nicht bekannt. Die faschistische Geschichte der Ukraine macht das Land gegenüber dem Einfluss solcher gewaltsamen Radikaler empfänglich. Vor allem nach dem Zerfall der Sowjetunion, als ein Macht-Vakuum entstand. Dieses Vakuum favorisierte den Einstieg von korrupten Männern und sich bildenden extrem reichen Oligarchen, die das Land zugrunde richteten. Die Wut der großen Mehrheit hat gerade in der regierenden Korruption ihren Ursprung und sie ist berechtigt. Der Präsident Viktor Janukowitsch ist zudem eine umstrittene Figur, deren exzessiver Reichtum gegenüber der Armut der Mehrheiten äußerst abstoßend erscheint. Bei sichtbaren Alternativen sieht es leider nicht viel anders aus. Das Parlament ist voller Leute, die unter sehr zweifelhaften Umständen in den Turbulenzen des Zusammenbruchs der Sowjetunion zu sehr viel Geld gekommen sind. Und mit sehr viel Geld kommt man ganz schnell ganz nach oben in der Politik, nicht nur in der Ukraine. Man muss sich nur einmal die Mitglieder des US-Kongress ansehen.

Allerdings ist festzustellen:

"Viktor Janukowitsch kam bei der Staatspräsidentenwahl 2010 an die Macht . Bei der Neuwahl des Staatspräsidenten Anfang 2010 setzte sich Viktor Janukowitsch in der Stichwahl am 7. Februar 2010 mit 48,8 Prozent der Stimmen gegen Julija Timoschenko durch. Er leitete einen neuen außenpolitischen Kurs der Ukraine ein. Nach seinem Amtsantritt im Februar 2010 erklärte Janukowitsch, die Ukraine wolle ein blockfreies Land sein und verstehe sich als „eine Brücke zwischen Russland und der EU“
(Aus dem Vortrag zur Ukraine von Brigitte Queck, Januar 2014).

Die EU muss sich für ihre fehlende Einsicht verantworten, die unabhängige außenpolitische Linie der Ukraine nicht respektiert zu haben.

"Sie spielte mit den prowestlichen Gefühlen eines Teils der ukrainischen Gesellschaft, was sich allerdings zu Anarchie und Gewalt auf der Straße auswuchs. Die EU löscht jetzt das Feuer, das sie selbst gelegt hat..."
(Kommentar in der Prager Zeitung "Lidové Noviny", 22.2.2014)

In diesen dubiosen, ukrainischen Verhältnissen, mitten im um sich greifenden Faschismus seitens der rechten Ecke der Opposition blieb Russland nichts anders übrig, als einen derart prekären Präsidenten zu unterstützen, denn im großen geopolitischen Spiel um die Ukraine hatte Russland keine andere Wahl.

Aber diesen unerwünschten halbseidenen Präsidenten zu unterstützen, ist kein richtiger würdiger Ausweg für die Ukraine. Dringend in diesem Moment ist allerdings, die Lage unter Kontrolle zu bekommen. Kiew war bisher eine Stadt ohne sonderlich hohe Kriminalität, wo man sich auch nach Einbruch der Dunkelheit überall sicher fühlen konnte, im Gegenteil zu Gegenden in Paris oder London. Jetzt sind nachts plötzlich kriminelle Banden in einigen Teilen der Stadt unterwegs. Sie randalieren und zünden Autos an. Fensterscheiben von Geschäften gehen zu Bruch. Bürgerwehren bilden sich, um Straßen und Geschäfte zu schützen. Die Polizei scheint nicht mehr Herr der Lage zu sein. Gerüchte verbreiten sich: Die randalierenden Banden sollen von Stellen in der Regierung angeheuert worden sein, damit man die Zerstörung und Schrecken dann der Opposition in die Schuhe schieben könne. Aber diese kriminellen Elemente können auch von anderer Seite gegen Geld losgeschickt worden sein; westliche Dienste haben schon in anderen Ländern bewiesen, dass sie sich gut mit solcher Vorgehensweise zur Destabilisierung eines Landes auskennen. Die Verhältnisse treiben auf die Ausrufung eines Ausnahmezustands zu. Frank Nienhuysen ignoriert vollkommen in seinem Leitartikel das unkontrollierte Problem der Vandalen, der Faschisten, die europäische Bündnispartner geworden sind durch Rechtsparteien, die in Berlin hofiert werden.

"Ermutigung erfahren sie aus Washington. Berlin, also die EU, verlegt sich aufs Verharmlosen oder Leugnen der hegemonialen Stellung von Faschisten in der Opposition."
(Leitartikel "Bewaffnete Kämpfe in der Ukraine - Kontrollverlust"
von Arnold Schölzel, Junge Welt vom 21.2.2014)

Der SZ-Journalist Frank Nienhuysen verliert kein Wort darüber, dass die Kooperation mit solchen Kräfte definitiv und vollständig zu beenden ist. Aktive Faschisten und militante Kräfte in der Ukraine sind nicht zu verharmlosen. Solche Elemente sind die Unruhe-Stifter innerhalb der friedlichen Maidan-Proteste und sie gehören selbstverständlich ins Gefängnis. Die Polizei darf nicht zögern, gegen solche Elemente vorzugehen, um die Ordnung im Lande wieder herzustellen. Ein Grund zu Besorgnis schafft die Freilassung der inhaftierten ehemaligen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko (Meldung vom 22.2.2014), die sich umgehend zum Maidan-Platz begab und zu den versammelten Massen sprechen konnte. Sie sprach genauso fanatisch wie sie es schon aus dem Gefängnis heraus tat und hetzte für eine unnachgiebige Haltung gegenüber der Regierung. Timoschenko ist nicht nur wegen ihrer Korruption als Ministerpräsidentin bekannt, was 2011 einen Strafprozess gegen sie veranlasste, sondern auch als Instrument des Westens, der sich immer wieder für ihre Freilassung gegenüber dem aktuellen Präsidenten Janukowitsch einsetzte, damit er den Strafprozess gegen Timoschenko stoppte. So weit das Verständnis von Justiz und Demokratie im Westen.

Mafia existiert dort, wo der Bürger kein Vertrauen mehr in den Staat hat und der Staat Schwäche zeigt. Die Autorität muss sich durchsetzen wissen. Brutalität und Brandstiftung sind keine erträglichen Demonstrationen. Demonstranten haben sich an Gesetze zu halten wie alle anderen Bürger auch. Gewaltaktionen entsprechen keinen europäischen Werten, keinen Freiheitsrechten. Vor solchen destruktiven Aktionen sind die Polizei- oder sogar Militärkräfte aufgerufen zu handeln, wie sie es in jedem demokratischen Rechtsstaat verpflichtet sind. Der Frieden in der Ukraine ist zerbrechlich, solange die Anführer dieser Banden von Vandalen frei herum laufen. Frank Nienhuysen sollte mit seinem Kollegen Tim Neshitov die ernste labile Lage besprechen. Der SZ-Journalist Neshitov sah schon in seinem sachlichen Artikel am Tag zuvor ("Schlüssel in den Wirren der Ukraine", SZ, 21.2.2014) die Gefahr, dass solche Gruppen die Waffenruhe sabotieren könnten.

"Allerdings handeln die faschistischen Mörderbanden... gegen die Interessen eines Teils ihrer Sponsoren....Seit dem 18.2.2014 wird (Krieg) in großen Teilen des Landes geführt. Die EU, d.h. die deutsche Bundesregierung, steckt seither in der selbst gestellten Falle. Und sie hat mit den deutschen Grünen und den hiesigen Mainstreammedien eine Propagandakompanie im Nacken, denen jede Eskalation der Gewalt nicht genügt."
So Arnold Schölzel plakativ anklagend in seinem Leitartikel "Kontrollverlust", Junge Welt vom 21.2.2014.

Dringend erforderlich ist, solchen seltsamen kriminellen Kräften das Handwerk zu legen. Sonst ist der Kontrollverlust vorprogrammiert.

In diesem Zusammenhang ist das erfolgreiche Kiewer Abkommen zwischen Regierung und Opposition vollkommen zu begrüßen. Es ist ein großer diplomatischer Erfolg der deutsch-russischen Diplomatie, der Merkel-Putin Zusammenarbeit. Der deutsche Außenminister hatte eine sehr schwierige Aufgabe zu erfüllen, während seine Kollegen aus Frankreich und Polen für Sanktionen plädierten und die EU für solche kontraproduktive Stimmung zu gewinnen suchten. Sanktionen stellen gewiss keine Lösung eines politischen Problems. Nirgends. Das war für Berlin von Anfang an klar. Auffällig ist, dass sowohl der französische Außenminister Laurent Fabius als auch der polnische Außenminister Radek Sikorski schon am Freitagabend (21.2.2014) von der Öffentlichkeitsbühne verschwanden. Der Franzose hatte sich von Anfang an über die Verhandlungen ganz negativ geäußert, als ob er gar keine Interesse an einem erfolgreichen Durchbruch hätte. Daraus ist zu folgern, dass der Durchbruch in Kiew aufgrund der geduldigen intelligenten Beharrlichkeit des deutschen Außenminister Walter-Steinmeier gelang. Er verlängerte seinen Aufenthalt vom Donnerstag (20.2.2014) bis zum Freitag (21.2.2014), um sich auch mit dem russischen Vermittler Wladimir Lukin aus Moskau zu treffen und mit ihm weiter die Verständigung zwischen Regierung und Opposition zu koordinieren. Der russische Gesandte arbeitete aktiv an der Friedenslösung zusammen mit dem deutschen Außenminister. Berlin und Moskau haben offenkundig zur zukünftigen zunehmenden Kooperation und Integration in Europa beigetragen.

Trotzdem bleibt die Krise in der Ukraine sehr unübersichtlich und bietet Stoff für viele spekulative Überlegungen:

"...Der Kreml könnte … ein Szenarium nach dem Muster Georgiens anstreben: Wenn das Land sich von Moskau ab- und Europa zuwendet, sollen wenigstens einzelne Gebiete unter russischer Kontrolle gehalten und damit eine echte Integration nach Europa blockiert werden.... Wenn dann Gewalt ins Spiel komme, könne Russland auf Bitten der prorussischen Seite zu Hilfe kommen...Der innere Konflikt in der Ukraine... hat sich verschärft. Besonders auf der Halbinsel Krim, die erst 1954 von Nikita Chruschtschow der ukrainischen Sowjetrepublik zugesprochen wurde, haben sich zuletzt zahlreiche prorussische Organisationen gegründet, die sich für eine Trennung von Kiew aussprechen, sollten dort "Faschisten" einen Umsturz wagen. ... Schon seit einigen Monaten werde in Kreml-Kreisen eine Föderalisierung der Ukraine diskutiert ... als beste Alternative gepriesen, um eine Entwicklung wie einst in Jugoslawien zu verhindern."

Wenn Janukowitsch die Kontrolle verliert, könnte Kiew den westlichen Regionen den Laufpass geben, oder die russisch geprägten Regionen links des Dnjepr erklären ihre Unabhängigkeit und schließen sich der Zollunion mit Russland an."

Im Gespräch mit dem Kreml ist der Bau einer Brücke über die Meerenge von Kertsch, die die Krim mit Russland verbinden soll.
("Russisches Puppentheater" von Julian Hans, SZ, 21.2.2014)

"...Geldwäsche durch Unternehmen in Großbritannien und Luxemburg (lässt) ein kompliziertes Schachtelkonstrukt erkennen... ein großer Teil des Vermögens des Janukowitsch-Clans ist aber längst nicht mehr in der Ukraine zu suchen... Von Briefkastenfirmen auf den britischen Jungferninseln ist die Rede, auch in Panama und Delaware. Dort wäre das Vermögen selbst vor den Sanktionen der Europäischen Union sicher. Anders als im EU-Staat Österreich. Dort haben viele reiche und Janukowitsch-Vertraute Vermögen gebunkert. ... ein Vermögensverwalter der Familie Janukowitsch soll dort sein Büro haben.
(Aus der Kolumne "Im Namen des Vaters" von Frederik Obermaier,
SZ vom 21.2.2014)

Der SZ-Artikel "Schlüssel in den Wirren der Ukraine" von Tim Neshitov (21.2.2014) geht auf den faschistischen Hintergrund des Landes ein, was der Leitartikel von Frank Nienhuysen auffällig vernachlässigt:

“...Heute beruft sich in der Ukraine der "Rechte Sektor" auf Stepan Bandera, ...Seine (Banderas) Hauptfeinde waren Polen und die Sowjetunion. Bandera hatte im Krieg gemeinsame Sache mit Hitler gemacht. Überhaupt seien die Ultras am jüngsten Blutvergießen schuld. Man könnte... (nur) wünschen, dass solche radikalen Nationalisten bei den Straßenprotesten nicht die Oberhand gewinnen... Und würden nun auch noch die Waffenruhe sabotieren. Wiktor Juschtschenko, der westlich gesinnte Vorgänger des heutigen Präsidenten, verlieh Stepan Bandera 2010 posthum den Ehrentitel "Held der Ukraine". Damals protestierte Polens Präsident Lech Kaczynski: "Mehr als 100.000 Polen mussten sterben, nur weil sie Polen waren."

Das Europäische Parlament und das Simon Wiesenthal Center protestierten... der Mann gilt als Nazi-Kollaborateur, die häufigste Bezeichnung für seine Anhänger lautet: Faschisten... Schulbücher widersprechen sich zur Geschichte der Ukraine. Aber nicht nur Kinder sind verwirrt. ...

Ein offener Brief an Wladimir Putin enthält eine eindeutige Bitte aus der Ukraine:

"sollte die politische Krise sich weiter vertiefen, sollten die NATO-Streitkräfte bei uns einmarschieren, bitten wir Sie, uns auch militärisch zur Seite zu stehen."

Den Frust gegenüber den Wirren der Ukraine brachte der Moskauer-Polit-Clown Wladimir Schirinowskj auf den Punkt.

"Das sind lauter Feinde. Sie zertrampelten zusammen mit dem faschistischen Deutschland unsere Erde, all diese Slawen - Bulgaren, Serben, die Westukraine - Und wir sollen immer noch ein Brudervolk sein? Man hätte sich nicht ständig in Richtung Westen bewegen dürfen, wie die Zaren. Wir müssen uns Richtung Süden bewegen, zum Iran, zur Türkei. Im Süden werden wir geliebt und erwartet, aber wir laufen dorthin, wo sie uns weder lieben noch erwarten. Wozu brauchen wir die denn? Sie wären doch längst krepiert ohne unsere Hilfe."

Selbstverständlich ist diese Reaktion politisch unbesonnen, nicht vernünftig nachvollziehbar. Angesicht der Korruption und zunehmender Armut in der Ukraine wie in vielen anderen Teilen Europas ist eine neue Wirtschafts- und Sozialpolitik zu verfolgen. Die Ukraine zeigt extrem tragisch, wohin es führt, wenn nicht bald eine grundlegende Wende eintritt und die Politik der Bereicherung für einige wenige und Massenverarmung nicht gestoppt werden. Stattdessen müssen die Menschen wieder mehr Einkommen und soziale Sicherheit bekommen.

In Anbetracht der extremen Krise in der Ukraine hat auch der Chef des Auswärtigen Ausschuss im Bundestag, Dr. Norbert Röttgen, die gravierende Lage anerkannt, wobei eine soziale Wirtschaftspolitik der EU dringend notwendig für die Stabilität Europas ist. Der CDU-Politiker erkennt andererseits zutreffend in aller Deutlichkeit das Selbstbestimmungsrecht der ukrainischen Bevölkerung, was ihre Zukunft betrifft. (Phönix 20.2.2014, 22.15 Uhr)

Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait